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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 06.09.2002
Aktenzeichen: 20 W 152/02
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 16 I
Im Beschwerdeverfahren ist die Mitteilung eines Beratungsergebnisses an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nicht ohne weiteres mit der Bekanntgabe des Beschlusses i. S. v. § 16 I FGG gleichzusetzen.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 152/02

Verkündet am 06.09.2002

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 4) gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 14.08.2001

am 06.09.2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 4) wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zu neuer Aufklärung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht wird auch darüber zu befinden haben, wer die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde zu tragen haben wird.

Der Beteiligten zu 1) und dem Beteiligten zu 4) wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde bewilligt.

Der Beteiligten zu 1) wird Rechtsanwalt S., dem Beteiligten zu 4) Rechtsanwältin K. beigeordnet.

Gründe:

Die nicht unvermögende verwitwete Erblasserin ist am 04.02.1996 verstorben. Die Beteiligten zu 1) -3) sind ihre nächsten Verwandten. Der Beteiligte zu 4) hat die Erblasserin einige Zeit vor ihrem Tod kennengelernt und ist später in ihr Haus gezogen. Er hat über die Betreuerin der Erblasserin ein handschriftliches Testament mit Datum vom 13.08.93 vorgelegt, in dem angeordnet ist, dass er der Alleinerbe der Erblasserin sein soll. Die Echtheit dieses Testaments ist von der Beteiligten zu 1) angezweifelt worden. Sie hat vorgebracht, die Erblasserin habe außer Unterschriften praktisch keine eigenständigen Schreibleistungen vollbracht. Das Testament ist von der Schriftsachverständigen Prof. Dr.H. als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eigenhändig von der Erblasserin geschrieben eingestuft worden. Nach und nach sind weitere Schriftstücke aufgetaucht, zunächst ein weiteres handschriftliches Testament vom gleichen Tag. Dieses soll nach dem vom Amtsgericht eingeholten weiteren Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr.H. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Erblasserin stammen. Der danach vom Amtsgericht mit der Begutachtung beauftragte Sachverständige J. ist zu dem Ergebnis gekommen, dass alle mit dem 13.08.1993 datierten Testamente von der Erblasserin weder eigenhändig niedergeschrieben noch unterschrieben worden sind. Das Amtsgericht hat schließlich durch Beschluss vom 19.12.1999 den Antrag des Beteiligten zu 4), ihm einen Erbschein auszustellen, der ihn als Alleinerben ausweist, zurückgewiesen. Dagegen hat der Beteiligte zu 4) Beschwerde eingelegt. Diese hat das Landgericht aufgrund einer Beratung vom 14.08.2001 abgelehnt und das Beratungsergebnis vorab der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 4) fernmündlich mitgeteilt. Der schriftliche Beschluss ist im März 2002 zu den Akten gelangt und dem Beteiligten zu 4) am 11.03.2002 zugegangen. Zwischenzeitlich hatte der Beteiligte zu 4) ein Privatgutachten zu den Gerichtsakten gereicht, das zu dem Ergebnis kommt, dass unter Vorbehalt seiner eingeschränkten Untersuchungsmöglichkeiten (nur Kopien statt Originale) seine Feststellungen mit denen der Sachverständigen Frau Prof. Dr.H. übereinstimmten.

Gegen den landgerichtlichen Beschluss hat der Beteiligte zu 4) weitere Beschwerde eingelegt. Er rügt, dass sich das Landgericht auf den Standpunkt gestellt habe, mit der Bekanntmachung der Entscheidung durch den Telefonanruf am 14.08.2001 sei der Beschluss wirksam geworden. Es sei verfahrensfehlerhaft, dass ihm der mit Gründen versehene Beschluss erst am 11.03.2002 zugestellt worden sei. § 18 FGG sei nicht zutreffend angewendet. Das Landgericht hätte sich mit dem Privatgutachten auseinandersetzen müssen. Das Landgericht sei außerdem von falschen Daten bei den Vergleichsschriften ausgegangen. Insgesamt sei die Einholung eines Obergutachtens erforderlich gewesen.

