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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.02.2008
Aktenzeichen: 2 Ausl. A 113/07
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 29
Zur Überstellung eines wegen Völkermordes Verfolgten an den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda.
Gründe:

Mit Beschluß vom 23.07.2007, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat der Senat gegen den Verfolgten die vorläufige und mit Beschluß vom 23.11.2007 die förmliche Überstellungshaft angeordnet. Auf den Beschluß vom 23.11.2007 und die dem Beschluß beigefügten Anlagen wird ebenfalls Bezug genommen.

Da umfangreiche Einwendungen des Verfolgten durch den Beistand erhoben wurden und der Beistand des Verfolgten die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main dazu einsehen wollte, wurde die Entscheidung über die Zulässigkeit der Überstellung zurückgestellt und mit Beschluss vom 24. Januar 2008 zunächst nur die Fortdauer der Überstellungshaft angeordnet. Nachdem nunmehr der Schriftsatz des Beistands mit ergänzenden Ausführungen und weiteren Einwendungen vom 14.2.2008 vorliegt, kann über die Zulässigkeit entschieden werden.

Die Überstellung des Verfolgten an den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha (Tansania) [im Folgenden ICTR] wegen der im Tenor unter Ziffer 1 angeführten Straftaten ist zulässig.

Die Einwendungen des Verfolgten greifen nicht durch.

Der Haftbefehl des Senats vom 23. November 2007 ist nicht rechtsfehlerhaft. Er genügt den Formerfordernissen eines Haftbefehls. Es ist zulässig, wegen des genauen Inhalts der dem Haftbefehl zugrunde liegenden Schuldvorwürfe auf Urkunden Bezug zu nehmen, soweit diese Urkunden dem Haftbefehl als Anlage beigefügt werden. Sinn aller Vorschriften über Form, Inhalt und Bestimmtheit eines Haftbefehls ist es, dass der vom Haftbefehl Betroffene ohne Schwierigkeiten erkennen kann, was ihm vorgeworfen wird, und worauf sich der Haftbefehl stützt. Dem vom Haftbefehl Betroffenen soll somit auf rechtsstaatliche Weise ermöglicht werden, sich gegen inhaltlich klar bestimmte und ausreichend begrenzte Vorwürfe in umfassender Form verteidigen zu können. Diesem Sinn wird Rechnung getragen, wenn sich der detaillierte Schuldvorwurf aus Urkunden ergibt, auf die der Haftbefehl Bezug nimmt und die dem Haftbefehl beigefügt sind.

Der Betroffene hat auf diese Weise umfassendes rechtliches Gehör; ihm werden die Urkunden zur Verfügung gestellt, die die Grundlage des Haftbefehls darstellen. Er kann seine Verteidigung in einem rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechenden Umfang wahrnehmen.

Der Einwand, das vorgelegte "Indictment" entspreche nicht den Anforderungen einer Anklageschrift im Sinne der deutschen StPO, es stelle nur eine Art "Regieanweisung" der Anklage dar, greift nicht durch. Dieses Indictment/Acte DŽ Accusation vom 27. September 1999 benennt zunächst konkret die Straftaten, derer der Verfolgte angeklagt wird. Dem fügt sich ein historischer Kontext an, der die Auseinandersetzung zwischen den Hutus und den Tutsis sowie den oppositionellen Hutus in dieser Zeit in Ruanda schildert, über die Einbindung verschiedener Personen, insbesondere auch die des Verfolgten, in die machthabende Partei der Hutus und der verschiedenen Regierungen informiert und die Hintergründe erhellt. Unter der Ziffer 2.1 wird dann unmissverständlich klargestellt, dass mit dieser Anklage dem Verfolgten ausschließlich Verbrechen vorgeworfen werden, die er zwischen dem 01.01. und 31.12.1994 in Ruanda begangen haben soll. Es ist somit klargestellt, dass Handlungen des Verfolgten, die im oben angeführten historischen Kontext unter Ziffer 1 und unter dem Kapitel Ziffer 3 (Machtstrukturen) aufgeführt werden, nicht Gegenstand der Anklage und des Haftbefehls sind, sondern nur dazu dienen, die Zusammenhänge, Hintergründe, Entwicklungen und Einbindung des Verfolgten in das gesamte Geschehen zu erhellen und zu belegen.

