Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.12.2000
Aktenzeichen: 2 Ausl II 8/99
Rechtsgebiete: StGB, IRG


Vorschriften:

StGB § 263
IRG § 66
IRG § 61 Abs. 1
IRG § 61 Abs. 1 S. 2, 2. Alt.
IRG § 66 Abs. 1 Nr. 1
IRG § 66 Abs. 2 Nr. 2
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen für den Staat Israel.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

2 Ausl II 8/99

Entscheidung vom 20.12.2000

In der Rechtshilfesache

betreffend die Rechtshilfeersuchen des Staates Israel vom 4. August 1997, 4. Dezember 1997, 8. Juni 1998 und 18. März 1999

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Anträge

1. des Beteiligten H., ...,

- vertreten durch Rechtsanwalt ...-

2. der B.-Bank, ...,

3. des Betroffenen Rechtsanwalt P., ..., - vertreten durch Rechtsanwalt ... ­

4. der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main,

am 20. Dezember 2000 beschlossen:

Tenor:

Die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe gemäß den Ersuchen vom 4. August 1997, 4. Dezember 1997, 8. Juni 1998 und 18. März 1999 sind gegeben.

Gründe

I.

Der Staat Israel hat die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens um Rechtshilfe ersucht. Gegenstand des Verfahrens ist der Verdacht des Betruges durch Rechtsanwalt P. an israelischen Staatsbürgern, die nach dem Abkommen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit in die deutsche Rentenversicherung eingetreten sind. Im einzelnen handelt es sich um folgende Rechtshilfeersuchen:

1. Ersuchen vom 4. August 1997: Vernehmung von Rechtsanwalt Dr. R. in Berlin sowie Beschaffung von Kontounterlagen bei Banken in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem in Frankfurt am Main. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 18 ff. d.A. 93 E ­ 869/97 Bezug genommen.

2. Ersuchen vom 4. Dezember 1997: Vernehmung von Rechtsanwalt Dr. R. und anderen Personen zu verschiedenen Bankkonten sowie Beschaffung und Überlassung von Kontounterlagen, darunter das Konto des Beschuldigten P. Nr. ... bei der B.- Bank Frankfurt am Main. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 14 ff. d.A. 93 E ­ 869/97 Bezug genommen.

3. Ersuchen vom 8. Juni 1998: Beschaffung und Überlassung von Unterlagen mehrerer Banken sowie Sicherstellung und Beschaffung von Unterlagen bei Personen ­ wie dem Beteiligten H. -, die als (frühere) Führungskräfte der beteiligten Banken bezeichnet werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 56 ff. d.A. 93 E ­ 869/97 Bezug genommen.

4. Ersuchen vom 18. März 1999 (Bl. 66 ff. d.A. 93 E ­ 869/97): Herausgabe der aufgrund der bisherigen Ersuchen sichergestellten Unterlagen. Weitere Ersuchen vom 5. Mai 1999 (Bl. 138 d.A. 93 E ­ 869/97), vom 8. Juni 1999 (Bl. 143 d.A. 93 E ­ 869/97) und 16. August 1999 (Bl. 93 ff. d.A. 93 E ­ 869/97) sind ebenfalls auf Herausgabe der sichergestellten Unterlagen gerichtet. Mit Beschlüssen vom 28. Dezember 1998 (Bl. 118 ff. d.A. 54 AR 22/98) hat das Amtsgericht Frankfurt am Main die Durchsuchung verschiedener Wohn- und Geschäftsräume, u.a. des Beteiligten H. und der B.-Bank, angeordnet. Die sichergestellten Gegenstände sind vom Amtsgericht Frankfurt am Main mit Beschlüssen vom 19. Februar 1999 (Bl. 296 ff. d.A. 54 AR 22/98) beschlagnahmt worden. Die Beschwerde des Beteiligten H. gegen den Beschlagnahmebeschluß ist vom Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluß vom 24. August 2000 (Bl. 158 ff. d.A. 93 E ­ 869/97) überwiegend zurückgewiesen worden.