Die Beteiligte zu 1) verteidigt den angegriffenen Beschluss. Sie legt ein Privatgutachten vor, das zu dem Ergebnis kommt, dass erhebliche Zweifel an der Echtheit der vorliegenden vier Testamente bestehen.

Das Rechtsmittel des Beteiligten zu 4) ist mit dem Ziel der Einziehung des den Beteiligten zu 1) -3) zwischenzeitlich erteilten Erbscheins unter weiterer Verfolgung seines Antrags auf Erteilung eines Alleinerbscheins zulässig. Es führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses.

Das Landgericht hat das rechtliche Gehör des Beteiligten zu 4) unzulässig verkürzt, indem es das nach dem 14.08.2001 eingegangene Vorbringen des Beteiligten zu 4) nicht mehr berücksichtigt hat. Das Gericht ist im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu dem das Erbscheinserteilungsverfahren gehört, verpflichtet, Vorbringen der Beteiligten auch dann zu beachten, wenn es nach Ablauf der gesetzten Erklärungsfrist oder nach Fertigung, aber vor Herausgabe der Entscheidung einläuft (Art. 103 I GG; BVerfG, NJW 1988,1963).

An dieser Verpflichtung ändert auch die am 14.08.2001 erfolgte Bekanntgabe des Beratungsergebnisses nichts, denn diese stellt keine Herausgabe der Entscheidung dar. Vorliegend ist weder die Kammerberatung, der keine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist, noch ihr Inhalt, noch die Bekanntgabe an die Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 4) in den Akten festgehalten worden. Es findet sich unter dem 14.08.2001 nur ein Aktenvermerk der Berichterstatterin, dass der Verfahrensbevollmächtigten eine zweiwöchige Frist gewährt worden sei, um mit dem Beteiligten zu 4) eine eventuelle Beschwerderücknahme zu besprechen. Im Erbscheinerteilungsverfahren genügt zwar eine einfache Bekanntmachung der getroffenen Entscheidung, da es insoweit keine speziellen gesetzlichen Formvorschriften gibt (§§ 16, 72 ff FGG, 2353 ff BGB). Deswegen können grundsätzlich auch mündliche Entscheidungen ohne schriftliche Niederlegung und Bekanntmachungsvermerk wirksam werden (Bassenge/ Herbst/ Roth, FGG, RpflG, 9. Aufl 2002, § 16 Rn 4). Es fragt sich aber, ob dies auch für Entscheidungen gilt, die durch ein Kollegialorgan ergehen, oder ob hier nicht aus Gründen der Rechtssicherheit in Anlehnung an den Zivilprozess wenigstens eine schriftliche Niederlegung des Beschlusstenors versehen mit den Unterschriften der beteiligten Richter vorliegen muss. Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann jedoch dahinstehen, da das Telefongespräch der Berichterstatterin am 14.08.2001 nicht als Bekanntgabe eines die Beschwerde zurückweisenden Beschlusses angesehen werden kann. Die ausweislich des Aktenvermerks mit der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 4) besprochene eventuelle Beschwerderücknahme wäre ins Leere gegangen, wenn der landgerichtliche Beschluss bereits durch das Telefonat wirksam geworden wäre, denn eine Rücknahme der Beschwerde nach Beendigung des Rechtszuges ist nicht mehr möglich. Die telefonische Bekanntgabe des Beratungsergebnisses kann daher nur als eine Vorabmitteilung eines vorläufigen Beratungsergebnisses verstanden werden mit dem Ziel, einen Verfahrensabschluss durch Rücknahme der Beschwerde zu erreichen, zumal die Bekanntgabe weder in zeitlich vertretbarer Nähe zur schriftlichen Niederlegung des Beratungsergebnisses erfolgt und auch die alsbaldige Bekanntgabe des Beschlusses an die anderen Beteiligten unterblieben ist.

