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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: 20 W 391/06
Rechtsgebiete: HSOG


Vorschriften:

HSOG § 32
HSOG § 33
HSOG § 35
1. Das unbefugte Herausreißen gentechnisch veränderter Pflanzen in einem genehmigten Feldversuch kann begründeter Anlass für Unterbindungsgewahrsam nach dem HSOG sein.

2. Die Polizei ist verpflichtet, unverzüglich nach dem Festhalten der Person eine gerichtliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, sofern eine zeitnahe Entlassung nicht beabsichtigt ist.

3. Ist zur Tagzeit kein Richter erreichbar und besteht auch kein Bereitschaftsdienst, so ist der weitere Unterbindungsgewahrsam bis zur Zuführung des Betroffenen zum Richter auch dann rechtswidrig, wenn das Gericht am Tag nach der Festnahme die Fortdauer des Unterbindungsgewahrsams zu Recht anordnet.

4. Die Frage, ob die Polizei ein selbständiges Rechtsmittel gegen die auf die Beschwerde des Betroffenen ergangene Fortsetzungsfeststellungsentscheidung des Landgerichts hat, bleibt offen.


Gründe:

I.

Es geht um die Rechtmäßigkeit eines Unterbindungsgewahrsams nach dem HSOG. Der Betroffene war angetroffen worden, wie er zusammen mit anderen in einem Versuchsfeld der Universität mit genveränderter Gerste Pflanzen zerstörte. Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 03.06.2006 nach richterlicher Anhörung des Betroffenen um 14.30 Uhr am nämlichen Tag die Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch die Polizei am 02.06.2006 um 15.20 Uhr für zulässig erklärt und gleichzeitig antragsgemäß die Fortdauer der Freiheitsentziehung bis längstens 06.06.2006 um 09.00 Uhr mit sofortiger Wirksamkeit angeordnet (Bl. 76/77 d. A.). Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen durch Beschluss vom 24.08.2006 (Bl. 146 ff d. A.) den amtsgerichtlichen Beschluss teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen in der Zeit vom 02.06.2006, 15.20 Uhr bis zum Erlass des Beschlusses am 03.06.2006 rechtswidrig war. Dieser Beschluss ist laut jeweiligem Empfangsbekenntnis dem Antragsteller am 29.08.2006 und dem Betroffenen am 30.08.2006 zugegangen.

Der Betroffene hat gegen den Beschluss eine am 08.09.2006 eingegangene sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Der Betroffene rügt fehlerhafte Rechtsanwendung und mangelnde Sachaufklärung durch das Landgericht.

Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluss, soweit die Beschwerde zurückgewiesen worden ist. Der Antragsteller beantragt weiter, die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung auch für die Zeit vom 02.06.2006, 15.20 Uhr bis zum Erlass des Beschlusses des Amtsgerichts vom 03.06.2006 festzustellen. Er habe sich vergeblich bemüht, einen Richter zu erreichen. Er habe dies auch mit dem in den Akten befindlichen Vermerk vom 02.06.2006 hinreichend dokumentiert und damit seiner Dokumentationspflicht genügt. Die Annahme, dass das Scheitern einer Vorführung aufgrund Unerreichbarkeit des zuständigen Richters automatisch zur Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung führe, sei unzutreffend.

Der Betroffene tritt der Anschlussbeschwerde des Antragstellers entgegen. Er führt u.a. aus, dass die Pfingstaktion der Gegner des Freilandversuchs der Universität lange vor dem 02.06.2006 angekündigt worden sei. Der Antragsteller habe deshalb im Voraus dafür Sorge tragen können, dass beim Amtsgericht ein entsprechender Bereitschaftsdienst vorhanden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Vorbringen der Beteiligten nebst den beigefügten Anlagen verwiesen.

II.