Der Beteiligte H. beantragt mit Schriftsatz vom 23. März 1999 (Bl. 1 ff. d.A. 2 Ausl. II 8/99) festzustellen, daß die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe nicht gegeben sind und die Herausgabe der sichergestellten und mit Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 19. Februar 1999 beschlagnahmten Geschäftsunterlagen seine Rechte verletzt.

Die B.-Bank wendet sich mit Schreiben vom 9. Juni 1999 (Bl. 34 d.A. 2 Ausl. II 8/99) gegen die Herausgabe und Übermittlung der bei ihr beschlagnahmten Geschäftsunterlagen an die israelischen Behörden.

Der Beschuldigte P. beantragt mit Schriftsatz vom 9. Oktober 1999 (Sonderband) festzustellen, daß die Voraussetzungen für die Leistung von Rechtshilfe gemäß § 66 IRG für die Herausgabe von Gegenständen nach dem im Verhältnis zwischen Israel und Deutschland anwendbaren Europäischen Rechtshilfeübereinkommen und den entsprechenden Zusatzvereinbarungen nicht gegeben sind.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main beantragt festzustellen, daß die Voraussetzungen der durch Rechtshilfeersuchen vom 4. August 1997, 4. Dezember 1997, 8. Juni 1998 und 18. März 1999 erbetenen Rechtshilfe vorliegen, soweit es um Maßnahmen in Hessen geht.

II.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat Erfolg.

1. Das Schreiben der B.-Bank vom 9. Juni 1999, mit dem sie sich gegen die Herausgabe und Übermittlung der bei ihr beschlagnahmten Geschäftsunterlagen wendet, ist als Antrag nach § 61 Abs.1 IRG zu werten. Der Antrag ist nach § 61 Abs.1 S.2, 2. Alt. IRG zulässig, wonach bei der Herausgabe von Gegenständen eine Rechtsverletzung geltend gemacht werden kann. Diese Bestimmung ist weit auszulegen und erfaßt nicht nur dingliche Rechte, sondern ebenso die Verletzung von Vermögensschutz-, Urheber- oder Geheimhaltungsrechten (vgl. BGHSt 33,196,216). Hier geht es zumindest um das rechtlich geschützte Interesse an der Geheimhaltung geschäftlicher Beziehungen und Tätigkeiten. Das gilt auch hinsichtlich der Antragsteller zu 1) und 3). Der Antragsteller zu 1) wendet sich ebenfalls gegen die Herausgabe der bei ihm sichergestellten Unterlagen. Ob dem Antragsteller zu 3) als Betroffenem ein generelles Antragsrecht zusteht, bedarf keiner Entscheidung. Zumindest durch das von der Beschlagnahme der Unterlagen betroffene Konto Nr. ... bei der B.-Bank, das auf ihn eröffnet worden ist, kann er die Verletzung seiner Geheimhaltungsinteressen geltend machen. Die Antragsbefugnis der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main ergibt sich aus § 61 Abs.1 S.2, 1. Alt. IRG.

2. Die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe sind gegeben.

a) Grundlage des Rechtshilfeverkehrs zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland sind das Europäische Rechtshilfeübereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbk) sowie der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung (ErgV EuRhÜbk). Danach besteht zwischen beiden Staaten die Verpflichtung, in strafrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe der Übereinkommen Rechtshilfe zu leisten (Art.1 Abs.1 EuRhÜbk, Art.II ErgV EuRhÜbk). Diese allgemeine Voraussetzung einer strafrechtlichen Angelegenheit ist hier gegeben, da dem Betroffenen P. ein Betrug zur Last gelegt wird. b) Soweit für die Durchsuchung und Beschlagnahme von Gegenständen nach Art.5 EuRhÜbk i.V.m. dem Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, sind auch diese gegeben.

aa) Die dem Rechtshilfeersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung ist sowohl nach dem Recht des Staates Israel als auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Die Strafbarkeit nach dem Recht des Staates Israel ergibt sich bereits aus den Ersuchen selbst. Der mitgeteilte Sachverhalt ist auch hinreichend konkret und substantiiert, um zumindest summarisch eine Schlüssigkeitsprüfung vornehmen zu können. Entgegen der Ansicht des Antragstellers zu 3) sind danach die Voraussetzungen eines Betruges (§ 263 StGB) auch nach deutschem Recht gegeben.

