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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 16/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 153 a
StPO § 206 a
StPO §§ 464 ff
StPO § 467 Abs. 3 S. 2 Ziff 2
StPO § 464 Abs. 3 S. 1 2. Hs.
StPO § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Zur Versagung der Auslagenerstattung durch die Staatskasse bei Einstellung des Verfahrens nach dem Tod des Angeklagten genügt das Fortbestehen eines erheblichen Tatverdachtes.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

2 Ws 16/02

In der Strafsache ... hat das Oberlandesgericht ­ 2. Strafsenat Frankfurt am Main ­ auf die sofortige Beschwerde vom 26.10.2001 gegen den Beschluß des Landgerichts Darmstadt vom 10.10.2001 am 17.04.2002 beschlossen:

Tenor:

Die Auslagenentscheidung des Beschlusses vom 10.10.2001 wird dahingehen abgeändert, dass die durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten zur Hälfte der Staatskasse auferlegt werden, im übrigen werden die Auslagen nicht erstattet. Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen zur Hälfte der Staatskasse zur Last, im übrigen hat der Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine Auslagen zu tragen.

Gründe:

Am 1.03.1995 wurde gegen R. K. Anklage erhoben wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in 41 Fällen (§ 266 a Abs. 1 StGB), wegen Steuerverkürzung in 46 Fällen (§ 370 Abs. 1 AO) und wegen Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283 b Abs. 1 Nr. 3 StGB). Durch Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 27.04.1995 wurde die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Am 27.05.2000 verstarb der Angeklagte. Wegen des damit eingetretenen Verfahrenshindernisses stellte das Landgericht das Verfahren gegen den Angeklagten K. am 10.10.2001 gemäß § 206 a StPO ein. Die Verfahrenskosten wurden der Staatskasse zur Last gelegt. Das Landgericht sah gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Ziff 2 StPO wegen des fortbestehenden Tatverdachts davon ab, der Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Der Angeklagte sei nur durch den Tod der ansonsten sehr wahrscheinlichen Verurteilung entgangen. Das Verfahren gegen den u. a. wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in neun Fällen und Steuerverkürzung in 11 Fällen Mitangeklagten B. wurde am 15.01.2002 gegen Zahlung einer Geldauflage von 3000 Euro vorläufig nach § 153 a StPO eingestellt.

Die sofortige Beschwerde des Verteidigers des Angeklagten K. gegen den Beschluß des Landgerichts vom 10.10.2001 ist statthaft (§ 464 Abs. 3 S. 1 StPO). Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 S. 1 2. Hs. StPO gilt nicht, denn das Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung gemäß § 206 a StPO steht dem Angeklagten nur mangels Beschwer nicht zu. Die Beschwerde ist auch zulässig. Sie wurde insbesondere fristgemäß (§ 311 Abs. 2 StPO) durch den Verteidiger Rechtsanwalt E. eingelegt. Dessen Beauftragung erlosch nicht mit dem Tod des Angeklagten (§ 672 BGB), so dass er bis zum Widerruf durch die Erben jedenfalls dann zur Verteidigung bevollmächtigt blieb, wenn durch die angegriffenen Entscheidung - wie hier durch die Auslagenentscheidung - in verfahrensrechtliche Positionen eingegriffen wird, die bereits zu Lebzeiten des Angeklagten entstanden sind (Vergl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Vor § 137 Rn. 7; OLG Frankfurt a. M., 2. StrS, B. v. 15.12.1999, 2 Ws 160/99). Der Beschwerde kann in der Sache zum Teil der Erfolg nicht versagt werden. Im übrigen war sie als unbegründet zurückzuweisen. Das Gericht kann gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Hier ist der Angeklagte nach Anklageerhebung verstorben. Damit ist ein Verfahrenshindernis eingetreten, das nicht ohne weiteres zur Verfahrensbeendigung führt. Vielmehr muß ein bereits eröffnetes Verfahren durch Einstellungsbeschluß gemäß § 206 a StPO zu einem ordnungsgemäßen Abschluß gebracht werden ( BGH 45, 108; Kleinknecht/Meyer- Goßner, a.a.O., § 206 a RN 8). Dies beinhaltet gemäß §§ 464 ff StPO eine Kosten- und Auslagenentscheidung. Das dann nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO eröffnete Ermessen, die Staatskasse von den Auslagen des Angeklagten freizustellen, schließt die Befugnis ein, die Freistellung auf einen Teil dieser Auslagen zu beschränken (Karlsruher Kommentar ­ Schimansky, StPO, 4. Aufl. § 467 RN 9). Die Überbürdung der Auslagen auf den Angeklagten wird dabei in der Regel nur in Betracht kommen, wenn das Verfahrenshindernis - wie hier - erst nach Anklageerhebung eingetreten ist (vergl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O, § 467 RN 18). Nur wegen des Verfahrenshindernisses darf der Angeklagte nach dem Wortlaut der Norm wegen einer Straftat nicht verurteilt werden können. Damit setzt die Ermessensentscheidung zwingend eine Verdachtsprüfung voraus. Zu fordern ist dabei nicht die nur nach geständiger Einlassung oder sonst vollständig durchgeführter Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu erwartende sichere Annahme, dass der Angeklagte bei hinweg gedachtem Verfahrenshindernis wegen Schuldspruchreife zu verurteilen gewesen wäre (KG NJW 94, 600; Düsseldorf OLG ST Nr. 9; Hamm NJW 1986, 734). Diese Auslegung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO verstieße wegen der Abhängigkeit der Auslagenentscheidung von einer Zuweisung strafrechtlicher Schuld gegen die im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verankerte Unschuldvermutung (BVerfG, B. v. 16.12.1991, NJW 1992, 1612,1613). Die Strafprozeßordnung knüpft jedoch in zahlreichen anderen Normen erhebliche prozessuale Lasten an niedrigere Verdachtsstufen (z. B. §§ 81 a, 94, 102, 111 a, 112 StPO), ohne dass etwa über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ein voller Ausgleich aller erlittenen Vermögenseinbußen erreicht werden kann. Auch die Einstellung nach einer Vorschrift, die dies in das Ermessen des Gerichts stellt, berechtigt das Gericht, von der Auslagenerstattung abzusehen, ohne dass die Schuld des Angeklagten festgestellt werden müßte (§ 467 Abs. 4 StPO). Der Senat folgt deshalb der Auffassung des Bundesgerichtshofs in der Grundsatzentscheidung von 5.11.1999 (NStZ 2000, 330 ff). Danach kann schon auf einer niedrigeren Stufe des Tatverdachts eine Ermessensentscheidung zu Lasten des Angeklagten ergehen (ebenso Karlsruhe JR 1981, 38, 39; OLG Frankfurt a. M., 2. Strafsenat, B. v. 15.12.1999 ­ 2 Ws 160/99 u. 27.09.2000 ­ 2 Ws 118/00; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O, § 467 RN 16 m. w. Nw.). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht, solange klargestellt ist, dass die Auslagenentscheidung nicht auf einer gerichtlichen Schuldfeststellung beruht, sondern nur auf der Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage (vergl. BVerfG, NJW 1992, 1612, NStZ-RR 1996, 45, BGH a.a.O). Hierbei genügt für die Versagung der Auslagenerstattung das Fortbestehen eines erheblichen Tatverdachts.

