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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 01.04.2003
Aktenzeichen: 20 W 386/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2265
BGB § 2264
BGB § 2112
BGB § 2113
Haben sich Eheleute in einem gemeinsamen Testament zu alleinigen und ausschließlichen Erben mit der Maßgabe eingesetzt, dass der Überlebende über den Nachlass des Erstversterbenden völlig frei und uneingeschränkt verfügen kann und haben sie gleichzeitig bestimmt, dass im Falle der Wiederverheiratung das Erbrecht des überlebenden Ehegatten rückwirkend zum Tode des Erstversterbenden in Wegfall kommen und die gesetzliche Erbfolge eintreten soll, so muss das Nachlassgericht prüfen, ob neben der Vollerbschaft auch eine aufschiebend bedingte Vorerbschaft gewollt gewesen ist.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 386/02

In der Nachlasssache

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 28.08.2002 am 01.04.2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde werden die angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichts Groß-Gerau und des Landgerichts Darmstadt aufgehoben und die Sache zur neuen Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Groß-Gerau zurückverwiesen, das auch darüber zu befinden haben wird, wer die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Gründe:

Die Beteiligte zu 1) ist die Ehefrau des am 07.08.2000 verstorbenen Erblassers, die Beteiligten zu 2) und 3) sind die aus der Ehe hervorgegangenen Töchter. Der Erblasser und dessen Ehefrau errichteten am 12.10.1976 ein notarielles Testament, das u. a. folgenden Wortlaut hat:

"Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben ein mit der Maßgabe, daß der Längstlebende über den Nachlaß des Erstversterbenden völlig frei und uneingeschränkt verfügen kann.

Für den Fall der Wiederverheiratung des Längstlebenden von uns, soll jedoch sein Erbrecht rückwirkend zum Tode des Erstversterbenden in Wegfall kommen und sodann die gesetzliche Erbfolge eintreten."

Am 19.10.1999 errichteten der Erblasser und seine Ehefrau eine weitere notarielle letztwillige Verfügung, in der es u. a. heißt:

"Nachtrag zum Testament vom 12. Oktober 1976, Urk.Nr. 363/76 des amtierenden Notars"

"Zu unserer alleinigen Erbin berufen wir hiermit unsere Tochter Frau Y. X. geb. F., geb. am ..., da sie uns bisher in jeder Hinsicht unterstützt, gepflegt und alle Gänge für uns erledigt hat. Die Erbin soll jedoch verpflichtet sein, folgende Vermächtnisse zu erfüllen:

1. Das auf sie übergangene Haus in X., Hanauer Str. 33 ist vom Ortsgericht zu schätzen. Von dem sodann geschätzten Wert hat sie die Hälfte an ihre Schwester, Frau F. L. geb. F., geb. am 07.07.1954 nach Abzug des von uns bereits -unter Anrechnung auf den Erbteil unserer Tochter F. L.- gezahlten Betrages von 40.000,-- DM innerhalb von 6 Monaten nach dem Tod des Längstlebenden von uns, herauszuzahlen.

2. Der übrige bewegliche Nachlass soll unseren beiden Töchter gemeinsam zustehen. Die Spar- und Barguthaben soll unsere Tochter Y. X. alleine erhalten für ihre aufopfernde ständige Betreuung und Versorgung für uns.

3. Im übrigen bleibt das Testament vom 12. Oktober 1976, Urk. Nr. 363/76 des amtierenden Notars in vollem Umfang aufrecht erhalten."

Die Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, welcher sie als Alleinerbin des Erblassers unter der auflösenden Bedingung ihrer Wiederverheiratung ausweist.

Die Beteiligte zu 2) ist dem entgegengetreten. Die Beteiligte zu 1) sei zwar auflösend bedingte Vollerbin, zugleich aber auch aufschiebend bedingte Vorerbin mit der Folge, dass sie hier als befreite Vorerbin zu behandeln sei. Aufgrund der in der Wiederverheiratungsklausel vorgesehenen Rückwirkung des Wegfalls der Position der Beteiligten zu 1) als testamentarisch eingesetzte Alleinerbin könne der Erbschein nicht nach Antrag erteilt werden, da ansonsten die Wiederverheiratungsklausel umgangen und ausgehöhlt werde. Der Schutz der Kinder davor, dass das Vermögen der Eheleute ungeschmälert einem neuen Ehepartner des Längstlebenden zukommen könnte, wäre bei Erteilung des beantragten Erbscheins vollkommen unberücksichtigt.