Wenn eine Person - wie hier - aufgrund des § 32 I Nr. 2 HSOG festgehalten wird, richtet sich das gerichtliche Verfahren gem. § 33 II HSOG nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG), das wiederum auf die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verweist (§ 3 Satz 2 FEVG). Danach ist die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen zulässig (§§ 6 II, 7 II FEVG, 27 FGG), insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 29, 22 FGG). Die Maßnahme hat sich zwar durch Zeitablauf erledigt, gleichwohl ist das Begehren des Betroffenen, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu erreichen, schutzwürdig, da der Betroffene im Hinblick auf den Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person auch nach Erledigung der Maßnahme ein Rehabilitierungsinteresse hat (BVerfE 104, 220 ff = NJW 2002, 2456 ff). Eröffnet ist für die Fortsetzungsfeststellung in den Fällen, in denen eine richterliche Anordnung vorliegt, nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der nach dem FEVG vorgesehene Rechtsweg zu den Zivilgerichten (KG, Beschluss vom 22.03.2002, 25 W 218/01, Jurisdok. Abs. 9 m.w.N. = KGR Berlin 2003, 174 ff; Hess. VGH, NJW 1984, 821 ff; vgl. auch OLG Frankfurt am Main, OLGR 1993. 185 ff; Meixner/ Fredrich, 10. Aufl., HSOG, § 33 Rn 8), wobei es für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf diese Frage wegen der Bindungswirkung des § 17 a I, V GVG nicht mehr ankommt.

Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen, die mit der am 29.08.2006 an den Antragsteller erfolgten Zustellung in Lauf gesetzt worden ist, sondern erst mit der Erwiderung auf die weitere Beschwerde des Betroffenen vom 16.11.2006, eingegangen am 22.11.2006, eingereicht worden und damit als selbständiges Rechtsmittel nicht zulässig. Sie ist als unselbständige Anschlussbeschwerde anzusehen und als solche zulässig. Zwar sind eine Anschlussbeschwerde und eine Anschlussrechtsbeschwerde im FGG nicht ausdrücklich vorgesehen, jedoch bei sofortigen Beschwerden mit gegensätzlichen Verfahrensbeteiligten entsprechend § 567 III ZPO anerkannt (Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., Vorb §§ 19-30 Rn 4). Das Anschlussrechtsmittel verlangt keine Beschwer (Baumbach/ Lauterbach/ Albers/ Hartmann, Zivilprozessordnung, 65. Aufl., § 524 ZPO Rn 13). Auf die Frage, ob der Antragsteller ein selbständiges Rechtsmittel gegen die landgerichtliche Entscheidung hätte einlegen können, nachdem sich die Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch Fristablauf erledigt hat, kommt es sonach nicht an. Diese Frage kann hier offen bleiben (vgl. hierzu OLG München, FGPrax 2006, 89 ff; bejahend OLG Celle, FGPrax 2005, 48 ff).

Die Rechtsmittel führen zu der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Entscheidung. Eine Tatsachenüberprüfung findet in dieser Instanz nicht statt. Die angefochtene Entscheidung ist nur darauf hin zu überprüfen, ob sie auf einer Verletzung von Rechtsvorschriften beruht (§§ 27 I FGG, 546 ZPO).

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht für die Zeit ab dem Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme des Betroffenen bejaht. § 32 HSOG sieht in der hier nur in Betracht kommenden und vom Landgericht auch angewandten Alternative (§ 32 I Nr. 2 HSOG) vor, dass die Polizeibehörden eine Person in Gewahrsam nehmen können, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Zeit ab der amtsgerichtlichen Anordnung des Unterbindungsgewahrsams bejaht hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, insbesondere hat das Landgericht den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 12 FGG) und das rechtliche Gehör des Betroffenen nicht verletzt.

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Betreten des Versuchsgeländes nach vorheriger Durchtrennung des Zaunes und das anschließende Herausreißen der Pflanzen den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) erfüllen.

