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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.12.2007
Aktenzeichen: 2 UF 290/07
Rechtsgebiete: BGB, GG
Vorschriften:
BGB § 1779 | |
GG Art. 6 |
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 8. August 2007 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Kassel dem Beschwerdeführer die elterliche Sorge für das betroffene Kind AD entzogen und Amtsvormundschaft angeordnet.
AD ist das Kind aus der Beziehung des 1980 geborenen Beschwerdeführers mit Frau BD, geboren am ...1987. In der Beziehung kam es seit 2005 zu Auseinandersetzungen. Während der Schwangerschaft hatten sich die Eltern getrennt, jedoch nach der Geburt des Kindes wieder zueinander gefunden und eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben. Die Eltern wohnten von Juli 2006 bis November 2006 zusammen. Die Kindesmutter, die aufgrund unüberbrückbarer Differenzen mit ihren geschiedenen Eltern seit dem 3. November 2003 in einer Jugendhilfeeinrichtung gelebt hatte, stand auch nach der Gründung des gemeinsamen Haushalts in ständigem Kontakt mit der Jugendhilfeeinrichtung. Diese bot dem jungen Paar nach der Trennung im November 2006 auch Hilfestellung bei der Organisation von Umgangskontakten des Kindesvaters mit A. So sah ihn der Beschwerdeführer auch nach dem Auszug aus dem mütterlichen Haushalt mehrmals wöchentlich und beaufsichtigte das Kind auch zu Hause.
Der Beschwerdeführer hatte Schwierigkeiten, die Trennung zu akzeptieren. Die Kindesmutter ließ auch teilweise Annäherungen wieder zu. Ein Gewaltschutzverfahren, das sie im Dezember 2006 mit dem Ziel einleitete, den Beschwerdeführer zur Einhaltung eines räumlichen Abstands zu verpflichten, endete mit einer Antragsrücknahme, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Kindesmutter entgegen der zuvor erlassenen einstweiligen Anordnung selbst den Kontakt zum Beschwerdeführer gesucht hatte. Aus den Vernehmungsprotokollen der beigezogenen Strafakte (StA bei dem Landgericht O1, ...) ergibt sich, dass es Freunden und Verwandten bis zum Mai 2007 teilweise nicht möglich war, eindeutig zu bestimmen, ob die Eltern wieder als Paar anzusehen waren oder getrennt lebten. Jedenfalls im Rahmen der Besuchskontakte des Kindesvaters mit A trafen die Eltern regelmäßig aufeinander. Es kam oft zu Streitigkeiten, und beide wandten sich an die Jugendhilfeeinrichtung oder das Jugendamt, was nach einiger Zeit wohl zu einer Beruhigung der Situation beitragen konnte. Noch am 8. Mai 2007 berichtete die Kindesmutter jedoch in der Erziehungshilfeeinrichtung, dass der Kindesvater sich an die zum Umgang getroffenen Vereinbarungen halte und das Kind pünktlich abhole und bringe. Der Beschwerdeführer wird aus der Zeit vor dem 11. Mai 2007 von Freunden und Verwandten als liebevoller und zugewandter Vater beschrieben.
Am 11. Mai 2007 eskalierte ein Streit in der Wohnung der Kindesmutter so massiv, dass die Kindesmutter in ungeklärter Absicht mit einem Messer auf den Beschwerdeführer zuging. Es gelang ihm, ihr das Messer zu entwinden. Nach eigenen Bekundungen ist er dann völlig "ausgerastet". Er brachte der Kindesmutter 21 Stichverletzungen an Oberkörper und Armen bei, an denen diese verstarb. Während des gesamten Geschehens befand sich A in der Wohnung. Der Beschwerdeführer selbst rief unmittelbar nach der Tat die Polizei und wurde in Haft genommen. Mittlerweile ist gegen ihn Anklage wegen Totschlags erhoben worden, die Hauptverhandlung wird ab Januar 2008 stattfinden. Das Gutachten, das im Rahmen des Strafverfahrens zur Frage seiner Schuldfähigkeit eingeholt wurde, gelangt zu dem Schluss, dass er die Mutter im Zustand einer tiefen Bewusstseinsstörung getötet hat, nachdem sich für ihn aus der - von ihm nicht gewollten und von der Kindesmutter nicht durchgehaltenen Trennung - eine erdrückend ausweglose Situation entwickelt hatte, in der ihm die Kindesmutter zum Teil auch den Umgang mit seinem Kind streitig machte. Der Sachverständige geht wegen des feststellbaren Affekts davon aus, dass der Beschwerdeführer nur eingeschränkt schuldfähig war.