Durch Beschluss vom 02.01.2002 (Bl. 36 ff d.A.) hat das Amtsgericht angekündigt, es werde der Beteiligten zu 1) antragsgemäß einen Erbschein des Inhalts erteilen, dass der Erblasser beerbt worden ist von der Antragstellerin als Alleinerbin mit der Maßgabe, dass deren Alleinerbschaft auflösend bedingt ist durch ihre Wiederverheiratung. Es hat hierzu ausgeführt, in dem Testament vom 12.10.1976 sei der Wille des Erblassers und der Antragstellerin klar zum Ausdruck gekommen, dass der Längstlebende von beiden der ausschließliche Erbe sein sollte, welcher über den Nachlass des Erstversterbenden völlig frei und uneingeschränkt verfügen können sollte. Die testierenden Eheleute hätten sich hierdurch in erster Linie gegenseitig zu Vollerben eingesetzt mit der Maßgabe, dass die Vollerbeneinsetzung nur unter der auflösenden Bedingung entfallen sollte, dass der Längstlebende sich wieder verheiratet. Nur für den Fall der Wiederverheiratung habe die Nacherbfolge eintreten sollen. Infolge der von den testierenden Eheleuten getroffenen Anordnung, dass der Längstlebende über den Nachlass des Erstversterbenden "völlig frei und uneingeschränkt" verfügen können sollte, widerspräche es dem klaren Willen des Erblassers, die Antragstellerin den Beschränkungen eines - auch denen eines befreiten- Vorerben zu unterwerfen. Dass dabei die Wiederverheiratungsklausel nicht schon Folgen für den Zeitpunkt des Todes des Erstversterbenden, sondern erst für den Fall der Wiederverheiratung zeitige, sei im Hinblick auf den maßgebenden Willen der Testierenden hinzunehmen.

Gegen den Beschluss des Nachlaßgerichts hat die Beteiligte zu 2) Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die Beschwerde durch Beschluss vom 28.08.2002 (Bl. 51 ff d.A.) zurückgewiesen.

Die wiederum dagegen gerichtete weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig (§§ 27, 29 I, IV, 21 FGG). Die Beteiligte zu 2) ist beschwerdeberechtigt (§ 20 FGG), da ihrem Vorbringen im Ergebnis zu entnehmen ist, dass sie ein Nacherbenrecht geltend macht. Die Beschwerde führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Die Ausführungen des Landgerichts in der Sache halten der rechtlichen Nachprüfung (§§ 27 FGG, 546 ZPO) nicht stand.

Eine letztwillige Verfügung ist nach § 133 BGB auszulegen, d.h. es ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (Palandt-Edenhofer (2003), § 2084 BGB Rn 1). Die Auslegung selbst obliegt den Tatsacheninstanzen. Der Senat ist als Rechtsbeschwerdegericht an die vom Landgericht vorgenommene Auslegung gebunden. Er kann die getroffene Auslegung nur daraufhin nachprüfen, ob diese nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, ob sie mit den gesetzlichen Auslegungsregeln im Einklang steht, ob sie dem klaren Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt sind. Dabei müssen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend sein; es genügt, wenn sie nur möglich sind, mag auch eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher liegen (Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl. 2003, § 27 Rn 42).

Auch nach Maßgabe dieses eingeschränkten Prüfungsrahmens in der weiteren Beschwerde kann die Feststellung des Landgerichts, die Auslegung des Testaments lasse nur die Auslegung zu, dass lediglich Vollerbschaft gewollt gewesen sei, den Senat nicht binden, denn das Landgericht und davor auch das Amtsgericht haben sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Erblasser und die Beteiligte zu 1) für den Fall der Wiederverheiratung des Längstlebenden den Wegfall des Erbrechts des überlebenden Ehegatten und den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge _rückwirkend zum Tode des Erstversterbenden_ angeordnet haben.

Die Wortwahl der Wiederverheiratungsklausel legt den Schluss nahe, dass für die Auseinandersetzung nach der gesetzlichen Erbfolge im Falle der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten das im Zeitpunkt des Todes des Erstversterbenden vorhandene Vermögen maßgeblich sein soll. Die Ehegatten könnten bei Vertragsschluss gewollt haben, dass der überlebende Ehegatte im Falle seiner Wiederverheiratung die anderen gesetzlichen Erben so zu stellen hat, als ob im Erbfall die gesetzliche Erbfolge gegolten hätte. Damit hätte die Beteiligte zu 1) _ sofern sie sich wiederverheiratet und vom Nachlass etwas verbraucht hätte _ möglicherweise den auf die beiden Töchter entfallenden Anteil ungeschmälert herausgeben müssen, denn solche Klauseln sollen im allgemeinen sicher stellen, dass den Abkömmlingen des Erblassers das Vermögen gesichert wird (Staudinger-Otte (1996), § 2074 Rn 42). Insoweit könnte der letztwilligen Anordnung die Vorstellung zugrundegelegen haben, dass der Längstlebende in Höhe des gesetzlichen Erbteils der Kinder nur Vorerbe sein soll. Ohne diese Einschränkung könnte der überlebende Ehegatte nämlich unbeschränkt über den Nachlass verfügen und zwar dergestalt, dass vom Nachlass im Zeitpunkt der Wiederverheiratung gar kein oder kein nennenswertes Vermögen mehr vorhanden ist.

