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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 09.01.2004
Aktenzeichen: 19 W 63/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42
Der Umstand, dass ein Richter ein psychiatrisches Gutachten zur Prüfung der Prozessfähigkeit der Partei eingeholt hat, ohne sich zuvor durch ihre Anhörung einen persönlichen Eindruck über ihre Prozessfähigkeit verschafft zu haben, ist geeignet, bei der Partei den Anschein zu erwecken, er sei ihr gegenüber voreingenommen. (ZPO 42)
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

19 W 63/03

Entscheidung vom 9. Januar 2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... am 9. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2003 abgeändert.

Die Ablehnung der Richterin am Landgericht X wird für begründet erklärt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1, 569 ZPO), sie führt auch zum Erfolg.

Allerdings vermag sich der Beklagte nicht darauf zu berufen, daß die 23. Zivilkammer in einer angeblich der Geschäftsverteilung des Landgerichts nicht entsprechenden Besetzung über sein Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Landgericht X entschieden hat. Zwar stellen Fehler bei der Anwendung der Geschäftsverteilung grundsätzlich einen Eingriff in das Recht auf den gesetzlichen Richter dar. Gemäß § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO kann die Beschwerde hierauf aber nur gestützt werden, wenn die Zuständigkeit willkürlich angenommen wurde (Zöller-Gummer ZPO 24. A. § 21 e GVG RZ 53). Hiervon kann keine Rede sein. Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. Y war an der Mitwirkung gehindert, nachdem der Beklagte sie mit Schriftsatz vom 5. 11. 2003 auch im vorliegenden Verfahren als befangen abgelehnt hat. An ihre Stelle und an die Stelle der abgelehnten Richterin X sind nach der Geschäftsverteilung die Mitglieder der 26. Zivilkammer getreten, zu denen die Richterinnen Z und W gehörten.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts rechtfertigen die von dem Beklagten vorgetragenen Gesichtspunkte die Annahme einer Befangenheit der Richterin am Landgericht X.

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO abgelehnt werden, wenn ein objektiver Grund gegeben ist, der aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei die Befürchtung wecken könnte, der Richter stehe der Sache nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, daß der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder sich für befangen hält. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob durch sein Verhalten bei der ablehnenden Partei begründete Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit auftreten können (Zöller-Vollkommer ZPO 24. A. § 42 RZ 9 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall die Besorgnis der Befangenheit der Richterin am Landgericht X zu bejahen.

Das Verfahren wurde zunächst von der Richterin M als Einzelrichterin bearbeitet. Nachdem diese aus der 23. Zivilkammer ausgeschieden war, übernahm die an ihre Stelle getretene Richterin am Landgericht X die Bearbeitung des Rechtsstreits. Sie führte am 15. 5. 2002 in Anwesenheit des Beklagten eine mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme durch. Am Ende der Sitzung wurde der Klägerin ein Schriftsatznachlaß auf Schriftsätze des Beklagten eingeräumt und angekündigt, daß weitere Anordnungen von Amts wegen ergehen. Anschließend gingen weitere Schriftsätze der Parteien ein, dem Beklagten wurde Akteneinsicht gewährt. Mit Beschluß vom 10. 2. 2003, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Bl. 1165f d.A.), ordnete die Richterin am Landgericht X schließlich die Einholung eines fachärztlichen psychiatrischen Gutachtens zur Prüfung der Prozeßfähigkeit des Beklagten an. Der Sachverständige Dr. O gelangte in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 31. 3. 2003, auf dessen Inhalt ebenfalls verwiesen wird (Bl. 1251ff), zu dem Ergebnis, daß die Eigenheiten der Prozeßführung des Beklagten Auffälligkeiten bieten, die sich aus seiner Biographie, seinem Selbstverständnis und seiner Auffassung von Indikation und Effizienz einzusetzender Rechtsmittel herleiten, daß sich aber in der psychiatrischen Untersuchung kein Anhalt für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung ergeben habe. Einsichtsfähigkeit, Steuerungsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit und damit auch Prozeßfähigkeit seien ohne Einschränkung gegeben.

Nach der Überzeugung des Senats ist der Umstand, daß die Richterin am Landgericht X ein psychiatrisches Gutachten zur Prüfung der Prozeßfähigkeit des Beklagten eingeholt hat, ohne sich zuvor durch seine Anhörung einen persönlichen Eindruck über seine Prozeßfähigkeit verschafft zu haben, geeignet, bei ihm den Anschein zu erwecken, sie sei ihm gegenüber voreingenommen.