Der Beschwerdeführer ist in der Untersuchungshaft wegen akuter Suizidalität zwischen dem 16. und 29. Mai 2007 stationär behandelt worden und wurde danach von der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt wieder in die allgemeine Untersuchungshaft verlegt. Ende Juli 2007 führte erneut akute Suizidgefahr zu einer Aufnahme in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses der Justizvollzugsanstalt. Anfang August bemerkte man dort, dass er seine Medikamente nicht einnahm, sondern sammelte. Seither kommen zu der Suizidalität und zwei konkreten Selbsttötungsversuchen aggressive Impulsdurchbrüche gegenüber dem Pflegepersonal und Mithäftlingen, die seit Ende September die Unterbringung in einem gesonderten, gesicherten Haftraum erforderlich machen.
A ist noch am 11. Mai 2007 vom Jugendamt in Obhut genommen worden, dem Beschwerdeführer sind unter dem 22. Mai 2007 im Wege der einstweiligen Anordnung weitgehende Teile der elterlichen Sorge entzogen worden. Der Beschwerdeführer hat unmittelbar nach seiner Haftunterbringung den Wunsch geäußert, dass A in seiner Familie betreut werden soll. Es haben sich neben den Beteiligten zu 3) und zu 4) mehrere Geschwister und auch seine Mutter dazu bereit erklärt, das Kind bei sich aufzunehmen.
Die Eltern der Getöteten, die Beteiligte E und Herr D sahen sich außerstande, das Kind zu sich zu nehmen. A, der in den ersten Tagen nach der Tat ein äußerst verängstigtes Verhalten zeigte, blieb im Einvernehmen mit den Großeltern mütterlicherseits bis November 2007 in der Bereitschaftspflegefamilie und wechselte dann in eine Pflegefamilie, in der neben ihm noch weitere Pflegekinder untergebracht sind.
Gegen den im Beschluss des Amtsgerichts vom 8. August 2007 endgültig ausgesprochenen Sorgerechtsentzug wendet sich der Beschwerdeführer mit der Begründung, er sei lediglich aufgrund der Inhaftierung faktisch an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert. Ein Anlass, die elterliche Sorge zu entziehen, bestehe nicht. Er sei - wie im übrigen auch das im Strafverfahren eingeholte Gutachten ergeben habe - uneingeschränkt erziehungsfähig. Eine Kindeswohlgefährdung gehe nicht von ihm aus. Er habe von jeher eine gute emotionale Bindung zu seinem Kind gehabt. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der elterlichen Sorge seien daher nicht gegeben. In Betracht komme allenfalls, die elterliche Sorge befristet bis zur Entlassung aus der Haft zu entziehen.
Der Beschwerdeführer vertritt außerdem die Auffassung, die Bestellung des Amtsvormundes sei nicht mit dem Kindeswohl vereinbar. Sein älterer Halbbruder und dessen Frau (die Beteiligten zu 3) und 4)) seien bereit und dazu in der Lage, sich seines Sohnes anzunehmen. Von daher sei die Einrichtung einer Amtsvormundschaft mit der Folge einer Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie zu beanstanden.
