Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.01.2005
Aktenzeichen: 20 W 438/04
Rechtsgebiete: GG, GVG


Vorschriften:

GG Art. 101 I 2
GVG § 16 2
GVG § 21 e
GVG § 59
GVG § 75
Die für die Vertretung bei endgültiger und dauernder Verhinderung entwickelten Grundsätze können nicht auf die Besetzung der Spruchkörper übertragen werden.
Gründe:

Der Beteiligte zu 1. rügt die Besetzung der ... Zivilkammer des Landgerichts X im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung (§§ 78 GBO, 547 Nr. 1 ZPO). Diese Rüge hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Entgegen der Meinung der weiteren Beschwerde ist die Besetzung nicht wegen eines Verstoßes gegen § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlerhaft. Die weitere Beschwerde übersieht, dass es in der Beschwerdeinstanz im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keinen originären Einzelrichter gibt. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 FGG findet nur § 526 ZPO entsprechende Anwendung, nicht aber § 568 ZPO.

Die Besetzung der ... Zivilkammer des Landgerichts X erweist sich jedoch deshalb als fehlerhaft, weil der Kammer im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nur noch zwei ordentliche Mitglieder angehörten.

Nach der vom Senat bei dem Präsidenten des Landgerichts X eingeholten Auskunft sind der Vorsitzende Richter am Landgericht A und die Richterinnen am Landgericht C und B für das Jahr 2004 von dem Gerichtspräsidium zu ordentlichen Mitgliedern der ... Zivilkammer bestimmt worden. Nach dem Tod des Vorsitzenden Richters am Landgericht A am 6. Juli 2004 bestand die ... Zivilkammer zunächst nur noch aus zwei ordentlichen Mitgliedern. Durch Beschluss des Präsidiums vom 5. Oktober 2004 wurde der ... Zivilkammer mit Wirkung ab 18. Oktober 2004 ein weiterer Beisitzer (Richter am Landgericht D) als ordentliches Mitglied zugewiesen.

Zwar weist der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts X für das Geschäftsjahr 2004 als Vertreter der Beisitzer der .... Zivilkammer den an der angefochtenen Entscheidung beteiligten Richter E aus, doch lag hier ein Vertretungsfall, der die Mitwirkung des Richters E an der angefochtenen Entscheidung hätte rechtfertigen können, nicht vor.

Die mögliche Annahme des Landgerichts, die für die Vertretung vorübergehend verhinderter Richterinnen und Richter eines Spruchkörpers entwickelten Grundsätze seien auf die Besetzung des Spruchkörpers übertragbar, vermag der Senat nicht zu teilen.

Im einzelnen:

Nach § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG bestimmt das Präsidium die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Jedem Spruchkörper müssen ein Vorsitzender Richter und mindestens so viele Beisitzer zugewiesen werden, wie zur gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung erforderlich sind (Kissel/Mayer GVG 4. Aufl. § 21e Rn. 127, 128; Zöller/Gummer ZPO 25. Aufl. § 21e GVG Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Manfred Wolf 2. Aufl. § 21e Rn. 25, 26). Zivilkammern entscheiden in der Besetzung mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden (§ 75 GVG), so dass der Zivilkammer mindestens drei Mitglieder angehören müssen.

Für jede Richterin und jeden Richter ist für den Fall vorübergehender Verhinderung ein Vertreter zu bestimmen (vgl. Kissel/Mayer aaO § 21e Rn. 140, 144; Zöller/Gummer aaO § 21e GVG Rn. 16, 39; Manfred Wolf aaO § 21e GVG Rn. 41, 42; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 63. Aufl. § 21e GVG Rn. 7).

Bei endgültiger Verhinderung eines Richters durch Freiwerden einer Richterstelle auf Grund Richterwechsels (z.B. durch Versetzung, Pensionierung, Tod) oder dauernder Verhinderung (z.B. sehr langer Erkrankung) muss der Geschäftsverteilungsplan geändert werden (vgl. dazu nur Zöller/Gummer aaO § 21e GVG Rn. 39; KK-StPO/Diemer 5. Auflage § 21e GVG Rn. 9). Das Gesetz lässt die Änderung des Geschäftsverteilungsplans für den Fall des Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter bereits im Laufe des Geschäftsjahres ausdrücklich zu (§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG). Die Änderungsbefugnis des Präsidiums ist dabei nicht auf die betroffene Richterstelle beschränkt, sondern gestattet auch sachgerechte andere Änderungen, jedoch nicht beliebige Umstrukturierungen (vgl. dazu Kissel/Mayer aaO § 21e Rn. 113 ff; Zöller/Gummer aaO § 21e GVG Rn. 43; Manfred Wolf aaO § 21e GVG Rn. 43 ff; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 63. Aufl. § 21e GVG Rn. 16 ff; KK-StPO/Diemer aaO § 21e GVG Rn. 14).