Ein solcher Tatverdacht besteht hinsichtlich der dem Angeklagte zur Last gelegten 46 Fälle der Steuerverkürzung. Zwar hat er sich auch hierzu nicht eingelassen. Die Anklage stützt sich jedoch auf umfangreiche Sachbeweise. Die Stellung des Angeklagten als Geschäftsführer der KSV Beton GmbH folgt aus der Anmeldung zum Handelsregister. Sein späteres Handeln als faktische Geschäftsführer für die KSV Beton GmbH und für die IHW Hoch- und Tiefbau GmbH wird durch Verträge mit Bauherren, sonstigen Auftraggebern und Auftragnehmern, durch Arbeitsverträge und Anmeldungen zu Sozialversicherung sowie Unterschriften auf Wechseln und Schecks der Gesellschaften belegt. Die Feststellungen zur hinterzogenen Umsatzsteuer dagegen beruhen rechnerisch auf den Umsätzen mit den ermittelten Auftraggebern der KSV und der IHW. Aus den Umsätzen kann nach der Rechtsprechung in einer Quote auf die Lohnkosten und damit den Lohnsteueranteil geschlossen werden.

Der möglichen Verurteilung wegen dieser Taten stand nicht die sichere Erwartung entgegen, dass vor Beendigung einer zum Zeitpunkt des Todes des Angeklagten am 27.05.2000 noch anzuberaumenden Hauptverhandlung Verfolgungsverjährung auch wegen der angeklagten Steuervergehen eingetreten wäre. Die angeklagte Verletzung der Buchführungspflicht und die 41 Fälle des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach §§ 266 a, 283 b StGB fallen in den Zeitraum von Mai 1987 bis 1990. Hier wäre nach letztmaliger Unterbrechung der Verjährung durch Eröffnungsbeschluß vom 27.04.1995 in allen Fällen durch Ablauf des Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist bis Ende 2000 absolute Verfolgungsverjährung eingetreten (§§ 78 Abs. 3 Ziff. 4, 78 c Abs. 1 Ziff. 7, Abs. 3 StGB). Etwas anderes gilt für die angeklagten 46 Fälle der Umsatz- und Lohnsteuerhinterziehung. Hier begann die gesetzliche Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Ziff. 4 StGB) mit Tatbeendigung (§ 78 a StGB). Bei den Umsatzsteuern trat die Tatbeendigung mit Ablauf der Erklärungsfristen im Zeitraum vom 31.05.1988 bis 31.05.1991 ein. Die abzuführenden Lohnsteuern wären im Zeitraum von Mai 1987 bis Ende 1990 anzumelden gewesen. Da die Strafvorschrift des § 370 Abs. 3 AO einen erhöhten Strafrahmen für besonders schwere Fälle aufweist, wurde der Eintritt der Verfolgungsverjährung durch die Eröffnung des Hauptverfahrens für weitere fünf Jahre gehemmt (§ 78 b Abs. 4 StGB). Damit wäre hier die absolute Verjährung erst nach jeweils 15 Jahren im Zeitraum von Ende Mai 2002 bis 31.05.2006 eingetreten. Es blieb damit ausreichend Zeit für die Durchführung der Hauptverhandlung. Die lange Verfahrensdauer wäre nur im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen gewesen. Soweit jedoch das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung bis Ende 2000 bereits nach § 206 a StPO oder in der Hauptverhandlung nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen gewesen wäre, sind der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Wegen der hier zu erwartenden umfangreichen Beweisaufnahme auch durch Vernehmung der Arbeitnehmer als Zeugen kann die Quote mit 50 % angesetzt werden. Eine andere Entscheidung wäre unbillig. Denn die zur Verjährung führende Verzögerung des Verfahrens hat der Angeklagte weder zu vertreten, noch entstammt sie sonst seiner Sphäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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