Der Vater des Beschwerdeführers war im ... mit zwei Frauen verheiratet. Aus der ersten und der zweiten Ehe sind je sieben Kinder hervorgegangen. Die Großfamilie X ist 1990 nach Deutschland gekommen. Der Familienverband lebte zunächst gemeinsam in einem Haushalt, bis nach der Trennung der Eltern die erste Ehefrau mit ihren Kindern sich in der Nähe von O2 ansiedelte, während die Mutter des Beschwerdeführers mit ihren Kindern nach O1l zog. Der Beteiligte zu 3), der der ersten Ehe entstammt, ist mittlerweile deutscher Staatsangehöriger. Er ist bei einem Paketdienst als leitender Angestellter beschäftigt und verdient netto etwa 1.600 €. Seine Frau BX, mit der er seit Anfang 2006 verheiratet ist, ist Hausfrau und betreut tagsüber die gemeinsame zweijährige Tochter.
Während der Zeit in der Bereitschaftspflegefamilie ist es zu Besuchskontakten des Kindes mit den Großeltern mütterlicherseits gekommen, die harmonisch verliefen. Eine Wiedersehensfreude zeigte das Kind jedoch zunächst nicht. Bei Besuchskontakten mit den Geschwistern des Beschwerdeführers und der Großmutter väterlicherseits konnte ebenfalls keine Wiedersehensfreude bemerkt werden. Nach diesen Besuchskontakten, an denen jeweils mehrere Angehörige teilnahmen, wirkte A erschöpft und es traten Einschlafschwierigkeiten auf.
In dem im Beschwerdeverfahren anberaumten Anhörungstermin vor dem Senat am 13. November 2007 hat die Mutter der getöteten Kindesmutter, die Beteiligte zu 5), erstmals ihre Bereitschaft dazu bekundet, A in ihren Haushalt aufzunehmen und die Vormundschaft zu übernehmen. Ihren späten Entschluss, der im Widerspruch zu den vorherigen Einverständniserklärungen zur Unterbringung des Kindes in der Bereitschaftspflege und auch in der Pflegefamilie steht, hat sie damit gerechtfertigt, dass sie wegen des tragischen Todes ihrer Tochter zunächst außerstande gewesen sei, sich um A zu kümmern. Ihr sei nun klar geworden, dass sie A zu sich nehmen möchte. Im Vorfeld hatte die Beteiligte zu 5) Befürchtungen geäußert, dass es mit der Familie des Beschwerdeführers Auseinandersetzungen geben könnte. Es habe kurz nach der Tat einen nächtlichen Zwischenfall gegeben, bei dem jemand an das Fenster ihrer Tochter geklopft habe. Das könne nur die Familie X gewesen sein.
Die Beteiligte zu 5) lebt mit ihrem zweiten Ehemann, der gemeinsamen fünfjährigen Tochter und dem sechzehnjährigen Sohn G aus erster Ehe in O2. Sie ist geringfügig in den frühen Morgenstunden als Zeitungszustellerin beschäftigt und verdient hier rund 300 €. Ihr Mann, der monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von rund 1.200 € erzielt, ist derzeit nach einem Unfall arbeitsunfähig erkrankt. Die gemeinsame Tochter besucht den Kindergarten und wird wegen einer Entwicklungsverzögerung besonders gefördert. Gegenüber dem Mitarbeiter des Jugendamts hat die Beteiligte zu 5) geäußert, dass sie ein Umgangsrecht des Vaters verhindern wolle. Sie äußerte dazu offenbar wörtlich, er "habe den Namen Vater nicht verdient".
Die Verfahrenspflegerin hat sich für die Unterbringung des Kindes A in einem neutralen Umfeld ausgesprochen. Eine emotionale Bindung zu der väterlichen Familie konnte die Verfahrenspflegerin nicht feststellen. In der väterlichen Familie sei es für A ausgeschlossen, mit der notwendigen Distanz und Neutralität den Umgang mit dem Tod der eigenen Mutter zu erlernen. Es sei zu bezweifeln, dass A von dort aus ein positives Bild seiner leiblichen Mutter vermittelt werde. Die väterliche Familie stehe der mütterlichen Familie ablehnend gegenüber, von dort würden Bedrohungen geschildert. Von daher sei es zur Gewährleistung eines regelmäßigen Kontaktes des Kindes mit beiden Großelternpaaren notwendig, dass er in einer Pflegefamilie aufgenommen würde.