Die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des Betroffenen hat es ebenfalls zutreffend bejaht. Der vom Betroffenen bekämpfte Freilandversuch ist durch den eingehend begründeten Freisetzungsbescheid des dafür zuständigen Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 03.04.2006 (Bl. 109 ff d.A.) genehmigt worden. Dabei hat das Bundesamt die Genehmigungsvoraussetzungen für den Freilandversuch nach dem GentG im Einzelnen geprüft und für gegeben erachtet. Soweit der Betroffene sinngemäß geltend macht, von genveränderten Pflanzen gingen erhebliche Gefahren für die natürliche Lebensgrundlage aus, für deren Erhalt er sich einsetze, kommen für sein Handeln weder ein rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) noch zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe (§ 228 BGB) in Betracht. Zutreffend hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Betroffene nicht dargelegt hat, dass der Feldversuch zu einer nicht anders abwendbaren Gefahr für Mensch und Natur führt. In dem Genehmigungsbescheid ist die vom Betroffenen angesprochene Gefahrenlage überprüft und der Feldversuch mit Auflagen versehen worden. Auf die sachverständige Prüfung durch das zuständige Bundesamt im Genehmigungsverfahren durften sich die Vorinstanzen verlassen. Die pauschalen Vorwürfe des Betroffenen boten keinen Anhalt für Zweifel und den Eintritt in ein weiteres Prüfverfahren. Der Betroffene muss sich daher darauf verweisen lassen, seine Bedenken gegen die Gentechnik im öffentlichen Diskurs auf friedfertige Weise auszutragen. Gegen Straftatbestände durfte er nicht verstoßen.

Auf etwaige zugunsten des Betroffenen eingreifende Entschuldigungsgründe kam es nicht an, da präventiv-polizeiliches Einschreiten kein Verschulden voraussetzt (Hornmann, HSOG, § 32 Rn 18). Solche sind aber auch nicht ersichtlich.

Auch die Feststellung des Landgerichts, dass der Unterbindungsgewahrsam zur Verhinderung der Fortsetzung der Straftaten bis längstens zum 06.06.2006, 9.00 Uhr erforderlich und die Verhältnismäßigkeit gewahrt gewesen sei, beruht nicht auf einem Rechtsfehler. Das Landgericht hat dabei im Wesentlichen auf den Inhalt des Internetaufrufs (Bl. 69 ff d. A.) mit dem Betroffenen als Mitunterzeichner abgestellt. Dort wurde die "Feldbefreiung" für Pfingsten 2006 angekündigt. Dem Aufruf lässt sich entnehmen, dass den Unterzeichnern bewusst war, dass ihr Verhalten als kriminelles Unrecht eingestuft werden würde. Hieraus und aus dem Umstand, dass der Betroffene selber Pflanzen ausgerissen und bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 02.06.2006 angegeben hat, er hätte noch weitere Pflanzen ausgerissen, wenn nicht die Polizei gekommen wäre, durfte beide Vorinstanzen schließen, dass ein anderes erfolgversprechendes Mittel als die Ingewahrsamnahme bis zum 06.06.2006 nicht zur Verfügung gestanden hat, um den Betroffenen von weiteren Aktionen abzuhalten.

Der Betroffene hat bei seiner richterlichen Anhörung am 03.06.2006 zwar gesagt, dass er die Aktion für beendet ansehe. Die Vorinstanzen brauchten dieser Erklärung aber nicht zu vertrauen. Die Wertung dieser Angabe als Schutzbehauptung ist vom tatrichterlichen Ermessen gedeckt und aus Rechtsgründen nicht angreifbar. Zwar ist es denkbar, dass der Betroffene von weiteren Vernichtungsaktionen Abstand genommen hätte. Die vorinstanzliche Tatsachenwürdigung ist aber nur daraufhin nachprüfbar, ob der maßgebende Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12 FGG) worden ist, ob sich der Tatrichter mit den wesentlichen Umständen auseinandergesetzt (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften (§ 15 FGG) sowie gegen Denkgesetze und zwingende Erfahrungssätze oder den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen hat (Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 27 Rn 42). Solche Verstöße sind vorliegend nicht feststellbar. Soweit das Landgericht in dem Zusammenhang erwähnt, der Betroffene habe vom Feld gezogen werden müssen, was der Betroffene in Abrede stellt, ist dies erkennbar nur eine Randbemerkung und nicht ausschlaggebend für die Einschätzung des Landgerichts gewesen. Entscheidend war vorliegend für das Landgericht die Vorbereitung der Aktion, ihre Ankündigung im Internet und ihre gezielte Ausführung am 02.06.2006, sowie der Umstand, dass der Betroffene um die Strafbarkeit seines Tuns wusste und nur durch den Polizeieinsatz gestoppt werden konnte. Da der Betroffene ausweislich des Internetauftritts zu den Mitinitiatoren der Aktion gehörte, bedurfte es für die Prognose der von ihm ausgehenden Gefahr auch keiner besonderen Würdigung, dass er keine Hacke in der Hand hatte, sondern die Pflanzen mit bloßen Händen ausriss. Letzteres reichte, um den Feldversuch der Universität unmöglich zu machen.

