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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 20 VA 5/08
Rechtsgebiete: EGGVG, InsO, ZPO


Vorschriften:

EGGVG § 23
InsO § 4
ZPO § 299
1. Zur Frage des rechtlichen Interesses eines Dritten im Sinne der §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO an der Einsicht in Insolvenzakten.

2. Das Interesse eines Dritten, durch die Akteneinsicht Tatsachen zu erfahren, die es ihm erleichtern, einen Anspruch geltend zu machen, der in keinem rechtlichen Bezug zu dem Verfahrensgegenstand steht, genügt für § 299 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht.


Gründe:

Die Antragstellerin begehrt Akteneinsicht in die Gerichtsakte des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des A, Amtsgericht Frankfurt am Main - Insolvenzgericht, Az. 81 IK 596/05 G. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass sie Unterhaltsgläubigerin des Schuldners sei, wobei allerdings keine Unterhaltsansprüche geltend gemacht würden, die vor Insolvenzeröffnung entstanden seien. Sie habe ein berechtigtes Interesse daran, sich über das Insolvenzverfahren des Unterhaltsschuldners zu informieren; durch das Insolvenzverfahren würden die Rechte der Unterhaltsberechtigten unmittelbar tangiert. Schließlich könne sie als Unterhaltsgläubigerin nicht schlechter gestellt werden als Insolvenzgläubiger. Der Treuhänder hat der Akteneinsicht widersprochen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 06.03.2008 (Bl. 43 ff. d. A.), auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Präsident des Amtsgerichts das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin abgelehnt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass es der Antragstellerin am rechtlichen Interesse im Sinne der §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO fehle. Dieses komme nur dann in Betracht, wenn der Dritte - hier die Antragstellerin - im Falle der Insolvenzeröffnung Insolvenzgläubiger im Sinne des § 38 InsO sein könne. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, so dass ein Akteneinsichtsrecht mangels eines hinreichenden rechtlichen Bezugs zum Streitstoff der Akten nicht bestehe.

Gegen diesen am 10.03.2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 10.03.2008 (Bl. 1 ff. d. A.) beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Der Präsident des Amtsgerichts hat dies als Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG gewertet und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,

den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Antrag sei unbegründet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfügung vom 17.04.2008 (Bl. 54 ff. d. A.) verwiesen.

Der auch ansonsten zulässige, so insbesondere gemäß § 26 EGGVG fristgerecht eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft. Bei dem Beschluss des Präsidenten des Amtsgerichts vom 06.03.2008 handelt es sich um eine Verfügung, die von einer Justizbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Zivilprozesses getroffen wurde, mithin um einen Justizverwaltungsakt im Sinne der genannten Vorschrift. Darin liegt ein hoheitliches Handeln einer Justizbehörde zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses, das geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen (vgl. insoweit Senat ZVI 2006, 30).

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO kann der Vorstand des Gerichts dritten Personen ohne Einwilligung der Parteien/des Schuldners - von deren Vorliegen hier nicht ausgegangen werden kann - die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Selbst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, steht die Gewährung der Akteneinsicht an Dritte sodann im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands des Gerichts und hat der Dritte nicht etwa ein gesetzliches Einsichtsrecht, wie es in § 299 Abs. 1 ZPO den Prozessparteien eingeräumt wird. Für diesen Ermessensbereich wäre der Senat gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu der Prüfung berechtigt, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung rechtswidrig wäre, weil die gesetzlichen Grenzen überschritten wären oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden wäre (vgl. Senat, a.a.O.).

Hier ist ausweislich des angegriffenen Beschlusses des Präsidenten des Amtsgerichts der Antragstellerin bereits das erforderliche rechtliche Interesse an der Akteneinsicht abgesprochen und noch keine Ermessensentscheidung im dargelegten Sinne getroffen worden.

Das mithin erforderliche rechtliche Interesse muss sich unmittelbar aus der Rechtsordnung ergeben. Es setzt ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraus. Ein rechtliches Individualinteresse an der Akteneinsicht liegt nur vor, wo irgendwelche persönlichen Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können, sofern ein rechtlicher Bezug zu dem Streitstoff der einzusehenden Akte besteht. Dazu gehören auch rechtlich begründete wirtschaftliche Interessen, sofern diese Interessen einen rechtlichen Bezug zum Streitstoff der Akten haben; es muss der Interessenkreis des Antragstellers durch das Verfahren konkret berührt werden (vgl. die Nachweise bei Senat, a.a.O.).

Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 28.02.2008 geht es der Antragstellerin vorliegend im Wesentlichen darum, sich über die Vermögenssituation des Schuldners durch Einsicht in die Akten informieren zu können. Dieses wirtschaftliche Interesse begründet jedoch noch nicht das im oben beschriebenen Sinne "rechtliche" Interesse an der Akteneinsicht.

Zutreffend hat der Präsident des Amtsgerichts darauf abgestellt, dass grundsätzlich auch potentielle Insolvenzgläubiger während des laufenden Insolvenzverfahrens einen Anspruch auf Akteneinsicht haben können. Der Darlegung eines besonderen Interesses bedarf es dann nicht. Allein die anstehende Entscheidung, ob am Verfahren überhaupt teilgenommen werden soll, rechtfertigt das Einsichtsgesuch. Grundsätzlich besteht nämlich im eröffneten Insolvenzverfahren kein schützenswertes Interesse des Schuldners oder anderer Beteiligter - auch nicht des Insolvenzverwalters oder Treuhänders -, die näheren Umstände des Verfahrens vor den Gläubigern geheim zu halten, weil die Verfahrensabwicklung im Interesse der Gläubiger stattfindet (vgl. Senat, a.a.O.).