Das Jugendamt ist gehört worden und spricht sich ebenfalls für einen Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie aus. Einer Übersiedlung zum Ehepaar X steht nach dortiger Auffassung entgegen, dass die Eheleute aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung zum Vater nicht die gebotene Distanz zum Tatgeschehen aufbringen können. Auch das Jugendamt teilt die Zweifel daran, dass von dort aus der Kontakt zur mütterlichen Familie gehalten und A das richtige Bild von seiner Mutter vermittelt werde.
II.
1. Die gemäß § 621 e ZPO zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers ist zurückzuweisen, soweit er sich gegen die Entziehung der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB wendet. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht die elterliche Sorge entzogen, weil der Antragsteller wenigstens derzeit nicht dazu in der Lage ist, die elterliche Sorge für A auszuüben.
Der Sorgerechtsentzug gemäß § 1666 BGB setzt keine schuldhafte Kindeswohlgefährdung voraus. Der Beschwerdeführer hat - das bestreitet auch er nicht - durch massive Gewaltanwendung den Tod der Mutter des Kindes verursacht. A war zum Zeitpunkt der Tötung in der Wohnung und hat das Geschehen miterleben müssen. Unabhängig davon, wie diese Tat strafrechtlich zu beurteilen ist, kann festgehalten werden, dass durch die Anwesenheit des Kindes bei der Tat das Kindeswohl ganz erheblich beeinträchtigt wurde. Das zeigte sich auch daran, dass das Kleinkind in den Tagen nach der Tat ein äußerst verängstigtes Verhalten zeigte. Es kann nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden, dass das seelische Gleichgewicht des Kindes durch das Verhalten des Vaters ganz erheblich gestört worden ist. Dem Kind ist nicht nur die Mutter genommen worden, sondern es musste das Tatgeschehen miterleben. Die strafrechtliche Qualifizierung der Tat ist für die Einordnung als Kindeswohlverletzung nicht ausschlaggebend. Bei einer Verletzung des Kindeswohles, für das ein bestimmtes nachteiliges Verhalten des Elternteils als Ursache feststeht, kommt es für die Frage des Sorgerechtsentzugs auch nicht auf den Grad der persönlichen Vorwerfbarkeit an (OLG Hamm, FamRZ 1996, 1029-1031). Ein Anlass dazu, die Entscheidung über den Sorgerechtsentzug vom Ausgang des Strafverfahrens abhängig zu machen, besteht aus diesem Grunde nicht.
Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Untersuchungshaft rechtfertigt den sicheren Schluss, dass der Antragsteller derzeit - abgesehen von der räumlichen Trennung - nicht dazu in der Lage ist, ein Kleinkind zu versorgen. Er ist selbst seit Monaten konstant suizidgefährdet und kann nicht unbeobachtet bleiben. Es wäre daher derzeit keineswegs möglich, ihm die Pflege und Erziehung des noch nicht zweijährigen Kindes anzuvertrauen.
Die Vorstellung des Antragstellers, den Sorgerechtsentzug bis zum Ende der Strafhaft zu befristen, findet keine Stütze im Gesetz. Gemäß § 1696 Abs. 2 BGB sind Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB aufzuheben, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht. Das setzt eine positive Überprüfung der aktuellen Umstände voraus. Die Entwicklung eines Kindes und seiner Bedürfnisse ist nicht vorhersagbar. Ebenso wenig kann prognostiziert werden, wie sich die Erziehungsfähigkeit von Eltern entwickelt. Ein Sorgerechtsentzug kann daher nur bei Vorliegen eines konkreten Anlasses und nach sorgfältiger Überprüfung rückgängig gemacht werden; die Möglichkeit eines gleichsam automatischen Auflebens der elterlichen Sorge beim ursprünglich Berechtigten ist aus guten Gründen bei vorhergehendem Sorgerechtsentzug im Gesetz nicht vorgesehen (Diederichsen, in: Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 67. Aufl., Rn. 1 zu § 1696 BGB).
