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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 16.01.2001
Aktenzeichen: 2 Ss 400/00
Rechtsgebiete: EStG, UStG, StPO


Vorschriften:

EStG § 25
UStG § 18
StPO § 264 Abs. 1
StPO § 265
Zum Tatbegriff im Steuerstrafrecht
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Ss 400/00

505 Js 13981.9/97 ­ 271 Ls AG Kassel

Verkündet am 16.1.2001

In der Strafsache

gegen ... wegen Vergehens gegen die Abgabenordnung

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts ­ Schöffengericht ­ Kassel vom 28. August 2000 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ­ 2. Strafsenat ­ in der Sitzung vom 16. Januar 2001, an der teilgenommen haben ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ­ Schöffengericht ­ Kassel zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Kassel ­ Schöffengericht ­ hat den Angeklagten vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen. Mit ihrer hiergegen gerichteten Sprungrevision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, erstrebt die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel die Aufhebung des freisprechenden Urteils. Das Rechtsmittel, das von der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main vertreten wird, hat Erfolg.

I.

Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kassel hat dem Angeklagten mit der unverändert zugelassenen Anklage vom 13. Oktober 1999 zur Last gelegt:

in der Zeit von Juli 1993 bis März 1997 in Baunatal und Kassel durch sieben selbständige Handlungen jeweils den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt zu haben, wobei es in einem Fall (Ziff. 7) beim Versuch blieb.

Der Angeklagte ist seit vielen Jahren als selbständiger Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwalt für die K. N. KG und auch das Tochterunternehmen, die K + B GmbH, tätig. Neben der eigentlichen steuerlichen Beratung und der Erstellung der Jahresabschlüsse und Steuererklärungen für die genannten Unternehmen war der Angeklagte in den Jahren 1990 bis Ende 1992 auch unternehmerisch bzw. unternehmensberatend für die N.-Gruppe tätig. Insbesondere im Zuge der Übernahme des vom ehemaligen VEB Baustoffkombinat S. betriebenen Kies- und Betonwerks durch die N.-Gruppe und den damit einhergehenden vertraglichen Gestaltungen, Verhandlungen mit der Treuhandanstalt und anderen Eigentümern sowie der Erlangung der erforderlichen bergrechtlichen Genehmigung zur Ausbeutung der Kiesvorkommen setzte sich der Angeklagte engagiert und erfolgreich ein. Nachdem er Ende 1992 zunächst vergeblich eine unmittelbare Unternehmensbeteiligung an der K + B GmbH eingefordert hatte, erhielt er schließlich für sein Engagement in Thüringen ein Honorar von insgesamt 2 Mio. DM von der N. KG ausbezahlt. Vereinbarungsgemäß erfolgte die Zahlung jeweils per Scheck in vier Teilbeträgen, nämlich am 03.06.93 600.000,-- DM, 08.04.94 500.000,-- DM, 18.05.95 500.000,-- DM, 07.12.95 400.000,-- DM.

Der Angeklagte unterließ es indes pflichtwidrig, vorgenannte Beträge ordnungsgemäß der eigenen Besteuerung zu unterwerfen. Diese erfasste er weder in seinen Einkommensteuererklärungen noch führte er irgendwelche Umsatzsteuerbeträge ab.

Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Mit Umsatzsteuervoranmeldung vom 15.07.93 meldete der Angeklagte dem Finanzamt K. für Juni 93 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 9.433,-- DM an. Dabei verschwieg er die von der N. KG erhaltene Scheckzahlung vom 03.06.93 über 600.000,-- DM. Dadurch bewirkte er eine Umsatzsteuerverkürzung in Höhe von 78.260,-- DM.

2. In der Umsatzsteuervoranmeldung April 94 vom 10.06.94 erklärte er Umsätze in Höhe von lediglich insgesamt 14.207,-- DM, jedoch erfasste er die von der N. KG erhaltene Zahlung vom 08.04.94 über 500.000,-- DM nicht, wodurch er Umsatzsteuer in Höhe von 65.217,-DM verkürzte.

3. Ebenso unterließ der Angeklagte es, die am 18.05.95 von der N. KG per Scheck erhaltenen weiteren 500.000,-- DM mit seiner Umsatzsteuervoranmeldung Mai 95 vom 18.12.95 zu erklären, wodurch er wiederum eine Umsatzsteuerverkürzung in Höhe von 65.217,-- DM bewirkte.

