Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 24.04.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 71/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 126 Abs. 2
StGB § 145 Abs. 1. Nr. 2
StGB § 145 d Abs. 1
In der Versendung von Speisesalz enthaltenden Briefen unter Hinweis auf das "supersensationelle Gesundheitspulver von Dr. med. Mills-Brandt" liegt wegen des Hinweises auf Milzbrand eine Störung des öffentlichen Friedens und die Vortäuschung einer Straftat (§§ 126 Abs. 2, 145 Abs. 1. Nr. 2, 145 d Abs. 1 StGB).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

In der Strafsache gegen ...

wegen Störung des öffentlichen Friedens pp.

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ­ 2. Strafsenat ­ auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 14. November 2001 am 24. April 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils wird abgeändert. Der Angeklagte ist schuldig der fünffachen Störung des öffentlichen Friedens durch Vortäuschung, die Verwirklichung eines Mordes stehe bevor, in Tateinheit mit der Vortäuschung, dass wegen gemeiner Gefahr die Hilfe anderer erforderlich sei, davon in drei Fällen in Tateinheit mit dem Vortäuschen einer Straftat.

Im übrigen wird die Revision auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Angewendete Vorschriften: §§ 126 Abs. 2, 145 Abs. 1 Nr. 2, 145 d Abs. 1 Nr.1 und 2, 52 StGB.

Gründe:

Das Amtsgericht Kassel hat den Angeklagten wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Unter Anrechnung der in diesem Verfahren erlittenen Untersuchungshaft hat es die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte rügt mit seiner Sprungrevision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.

I.

Nach verschiedenen Medienberichten über echte und vorgetäuschte Anschläge mit Milzbranderregern in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland fertigte der Angeklagte am 16. Oktober 2001 fünf Briefe mit Sichtfenster, die er am selben Tag absandte. In alle fünf Briefe gab er Speisesalz in loser Form und einen Zettel. Die Zettel steckte er so in die Briefumschläge, dass für jeden, der die Briefe in den Händen hielt, im Sichtfenster folgender Text zu lesen war:

Probieren Sie das supersensationelle Gesundheitspulver von Dr. med. Mills-Brandt! Wenigstens kein geschmackloser Scherz!"

Rechts neben den Sichtfenstern waren die Empfängeradressen aufgeführt. Auf der Rückseite der Briefumschläge befand sich als Absender der Name des Angeklagten sowie seine Adresse. Außerdem enthielt jeder Brief auf der Rückseite folgenden Zusatz: Polizeiliche Nachfragen unter ..." Es folgte die Telefonnummer des Angeklagten.

Die Briefe Nr. 1 und Nr. 2 waren an Freunde des Angeklagten in Kassel gerichtet. Diese Briefe wurden von Postbediensteten in der Postverteilerstelle in Kassel bemerkt; wegen des Verdachts auf Milzbranderreger wurde die Polizei verständigt und ein größerer Alarm ausgelöst. Feuerwehrmänner sicherten mit Atemschutzmasken die beiden Briefe und übergaben sie an eine Ärztin des Gesundheitsamtes. Die Postbediensteten, die mit den Sendungen in Kontakt gekommen waren, wurden für einige Zeit in einem gesonderten Raum isoliert.

Am 17. Oktober 2001 um 7.00 Uhr hatte der Angeklagte die Kundendienststelle der Post in Marburg über die Ungefährlichkeit des Inhalts der Briefe informiert. Die Geschehnisse in der Postverteilerstelle in Kassel waren hierdurch nicht mehr aufzuhalten.

Der dritte Brief war an einen Freund des Angeklagten in Hamburg adressiert. Der Brief ging diesem zu. Da ihn der Angeklagte zuvor vom Inhalt des Briefes telefonisch unterrichtet hatte, warf er den Brief in den Müll. Der vierte Brief war an ... in Köln gerichtet und wurde von einer Mitarbeiterin des Senders, die die Sache als Scherz ansah, in den Müll geworfen. Der fünfte Brief war an die ... in Köln-Mühlheim adressiert. Er erreichte den Empfänger nicht. Die Polizei in Kassel hatte den Leiter des Postverteilerzentrums Köln-Ost informiert. Dort wurde der Brief gefunden und sichergestellt.

Die Medienberichte über echte und vorgetäuschte Anschläge mit Milzbranderregern in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland waren dem Angeklagten bekannt. Er wusste, dass Milzbrandinfektionen zum Tode führen können. Ihm war klar, dass Postbedienstete bei der Ermittlung der Empfängeradresse zwangsläufig auf das Sichtfenster der von ihm versandten Briefe sehen würden und aus Unsicherheit und Verängstigung einen Großeinsatz auslösen könnten. Das nahm er in Kauf, weil es ihm um eine galgenhumorige" Anspielung auf das tagespolitische Geschehen ging.