Zu Recht hat der Präsident des Amtsgerichts aber in seinem angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin keine potentielle Insolvenzgläubigerin ist. Diese Feststellung wird von der Antragstellerin mit ihrem Rechtsbehelf auch nicht angegriffen; sie macht nicht geltend, sich an jenem Verfahren als Insolvenzgläubigerin beteiligen zu wollen. Es ist in diesem Zusammenhang auch rechtlich zutreffend, dass nach § 40 InsO Unterhaltsansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung keine Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO sind. Die laufenden Unterhaltsverpflichtungen des Schuldners sind nach § 40 Satz 1 InsO grundsätzlich keine Insolvenzforderungen, sondern Neuverbindlichkeiten des Schuldners. Wie § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO klarstellt, sind sie weiterhin einklagbar und unterliegen der Einzelzwangsvollstreckung in das insolvenzfreie Schuldnervermögen (vgl. neben den Nachweisen im angefochtenen Beschluss: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Lüdtke, 2. Aufl., § 40 Rz. 7 ff., 13 ff.; Braun/Bäuerle, InsO, 3. Aufl., § 40 Rz. 10; Keller NZI 2007, 143; OLG Nürnberg ZInsO 2005, 443; OLG Koblenz ZInsO 2002, 832). Neugläubiger des Schuldners können in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners vollstrecken, der Zugriff auf die Insolvenzmasse ist ihnen verwehrt. Da nach §§ 35, 36 Abs. 1 InsO auch der Neuerwerb des Schuldners zur Insolvenzmasse gehört und nur unpfändbare Gegenstände und Forderungen insolvenzfrei sind, ist der Vollstreckungszugriff des Neugläubigers auf das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners sehr stark eingeschränkt. Möglich bleibt lediglich gemäß § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO der Vollstreckungszugriff in das laufende Arbeitseinkommen des Schuldners. Das Arbeitseinkommen ist in Höhe des nach § 850 c ZPO unpfändbaren Teils insolvenzfrei. In die Insolvenzmasse fällt nur der Teil des laufenden Einkommens, der die Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO übersteigt (vgl. Keller, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.). Letztendlich verbleibt der Antragstellerin mithin im Wesentlichen der für Unterhaltsgläubiger erweiterte pfändbare Anteil des Arbeitseinkommens nach § 850 d ZPO, der nicht zur Masse gehört (vgl. dazu im Einzelnen: Braun/Bäuerle, a.a.O., § 40 Rz. 10; Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Lüdtke, a.a.O., § 40 Rz. 14, je m. w. N.). Hierauf hat bereits der Präsident des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss hingewiesen. Dagegen erhebt die Antragstellerin mit ihrem Rechtsbehelf auch keine Einwendungen.

Ausgehend hiervon vermag auch der Senat mit dem Antragsgegner einen rechtlichen Bezug zum Streitstoff der Insolvenzakten nicht zu erkennen. Wie dargelegt ist der Antragstellerin ein Zugriff auf das Insolvenzvermögen nicht möglich. Deshalb fehlt es auch an dem von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.02.2008 behaupteten Wertungswiderspruch zwischen Insolvenzgläubigern und Unterhaltsgläubigerin. Während dem (potentiellen) Insolvenzgläubiger die Möglichkeit offen steht, seine Rechte im Insolvenzverfahren zu wahren bzw. geltend zu machen, steht der Unterhaltsgläubigerin dieses Recht hier gerade nicht zu. Das Insolvenzverfahren dient aber der Befriedigung der Insolvenzgläubiger (vgl. OLG Köln OLGR 2008, 191, zitiert nach juris), zu denen die Antragstellerin gerade nicht gehört. Sie ist grundsätzlich außerhalb des Insolvenzverfahrens zu befriedigen. Daran ändern auch die §§ 40 Satz 1, 100 Abs. 1 InsO nichts. Eine Entscheidung nach diesen Vorschriften läge im freien Ermessen der Gläubiger; eine Pflicht zur Gewährung von Unterhalt besteht nicht (vgl. etwa Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Wendler, a.a.O., § 100 Rz. 3; MünchKomm zur Insolvenzordnung/Passauer/Stephan, 2. Aufl., § 100 Rz. 20). Überdies hat die Antragstellerin auch gar nicht behauptet, eine derartige Entscheidung herbeiführen zu wollen.

Ziel der Akteneinsicht ist mithin im Prinzip lediglich die "Ausforschung", ob sich aus der Insolvenzakte Umstände ergeben, die für die der Antragstellerin möglichen Einzelzwangsvollstreckung von Vorteil wären. Dies hat aber keine rechtliche Beziehung zum Insolvenzverfahren. Das Interesse eines Dritten, durch die Akteneinsicht Tatsachen zu erfahren, die es ihm erleichtern, einen Anspruch geltend zu machen, der in keinem rechtlichen Bezug zu dem Verfahrensgegenstand steht, genügt für § 299 Abs. 2 ZPO nicht (vgl. OLG Köln OLGR 2008, 191, zitiert nach juris, m. w. N.). Dafür stehen der Antragstellerin ggf. Auskunftsansprüche zu, auf die sie selber hinweist. Nachdem es mithin bereits an dem erforderlichen rechtlichen Interesse fehlt, kommt es auf die ansonsten nach § 299 Abs. 2 ZPO vorzunehmende Ermessensentscheidung nicht mehr an.

Die Gerichtskosten des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht fallen der Antragstellerin kraft Gesetzes zur Last, ohne dass es eines besonderen Ausspruchs bedarf, §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 Abs. 1 KostO.

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 Satz 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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