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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 23.07.2007
Aktenzeichen: 20 W 129/07
Rechtsgebiete: HSOG


Vorschriften:

HSOG § 32
HSOG § 33
1. Entscheidet der Richter, dass eine Person, der durch die Polizeibehörde bereits die Freiheit entzogen wurde, weiter nach § 32 Abs. 1 HSOG in Gewahrsam zu verbleiben hat, so erstreckt sich die richterliche Entscheidung sowohl auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Freiheitsentziehung durch die Polizeibehörde als auch über die Erforderlichkeit der Fortdauer der Freiheitsentziehung.

2. Endet die polizeiliche Ingewahrsamnahme ohne dass es zu einer weiteren Anordnung des Amtsgerichts hinsichtlich der Fortdauer gekommen ist, so bleibt für die Prüfung, ob die polizeiliche Ingewahrsamnahme rechtswidrig war, bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.

3. Der Richter hat selbst die tatsächlichen Feststellungen zu treffen, die eine Ingewahrsamnahme rechtfertigen. Dazu gehört auch die persönliche Anhörung des Betroffenen.


Gründe:

Der Betroffene wurde von der Polizei am 17.10.2006 gegen 05.45 Uhr vorläufig festgenommen. Nach Aktenlage hat die Polizei dem Amtsgericht am gleichen Tag um 9.48 Uhr eine Niederschrift über die Ingewahrsamnahme per Fax übersandt. In der Niederschrift ist von den formularmäßig vorgegebenen Möglichkeiten als Grund der Ingewahrsamnahme angekreuzt worden, dass die Ingewahrsamnahme zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich sei, weil sich die Person in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe. Außerdem ist angekreuzt worden, dass sie unerlässlich gewesen sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Als Sachverhalt ist der Niederschrift sinngemäß zu entnehmen, dass zum Festnahmezeitpunkt zwei Streifenwagen und insgesamt drei Polizeibeamte und eine Polizeibeamtin in die A-Str.entsandt worden sind, weil dort angeblich mehrere Jugendliche randalierten. Im Bereich B-Str./A-Str.seien vier alkoholisierte Jugendliche angetroffen worden, darunter auch der Betroffene. Dieser habe bei der anschließenden Personenkontrolle jegliche polizeiliche Weisung ignoriert, sei uneinsichtig gewesen und habe sich äußerst aggressiv gegenüber den eingesetzten Beamten verhalten. Daraufhin sei er festgenommen und zum X. Polizeirevier verbracht worden, wo er ausgenüchtert worden sei. Die polizeiliche Niederschrift enthielt den weiteren Vermerk, dass die Anhörung zur Ingewahrsamnahme nicht möglich gewesen sei "weil: Starke Trunkenheit". Das Verfügungsformular des Richters enthält den Vermerk, die Anhörung sei wegen der Trunkenheit des Betroffenen nicht möglich gewesen und daran anschließend den Beschluss, dass die Freiheitsentziehung gem. § 33 Abs. 2 HSOG mit sofortiger Wirksamkeit angeordnet werde. Der Betroffene sei um 12.00 Uhr zu entlassen.

Gegen den am 22.11.2006 ausgefertigten, dem Betroffenen nach seinem Bekunden am 24.11.2006 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts hat dieser mit einem am 05.12.2007 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, die Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch die Polizeibehörde sei unzulässig.