Nach den Rechtshilfeersuchen stellt sich der Sachverhalt im Kern wie folgt dar:

Das Abkommen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit eröffnete israelischen Staatsbürgern die Möglichkeit, durch Nachentrichtung von Beiträgen rückwirkend in die deutsche Rentenversicherung einzutreten. Die von Rechtsanwalt P. gegründete Organisation zur Durchführung dieses Abkommens (nachfolgend: Organisation) ermunterte israelische Staatsbürger zu diesem Schritt und übernahm gegen Vergütung die Bearbeitung der Anträge. Es meldeten sich ca. 30.000 Antragsteller. Soweit diese zur rückwirkenden Beitragszahlung nicht in der Lage waren, vermittelte ihnen die Organisation Kredite. Kreditgeber waren zwei von Rechtsanwalt P. beherrschte Gesellschaften. Hauptziel der Organisation war es, zu Lasten der Mitglieder den größtmöglichen Teil der Rentenzahlungen selbst zu erhalten. Die Laufzeiten der Darlehen waren deshalb sehr lang und die Darlehensbedingungen für die Mitglieder sehr ungünstig. Die Kredite wurden durch Lebensversicherungen abgesichert. Die Beiträge hierfür waren für die gesamte Laufzeit im voraus zu entrichten. Weiterhin hatten die Mitglieder Vollmachten zu erteilen, die es der Organisation ermöglichten, bis zu zwölf Monatsrenten als Honorar zu vereinnahmen. Schutzvorschriften zugunsten der Rentenberechtigten, wonach an diese mindestens ein Drittel der monatlichen Rentenbeträge ausgezahlt werden mußten, wurden durch Kontovollmachten zugunsten der Kreditgeber umgangen. Im Ergebnis kamen dem einzelnen Mitglied von einer Rente in Höhe von 1.000,- bis 2.000,- DM tatsächlich nur 100,- bis 200,- zugute. Die weder den deutschen noch den israelischen Steuerbehörden gemeldeten Einnahmen von Rechtsanwalt P. werden demgegenüber auf 70 Mio. DM geschätzt. Die Organisation verschwieg bei der Anwerbung ihre Beteiligung an den Darlehens- und Versicherungsgeschäften.

Die Rentenberechtigten wurden damit über die wahren Absichten der Organisation und deren Hintermänner getäuscht. Der Eintritt in die Organisation erfolgte in dem Glauben, diese diene ihren Interessen. Hätten die Mitglieder der Organisation um die gegenseitige Verflechtung der eingeschalteten Firmen und deren Beherrschung durch Rechtsanwalt P. gewußt, hätten sie mit Sicherheit andere ­ günstigere ­ Finanzierungsmöglichkeiten zum Eintritt in die deutsche Rentenversicherung in Anspruch genommen. In der überhöhten Abschöpfung der Rentenzahlungen liegt der Vermögensschaden der Mitglieder und der Vermögensvorteil des Betroffenen P..

Ob daneben auch ein Verstoß gegen das Kreditwesengesetz oder Steuerstraftaten vorliegen, bedarf keiner Entscheidung.

bb) Die Vorschrift des Art. 5 Abs.1 Nr.c) EuRhÜbk, auf die der Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls Bezug nimmt, steht der Leistung der Rechtshilfe nicht entgegen. Gründe, wonach die Erledigung der Rechtshilfeersuchen mit dem Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar wäre, sind nicht gegeben. Solche werden von den Antragstellern auch nicht aufgezeigt.

c) Die weiteren Voraussetzungen für eine Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände nach Art. IV ErgV EuRhÜbk und § 66 IRG sind ebenfalls gegeben.