Mit der weiteren Beschwerde kann im Übrigen nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht die einzig möglichen sind oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte (Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 27 Rn 42). Einzelheiten über die Beendigung des Herausreißens der Pflanzen durch die Polizei brauchte das Landgericht vorliegend nicht aufzuklären.

Die festgestellten Tatumstände rechtfertigten auch die Überzeugungsbildung der Vorinstanzen, dass die polizeiliche Verwahrung des Betroffenen unerlässlich war und die Gefahr nicht durch weniger einschneidende Mittel, insbesondere nicht durch einen Platzverweis abgewendet werden konnte. Zutreffend hat das Landgericht im Ergebnis hier darauf abgestellt, dass der Betroffene schon vor dem Einschreiten der Polizei bereit war, mit Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch, also mit kriminellen Mitteln, für seine Überzeugung zu kämpfen. Entgegen der Ansicht des Betroffenen bedurfte es keiner Beweisaufnahme dahingehend, ob es in der Vergangenheit Fälle gegeben hat, in denen der Betroffene einem Platzverweis nicht nachgekommen ist.

Die Ingewahrsamnahme dauerte von Freitag vor Pfingsten nachmittags bis zum Dienstag nach Pfingsten in der Frühe, das sind fast vier Tage. Das Gesetz (§ 35 I Nr. 4 HSOG) erlaubt eine Ingewahrsamnahme zur Unterbindung von Straftaten nur für höchstens sechs Tage. Das bedeutet, dass die Dauer der Ingewahrsamnahme sich hier bereits im oberen Bereich befand. Die Vorinstanzen haben zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine ausdrücklichen Ausführungen gemacht. Das Landgericht hat lediglich in dem Beschluss erwähnt, dass der den Feldversuch leitende Wissenschaftler den Schaden auf ca. 350.000 bis 500.000 € beziffert habe. Der Betroffene beanstandet dieses und meint, das Landgericht habe einseitig die Angaben der Polizeibehörde zur Höhe des entstandenen Schadens zu Grunde gelegt.

Dieser Vorwurf verfängt indessen nicht. Zum einen ist schon nicht ersichtlich, welche Ermittlungen zur Schadenshöhe vor der Entscheidung über den Unterbindungsgewahrsam hätten angestellt oder in Auftrag gegeben und abgewartet werden können. Zum anderen kommt es auf die genaue Schadenshöhe auch nicht an. Im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ingewahrsamnahme war erkennbar, dass sich der Schaden nicht auf die mehrfache Durchtrennung des Maschendrahtzauns einschließlich der Öffnung der Abdeckung des eigentlichen Versuchsfelds und die herausgerissenen Pflanzen beschränkte. Die Genpflanzen waren vielmehr Gegenstand einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung, die zur Genehmigungsreife vor dem zuständigen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gebracht worden war und bald zur Auswertung anstehen würde. Bereits daraus folgt, dass es auch um den Wert der nutzlos aufgewendeten Arbeitszeit der beteiligten Wissenschaftler und der sonst noch an der Durchführung des Feldversuchs beteiligten Personen, also auch um deren Lebensabschnittsplanungen, ging. Die bewusste Störung bzw. gewollte Verhinderung eines wissenschaftlichen Projekts hat ein viel höheres Gewicht als die bloße Vernichtung einiger Pflanzen. Deswegen steht der mit der Ingewahrsamnahme des Betroffenen verbundene Eingriff in dessen Freiheitsrechte seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der zu verhindernden Straftaten, sondern kann noch als verhältnismäßig angesehen werden. Dies gilt auch, wenn man hinzunimmt, dass nach dem Vorbringen des Betroffenen die Universität ihren Feldversuch nach der Pfingstaktion vorzeitig abgebrochen hat. Das Landgericht brauchte diesem Umstand und den Gründen, auf denen der Abbruch beruhte, nicht näher nachzugehen, da es sich bei dem Feldversuch um eine genehmigtes Projekt handelte und keine Anhaltspunkte ersichtlich waren, dass der Abbruch des Versuchs seitens der Universität schon zu Pfingsten intendiert war.