Nur nebenbei bemerkt der Senat, dass für den Fall, dass das Telefonat über das Beratungsergebnis bereits als Herausgabe des Beschlusses anzusehen gewesen wäre, die landgerichtliche Entscheidung ebenfalls hätte aufgehoben werden müssen. Wenn das Landgericht mit der bloßen telefonischen Mitteilung die Instanz hätte beenden wollen, dann hätte es ohne vertretbaren Grund den Zeitpunkt vorverlegt, zu dem Beteiligte im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit noch Einfluss auf das Verfahren nehmen können. Dadurch wäre ohne gesetzliche Ermächtigung der Rechtsschutz des Beteiligten zu 4) unzulässig verkürzt worden. Beschlüsse der Beschwerdegerichte bedürfen der schriftlichen Begründung, weil sie nur so ihren Zweck erfüllen können, dem Gericht der weiteren Beschwerde die richtige Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen (§ 25 FGG, Keidel/ Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl. 1999, § 16 Rn 4). Üblicherweise werden diese Beschlüsse, wenn sie mit Gründen und den Unterschriften der beteiligten Richterinnen bzw. Richter versehen sind, durch Hinausgabe über die Geschäftsstelle den Beteiligten bekannt gemacht, wodurch sie dann wirksam werden (§161 FGG). Wie oben schon dargelegt, ist das Gericht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit verpflichtet, Vorbringen der Beteiligten auch dann zu beachten, wenn es nach Ablauf der gesetzten Erklärungsfrist oder nach Fertigung, aber vor Herausgabe der Entscheidung bei Gericht ankommt. Dieser Verpflichtung kann sich das Gericht nicht durch eine vorzeitige Bekanntgabe des Beratungsergebnisses entziehen. Ob im Einzelfall die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung eine telefonische Bekanntgabe erfordern kann, braucht hier nicht erörtert zu werden, denn ein solcher Ausnahmefall lag hier nicht vor.

Das Landgericht hat zudem die vom Amtsgericht erhobenen Beweise nicht ausreichend gewürdigt. Es hätte sich insbesondere mit der Kritik des Beteiligten zu 4) am Gutachten J. auseinandersetzen müssen. Dabei kann für die Entscheidung über die weitere Beschwerde noch dahinstehen, ob der Sachverständige J. den falschen Eindruck hervorgerufen hat, er sei noch öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger und ob dies einen Qualitätsmangel des Gutachtens darstellt. Das Landgericht hätte aber auf die ausführliche Beschwerdebegründung des Beteiligten zu 4) gegen das methodische Vorgehen des Sachverständigen J. ebenso eingehen müssen wie auf die Beurteilung des Sachverständigengutachtens J. durch die Sachverständige Prof. Dr. H.

Das Landgericht ist der Sachverständigen Prof. Dr.H. nicht gefolgt, weil diese nicht nur die mit Sicherheit von der Erblasserin stammenden Unterschriften, sondern auch die strittigen weiteren Testamente, den Nachtrag zum Testament und eine privatschriftliche Kontovollmacht als Vergleichsmaterial herangezogen hat. Dieser Umstand trägt vorliegend die Ablehnung des Gutachtenergebnisses nicht, denn die Sachverständige hat in ihrer Gutachtenerläuterung vom 02.05.1997 zwischen den Vergleichsschriften V 1 -16 (Unterschriften der Erblasserin) und den Vergleichsschriften V17- 21 (letztwillige Verfügung vom 17.05.1991, weitere Testament vom 13.08.1991, Nachtrag zum Testament vom 23.07.1994) differenziert.

Der landgerichtliche Beschluss enthält keine Feststellungen darüber, ob die Unterschriften V1 bis 16, wie sie die Sachverständige Prof. Dr.H. zugrundegelegt hat, nicht von der Erblasserin stammen. Sollten sie aber von der Erblasserin stammen, ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Gutachten J. nur auf eine schmalere Vergleichsbasis gestellt wurde.