2. Bezüglich der Auswahl des Vormunds, die bei der Entziehung der elterlichen Sorge durch das Familiengericht zu treffen war, ist die Beschwerde hingegen begründet. In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts sind Beteiligte zu 3) und die Beteiligte zu 4) als gemeinschaftliche Vormünder einzusetzen.
Die Entscheidung darüber, wer als Vormund für A zu bestellen ist, ist wegen des Sorgerechtsentzugs durch das Familiengericht zu treffen, das hier die Aufgaben des Vormundschaftsgerichts wahrnehmen muss, § 1697 BGB. Deswegen fällt die Entscheidung darüber, wer zum Vormund bestellt wird, dem Senat an.
Gemäß § 1779 Abs. 2 BGB hat das Vormundschaftsgericht als Vormund eine Person auszuwählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und nach ihrer Vermögenslage unter Berücksichtigung der gesamten Lebensumstände zur Übernahme des Amtes geeignet ist. Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Personen sind neben den Neigungen des Kindes der mutmaßliche Wille der Eltern und verwandtschaftliche Beziehungen zu berücksichtigen. Auch wenn seit der Neufassung des § 1779 Abs. 2 BGB im Jahr 1997 der Vorrang verwandtschaftlicher Beziehungen entfallen ist (Engler, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2004, Rn. 88 zu § 20 zu § 1779 BGB), so kommt der Verwandtschaft als Kriterium doch ein besonderes Gewicht zu (Diederichsen, in: Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 67. Aufl., Rn. 9 zu § 1779 BGB). § 1779 BGB enthält hier einen Kriterienkatalog, der bei der Ermessensausübung durch das erkennende Gericht zu beachten ist (Wagenitz, in: (Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage 2002, Rn. 6 zu § 1779 BGB).
Die Einrichtung einer Amtsvormundschaft mit der Folge, dass das Kind bei einer Pflegefamilie groß wird, die mit seiner Herkunftsfamilie nichts verbindet, wird daher bei Vorhandensein aufnahmewilliger geeigneter Verwandter nur aus triftigen Gründe in Betracht kommen. Bei Abwägung der Vorgaben, die der Kriterienkatalog des § 1779 BGB für das gebundene Ermessen bei der Auswahl des Vormundes trifft und bei Berücksichtigung der vorrangigen Interessen des betroffenen Kindes, können die Bedenken des Jugendamts und der Verfahrenspflegerin daran, dass die Beteiligten zu 3) und zu 4) A einen adäquaten Umgang mit dem Tod seiner Mutter erlauben und ihm eine positives Bild der Mutter vermitteln können, nicht als derart triftige Gründe angesehen werden.
Vorhandene Bindungen des Kindes können für die Auswahl des Vormundes wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr berücksichtigt werden. A hat weder bei den Großeltern noch bei den Tanten und Onkeln eine Wiedersehensfreude gezeigt. Das Kind ist zu jung, um sich verbal zu äußern. Die in der jüngeren Vergangenheit etwa einmal im Monat stattgefundenen Kontakte zur Großmutter mütterlicherseits hat das Kind genossen, wie es auch für die natürliche und liebevolle Beziehung zur Großmutter natürlich scheint. Ob Kontakte zu dem Beteiligten zu 3) und der Beteiligten zu 4) ermöglicht wurden, ergibt sich aus den Berichten des Jugendamtes nicht. Der Umstand, dass A nach Umgängen mit seiner Großmutter väterlicherseits und den in O1 lebenden Geschwistern angestrengt wirkte und schlecht einschlafen konnte, lässt keinen zuverlässigen Schluss darauf zu, dass eine Unterbringung im Haushalt der Verwandten für ihn schlecht wäre. Berichte darüber, wie A den eine Woche vor dem Anhörungstermin im Senat erfolgten Wechsel in die Pflegefamilie verkraftet hat, fehlen im Übrigen.
Der tatsächliche Wille der getöteten Mutter des Kindes kann nicht mehr ermittelt werden. Das Verhältnis der Kindesmutter zu ihrer Mutter in den vergangenen Jahren war sehr angespannt. Da sie sich in den letzten Wochen vor ihrem Tod mit ihrer Mutter ausgesöhnt hatte und auch einen Umzug in deren Nachbarschaft plante, kann vermutet werden, dass sie einer Aufnahme As im Haushalt der Großmutter nicht widersprochen hätte. Vermutungen dazu, wie die Kindesmutter zu einer Aufnahme ihres Sohnes in der Familie ihres Schwagers gestanden hätte, können kaum angestellt werden.