Zutreffend ist auch die Ansicht des Landgerichts, dass die Freiheitsentziehung ohne Zuführung des Betroffenen zu einer richterlichen Anhörung und Entscheidung rechtswidrig war. Dies gilt jedenfalls für den Festnahmetag ab 16.00 Uhr. Der Ansicht des Antragstellers, das Landgericht habe insoweit die verfassungsrechtlichen Anforderungen überspannt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Entsprechend den Vorgaben des Art. 104 II GG sieht § 35 I Nr. 4 HSOG vor, dass die Polizeibehörden eine festgenommene Person spätestens 24 Stunden nach dem Ergreifen zu entlassen haben, sofern sie nicht vorher der Richterin oder dem Richter zugeführt worden ist. Dabei ist grundsätzlich die richterliche Entscheidung vor der Freiheitsentziehung einzuholen. Dies ergibt sich aus Art. 104 II S. 2 GG (Meixner/ Fredrich, 10. Aufl., HSOG, § 33 Rn 3). Die Einholung einer richterlichen Entscheidung vor der Freiheitsentziehung war hier jedoch nicht möglich, da erst im Laufe des Nachmittags offenbar wurde, dass u. a. der Betroffene die Pflanzen gewaltsam vernichten wollte. Die Gruppe der Versuchsgegner hatte zwar öffentlich eine "Feldbefreiung" angekündigt, deren Durchführung aber nicht weiter beschrieben. Es war deshalb im Vorfeld der Aktion unbekannt, wer sich letztlich an der Aktion beteiligen würde und mit welcher Energie und auf welche Art und Weise die Aktion durchgeführt werden sollte, so dass die Polizei auch seitens des Gerichts keine Aussicht auf richterliche Beschlüsse im Vorfeld signalisiert bekam, wie in dem Polizeivermerk vom 02.06.2006 (Bl. 23 d. A.) dokumentiert ist.

Die Polizei hat in einem solchen Fall unverzüglich nach dem Festhalten der Person eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (§ 33 I S. 1 HSOG), falls nicht anzunehmen ist, dass die richterliche Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. Letztere Möglichkeit scheidet hier aus, so dass es bei der Pflicht der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung verbleibt. Das Wort "unverzüglich" schließt eine regelmäßige Ausschöpfung der Maximalfrist von vornherein aus, vielmehr ist die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachzuholen (BVerfG v. 07.09.2006, 2 BvR 129/04, Jurisdok, Abs.38 = InfAuslR 2006, 462 ff m.w.N.; KG, KGR Berlin 2003, 174 ff). In einem solchen Fall genügt die Polizei dem Gebot zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung grundsätzlich dadurch, dass sie die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig macht, d.h. dem Gericht den Sachverhalt vorträgt mit der Bitte um Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams (VGH Baden-Württemberg, DÖV 2005, 165 ff).