Die Herausgabe von Gegenständen setzt nach § 66 Abs.1 Nr.1 IRG voraus, daß diese als Beweismittel für ein ausländisches Verfahren dienen können. Die Beweiserheblichkeit für das ausländische Verfahren darf damit nicht völlig ausgeschlossen sein (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 66 IRG Rdn.12 m.w.N.). Hierfür gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Bereits in den Rechtshilfeersuchen wird an verschiedenen Stellen ausgeführt, daß die in Rede stehenden Unterlagen als Beweismittel benötigt werden (Bl. 14, 22, 23, 56, 66 ff, 140 d.A. 93 E ­ 869/97). Hinsichtlich des Beteiligten H. hat das Landgericht Frankfurt am Main in seinem Beschluß vom 24. August 2000 ­ soweit die Beschlagnahme nicht in geringem Umfang aufgehoben worden ist - die Beweisbedeutung der beschlagnahmten Unterlagen ebenfalls bejaht. Die Voraussetzung nach § 66 Abs.1 Nr.1 IRG ist damit gegeben.

Die nach Art. IV Abs.1 ErgV EuRhÜk und § 66 Abs.2 Nr.2 IRG weiterhin erforderliche Beschlagnahmeanordnung der zuständigen israelischen Justizbehörde ergibt sich aus dem Ersuchen vom 8. Juni 1998, die Zusicherung der Beachtung der Rechte Dritter sowie der Rückgabe der Gegenstände (Art. IV Abs.2 ErgV EuRhÜbk, § 66 Abs.2 Nr.3 IRG) aus der Versicherung vom 19. August 1998 (Bl. 54a d.A. 93 E ­ 869/97).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht den Herausgabeersuchen nicht entgegen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, daß der Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen darf, und daß andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Erreichung des Zwecks ­ Nachweis einer Straftat von nicht unerheblicher Bedeutung ­ nicht zur Verfügung stehen dürfen. Bei der hiernach gebotenen Abwägung ist außer der Bedeutung der Strafsache auch das Interesse der beteiligten Staaten an einem möglichst reibungslosen Rechtshilfeverkehr und der Grundsatz der Gegenseitigkeit zu berücksichtigen. Dabei kann zwar im Einzelfall die Gefahr, daß bei der Herausgabe von Unterlagen Geschäftsgeheimnisse offenbart werden, bedacht werden. Diese Gefahr rechtfertigt es aber nur ausnahmsweise die erbetene Rechtshilfe völlig oder teilweise abzulehnen, nämlich nur dann, wenn die drohenden Nachteile außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache, der Beweiserheblichkeit der Schriftstücke, dem beiderseitigen Interesse an einem möglichst weitgehenden Rechtshilfeverkehr und dem Interesse an der gegenseitigen Unterstützung der Vertragsteile bei der Verbrechensbekämpfung stehen (vgl. BGHSt 27,222,228).

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist hier gewahrt. Der Beteiligte H. beruft sich zwar auf ein Geheimhaltungsinteresse und macht geltend, durch die Entziehung der Unterlagen werde ihm seine Berufsausübung unmöglich gemacht. Diese allgemeinen Beanstandungen sind aber ohne nähere Ausführungen nicht nachvollziehbar. Das gilt auch hinsichtlich des Beschuldigten P., der sich ebenfalls nur allgemein auf ein Geheimhaltungsinteresse beruft. Die von der Antragstellerin zu 2) geschilderten Schwierigkeiten bei der Kreditbearbeitung sind zwar nachvollziehbar. Schon angesichts der erheblichen Bedeutung der Sache (Tausende von Geschädigten und ein Schaden in mehrstelliger Millionenhöhe) ist das Herausgabeersuchen aber nicht unverhältnismäßig.



Ende der Entscheidung

Zurück