Der Betroffene hat gerügt, es habe weder Volltrunkenheit vorgelegen, noch habe die Gefahr der Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit bestanden. Er habe keine Ordnungswidrigkeiten begangen, die ein Einschreiten der Polizei erforderlich gemacht hätten. Er habe keine polizeilichen Weisungen ignoriert und sich auch nicht uneinsichtig oder aggressiv verhalten. Er habe die beteiligten Beamten mehrfach gebeten, über sein Handy seine Eltern anrufen zu dürfen, was ihm verweigert worden sei. Seine Eltern hätten ihn abgeholt, womit weitere Maßnahmen entbehrlich gewesen seien. Außerdem habe das Amtsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Der Antragsteller hat in der Beschwerdeinstanz auf landgerichtliche Anforderung sein Vorbringen durch Übersendung eines von einem an der Festnahme beteiligten Polizeibeamten gefertigten Vermerks vom 12.02.2007 ergänzt. Daraus ergibt sich, dass ein Zeuge beim Polizeirevier angerufen hatte. Dieser hat angegeben, dass eine Jugendgruppe randalierend durch die A-Str.zöge. Die Jugendlichen hätten mehrfach gegen aufgestellte Zeitungsständer eines Kiosk getreten und uriniert. Zum Verhalten während der Kontrolle wird ausgeführt, der Betroffene habe sich während der Kontrolle genauso uneinsichtig und aggressiv wie die anderen drei Personen verhalten. Er habe die Beamten angepöbelt und ständig mit seinem Vater, der Rechtsanwalt sei, geprahlt. Er habe die Anweisungen der Beamten ignoriert und diese ins Lächerliche gezogen. Eine ordnungsgemäße Personalienfeststellung sei somit vor Ort nicht möglich gewesen. Aufgrund der Trunkenheit und des aggressiven Verhaltens auf dem Revier habe die Gefahr weiterer rechtswidriger Taten bestanden, so dass eine Ausnüchterung angeordnet worden sei. Während der Ausnüchterung sei dem Betroffenen das Handy abgenommen worden. Er habe aber die Möglichkeit erhalten, eine Person zu benennen, die von der Ingewahrsamnahme in Kenntnis gesetzt werden solle. Davon habe der Betroffene aber keinen Gebrauch gemacht, sondern entgegnet, die Beamten sollten sich um ihren eigenen "Scheiß" kümmern. Da zum Zeitpunkt der Sistierung und Ingewahrsamnahme keine konkreten Hinweise auf Straftaten vorlagen, sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf eine Blutprobe verzichtet worden.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 05.03.2007 (Bl. 26 - 28 d. A.) festgestellt dass die Freiheitsentziehung durch den Beschluss des Amtsgerichts rechtmäßig gewesen sei. Das Amtsgericht habe zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch die Polizeibehörden zulässig und die Fortdauer der Freiheitsentziehung anzuordnen gewesen sei. Dem Bericht vom 12.02.2007 sei der Betroffene nicht entgegengetreten, an der Richtigkeit des Inhalts bestünden insoweit auch keine Zweifel.

Gegen diesen ihm am 13.03.2007 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit einem am 27.03.2007 eingegangenen Schriftsatz sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs soweit das Landgericht auf die polizeilichen Ausführungen vom 12.02.2007 abgestellt habe. Das Landgericht habe auch fehlerhafte Schlussfolgerungen gezogen. Der Betroffene sei von den Beamten nicht beim Randalieren angetroffen worden. Er habe sich auch den Beamten gegenüber ordentlich ausgewiesen. Die Akte enthalte keinen substantiierten Hinweis darauf, dass er sich der Feststellung seiner Personalien widersetzt habe. Es gebe keine Hinweise, welcher Art die Anweisungen der Beamten gewesen seien und in welcher Form sich der Betroffene widersetzt habe. Das Landgericht habe auch das Amtsermittlungsprinzip verletzt. Die Widersprüchlichkeiten in den Akten hätten dringend weiterer Ermittlungen bedurft. Eine Anhörung durch den zuständigen Richter am Amtsgericht sei möglich gewesen und dringend geboten. Der zuständige Richter hätte sich ein eigenes Bild machen müssen, ob er verhandlungsunfähig gewesen sei oder nicht.

Die Antragstellerin bringt vor, der Betroffene sei zwar kommunikationsfähig gewesen, aber die Art und Weise wie er sich geäußert habe, sei gegenüber den Beamten herablassend, arrogant und überheblich gewesen. Die Ingewahrsamnahme sei unerlässlich gewesen, weil der Betroffene sich wegen seiner Alkoholisierung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe. Bei einer sofortigen Entlassung habe für den Betroffenen unmittelbar Gefahr gedroht, z.B. durch Betreten der Fahrbahn, ohne auf den öffentlichen Fahrzeugverkehr zu achten. Abgesehen davon sei der Betroffene schon mehrmals wegen Gewaltdelikten und Sachbeschädigungen in Erscheinung getreten. Bei einer Zellenkontrolle nach der Ingewahrsamnahme sei im übrigen nochmals versucht worden, die Adresse und die Telefonnummern der Eltern zu erfragen. Der Betroffene habe dies aber ignoriert. Auf Betreiben des Tagdienstes sei dann die richterliche Entscheidung herbeigeführt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse und die Schriftsätze der Beteiligten nebst ihren Anlagen verwiesen.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der beiden angefochtenen Beschlüsse und zur Zurückweisung der Sache an das Landgericht. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, da die Vorinstanzen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt haben und der Senat im Verfahren der weiteren Beschwerde als Rechtsbeschwerdegericht eigene Feststellungen nicht treffen kann (§ 27 I S. 2 FGG i.V.m. § 559 ZPO; Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 27 Rn 42).