Nach dem genannten Polizeivermerk vom 02.06.2006 hat der Regierungsdirektor A kurz nach der Ingewahrsamnahme des Betroffenen, nämlich gegen 15.30 Uhr versucht, die zuständige Richterin zu erreichen. Die Nummer sei zunächst besetzt gewesen. Danach habe sich niemand gemeldet. Gegen 16.00 Uhr habe dann der (Vormundschafts-) Richter B auf eine Nachricht des Herrn PD C hin angerufen. Er habe mitgeteilt, dass das Telefon des Bereitschaftsdienstes nicht mehr besetzt und auf dieser Nummer erst wieder jemand am anderen Morgen zwischen 9.00 und 10.00 Uhr erreichbar sei. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Einzelheiten dieses Telefongesprächs über die Regelung bzw. Nichtregelung des Bereitschaftsdienstes nicht näher aufgeklärt hat (§ 12 FGG); insbesondere kommt es für die Beurteilung dieses Falls auf die Frage, zu welchen Auskünften der Vormundschaftsrichter hinsichtlich der Zuständigkeit oder Erreichbarkeit eines Richters oder einer Richterin bei dem Telefongespräch am Nachmittag des 02.06.2006 noch bereit oder in der Lage gewesen wäre, nicht an. Selbst wenn der Vormundschaftsrichter - wie der Betroffene vorbringt - zu weiteren Auskünften bereit gewesen wäre, ändert dies nichts daran, dass auf die Anfrage der Polizei beim Amtsgericht am Nachmittag des 02.06.2006 ein dienstbereiter Richter oder Richterin nicht mehr zur Verfügung stand bzw. in Richtung einer Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung kein weiteres Bemühen durch die Polizei mehr stattfand. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss aber während des Tages immer ein richterlicher Bereitschaftsdienst bestehen und zur Nachtzeit dann, wenn dafür ein praktischer Bedarf gegeben ist, der über den Ausnahmefall hinausgeht (BVerfG NJW 2004, 1442; BVerfG, NJW 2002, 3161 ff; vgl. auch OVG Münster, NJW 1980, 138 ff).

Dies hatte zur Folge, dass jede spätere Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der Fortdauer der Ingewahrsamnahme bis zur richterlichen Entscheidung als rechtswidrig anzusehen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2004, 16 W 155/04 Jurisdok. = InfAuslR 2005, 111 ff). Zutreffend ist das Landgericht dabei davon ausgegangen, dass ein gerichtlicher Organisationsmangel nicht zu Lasten des Betroffenen gehen darf.

Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit fügt Art. 104 II GG dem materiellen Gesetzesvorbehalt auch einen verfahrensrechtlichen Vorbehalt, nämlich den der richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Der Richtervorbehalt in Art. 104 II GG dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 II GG, wonach die körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen in besonderer Weise geschützt ist. Die staatlichen Organe sind deshalb verpflichtet, die Hinzuziehung des Richters auch tatsächlich zu gewährleisten. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genügt nur, wenn - wie hier - der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 II S. 2 GG erfordert dann, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (BVerfG v. 07.09.2006, 2 BvR 129/04, Jurisdok, Abs. 25 = InfAuslR 2006, 462 ff). Die Unterlassung der unverzüglichen Nachholung der richterlichen Entscheidung drückt der Beibehaltung der Ingewahrsamnahme den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (so für die unterbliebene mündliche richterliche Anhörung BVerfG v. 07.09.2006, 2 BvR 129/04, Jurisdok, Abs. 17 = InfAuslR 2006, 462 ff = FGPrax 2007, 39 ff; BVerfG v. 11.03.1996, 2 BvR 927/95, Jurisdok. = InfauslR 1996, 198 ff; BVerfG v. 17.01.1990, 2 BvR 1592/88, Jurisdok. Abs. 15; OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2004, 16 W 155/04, Jurisdok. = InfAuslR 2005, 111 ff; OLG Schleswig, Beschluss vom 28.04.2003, Az.:2 W 207/02, Jurisdok. Abs. 9 = InfAuslR 2003, 292 ff, ). Verstöße gegen die durch Art. 104 GG gewährleisteten Voraussetzungen und Formen freiheitsbeschränkender Gesetze stellen daher stets auch eine Verletzung der Freiheit der Person dar (vgl. BVerfG, StV 2001, 691 ff, 692 zur Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung bei einem nicht ordnungsgemäß verkündeten Haftbefehl und zur fehlenden Berücksichtigungsfähigkeit eines nicht ordnungsgemäß verkündeten Haftbefehls für den Haftfortdauerbeschluss). Wollte man die Frage der Rechtswidrigkeit nur davon abhängig machen, ob die Gefahrensituation materiell eine Ingewahrsamnahme erforderlich gemacht hat, so könnte der Richtervorbehalt keine angemessene Wirkung entfalten. Er würde zur bloßen Formalie verkümmern, was nicht der Fall sein darf (vgl. auch Hagmann, StV 2001, 693 Anm. zu BVerfG, StVG 2001, 691 ff).