Im Gegensatz dazu steht allerdings in dem gemeinschaftlichen Testament die Einräumung eines völlig freien und unbeschränkten Verfügungsrechts für den Längstlebenden. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen tatsächlichen Gründen, die Vorinstanzen bei der Testamentsauslegung der Regelung über das uneingeschränkten Verfügungsrecht den unbedingten Vorzug vor der Regelung betreffend Absicherung der Abkömmlinge im Wiederverheiratungsfall gegeben haben. Die Vorinstanzen haben insoweit nicht den Versuch unternommen, den Sachverhalt weiter aufzuklären (§ 12 FGG) und den Willen der Eheleute bei der Errichtung der beiden Testamente festzustellen. Sie haben sich auch nicht damit auseinandergesetzt, ob vorliegend die Beteiligte zu 1) nicht sowohl Vollerbin als auch bedingte Vorerbin sein kann.

Ein solches Nebeneinander zwischen Vollerbschaft und Vorerbschaft ist erbrechtlich zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann in einem gemeinschaftlichen Testament mit einer Wiederverheiratungsklausel angeordnet werden, dass der überlebende Ehegatte auflösend bedingter Vollerbe, gleichzeitig aber auch aufschiebend bedingter Vorerbe sein soll (BGHZ 96, 198 ff = FamRZ 1986, 155 = NJW-RR 1986, 493 = MittBayNot 1986, 93). Dies bedeutet, dass die Nacherbeneinsetzung aufschiebend bedingt von der Wiederverheiratung abhängt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der überlebende Ehegatte (auflösend bedingter) Vollerbe. Vorerbe wird er erst mit der Wiederverheiratung. Verstirbt der überlebende Ehegatte dagegen, ohne wieder geheiratet zu haben, so steht er endgültig als Vollerbe fest (BGHZ 96, 198 ff). Soweit die Beteiligte zu 2) aus dieser Entscheidung den Schluss gezogen hat, bei einer solchen Konstellation könne der überlebende Ehegatte im Erbschein nur als Vorerbe bezeichnet werden, ist das so nicht zutreffend. Dieser Schluss wird dem Umstand nicht gerecht, dass die Vollerbenstellung ebenfalls besteht, wenn auch unter einer auflösenden Bedingung. Allerdings bleibt der überlebende Ehegatte, so lange der Ausfall der Bedingung noch nicht feststeht, im Grundsatz den Beschränkungen eines Vorerben unterworfen, wobei dies im Einzelfall Auslegungsfrage ist (vgl. Firsching/Graf, Nachlaßrecht, 8. Aufl. 2000, Rn 1.225; Staudinger-Kanzleitner (1998), § 2269 BGB Rn 43). Im wirtschaftlichen Endergebnis ist dies allerdings nur von untergeordneter Bedeutung für die bedingten Nacherben, denn wenn der überlebende Ehegatte nicht wieder heiratet, dann steht mit seinem Tode fest, dass die auflösende Bedingung und damit der Nacherbfall nicht mehr eintreten kann. Demzufolge greifen auch die Rechtswirkungen der §§ 2113 ff BGB nicht mehr ein und zwar unabhängig davon, ob die bedingte Vorerbschaft eine befreite oder eine nichtbefreite gewesen war (vgl. BGHZ 96, 198 ff).

Welche Bedeutung die Kombination der Befreiungserklärung mit der rückwirkenden Anordnung der gesetzlichen Erbfolge im Fall der Wiederverheiratung hat, was also die Beteiligte zu 1) und der Erblasser damals bei der Testamentserrichtung 1976 unter der Wendung _ rückwirkend zum Tod_ verstanden haben und was sie damit bezwecken wollten, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei auch Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranzuziehen sind. Dies wird das Amtsgericht nunmehr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats nachzuholen haben. Dafür bietet sich zunächst eine Befragung des beide letztwilligen Verfügungen beurkundenden Notars und der Beteiligten zu 1) an.

Sollte die Auslegung ergeben, dass neben der Vollerbschaft auch eine aufschiebend bedingte Vorerbschaft gewollt gewesen ist, wird ein Erbschein, der dies nicht berücksichtigt, nicht erteilt werden können (Staudinger-Schilken (1997), § 2353 Rn 80; vgl. zur Fassung von Erbscheinen bei Wiederverheiratungsklauseln, Firsching/Graf, Nachlaßrecht, 8. Aufl. 2000, Rn 4.297 ff). Für den Fall, dass die weiteren Ermittlungen dazu führen, dass im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine bedingte (befreite oder nicht befreite) Vorerbschaft gewollt gewesen ist, macht die Erteilung eines richtigen Erbscheins _ eine entsprechende Antragstellung vorausgesetzt _ auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, ob und gegebenenfalls in welcher Weise der Nachtrag vom 19.10.1999 einen Einfluss auf die für den Fall der Wiederverheiratung vorgesehene Nacherbfolge hat.

Ende der Entscheidung

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