Wenn eine Person - wie hier - aufgrund des § 32 I HSOG festgehalten wird, richtet sich das gerichtliche Verfahren gem. § 33 II HSOG nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG), das wiederum auf die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verweist (§ 3 Satz 2 FEVG). Danach ist die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen zulässig (§§ 6 II, 7 FEVG, 27 FGG), insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 29, 22 FGG). Die Maßnahme hat sich zwar durch Zeitablauf erledigt, jedoch lässt der Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person, das Begehren des Betroffenen, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu erreichen, auch nach Erledigung der Maßnahme im Hinblick auf sein Rehabilitierungsinteresse als schutzwürdig erscheinen (BVerfE 104, 220 ff = NJW 2002, 2456 ff). Eröffnet ist für die Fortsetzungsfeststellung in den Fällen, in denen eine richterliche Anordnung vorliegt, nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der nach dem FEVG vorgesehene Rechtsweg zu den Zivilgerichten (OLG Frankfurt am Main, OLGR 1993. 185 ff = NJW-RR 1994, 447 ff; Hess. VGH, NJW 1984, 821 ff = DÖV 1984, 522 ff; vgl. auch Meixner/ Fredrich, 10. Aufl. § 33 HSOG, Rn 8; Lisken/ Denninger/ Rachor, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., K.Rechtsschutz Rn 40 ff).

Die landgerichtliche Entscheidung kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Tatsachenfeststellung unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen (Art. 103 I GG) und der Amtsermittlungspflicht des Landgerichts (§ 12 FGG) zustande gekommen ist. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Betroffene der Darstellung der der Ingewahrsamnahme vorausgegangenen Vorgänge in dem Vermerk des Antragstellers vom 12.02.2007 nicht widersprochen habe. Dieses durfte das Landgericht aber nicht unterstellen, denn der Betroffene hatte zuvor sowohl seine Trunkenheit verneint, als auch die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten. Er hat auch bestritten, dass er sich den Beamten gegenüber widersetzlich benommen hatte. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene von diesem Vortrag abgerückt sein könnte. Dies hat der Betroffene mit seinem am 09.03.2007 beim Landgericht eingegangenen Vortrag bekräftigt. Dieser Vortrag war nicht verspätet. Das Landgericht hatte dem Betroffenen keine Frist zur Erwiderung gesetzt, sondern ihm den Vermerk mit der Anfrage übersandt, ob das Rechtsmittel aufrechterhalten werde. Die richterliche Übersendungsverfügung ist am 19.02.2007 ausgeführt worden. Der Betroffene brauchte nicht damit zu rechnen, dass er mit seiner Erwiderung vom 08.03.2007, eingegangen beim Landgericht am 09.03.2007, kein Gehör mehr finden würde, sondern das Landgericht bei seiner Entscheidung davon ausgehen würde, er bestreite die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht mehr.

Zutreffend hat das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung zunächst dahingehend ausgelegt, dass das Amtsgericht sowohl über die Zulässigkeit der polizeilichen Maßnahme als auch über die Fortdauer der Ingewahrsamnahme entschieden hat. Zwar enthält die amtsgerichtliche Entscheidung hierzu keine ausdrücklichen Ausführungen. Der Doppelcharakter der gerichtlichen Entscheidung ergibt sich aber aus § 33 I HSOG, wonach die richterliche Entscheidung sich auf die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung zu erstrecken hat. Dies bedeutet, dass sowohl über die Rechtmäßigkeit der bisherigen Freiheitsentziehung durch die Polizeibehörde als auch über die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung eine Entscheidung zu treffen ist (Meixner/ Fredrich, 10. Aufl. § 33 HSOG, Rn 5; vgl. für die vergleichbare Regelung des § 20 thüring. PAG Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 14.10.1998, Az. 6 W 243/98, Jurisdok.; anders bei der behördlichen Ingewahrsamnahme bei Abschiebehaft vgl. OLG München, Beschluss vom 17.05.2006, 34 Wx 25/06, Jurisdok.). Dass das Amtsgericht hiervon abweichend nur eine Teilentscheidung treffen wollte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.