Nach der Wertung des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte wegen fünffacher Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung, die Verwirklichung eines Mordes stehe bevor (§ 126 Abs.1 Nr. 2, 1. Alt. StGB), strafbar gemacht.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und ebenso begründete Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. Der Schuldspruch hält allerdings der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Mit Recht macht die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main in ihrer Stellungnahme zu der Revision geltend, dass der Angeklagte durch das Versenden der Pseudo-Milzbrandbriefe den Straftatbestand der Störung des öffentlichen Friedens nicht ­ wie vom Amtsgericht angenommen - in der Form des Androhens" einer sog. Katalogtat (§ 126 Abs. 1 StGB) verwirklicht hat.

§ 126 Abs. 1 StGB ist erfüllt, wenn der Täter in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, eine der angeführten Straftaten androht". Die Androhung muss sich dabei begriffsnotwendig immer auf ein zukünftiges Ereignis beziehen. Hat der Täter dagegen schon mit der Ausführung einer verbrecherischen Handlung begonnen, so kann diese Ausführungshandlung selbst nicht zugleich als Androhung des begonnenen Verbrechens angesehen werden (vgl. BGH NStZ 1984,454).

So liegt der Fall hier. Mit dem Versenden der vermeintlichen Milzbrandbriefe hatte der Angeklagte das Geschehen bereits aus der Hand gegeben. Die suggerierte Gefahr, dass jeder, der mit den Briefen in Kontakt kam, sich mit Milzbranderregern infizieren konnte, war kein zukünftiges Ereignis mehr, sondern schon eingetreten.

Das Verhalten des Angeklagten erfüllt jedoch den Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens durch Vortäuschen", die Verwirklichung einer Katalogtat stehe bevor (§ 126 Abs.2 StGB). Diese Vorschrift soll zwar in erster Linie diejenigen Fälle erfassen, in denen der Täter fälschlich die Begehung einer Tat durch einen in seiner Entscheidung von ihm unabhängigen Dritten ankündigt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 126 Rdn. 7; Lenckner in Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl., § 126 Rdn.6; Sturm, JZ 1976,347,350; Laufhütte, MDR 1976,441,443). Darin erschöpft sich ihr Regelungsgehalt jedoch nicht. Auch die Fälle, in denen der Täter anderen gegenüber ein gerade von ihm eingeleitetes Verbrechen als bevorstehend und von ihm nicht mehr beeinflussbar vorspiegelt, fallen darunter (vgl. Schramm, NJW 2002, 419, 420; Weidemann, JA 2002, 43, 47; zu § 241 Abs. 2: Eser in Schönke-Schröder, a.a.O., § 241 Rdn. 10). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 126 Abs.2 StGB, da als Tatmodalität nur das Vortäuschen", nicht aber zusätzlich das Vortäuschen der Straftat eines anderen" verlangt wird (vgl. Schramm, a.a.O.). Sinn und Zweck der Vorschrift sind ebenfalls gewahrt. Der öffentliche Frieden kann in den genannten Fällen ebenso gestört sein, wie beim Androhen einer eigenen oder beim Vortäuschen einer fremden Tat.

Mit dem Versenden der Pseudo-Milzbrandbriefe versuchte der Angeklagte den Irrtum zu erregen, die Verwirklichung der Katalogtat eines Mordes (mit gemeingefährlichen Mitteln) stehe bevor. Ob es zu einer tatsächlichen Irrtumserregung kam, ist unerheblich. Ausreichend ist, dass der Eindruck erweckt wurde, es könne sich tatsächlich um Milzbranderreger handeln. Das war der Fall, wie bereits die Alarmauslösung in der Postverteilerstelle Kassel mehr als deutlich zeigt. Das Verhalten des Angeklagten war auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Durch Versenden der Briefe auf dem Postweg und den Umstand, dass jeder, der die Briefe in den Händen hielt, im Sichtfenster den Text lesen konnte, war die begründete Besorgnis gegeben, dass ein zahlenmäßig nicht überschaubarer Personenkreis (Briefempfänger, Postbedienstete, Polizei, Feuerwehr, Ärzte etc.) in seinem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt wird.

Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich. Zum einen hatte er die sichere Kenntnis, dass die Verwirklichung der in Rede stehen Tat nicht bevorstand. Zum anderen rechnete er nach den Feststellungen des Amtsgerichts mit der Möglichkeit, dass die Warnung ernst genommen wird; fand sich damit jedoch aus Bedenkenlosigkeit ab.