Unter Ziffer 4 des Indictments wird nochmals der Werdegang des Verfolgten und seine Einbindung in das Geschehen der damaligen Zeit seit 1989 konkret dargestellt.

Unter Ziffer 5 und 6 werden sodann die konkreten Tathandlungen geschildert, wobei es unschädlich ist, dass auch Vorgänge vor 1994 geschildert werden, da zuvor unter Ziffer 2 klargestellt wurde, dass ausschließlich schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die zwischen dem 01.01.1994 und 31.12.1994 im Hoheitsgebiet von Ruanda begangen worden sein sollen, Gegenstand der Anklage sind. Es werden somit von der Anklage nur Straftaten erfasst, für die der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda zuständig ist. Die Schilderungen, die davor liegende Zeiträume zum Inhalt haben, dienen somit - wie oben bereits ausgeführt - ausschließlich dem besseren Verständnis des Geschehens und der Darlegung des Umstandes, dass der Verfolgte seit 1989 in die Machtstrukturen und in das Geschehen eingebunden war.

Es wird unter den Ziffern 5 und 6 der Anklage auch explizit (z. B. unter 5.10; 6.14.; 6.18; 6.31; 6.37; 6.48; 6.65 und 6.90) der Verfolgte genannt und seine Verantwortung aufgezeigt.

Die Zuordnung der einzelnen Tatbeiträge in Bezug auf den Verfolgten findet sich dann unter Verweisung auf entsprechende Punkte der Anklage unter Ziffer 7. Dort wird auch festgestellt, dass der Verfolgte für die einzelnen Anklagepunkte "einzelverantwortlich" war. Für die Behauptung des Beistands, der Verfolgte werde lediglich als Mitglied eines "Kollektivs" für die fraglichen Straftaten verantwortlich gemacht, finden sich somit in den gesamten Überstellungsunterlagen keine Hinweise.

Diese Fakten kann der Senat selbst den vorgelegten Unterlagen entnehmen, es bedarf deshalb nicht einer gutachterlichen Stellungnahme des Richters am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Prof. Dr. ....

In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda, das für das Verfahren zuständige Gericht, die Darstellung der Taten in den oben angeführten Indictment ausdrücklich für ausreichend angesehen hat. Dies geschah mit Beschluss des ICTR vom 01.10.1999. Dieser Beschluss ist den Überstellungsunterlagen ebenfalls beigefügt gewesen.

Letztlich ist auch der Einwand zurückzuweisen, das Überstellungsersuchen des Internationalen Gerichtshofs für Ruanda in Arusha sei rechtsmissbräuchlich, "weil der Gerichtshof bis Ende des Jahres 2008 seine Tätigkeit in erstinstanzlichen Verfahren beendet haben wird (a) und daher nicht in der Lage ist, eine Strafverfolgung gegen Herrn X durchzuführen (b)". Angesichts dessen sei zu befürchten, dass der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha das Verfahren gegen Herrn X an die ruandische Justiz übergeben werde. Das Überstellungsersuchen diene somit erkennbar der Umgehung der Hindernisse, die einer (direkten) Auslieferung nach Ruanda entgegenstünden.

Dieser Einwand beruht auf Spekulationen und Unterstellungen.

Das Ersuchen des Internationalen Gerichtshofs für Ruanda in Arusha (Tansania) liegt dem Senat vor. Es ist nicht zurückgenommen worden.

Der Senat hat im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Überstellung nicht Spekulationen und Unterstellung nachzugehen, der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda würde UNO-Resolutionen verletzen und mit dem Überstellungsersuchen das Ziel verfolgen, Hindernisse zu umgehen, die einer direkten Auslieferung des Verfolgten nach Ruanda entgegenstünden. Der Senat geht davon aus, dass sich der Internationale Gerichtshof für Ruanda an UNO-Resolutionen und an Völkerrecht hält. Es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass dies nicht der Fall sein wird.

Da Überstellungshindernisse somit nicht ersichtlich sind, war die Zulässigkeit der Überstellung auszusprechen.

Die Haftgründe bestehen fort. Dem Verfolgten werden äußerst schwerwiegende Straftaten vorgeworfen. Er hat sich jahrelang dem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha entzogen und war bis zu seiner Inhaftierung im hiesigen Überstellungsverfahren untergetaucht.

Ende der Entscheidung

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