Nicht zu folgen ist dem Landgericht jedoch bei seiner Einschätzung, dass das Amtsgericht mit zutreffenden Gründen die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme und die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet habe. Abgesehen davon, dass das Landgericht selbst weitere Nachforschungen für erforderlich gehalten hat, enthält die amtsgerichtliche Entscheidung keinerlei Tatsachenfeststellung, sondern lediglich als Begründung einen Satz, nämlich, dass nach dem derzeit ermittelten Sachverhalt die Verwahrung erforderlich sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Worauf diese Annahme im Einzelnen beruht, bleibt im Dunklen, ebenso in welchem Zustand sich der Betroffene im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung konkret befunden hat. Hier fehlt sowohl in dem Beschluss als auch in den Akten jegliche Zustandsbeschreibung des Betroffenen. Insoweit leidet die amtsgerichtliche Entscheidung an einem schweren Mangel, denn der Richter hat selbst die Tatsachen festzustellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (vgl. BVerfG, FGPrax 2007, 39 ff).

§ 32 HSOG sieht in den hier nur in Betracht kommenden Alternativen vor, dass die Polizeibehörden eine Person in Gewahrsam nehmen können, wenn dies zum Schutze der Person gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet (§ 32 I Nr. 1 HSOG). Die Person muss also entweder nicht mehr in der Lage sein, einen Willensentschluss zu fassen, oder falls sie hierzu noch imstande ist, diesem Entschluss entsprechend zu handeln, z.B. bei schweren Rauschzuständen (Meixner/ Fredrich, 10. Aufl. § 32 HSOG, Rn 7). Der Antragsteller geht zwar von solch einem Zustand aus. Dies begegnet indessen Bedenken, weil der Betroffene andererseits vom Antragsteller als kommunikationsfähig und jedenfalls als reaktionsfähig, ja als aggressiv und überheblich beschrieben wird.

Desweiteren ist eine Ingewahrsamnahme zulässig, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern (§ 32 I Nr. 1 HSOG). Da das Instrument des Gewahrsams während der Nazizeit äußerst massiv missbraucht wurde, sollte es durch die Tatbestandsmerkmale " unerlässlich" und " unmittelbar bevorstehend" rechtlich unmöglich gemacht werden, dass die Vorschrift zu einer Ermächtigung zum sog. Vorbeugegewahrsam (früher: Schutzhaft) ausgeweitet wird (Hornmann, § 32 HSOG Rn 16 und 3). Unerlässlich ist nicht gleichbedeutend mit erforderlich, sondern geht darüber hinaus. Eine Maßnahme ist nur dann unerlässlich, wenn die Gefahrenabwehr nur auf diese Weise möglich und nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar ist (Hornmann, § 32 HSOG Rn 17). Die richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung ist darüber hinaus unverzüglich herbeizuführen (§ 33 I HSOG).

Der Betroffene ist nicht bei der Begehung einer Straftat ertappt worden. Die Antragstellerin hat vor dem Landgericht sogar ausdrücklich vorgetragen, dass zum Zeitpunkt der Sistierung und Ingewahrsamnahme keine konkreten Hinweise auf Straftaten vorgelegen hätten, weswegen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf eine Blutentnahme zur Feststellung des Trunkenheitsgrads verzichtet worden sei. Der Betroffene hat auch nicht eingeräumt, Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten geplant oder begangen zu haben. Die Vorinstanzen haben keinerlei Feststellungen darüber getroffen, zur Unterbindung welcher konkreten Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten der Betroffene weiter festgehalten werden sollte. Auch die vorgebrachten polizeilichen Verdachtsmomente beschränken sich insgesamt im Ergebnis nur auf die Möglichkeit, dass der Betroffene alkoholbedingt enthemmt Sachbeschädigungen begehen oder im Straßenverkehr sich und andere gefährden könnte.