Der Kindesvater hat sich kontinuierlich und deutlich dafür ausgesprochen, dass A im Haushalt seines älteren Bruders groß werden soll. Auch wenn die Tötung der Mutter des Kindes dem Vater angelastet werden muss, so ist doch auch sein Wille als ursprünglich sorgeberechtigter Vater zu berücksichtigen (Wagenitz, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage 2002, Rn. 7 zu § 1779 BGB; Fritsche in: Anwaltkommentar BGB, § 1779 Rn. 7; Engler, in: Staudinger, a.a.O., Rn. 17 zu § 1779). Alles andere hieße anzunehmen, dass der Beschwerdeführer durch die Tat jedes Elternrecht verloren hat. Davon kann nicht ausgegangen werden, zudem nach der Einschätzung des Sachverständigen die Tat aus einem Affekt heraus begangen worden ist und der Beschwerdeführer das Geschehen gerade deswegen zutiefst bedauert, weil er seinem Sohn die Mutter genommen hat. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer sich in der Vergangenheit vor der Tat als durchaus zuverlässige Vaterperson erwiesen hat. Der Wille des Vaters ist daher bei der Auswahl des Vormundes zu berücksichtigen, da ihm die Tat nicht die in Art. 6 GG verbrieften Elternrechte genommen hat, die sich nicht allein in der elterlichen Sorge niederschlagen.
Bei der Auswahl eines Vormunds unter mehreren geeigneten Vormündern ist neben dem Willen der Eltern und dem des Kindes darauf abzustellen, welche Person den Bedürfnissen des Kindes nach einer Prognose am ehesten gerecht werden kann. Die Großmutter des Kindes ist allgemein ebenso geeignet das Kind aufzuziehen wie der Bruder und die Schwägerin des Kindesvaters. Auch wenn die erst im Beschwerdeverfahren ein halbes Jahr nach der Inobhutnahme des Kindes gezeigte Bereitschaft, das Kind bei sich aufzunehmen, ernst genommen werden muss, bestehen doch Zweifel daran, dass die Beteiligte zu 5) als Vormund den Bedürfnissen des Kindes in jeder Hinsicht gerecht werden kann. Es ist nicht zu verkennen, dass die Großmutter mütterlicherseits nicht dazu in der Lage sein kann, den Kontakt des Kindes zum Vater zuzulassen oder auch nur zu tolerieren. Sie hat in nachvollziehbarer Weise gegenüber dem Jugendamt geäußert, dass sie keine Kontakte zum Vater ermöglichen möchte, und da sie den frühen Tod ihrer Tochter verarbeiten muss, ist diese Einstellung nur zu verständlich. Allerdings folgt aus dieser Haltung, dass sie als Vormund für A letztlich nicht ausgewählt werden kann. Es ist keineswegs als sicher anzusehen, dass das Kind den Vater deswegen ablehnen wird, weil er den Tod der Mutter verursacht hat. Zwar stellt diese Tötung ein erhebliche Belastung für die emotionale Beziehung des Kindes zu seinem Vater dar. Es gilt jedoch, dem Kind das Leben mit dieser Hypothek zu ermöglichen und dabei dem Vater die Rolle zuzuweisen, die er einnehmen kann. Ein Abbruch der Beziehung zum Vater, wie er im Übrigen seit dem 11. Mai 2007 stattfindet, obwohl sich das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin stetig für die Aufrechterhaltung der Beziehung aussprechen, kann zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht a priori für als mit dem Kindeswohl vereinbar erachtet werden. So furchtbar es ist, dass A seine Mutter durch die Hand des eigenen Vaters verloren hat, so wenig kann dieses Trauma dadurch wettgemacht werden, dass er nun den Kontakt zum Vater auch noch verliert.