Die führt vorliegend dazu, dass ab dem Zeitpunkt, in dem sich die Nichterreichbarkeit eines Richters für den Antragsteller herausstellte, also ab dem Telefonat mit dem Vormundschaftsrichter, die Ingewahrsamnahme bis zur Zuführung zum Richter als rechtswidrig eingestuft werden muss. Das OLG Celle hat in der oben angeführten Entscheidung (Beschluss vom 22.12.2004, 16 W 155/04) sogar die Freiheitsentziehung im Zeitpunkt der Festnahme bis zur richterlichen Entscheidung als rechtswidrig eingestuft. Dies kann auf den vorliegenden Fall aber nicht umstandslos übertragen werden. Der Entscheidung des OLG Celle lag eine durch die Ausländerbehörde veranlasste Festnahme zur Sicherung der Abschiebung zugrunde (vgl. zur fehlenden Rückgriffsmöglichkeit in einem solchen Fall auf die Vorschriften des HSOG: Senatsbeschluss vom 11.01.2006, 20 W 108/05, Jurisdok.; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.12.2001, Az.: 1 Ss 227/01, Jurisdok. Abs. 9 = NstZ 2002, 256) und keine Ingewahrsamnahme aufgrund des polizeirechtlichen Grundsatzes der Gefahrenabwehr. Im hier zu entscheidenden Fall durfte der Antragsteller den Betroffenen festnehmen. Wie oben dargelegt, schied hier - anders als im Fall des OLG Celle - die richterliche Anordnung einer vorläufigen Freiheitsentziehung aus. Dementsprechend war die Feststellung der Rechtswidrigkeit auf die Zeit ab 16.00 Uhr zu begrenzen.

Eine weitere Begrenzung der vom Landgericht festgestellten Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme hat für den 03.06.2006 zu erfolgen und zwar ab dem Zeitpunkt ab dem der Betroffene der richterlichen Anhörung tatsächlich zugeführt, also zum Gericht verbracht worden ist, denn ab diesem Zeitpunkt setzte das rechtsstaatliche Verfahren (§§ 32 I Nr. 2, 33, 35 I Nr. 2 HSOG) wieder ein. Anhaltspunkte dafür, dass es ab diesem Zeitpunkt zu weiteren Verzögerungen ohne sachlichen Grund gekommen ist, sind nicht ersichtlich und vom Betroffenen auch nicht vorgetragen worden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 33 II HSOG, 16 FEVG, 13 a I S. 1 und 2 FGG, 11 KostO. Die Wertfestsetzung beruht auf § 30 II KostO.

Soweit sich die Beschwerde des Betroffenen gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Landgericht richtet, konnte sie keinen Erfolg haben. Die Entscheidung des Landgerichts, durch die es einem Beteiligten für ein Erstbeschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Prozesskostenhilfe versagt, ist nach der Neufassung der Beschwerdevorschriften durch das ZPO-RG nur bei Zulassung durch das Landgericht mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar (BayObLG, RGPrax 2002, 182 ff; OLG Hamm FGPrax 2002, 227 ff). Abgesehen davon fehlt der Beschwerde - wie der Ausgang dieses Verfahrens zeigt - auch die erforderliche Erfolgsaussicht für sein weitergehendes Begehren.

Ende der Entscheidung

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