Der vom Antragsteller dem Senat vorgelegten Aussage des Kioskbesitzers lässt sich entnehmen, dass dieser die Polizei angerufen hatte, weil er den Eindruck hatte, dass vier oder fünf volltrunkene junge Männer außer Rand und Band geraten waren. Er hat ausgesagt, die Personen, die er wegen der Dunkelheit im Einzelnen nicht beschreiben konnte, hätten begonnen, gegen seine aufgestellten Schilder zu urinieren und zu treten. Beschädigt worden seien die robusten Schilder allerdings nicht. Als schließlich einzelne Teilnehmer der Gruppe sich sogar auf die Fahrbahn gelegt hätten, habe er die Polizei angerufen. Sofern es sich bei dem Betroffenen und seinen Begleitern um die nämlichen jungen Leute handelte bzw. die Polizei davon ausgehen durfte, was der Betroffene wohl in Abrede stellt, spricht zwar einiges dafür, dass der Betroffene bei seinem Aufgreifen im Straßenverkehr für sich und andere eine erhebliche Gefahr bildete und möglicherweise auch, dass er aufgrund der alkoholbedingten Enthemmung zu gewalttätigen Übergriffen neigte. Das Landgericht hat jedoch hierzu keine ausreichenden Feststellungen getroffen und sich mit dem Vorbringen des Betroffenen nicht hinreichend auseinandergesetzt.

Völlig unklar ist außerdem, in welchem Zustand sich der Betroffene in dem Zeitpunkt befunden hat, in dem sich der erstinstanzliche Richter mit dem Fall befasst hat. Dies dürfte nach der Aktenlage ca. 4 Stunden nach dem Aufgreifen des Betroffenen geschehen sein. Erfahrungsgemäß pflegt sich der Zustand eines Angetrunkenen oder Betrunkenen innerhalb einer solchen Frist zu ändern. Möglicherweise hätte es völlig gereicht, den Betroffenen kurzzeitig festzuhalten und ihm dann seine Heimkehr freizustellen, so dass es gar keiner richterlichen Entscheidung bedurft hätte (§ 33 I S. 2 HSOG). In diesem Fall wäre im Übrigen auch die Zuständigkeit für eine etwaige Feststellung über die Rechtmäßigkeit des Polizeihandelns beim Verwaltungsgericht geblieben und nicht - wie hier - auf das Amtsgericht übergegangen. Keine Feststellungen sind auch zu dem Erfordernis der Freiheitsentziehung bis um 12.00 Uhr, also bis ca. sechs Stunden nach der Festnahme des Betroffenen getroffen worden. Es ist nicht nachprüfbar, weshalb mit einem Wegfall der Gefahr erst innerhalb von weiteren zwei Stunden und nicht früher gerechnet werden konnte. Hinsichtlich der amtsgerichtlichen Entscheidung ist außerdem anzumerken, dass nicht ersichtlich ist, dass der in Art. 104 IV GG normierten Benachrichtigungspflicht entsprochen wurde bzw. warum dies nicht geschah.

Das Landgericht wird nunmehr erneut Feststellungen zu treffen haben, welcher Sachverhalt sich der Polizei bei ihrem Eingreifen geboten hat und ob dieser Sachverhalt zu der Ingewahrsamnahme durch die Polizei und zu der richterlichen Entscheidung berechtigte. Bei der Überprüfung der Freiheitsentziehung durch den Richter könnte es auch darauf ankommen, von welchem Sachverhalt der Richter ausgegangen ist oder ausgehen durfte. Unklar ist insoweit insbesondere, welchen Inhalt das in der richterlichen Verfügung vom 17.10.2006 erwähnte und dem richterlichen Beschuss vorausgegangene Telefonat mit der Polizei hatte, über dessen Inhalt keine nachvollziehbaren Aufzeichnungen vorhanden sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellungen, warum eine Anhörung nicht erfolgen konnte, zumal der Antragsteller selbst vorgebracht hat, der Betroffene sei kommunikationsfähig gewesen. Das Landgericht wird - sofern sich der angegriffene amtsgerichtliche Beschluss hinsichtlich der angeordneten Fortdauer der Verwahrung nicht schon aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist - zu prüfen haben, ob nicht bereits die fehlende Anhörung des Betroffenen insoweit die Rechtswidrigkeit der richterlichen Entscheidung nach sich zieht. Zu überprüfen wird gegebenenfalls auch sein, ob von einer unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung i.S.v. § 33 I HSOG ausgegangen werden kann.

Ende der Entscheidung

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