Die Information der Kundendienststelle der Post in Marburg über die Ungefährlichkeit des Inhalts der Briefe, steht der Vollendung der Tat nicht entgegen. Bei quasi öffentlichen Täuschungen ­ wie hier - reicht es zur Vollendung der Tat schon aus, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte besteht (vgl. Lenckner in Schönke-Schröder, a.a.O., § 126 Rdn. 13; LK-v.Bubnoff, StGB, 11. Aufl., § 126 Rdn. 16). Das war nach den obigen Ausführungen der Fall. b) Über die Störung des öffentlichen Friedens hinaus hat sich der Angeklagte wegen Vortäuschung, dass wegen gemeiner Gefahr die Hilfe anderer erforderlich sei (§ 145 Abs. 1 Nr. 2 StGB), strafbar gemacht. Diese Vorschrift setzt voraus, dass der Täter anders als durch einen Notruf oder ein Notzeichen vortäuscht, d.h. wahrheitswidrig den Anschein erweckt, wegen gemeiner Gefahr sei die Hilfe anderer erforderlich. Auf welche Weise die Erforderlichkeit fremder Hilfe vorgetäuscht wird, spielt keine Rolle; das Vortäuschen kann auch durch konkludente Verhaltensweisen erfolgen (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 145 Rdn. 6). Hier erweckte der Angeklagte durch die Versendung der Pseudo-Milzbrandbriefe den wahrheitswidrigen Schein, dass mit Berühren oder Öffnen der Briefe eine unbestimmte Anzahl von Personen gefährdet wird (vgl. Weidemann, a.a.O.). Er handelte auch wissentlich, da er um die Vortäuschung der Gefahrenlage wusste. Zwischen § 126 Abs. 2 StGB und § 145 Abs. 1 Nr. 2 StGB besteht Idealkonkurrenz (§ 52 StGB).

c) Weiterhin fällt dem Angeklagten das Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d Abs. 1 StGB) in drei Fällen zur Last. Die an seine Freunde in Kassel und an die Harald Schmidt Show gerichteten Briefe wurden nach Einschaltung der Polizei sichergestellt. In diesen Fällen täuschte der Angeklagte wider besseres Wissen einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vor, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden sei (§ 145 d Abs. 1 Nr. 1 StGB), und dass die Verwirklichung einer der in § 126 Abs.1 StGB genannten rechtswidrigen Taten bevorstehe (§ 145 d Abs. 1 Nr. 2 StGB). Beide Alternativen des § 145d Abs.1 StGB sind hier erfüllt. Der Angeklagte täuschte sowohl vor, die Infizierung sei bereits eingetreten (versuchter Mord), als auch, die Verwirklichung eines von ihm eingeleiteten Mordes stehe (noch) bevor (vgl. Schramm, a.a.O.). Die Polizei als zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle (§ 158 StPO) war hier zwar nicht unmittelbar Adressat des Täuschungsversuchs. Das war jedoch auch nicht erforderlich. Ausreichend ist, wenn die Polizei durch andere Personen ­ hier durch Postbedienstete - von dem Verdacht auf eine Straftat Kenntnis erlangt. Dies folgt unmittelbar aus dem Schutzzweck des § 145 d, die zur Verfolgung strafbarer Handlungen berufenen Dienststellen davor zu schützen, dass sie unberechtigt in Anspruch genommen werden oder unnütze Maßnahmen ergreifen (vgl. BGHSt 6, 251, 255; Rudolphi in System.Komm.StGB, 6. Aufl., § 145 d Rdn. 2; Schramm, a.a.O., m.w.N.). Der Angeklagte hat auch in subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen des § 145 d Abs. 1 StGB erfüllt. Da er wusste, dass die vorgetäuschte Tat nicht begangen wurde und nicht begangen wird, suchte er wider besseres Wissen zu täuschen. Hinsichtlich der Kenntniserlangung durch die Behörde genügt bedingter Vorsatz (vgl. LK-Ruß, a.a.O. § 145 d Rdn. 21; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke-Schröder, a.a.O., § 145 d Rdn. 21, jeweils m.w.N.). Dieser war gegeben. Der Angeklagte rechnete damit, dass die Täuschungshandlung zur Kenntnis der Polizei gelangte und nahm dies billigend in Kauf.

Beide Alternativen des § 145 d Abs. 1 StGB bilden hier trotz der Möglichkeit einer unnötigen Inanspruchnahme unterschiedlicher Organe nur verschiedene Begehungsformen desselben Delikts, so dass Tateinheit ausscheidet (vgl. Stree/Sternberg-Lieben in Schönke-Schröder, a.a.O., § 145 d Rdn. 26). Zwischen §§ 126 Abs. 2, 145 Abs. 1 Nr. 2 und 145 d Abs. 1 StGB besteht Idealkonkurrenz (§ 52 StGB).

d) Demgegenüber hat sich der Angeklagte nicht zusätzlich wegen Bedrohung (§ 241 StGB) strafbar gemacht. Hinsichtlich des an ... gerichteten Briefes täuschte der Angeklagte zwar wider besseres Wissen einem Menschen vor, dass die Verwirklichung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bevorstehe. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts gelangte der Brief jedoch nicht zur Kenntnis der vom Angeklagten ins Auge gefassten Person, da er zuvor von einer Mitarbeiterin des Senders in den Müll geworfen wurde. Diese Mitarbeiterin ist aber nicht als konkret bestimmter Drohungsadressaten anzusehen.

2. Der Senat kann den Schuldspruch hier zuungunsten des Angeklagten ändern. Zum einen hat der Angeklagte das Rechtsmittel nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, zum anderen ist nicht ersichtlich, dass er sich anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGHSt 21,256,260; BGH NJW 1982,189). Im übrigen ist die Revision auf Antrag der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, weil die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf das Revisionsvorbringen hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück