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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 03.09.1991
Aktenzeichen: 20 W 262/91
Rechtsgebiete: ZPO, BVerfGG


Vorschriften:

ZPO § 57
ZPO § 516
ZPO § 552
ZPO § 568 Abs. 2
ZPO § 568 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 569 Abs. 2 Satz 2
BVerfGG § 31 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

In dem Verfahren C 1237/87 des Amtsgerichts Friedberg ist durch Beschluß vom 03.01.1989 der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Entmündigung des Schuldners zurückgewiesen worden.

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner das Verwaltungszwangsverfahren wegen vollstreckbarer Gerichtskostenforderungen in Höhe von insgesamt 308,50 DM, von denen 123,-- in dem Mietrechtsstreit C 1812/89 des Amtsgerichts Friedberg entstanden sind. In dem auf den 14.11.1990 anberaumten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist der Schuldner erschienen und hat seine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestritten. Zur Begründung des Widerspruchs hat er vorgetragen, daß bei ihm ein Vollstreckungsversuch bisher nicht stattgefunden habe, daß er in 2 Strafverfahren als schuldunfähig und in 2 Zivilprozessen als prozeßunfähig angesehen worden sei, daß er haftunfähig sei, und daß der Streitwert in dem Mietrechtsstreit C 1812/89 AG Friedberg zu hoch festgesetzt worden sei. Die Rechtspflegerin hat den Widerspruch durch den im Termin vom 14.11.1990 verkündeten Beschluß verworfen mit der Begründung, die Einwendungen des Schuldners richteten sich gegen die vom Gläubiger als vollstreckbar bezeichneten Gerichtskostenforderungen selbst und könnten deshalb im Vollstreckungsverfahren nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Der Beschluß ist in dem von der Rechtspflegerin verwendeten Formular ZP 332 (Protokoll über den Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung) vorgedruckt und von der Rechtspflegerin in dem Protokoll in der Weise festgestellt, daß sie das links neben dem Formular befindliche, ebenfalls vorgedruckte Kästchen angekreuzt hat.

Gemäß der Verfügung der Rechtspflegerin vom 19.11.1990 ist dem Schuldner eine einfache Protokollabschrift am 23.11.1990 zugestellt worden. Unter dem 19.12.1990 hat die Rechtspflegerin neuen Termin zur Abgabe der eideststattlichen Versicherung durch den Schuldner auf den 06.03.1991 anberaumt. Diesen Termin hat sie auch wegen einer Antragserweiterung des Gläubigers vom 21.01.1991 am 05.02.1991 bestimmt. Die Ladungen zu diesem Termin sind dem Schuldner am 18.01. und 07.02.1991 zugestellt worden. In dem Termin vom 06.03.1991 ist der Schuldner nicht erschienen. Am 13.06.1991 hat der Vollstreckungsrichter bei dem Amtsgericht Friedberg die Haft gegen den Schuldner angeordnet, um die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu erzwingen. Gegen diesen ihm Anfang Juli 1991 bekanntgewordenen Beschluß hat der Schuldner mit Schriftsatz vom 10.07.1991 sofortige Beschwerde eingelegt. Durch Beschluß vom 23.07.1991 hat das Landgericht die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen seines Beschlusses hat es aufgeführt, der Schuldner sei prozessfähig, weil er weder wegen Geisteskrankheit noch aus einem anderen Grunde entmündigt sei. Der Schuldner hat gegen diesen Beschluß, der ihm am 26.07.1991 zugestellt worden ist, mit dem an das Landgericht gerichteten und dort am 09.08.1991 eingegangenen Schriftsatz vom 08.08.1991 sofortige Beschwerde eingelegt, der er unter dem 13.08.1991 eine weitere Begründung hat folgen lassen.

Die nach § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO dem Anwaltszwang nicht unterliegende, auch fristgerecht eingelegte (§ 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO) sofortige weitere Beschwerde des Schuldners ist an sich statthaft (§§ 568 Abs. 2 Satz 1, 793 Abs. 2 ZPO) und auch sonst zulässig. Für das Verfahren der weiteren Beschwerde kommt es dabei nicht abschließend darauf an, ob der Schuldner prozeßfähig ist oder nicht. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist nämlich das Rechtsmittel der Partei, die sich dagegen wendet, von der Vorinstanz zu Unrecht sei es als prozeßfähig, sei es als prozeßunfähig behandelt worden zu sein ohne Rücksicht darauf zulässig, ob sie die sonst für die Prozeßfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen aufweist (BGH NJW 1990, 1734 ff. m.w.N.; vgl. auch OLG Stuttgart NJW-RR 1991, 832). Die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO eines neuen selbständigen Beschwerdegrundes ist auch erfüllt. Zwar stimmen die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts im Ergebnis überein, weil das Landgericht die Erstbeschwerde des Schuldners als unbegründet zurückgewiesen hat. Gleichwohl ist ein neuer selbständiger Beschwerdegrund gegeben, weil das landgerichtliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und die angefochtene Entscheidung des Landgerichts auf diesem Mangel beruht. Nach der gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es geboten, § 568 Abs. 2 ZPO in dem Sinne auszulegen, daß ein neuer selbständiger Beschwerdegrund gegeben ist, wenn die Entscheidung der Vorinstanz infolge einer Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Artikel 103, Abs. 1 GG) zustandtgekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 252/256 = NJW 1979, 538; BVerfG NJW 1988, 1773 = ZIP 1988, 1409). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senat in ZIP 1980, 175; Senat in MDR 1981, 411).