4. Auch die von der N. KG erhaltene letzte Teilzahlung vom 07.12.95 über 400.000,-- DM erfasste er nicht in seiner Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 95 vom 24.05.96, mithin verkürzte er Umsatzsteuer in Höhe von 52.174,-- DM. 5. Gleichermaßen verschwieg der Angeklagte mit seiner am 10.09.96 beim Finanzamt K. eingereichten Einkommensteuererklärung 93 die von der N. KG auf das vereinbarte Unternehmenshonorar für sein Engagement in Thüringen im Juni 1993 erhaltene erste Teilzahlung Über 600.000,-- DM. Hierdurch hinterzog er Einkommensteuer in Höhe von 273.234,-- DM.

6. Auch in seiner Einkommensteuererklärung für 1994, beim Finanzamt eingegangen am 04.11.96, erklärte er die von der N. KG im April 1994 erhaltenen 500.000,-- DM nicht, so dass er im Ergebnis Einkommensteuer in Höhe von 230.440,-- DM hinterzog.

7. Schließlich unterließ er es auch, die beiden Zahlungen vom Mai und Dezember 1995 über insgesamt 900.000,-- DM in seiner am 21.03.97 beim Finanzamt eingereichten Einkommensteuererklärung für 1995 zu erfassen. Hierdurch versuchte er, Einkommensteuer in Höhe von 414.790,-- DM zu verkürzen. Zu einem Verkürzungserfolg ist es nur deshalb nicht gekommen, weil im Rahmen der am 07.04.97 begonnenen Betriebsprüfung von der Finanzbehörde die den Verdacht der Steuerhinterziehung in erheblichem Umfang - in Höhe von ca. 1 Mio. DM - begründenden Tatsachen aufgedeckt werden konnten.

Vergehen, strafbar gem. §§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, 53, 54 StGB i.V.m. §§ 25 EStG, 18 UStG."

II.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil ihm eine Steuerhinterziehung in den Jahren 1993 bis 1995 nicht vorzuwerfen sei. In Betracht komme allenfalls eine Steuerhinterziehung in dem Jahr 1992, diese sei jedoch nicht angeklagt.

Das Amtsgericht geht von folgendem Sachverhalt aus: Ende Dezember 1992 vereinbarte der Angeklagte mit Vertretern der N.-Gruppe, daß seine Leistungen im Zusammenhang mit der Expansion der Firmengruppe mit insgesamt 2 Mio. DM zu vergüten sind. Die Zahlungen erfolgten sodann wie in der Anklage angegeben. Der Angeklagte ließ sich die einzelnen Beträge auf seinem Privatkonto gutschreiben. Für das Jahr 1992 gab er keine Einkommensteuererklärung ab, sondern ließ sich vom Finanzamt schätzen. Gegen die Schätzung legte er 1994 Einspruch ein. Die Vereinbarung mit der N.-Gruppe und den ratenweisen Zufluß der Gelder verschwieg er gegenüber den Finanzbehörden.

Das Amtsgericht ist der Ansicht, der Angeklagte sei als bilanzierender Freiberufler verpflichtet gewesen, den Betrag von 2 Mio. DM im Jahre 1992, also dem Jahr der Vereinbarung mit der N.-Gruppe, zu versteuern, nicht aber den späteren Geldzufluß in den Jahren 1993 bis 1995. Die Anklage erfasse jedoch nur den Zeitraum 1993 bis 1995 und nicht das Jahr 1992. Der besondere Deliktscharakter der Steuerhinterziehung gebiete es, daß nur die exakt angeklagten Taten zur Aburteilung anstünden. Das seien hier die Einkommen- und Umsatzerklärungen für die Jahre 1993 bis 1995. Auch die Anklageschrift sehe die strafbare Handlung nur im Zusammenhang mit dem Zufluß der 2 Mio. DM. Insoweit sei dem Angeklagten aber keine Steuerhinterziehung anzulasten, weshalb er freizusprechen sei.

III.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und ebenso begründete Revision hat Erfolg. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, daß das Amtsgericht die von der Anklage umfaßten Taten nicht erschöpfend abgeurteilt hat.

1. Die Kognitionspflicht des Amtsgerichts erstreckt sich auch auf die Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer im Jahr 1992.

a) Gegenstand der Urteilsfindung ist nach § 264 Abs.1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Tat" in diesem Sinne ist der geschichtliche ­ und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte ­ Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluß hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. BVerfG, NJW 1981,1434). Dieser Tatbegriff ist wesentlich vorrechtlicher Art" (vgl. BGH, NJW 1998,168,169). Die Untersuchungspflicht erfaßt dabei nicht nur den von der zugelassenen Anklage umschriebenen Vorgang, sondern das gesamte Verhalten eines Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens eine Einheit darstellt, deren Aburteilung in getrennten Verfahren zu einer unnatürlichen Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens führen würde (vgl. BGH, NJW 1998,168,169 m.w.N.).

Die zugelassene Anklage umfaßt danach in dem vorliegenden Verfahren alle Taten der Steuerhinterziehung des Angeklagten im Zusammenhang mit seinem Geschäft über 2 Mio. DM mit der N.-Gruppe.

Anklage und Eröffnungsbeschluß stellen bereits ausdrücklich darauf ab, daß der Angeklagte in den Jahren 1990 bis Ende 1992 gegen eine bei ihm steuerlich nicht erfaßte Vergütung in Höhe von 2 Mio. DM unternehmensberatend für die N.-Gruppe tätig war. Das ist der unter dem Aspekt der Steuerhinterziehung zu untersuchende Vorgang. Auch das Abstellen auf den sog. einheitlichen Lebensvorgang ergibt keine andere Beurteilung. Der Angeklagte hat aus einem bestimmten Geschäft mit der N.- Gruppe 2 Mio. DM vereinnahmt. Von der Anbahnung bis zur Abwicklung hat sich das Geschäft über mehrere Jahre erstreckt. Ob, wann und wie der Angeklagte die Einnahmen versteuern muß, ist eine spezifisch rechtliche Frage. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung, muß diese für das ganze Geschäft gleich ausfallen, weil es sich um einen einheitlichen Vorgang handelt. Soweit in der zugelassenen Anklage die Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen des Angeklagten in der Zeit vom 15. Juli 1993 bis 1995 angesprochen werden, dient dies lediglich der Konkretisierung des Vorwurfs, ohne ihn jedoch zu erschöpfen. Selbst wenn man mit dem Amtsgericht infolge der steuerrechtlichen Beurteilung von einer Veränderung des Tatzeitraums ausgehen wollte, würde damit die Identität der Anklage noch nicht aufgehoben. Der Vorwurf der Steuerhinterziehung ist unabhängig von den angegebenen Steuererklärungen und Tatzeiten durch das konkret bezeichnete Geschäft hinreichend individualisiert (vgl. BGH, NJW 2000,3293). b) Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts und des Angeklagten verlangt das Steuerstrafrecht bei § 264 Abs.1 StPO nicht nach einem eigenständigen Tatbegriff. Ebenso wie bei anderen Taten sind der verfahrensrechtliche und der sachlich-rechtliche Tatbegriff auseinanderzuhalten. Beide Begriffe dienen unterschiedlichen Zwecken (vgl. BVerfG, NJW 1981,1433, 1434 f.; KK StPO-Engelhardt, 4. Aufl., § 264 Rdn.3). Für das Prozeßrecht kommt es maßgeblich darauf an, welcher Lebenssachverhalt dem Gericht zur Untersuchung und Entscheidung unterbreitet ist. Niemand darf wegen derselben Tat in diesem Sinne mehrmals bestraft werden (Art. 103 Abs.3 GG). Das sachliche Recht regelt demgegenüber, ob und inwieweit das Verhalten des Angeklagten eine oder mehrere Straftaten erfüllt und wie beim Zusammentreffen mehrerer Gesetzesverletzungen zu verfahren ist. Deshalb ist es für den verfahrensrechtlichen Tatbegriff unerheblich, wie die Abgabe der einzelnen Steuererklärungen sachlich-rechtlich zu beurteilen ist. Die Unterscheidung zwischen beiden Tatbegriffen ist zur Erreichung sachgerechter Ergebnisse auch im Steuerstrafrecht geboten (vgl. auch Volk, wistra 1998,281,283, der es insoweit ebenfalls bei dem weiten, abstrakten Tatbegriff belassen will). Andernfalls wäre bei einem einheitlichen Vorgang ­ wie hier ­ je nach sachlich-rechtlicher Beurteilung sogar eine Doppelbestrafung möglich.

2. Bei dieser Sachlage kann das freisprechende Urteil des Amtsgerichts nicht bestehen bleiben. Der Angeklagte ist vielmehr gemäß § 265 StPO darauf hinzuweisen, daß eine Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer auch für das Jahr 1992 in Betracht kommt. Da insoweit weitere Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ­ Schöffengericht - zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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