Der Senat verkennt nicht, dass es für die Mutter der Getöteten eine persönliche Härte darstellt, wenn das Kind in die Familie desjenigen gegeben wird, der den Tod ihrer Tochter verursacht hat. Allerdings kann die Entscheidung über die Vormundschaft bei der adäquaten Berücksichtigung der Belange des Kindes nicht von Aspekten einer Wiedergutmachung oder einer Bestrafung des Kindesvaters geleitet werden. A hat am 11. Mai 2007 seine Mutter verloren. Eine Maßnahme des Gerichts, die dem Kind nun auch noch den Vater als einen natürlichen Teil seines Lebens nimmt, ist nicht mit dem Kindeswohl vereinbar.
Die Eheleute AX, deren allgemeine Eignung zur Übernahme der Vormundschaft nicht in Zweifel steht, haben sich frühzeitig bereit erklärt, für A sorgen zu wollen. Aus der Anhörung der Eheleute hat der Senat die Erkenntnis gewonnen, dass sie A nicht nur gleichsam im Auftrag der Großfamilie aufnehmen wollen, um das Kind dem Familienverband und dem Vater zu erhalten. Im Vordergrund steht das Bestreben, dem mutterlosen Kleinkind ein Zuhause bei seiner Familie einzurichten. Es ist der Eindruck entstanden, dass sie aufbauend auf einer bestehenden emotionalen Bindung A wie ihr eigenes Kind aufziehen und behandeln wollen und ihnen bewusst ist, dass sie diese Aufgabe nicht nur bis zu einer etwaigen Haftentlassung des Vaters, sondern dauerhaft übernehmen müssen.
Neben dem Umstand, dass der Kindesvater ausdrücklich diese beiden als Vormund vorgeschlagen hat und neben der verwandtschaftlichen Beziehung, die nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der Einrichtung der Vormundschaft zu berücksichtigen ist, sprechen besonders die Lebensumstände für eine Aufnahme von A in ihren Haushalt. Es handelt sich um ein junges Ehepaar, das dem Alter nach den leiblichen Eltern des Kindes ähnelt. Bei Ihnen lebt die gemeinsame Tochter H, die mit knapp zwei Jahren in As Alter ist. Die Entwicklung einer fast geschwisterähnlichen Bindung zwischen Cousine und Cousin kann dazu beitragen, dass A sich gut einlebt. Dazu kommt, dass die Eheleute X den regelmäßigen Kontakt zum Vater ohne weiteres herstellen und es A ermöglichen können, trotz der denkbar schlechten Ausgangsposition relativ unbelastet eine emotional positive Bindung zu seinem Vater beizubehalten. A ist - möglicherweise für lange Zeit - ein faktisch verwaistes Kind, das über eine Herkunftsfamilie verfügt. Bei einer Aufnahme in einen Teil dieser Familie bestehen gute Aussichten, dass das Kind den Rahmen findet, den ein Heranwachsen im Einklang mit den eigenen Wurzeln benötigt.
Gegen die Bestellung der Eheleute X haben sich das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin mit dem Argument gewandt, es sei dort nicht gewährleitestet, dass der Junge den Kontakt zur mütterlichen Familie aufrecht erhält. Bislang sind dies überwiegend Befürchtungen, die aus dem Umfeld der Mutter der getöteten Kindesmutter stammen. Mangels konkreter Anhaltspunkte bleibt es jedoch zunächst eine Unterstellung entgegen den konkreten Bekundungen der Familie X, dass sie den Kontakt zur mütterlichen Familie nicht pflegen oder nicht zulassen werden. Die Eheleute X haben dagegen eingewendet, dass sie um die Notwendigkeit der Kontakte des Kleinkinds zu seinen Großeltern wissen. Der Kindesvater hat sich für die Beibehaltung von Umgangskontakten zu den Großeltern ausgesprochen. Von daher wird das künftige Verhalten der Vormünder und des Vaters zeigen, wie ernst diese für die getroffene Entscheidung maßgeblichen Absichtsbekundungen gemeint sind.
Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrenspflegerin haben außerdem die Bestellung neutraler, professioneller Pflegeeltern für zwingend notwendig erachtet, weil nur in einer solchen Familie eine adäquate Aufarbeitung des Todes der Mutter stattfinden und ein positives Bild dieser Mutter vermittelt werden könne. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Eheleute X sind zwar eng mit dem Vater des Kindes verwandt. Allerdings bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie dessen Tat leugnen. Soweit die Beteiligte zu 5) bei der Anhörung keine Distanzierung von der Tat des Beschwerdeführers bemerken konnte, dürfte das darauf zurückzuführen sein, dass vor dem Hintergrund der bevorstehenden Hauptverhandlung in der Strafsache die Tat nur sehr am Rande thematisiert werden konnte. Warum die Beteiligten zu 3) und zu 4) A kein gutes Bild von seiner verstorbenen Mutter vermitteln können oder wollen, erschließt sich vorerst nicht. Es handelt sich bei diesen Bedenken um Befürchtungen, deren hypothetische Berechtigung einer Übertragung der Vormundschaft auf die beiden nicht entgegenstehen kann.
Der Umstand, dass A letztlich mit der furchtbaren Vorstellung aufwachsen muss, dass sein Vater seine Mutter getötet hat, ist als eine schwere Hypothek für das Kind zu werten. Die Unterbringung in einer neutralen Pflegefamilie kann A diesen Eindruck jedoch nicht nehmen, denn er sollte auch nach der Auffassung des Jugendamts die Kontakte zu der väterlichen Familie nicht verlieren und über seine Herkunft aufgeklärt sein. Die Aufgabe, Kontakte zu ermöglichen und das Kind in dieser Vorstellungswelt zu begleiten, muss auch durch eine Pflegefamilie übernommen werden. Dass dies nur in einer professionellen Pflegefamilie möglich ist, ist kein zwingender Schluss. Denn eine Betreuung des Kindes in der väterlichen Ausgangsfamilie muss keineswegs damit einhergehen, dass jede professionelle Hilfe für das Kind entfällt. Zum einen unterliegen die Vormünder der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts und müssen jährlich über die Entwicklung und die persönlichen Verhältnisse des Mündels berichten, §§ 1840, 1843 BGB. Das führt gleichzeitig dazu, dass die Vormünder des Recht und die Pflicht haben, auf Hilfestellungen des Jugendamtes zurückzugreifen. Die staatlichen Institutionen, allen voran das Jugendamt, können sie bei der Führung der Vormundschaft nicht nur im Rahmen des Gebotenen kontrollieren, sondern vor allem unterstützen.
Zum anderen bleibt die auch einer nicht professionellen Pflegefamilie offenstehende Möglichkeit, für A therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Eheleute X haben in ihrer Anhörung durch den Senat deutlich gemacht, dass sie sich den Problemen stellen wollen, die aus dem Trauma des frühen und gewaltsamen Verlustes der Mutter entstanden sind und noch entstehen können. Die grundsätzliche Bereitschaft der Eheleute dazu kann ohne das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte nicht allein deswegen in Zweifel gezogen werden, weil sie mit dem Vater des Kindes verwandt sind.
Die Vormundschaft war gemäß § 1775 BGB als gemeinschaftliche Vormundschaft der Eheleute X einzurichten, da diese gleichberechtigte Übernahme der elterlichen Sorge am ehesten die Gewähr dafür bietet, dass A in ihrem Haushalt ein einem Elternhaus ähnliches Heim findet. Um dem Kind einen behutsamen Übergang in den Haushalt der Eheleute X unter fachkompetenter Begleitung des Jugendamts zu ermöglichen, gilt die Vormundschaft des Jugendamts der Stadt O1 zunächst fort. Das Kind muss gegebenenfalls durch Umgangskontakte mit den Eheleuten X und deren kleiner Tochter auf den Wechsel vorbereitet werden. Die Gestaltung dieses Übergangs ist am ehesten gewährleistet, wenn die Sachkunde des Amtsvormundes zum Tragen kommt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a FGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt § 30 KostO.
Ende der Entscheidung
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