Das Landgericht hat den Anspruch des Schuldners auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Die Garantie des rechtlichen Gehörs gebietet, daß das Gericht das tatsächliche Vorbringen der Parteien und den sonstigen aktenkundigen Sachverhalt zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BVerfGE 47, 182/187; 54, 86/92; OLG Hamm OLGZ 1984, 463 = WM 1984, 1378 = MDR 1984, 947) . Das ist hier nicht in vollem Umfang geschehen. Das Landgericht hat ausgeführt, der Schuldner sei im Termin vom 06.03.1991 zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet gewesen, weil dieser Termin erst nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses vom 14.11.1990 anberaumt worden sei, durch den der vom Schuldner im Termin vom 14.11.1990 erhobene Widerspruch verworfen worden ist. Dabei hat es jedoch unerörtert und ersichtlich auch unberücksichtigt gelassen, daß der Beschluß vom 14.11.1990 dem Schuldner nicht wirksam zugestellt worden und die Frist zu dessen Anfechtung durch den Schuldner damit nicht in Lauf gesetzt worden ist (§§ 11 Abs. 1 Satz 2 RpflG, 187 Satz 2 ZPO). Dem Schuldner ist nämlich weder eine Ausfertigung noch eine beglaubigte Abschrift, sondern durch Übermittlung des Protokolls vom 14.11.1990 nur eine nicht beglaubigte Abschrift jenes Beschlusses zugestellt worden. Die Zustellung ist daher unwirksam gewesen (§§ 170, 208, 210, 329 ZPO: vgl. Zöller/Schneider ZPO 16. Aufl. § 577 Rdn. 9; Thomas/Putzo ZPO 16. Aufl., Vorbemerkung § 166 Anm. IV 2). Eine Heilung der unwirksamen Zustellung ist hier nicht möglich (§ 187 Satz 2 ZPO).

Der Verfahrensverstoß des Landgerichts ist wesentlich, weil er zu einer anderen Sachentscheidung führt, wie unten noch dargelegt wird. Er ist auch neu, obwohl schon das Amtsgericht nicht berücksichtigt hat, daß dem Schuldner nur eine nicht beglaubigte Abschrift des Beschlusses vom 14.11.1990 zugestellt worden ist. Nach allgemeiner, vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretener Ansicht entspricht es dem Gesetzeszweck des § 568 Abs. 2 ZPO, daß ein neuer selbständiger Beschwerdegrund auch dann vorliegt, wenn beide Vorinstanzen die Auseinandersetzung mit einer Tat- oder Rechtsfrage fehlerhaft, etwa auf Grund der Verletzung der Aufklärungspflicht oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör unterlassen haben (OLG Köln MDR 1981, 591 = Rpfleger 1981, 311; OLG Hamm a.a.O.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 49. Aufl. § 568 Anm. 2 Bc; Zöller/Schneider a.a.O. § 568 Rn. 20; Thomas/Putzo a.a.O. § 568 Anm. 3 a).

Die danach zulässige sofortige weitere Beschwerde des Schuldners ist in der Sache begründet. Das Landgericht hat zwar die Zulässigkeit der sofortigen Erstbeschwerde zutreffend bejaht. Eine mögliche partielle Geschäftsunfähigkeit des Schuldners steht dem nicht entgegen. Auch einem Prozeßunfähigen kann nämlich nicht das Recht abgesprochen werden, sich gegen einen gegen ihn ergangenen Haftbefehl zur Wehr zu setzen. Dies folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eines betroffenen Schuldners (Artikel 1 GG), das insoweit keiner weiteren Einschränkung unterworfen werden kann. Das Landgericht hat der Erstbeschwerde des Schuldners aber zu Unrecht den Erfolg versagt.

