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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 24.09.2004
Aktenzeichen: 20 W 291/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896
Für die zur Einrichtung einer sog. Zwangsbetreuung notwendige Feststellung, dass eine Betroffene ihren Willen krankheitsbedingt nicht frei bestimmen kann, reicht es nicht aus, dass der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, es lägen leichte Leistungseinschränkungen in Auffassungs- und Umstellungsvermögen, Denkschnelligkeit, Urteilsschärfe und im Bereich der Gedächtnisfunktionen vor, deren Ausmaß quasi noch im Bereich der Altersnorm liege.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 291/04

Entscheidung vom 24.09.2004

In dem Betreuungsverfahren

...

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 03. Mai 2004 am 24. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

Die gemäß § 69 g Abs. 1 Satz 1 FGG zulässige weitere Beschwerde, mit der sich die Enkel der Betroffenen weiterhin gegen die Bestellung der Betreuerin und deren Auswahl wenden, ist zulässig und führt auch in der Sache zunächst zum Erfolg, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Die vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Bestellung einer Betreuerin zu rechtfertigen.

Nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Betreuer von Amts wegen zu bestellen, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen (sog. Zwangsbetreuung) setzt neben diesen Anforderungen zusätzlich voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift jedoch aus der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 1896 BGB, da der Staat von Verfassungs wegen nicht das Recht hat, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu "bessern" oder zu hindern, sich selbst zu schädigen (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 209; OLG Hamm FG Prax 1995, 56; Senatsbeschluss in OLG-Report Frankfurt am Main 1997, 68; Damrau/ Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1896 BGB Rn. 31 ff; HK-BUR-Bauer § 1896 BGB Rn. 160 ff; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1896 BGB Rn. 182 ff). Die bisherigen Ermittlungen, insbesondere das vom Amtsgericht zunächst eingeholte Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... A vom 25. Februar 2003 und dessen auf Anforderung des Landgerichts erstelltes Ergänzungsgutachten vom 18. März 2004 reichen nicht aus, um auf der gebotenen abgesicherten Grundlage die Feststellung treffen zu können, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, ihren Willen frei zu bestimmen und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln.

Bereits der Beschluss des Landgerichts über die Einholung des Ergänzungsgutachtens vom 08. März 2004 erfasst die Voraussetzungen eine sog. Zwangsbetreuung nicht exakt, soweit dort die Frage aufgeworfen wird, ob der entgegenstehende Wille der Betroffenen unbeachtlich sei, weil sie krankheits-bedingt nicht in der Lage sei, die Notwendigkeit der Betreuung zu erkennen.

Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. A, auf welche das Landgericht sich im wesentlichen stützt, sind in sich nicht widerspruchsfrei und gehen von unzutreffenden Maßstäben aus. Sie sind deshalb zur Beurteilung der maßgeblichen Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Betroffene zu einer freien Willensbestimmung nicht in der Lage ist, nicht ausreichend. Aus dem Gutachten ergibt sich zunächst, dass den Schwerpunkt der Einschränkungen der Betroffenen, die langjährig an Zucker-, Fettstoffwechsel- sowie Herz- und Kreislauferkrankungen leidet, deren erhebliche, körperliche Beeinträchtigungen bilden und sie sich insbesondere auch innerhalb ihrer Wohnung nur noch mühsam fortbewegen kann. In seinem Untersuchungsbefund schildert der Sachverständige die Betroffene als bewusstseinsklar und in allen Qualitäten voll orientiert; sie weise keine inhaltlichen oder formalen Denkstörungen oder die Altersnorm überschreitende mnestische Einbußen auf. Des weiteren bescheinigt der Gutachter der Betroffenen eine durchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit, welche auf der Grundlage ihrer bereits früher diagnostizierten cerebrovaskulären Insuffizienz freilich gegenüber früheren Jahrzehnten an "Brillianz" verloren habe. Dies umschreibt er näher damit, dass die Betroffene ein wenig verlangsamt denke und reagiere und nicht mehr immer ganz kritisch bzw. selbstkritisch sei. Des weiteren vermutet der Sachverständige, dass die Betroffene die Feinheiten einer komplizierten Immobilien- und Vermögensverwaltung nicht mehr hinreichend sicher erfassen und nicht mehr kompetent hiermit umzugehen vermag. Diagnostisch geht der Gutachter von einer beginnenden sekundären Hirnarteriosklerose bzw. cerebrovaskulären Insuffizienz mit leichten Leistungseinschränkungen in Auffassungs- und Umstellungsvermögen, Denkschnelligkeit, Urteilsschärfe und im Bereich der Gedächtnisfunktionen aus, wobei das Ausmaß dieser Leistungsmängel bei der 77jährigen Betroffenen "quasi noch im Bereich der Altersnorm" liege und der Betroffenen auch bewusst sei, da sie durchaus das Risiko erkenne, notwendige Aufgaben der komplizierten Vermögens- und Immobilienverwaltung allein ihren beiden noch jungen, wenig lebenserfahrenen Enkeln zu übertragen. Wenn der Sachverständige auf der Grundlage dieser Feststellungen den entgegenstehenden Willen der Betroffenen als unbeachtlich einstuft, deutet dies auf ein Verständnis der Voraussetzungen einer Zwangsbetreuung hin, welches mit den rechtlichen Vorgaben nicht im Einklang steht. Das Landgericht wird deshalb gemäß § 12 FGG den Sachverhalt durch die Einholung eines anderen Sachverständigengutachtens bezüglich der hier maßgeblichen Frage weiter aufklären müssen, ob und gegebenenfalls für welche Angelegenheiten die Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, ihren Willen frei zu bestimmen und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln.

Sollten die weiteren vom Landgericht durchzuführenden Ermittlungen den Ausschluss der freien Willensbestimmung ergeben, so wird es zugleich weitere und konkrete Feststellungen darüber treffen müssen, auf welche Aufgabenkreise sich dies bezieht und in welchem Umfang die Bestellung eines Betreuers erforderlich ist. Allerdings lassen die Erwägungen des Landgerichts, mit welchen es eine Bestellung der Beteiligten zu 1) und 2) zu allein verantwortlichen Betreuern abgelehnt hat, Rechtsfehler nicht erkennen. Jedoch erscheint es geboten, mit der Betroffenen zu erörtern, ob sie selbst eine Vertrauensperson benennen kann, die allein oder neben den Enkeln bereit und kompetent zur Übernahme bestimmter Betreuungsaufgaben ist. Für die Auswahlentscheidung wird das Landgericht die Frage der Eignung der bisher bestellten Betreuerin insbesondere unter dem Gesichtspunkt zu würdigen haben, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit im Bereich der Finanz- und Immobilienverwaltung liegt und aufgrund des schwebenden Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens besondere rechtliche Probleme hinzugetreten sind, mit denen die Beteiligte zu 3) aufgrund ihrer Berufsausbildung als ... möglicherweise überfordert sein könnte. Des weiteren wird zu berücksichtigen sein, dass der bisherige Ablauf des Verfahrens eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unabhängig von der insgesamt ablehnenden Haltung der Betroffenen gegenüber einer Betreuung schwerlich erwarten lässt.

Ende der Entscheidung

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