Das Landgericht hat weiter festgestellt, es komme auf die unterschiedlichen Aussagen der den Beteiligten unterschiedlich nahestehenden Zeugen nicht mehr an, da an dem Ergebnis des Sachverständigen J. keine Zweifel bestünden. Diese Ausblendung des Ergebnisses der übrigen Beweisaufnahme des Amtsgerichts steht im Widerspruch zu der getroffenen Feststellung des Landgerichts, dass die Testamente unter fragwürdigen Umständen eingereicht worden seien, was für die Richtigkeit des Sachverständigen J. spreche. Eine solch selektives Herausgreifen von Einzelumständen lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht mit dem gesamten Sachverhalt auseinandergesetzt hat. Das Herausgreifen verfolgt lediglich die Tendenz des Gutachtens J., der gemeint hat, die später zu den Akten gegebenen Testamente und der Nachtrag ließen auf einen Lernprozess schließen. Dies mag sich möglicherweise bei einer weiteren Aufklärung des Falles so herausstellen, die vom Landgericht gezogene Schlussfolgerung ist so jedoch nicht gerechtfertigt, denn einmal gibt es keinen Erfahrungssatz, dass später eingereichte Urkunden gefälscht sind, zum anderen darf das Gericht seine Tatsachenfeststellung nur unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrensinhaltstreffen ( Bassenge/ Herbst/ Roth, FGG, RpflG, 9. Aufl. 2002, § 12 FGG, Rn 7 m. w. N.). Bei dem isolierten Herausgreifen des Auftauchens bzw. Einreichens von weiteren letztwilligen Verfügungen hat das Landgericht beispielsweise den Umstand völlig außer Acht gelassen, dass die Betreuerin der Erblasserin bekundet hat, die Erblasserin habe ihr gegenüber geäußert, der Beteiligte zu 4) bekomme doch alles. Das lässt es zumindest möglich erscheinen, dass die Erblasserin selbst von dem Vorhandensein einer den Beteiligten zu 4) begünstigenden letztwilligen Verfügung ausgegangen ist.

Die in den Raum gestellte mögliche Lernleistung bei der Verfassung der weiteren letztwilligen Verfügungen durch eine andere Person wirft die weitere, bislang nicht beantwortete Frage auf, ob diese Annahme sich mit bekannten Tatsachen des vorliegenden Falls verträgt, insbesondere ob die erforderliche Lernleistung in so kurzer Zeit erbracht werden konnte bzw. auf welcher Grundlage die Lernleistung erfolgt sein soll. Die Erblasserin soll es vermieden haben zu schreiben. Vergleichsunterschriften sind vor Erstattung des Sachverständigengutachtens von der Beteiligten zu 1) in Kopie beigebracht worden. Es handelt sich um Kopien von Unterschriften, welche die Erblasserin bei der Volksbank geleistet hatte. Die Originalvergleichsunterschriften sind wohl von der Sachverständigen und dem Gericht von der Bank bzw. der Stadt Mühlheim beschafft worden. Das Gutachten H. ist am 15.07.1996 an die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten gesandt worden. Am 24.07.1996 befand sich das zweite Testament bereits bei der Gerichtsakte.

Das Landgericht wird auch darüber zu befinden haben, ob es vorliegend nicht- wie der Beteiligten zu 4) vorgebracht hat - Sachverständige mit besseren Forschungsmitteln, etwa vom BKA, gibt (vgl. hierzu auch, Hecker, Das Handschriftengutachten als Sachbeweis, NStZ 1990, 463 ff). Dabei könnte es auch erforderlich werden, etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen der Erblasserin festzustellen und in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Dem Senat liegt die Betreuungsakte nicht vor. Der Senat weist deshalb nur am Rande zusätzlich auf Folgendes hin: Das Landgericht hat in seinem Beschluss vom 14.03.1998 (Bl. 356 ff d. A.), durch den es den dem Beteiligten zu 4) günstigen Vorbescheid des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zu neuer Aufklärung an das Amtsgericht zurückverwiesen hatte, den Hinweis für erforderlich gehalten, dass eventuell ein Sachverständigengutachten zur Frage der Testierfähigkeit eingeholt werden müsse.

Die Prozesskostenhilfebewilligung beruht auf §§ 14 FGG, 114 ff ZPO. Ratenzahlung war aufgrund der derzeitigen jeweiligen finanziellen Verhältnisse nicht festzusetzen. Sobald die Erbschaft feststeht, wird die Rückzahlung der jeweils bewilligten Prozesskostenhilfe durch den jeweiligen Erben anzuordnen sein.

Ende der Entscheidung

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