Die Anordnung der Haft gegen einen Schuldner, der wie im Streitfall trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestimmten Termin nicht erscheint, setzt auch voraus, daß die Offenbarungspflicht des Schuldners im Termin besteht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O., § 901, Anm. 2 B; Zöller/Stöber a.a.O., § 901 Rn. 3). Diese Voraussetzung war hier am 06.03.1991 nicht erfüllt. Da der Schuldner in dem ersten Termin vom 14.11.1990 Widerspruch erhoben hatte, war er zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im zweiten Termin vom 06.03.1991 nur dann verpflichtet, wenn zu diesem Zeitpunkt die am 14.11.1990 verkündete Entscheidung über den Widerspruch rechtskräftig war (§ 900 Abs. 5 Satz 2 ZPO). Das aber war nicht der Fall, weil die am 23.11.1990 an den Schuldner bewirkte Zustellung jener Entscheidung nicht wirksam war, wie oben bereits ausgeführt worden, ist. Unerheblich ist, daß der Beschluß der Rechtspflegerin vom 14.11.1990 im Zeitpunkt des Erlasses des Haftanordnungsbeschlusses vom 13.06.1991 deshalb rechtskräftig war, weil nach jetzt allgemeiner, auch vom Senat (in 20 W 386/89 vom 05.12.1989) gebilligter Ansicht die Vorschriften der §§ 516, 552 ZPO, wonach die Berufungs- und Revisionsfrist spätestens mit dem Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung des Urteils beginnt, auf verkündete, aber unwirksam zugestellte Beschlüsse entsprechend anzuwenden sind (Stein/Jonas/Grunsky ZPO 20. Aufl. § 577 Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O § 577 Anm. 2 Ab; Zöller/Schneider a.a.O. § 577 Rdn. 10, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; Thomas/Putzo a.a.G. § 577 Anm. 3 a bb), so daß die Frist von 2 Wochen zur Einlegung der befristeten Erinnerung gegen den Beschluß der Rechtspflegerin vorn 14.11.1990 für den Schuldner am 14.04.1991 in Lauf gesetzt worden und daher am Montag, dem 29.04.1991 abgelaufen ist. Die Haft darf nämlich nicht angeordnet werden, wenn eine Voraussetzung der Offenbarungspflicht erst nach dem Termin eintritt, weil der Termin dann noch gar nicht hätte stattfinden dürfen (Stein/Jonas/Münzberg a.a.O., § 901 Rdn. 9).

Nach alledem sind die Vorentscheidungen des Landgerichts vom 23.07.1991 und des Amtsgerichts vom 13.06.1991 aufzuheben. Für die weitere Behandlung der Sache durch das Amtsgericht bemerkt der Senat wegweisend folgendes. Nach dem Akteninhalt ist mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit auf eine partielle Geschäftsunfähigkeit des Schuldners für gerichtliche Verfahren und damit auf eine Prozeßunfähigkeit zu schließen. Aus den Akten ergibt sich nämlich, daß durch Urteil des Amtsgerichts Herborn vom 20.12.1979 der Schuldner vom Vorwurf der falschen Anschuldigung wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen worden ist, daß durch Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Limburg vom 09.07.1980 und durch Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Gießen vom 21.05.1986 je ein Ermittlungsverfahren gegen den Schuldner wegen Beleidigung wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden ist, daß dem Schuldner in den Zivilprozessen C 218/86 und C 1812/89 des Amtsgerichts Friedberg am 02.07.1986 bzw. am 06.06.1990 ein Prozeßpfleger nach § 57 ZPO beigeordnet worden ist und daß das Oberlandesgericht Frankfurt am Main durch seinen Beschluß 8 W 3/90 vom 07.02.1990 ein Rechtsmittel des Schuldners wegen Prozeßunfähigkeit als unzulässig verworfen hat. Darüber hinaus heißt es in dem in Fotokopie bei den Akten befindlichen Beschluß C 1237/87 des Amtsgerichts Friedberg vom 03.01.1989, durch den ein gegen den Schuldner gerichteter Entmündigungsantrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen worden ist, nach den Gutachten der ärztlichen Sachverständigen SV 1 und SV2 leide der Schuldner, der sich durch eine Sex- und Rauschgiftmafia sowie durch die mit dieser in Verbindung stehenden Behörden verfolgt fühle, an Wahnvorstellungen, weshalb er als partiell geschäftsunfähig anzusehen sei. Da einem prozeßunfähigen Schuldner eine eidesstattliche Versicherung nicht abgenommen werden darf und mithin deren Abgabe auch nicht durch den Erlaß eines Haftbefehls, durchgesetzt werden kann (vgl. Zöller/Stöber a.a.O. § 807 Rdn. 7 und § 901 Rdn. 7; Baumbauch/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 807 Anm. 4 D a und § 900 Anm. 4 C b; Thomas/Putzo a.a.O., § 807 Anm, 4 a und § 900 Anm. 1 b), wird das Amtsgericht vor Bestimmung eines neuen Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung den erheblichen Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit des Schuldners nachzugehen und notfalls diese Frage durch ein zeitnahes Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen aufzuklären haben. Dem Gläubiger gibt der Senat zu bedenken, ob die verhältnismäßig geringe, bisher offenbar nicht beitreibbare Gerichtskostenschuld angesichts der möglicherweise notwendig werdenden Ermittlungen die Aufrechterhaltung des Antrags auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung rechtfertigt, zumal auch für die Frage der Prozeßunfähigkeit der Grundsatz gilt, daß derjenige die Beweislast trägt, der aus behaupteten Prozeßvoraussetzungen Rechte herleitet (Zöller/Vollkommer a.a.O. § 56 Rdn. 9), was hier bedeutet, daß der Gläubiger die Bedenken an der Prozeßfähigkeit des von ihm in Anspruch genommenen Schuldners zu zerstreuen hat.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO die Wertfestsetzung auf den §§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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