Die Feststellung der Prozeßunfähigkeit bedeutet für jeden Betroffenen einen erheblichen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Sie führt dazu, daß die von ihm vorgenommenen Prozeßhandlungen ihre Wirkung verlieren und ihm faktisch die Möglichkeit genommen wird, den Rechtsstreit so zu führen, wie er ihn für richtig hält. Zudem hat die Verneinung der Prozeßfähigkeit Auswirkungen auf die Teilnahme des Beteiligten am bürgerlichen Rechtsverkehr. Denn einem Prozeßunfähigen fehlt die Fähigkeit, sich durch Verträge zu verpflichten. Es ist wegen dieser schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen anerkannt, daß er vor der Verneinung seiner Prozeßfähigkeit persönlich angehört werden muß (BSG NJW 1994, 215f; BGH NJW 2000, 290).

Aber nicht erst die Verneinung seiner Prozeßfähigkeit, sondern bereits der Umstand, daß sie von einem Gericht infrage gestellt und zum Gegenstand einer Beweiserhebung gemacht wird, hat für den Betroffenen erhebliche Auswirkungen. Dem Prozeßgegner wird, wie es der Beklagte geltend macht, mit einem entsprechenden Beweisbeschluß ein Mittel in die Hand gegeben, das geeignet ist, auch bei unbeteiligten Dritten Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen hervorzurufen und ihm dadurch die Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr zu erschweren.

Damit stellt schon die bloße Beweiserhebung über seine Prozeßfähigkeit für den Betroffenen, zumal wenn es sich bei ihm wie hier um einen Rechtsanwalt handelt, einen erheblichen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar. Sie darf deshalb nur erfolgen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für ihr Fehlen vorliegen. Dies aber wird sich im Regelfall nicht ohne eine persönliche Anhörung des Betroffenen zu seiner Prozeßfähigkeit feststellen lassen (ebenso BVerfG NJW 1974, 1289ff).

Hier ist weder eine solche Anhörung erfolgt, noch ist dem Beklagten überhaupt Gelegenheit gegeben worden, zu der beabsichtigten Beweiserhebung über seine Prozeßfähigkeit Stellung zu nehmen. Die abgelehnte Richterin hat den Beklagten zwar anläßlich der mündlichen Verhandlung vom 15. 5. 2002 gesehen. Ausweislich des Inhalts des Sitzungsprotokolls (Bl. 868ff) wurde während der Verhandlung die Frage der Prozeßfähigkeit des Beklagten nicht angesprochen. Es ergaben sich im Laufe der Sitzung auch keinerlei Umstände, die auf eine Prozeßunfähigkeit des Beklagten hätten hindeuten können.

Daß die Richterin gleichwohl die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu seiner Prozeßfähigkeit einholte, war geeignet, bei dem Beklagten Mißtrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung zu wecken. Der Beschluß gab einerseits zu der Befürchtung Anlaß, die Richterin habe sich auf diese Weise jedenfalls bis zur Vorlage des Sachverständigengutachtens der Mühe entziehen wollen, sich mit seinem umfangreichen Vorbringen auseinandersetzen zu müssen, zumal sie seit der mündlichen Verhandlung vom 15. 5. 2002 ohnehin keine weiteren prozeßleitenden Verfügungen getroffen hatte. Zum anderen läßt der Inhalt des Beschlusses vom 10. 2. 2003 aus der Sicht des Beklagten befürchten, daß sich die Richterin im weiteren Verfahren nicht von ihren Vorstellungen über seine Prozeßunfähigkeit freimachen kann und daß sie sich deshalb mit seinem umfangreichen Vorbringen nicht auseinandersetzen wird. So hat sie sein Vorbringen als schwer lesbar und unübersichtlich bezeichnet, beanstandet, daß der Kläger ohne äußeren Anlaß weitere Schriftsätze eingereicht und von Beschwerdemöglichkeiten Gebrauch gemacht habe und ausgeführt, der Beklagte habe "in höchstem Umfang Zeit in seine Rechtswahrung investiert, die außer Verhältnis zum Ergebnis steht", obwohl der Beklagte mit seiner Widerklage Ansprüche im Wert von über 100.000,- € verfolgt.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt, weil die Kosten des Beschwerdeverfahrens Kosten des Rechtsstreits sind.

Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 46 Abs. 2, 1. Hbs. ZPO).



Ende der Entscheidung

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