Nach allgemeiner Auffassung soll auch bei endgültiger Verhinderung und bei dauernder Verhinderung jedenfalls eines Vorsitzenden Richters in Anbetracht der möglicherweise eine gewisse Zeit erfordernden Umstände der Wiederbesetzung (z.B. Ausschreibung, Beteiligung von Gremien) die geschäftsplanmäßige Vertretungsregelung bis zur (möglichst zeitnahen) Änderung des Geschäftsverteilungsplans gelten (vgl. BVerwG Beschluss vom 11. Juli 2001 in der Sache 1 DB 20/01 dokumentiert bei juris und abgedruckt NJW 2001, 3493 sowie Beschluss vom 26. März 2003 in der Sache 4 B 19/03 dokumentiert bei juris; Kissel/Mayer aaO § 21e Rn. 142; Zöller/Gummer aaO § 21e GVG Rn. 39d; Manfred Wolf aaO § 21e GVG Rn. 42; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 63. Aufl. § 21e GVG Rn. 7; KK-StPO/Diemer aaO § 21e GVG Rn. 9). Danach werden die endgültige Verhinderung und die dauernde Verhinderung jedenfalls für einen gewissen Zeitraum als eine nur vorübergehende Verhinderung behandelt.

Auch das Bundesverfassungsgericht verneint einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und § 16 Satz 2 GVG soweit eine sich aus der Sache ergebende und unvermeidbare Ungewissheit über die Person des gesetzlichen Richters entsteht, wie dies bei Fällen des Ausscheidens, der Krankheit, der Verhinderung, des Urlaubs oder des Wechsels eines oder mehrerer Richter der Fall ist (BVerfG Beschluss vom 27.7.2004 in der Sache 1 BvR 801/04 = NJW 2004, 3696; so bereits BVerfG Beschluss vom 30.3.1965 in der Sache 2 BvR 341/60 = BVerfGE 18, 423 = NJW 1965, 1223).

Unterschiedlich wird allerdings die Frage beantwortet, welcher Zeitraum ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und § 16 Satz 2 GVG bis zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans vergehen darf (vgl. dazu Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, S. 284 ff.; vgl. auch BVerwG aaO). Dabei wird z.B. nach vermeidbarer und unvermeidbarer Vakanz differenziert und nach vorhersehbarer und nicht vorhersehbarer endgültiger Verhinderung gewichtet.

Das Bundesverfassungsgericht hat angenommen, dass bei einer Vakanz einer Vorsitzendenstelle von knapp 3 Monaten grundsätzlich noch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Wiederbesetzung in verfassungswidriger Weise hinausgezogen worden sei (BVerfG Beschluss vom 3.3.1983 in der Sache BvR 265/83 = NJW 1983, 1541).

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 11. Juli 2001 aaO) kann die Vertretungsregelung bei einer auf endgültiger oder dauernder Verhinderung beruhenden Vakanz einer Vorsitzendenstelle, bei der es sich um einen an sich normwidrigen Zustand handelt, nur für eine kurze Übergangszeit hingenommen werden, denn jede vermeidbare und die übliche Dauer echter Vertretungsfälle überschreitende Verzögerung der (vorübergehenden) Übertragung des Vorsitzes an einen anderen, bereits bestellten Vorsitzenden Richter entzieht der Vertretungsregelung die Grundlage und führt zur nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Spruchkörpers.

Der Senat ist der Auffassung, dass der Zeitpunkt der Änderung der Geschäftsverteilung bei endgültiger oder dauernder Verhinderung nur sehr eingeschränkt von Umständen abhängig gemacht werden darf, die sich aus der Organisationsverantwortung der Justizverwaltung bei der Stellenbesetzung ergeben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Verantwortung für die Gewährleistung des gesetzlichen Richters in erster Linie dem Gerichtspräsidium und den entscheidenden Richterinnen und Richtern und nicht der Justizverwaltung obliegt. Erst der Geschäftsverteilungsplan und der Mitwirkungsplan (§ 21g GVG) bestimmen den gesetzlichen Richter (BVerfG Beschluss vom 3.5.2004 in der Sache 2 BvR 1825/02 = NJW 2004, 3482). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass das Gesetz dem Präsidium des Gerichts Regeln zur Problemlösung an die Hand gibt. So sieht das Gesetz z.B. vor, dass Richterinnen und Richter und zwar auch Vorsitzende Richterinnen und Vorsitzende Richter mehreren Spruchkörpern zugewiesen werden können (§§ 21e Abs. 1 Satz 4 GVG) und dass das Präsidium sich an die Landesjustizverwaltung wenden kann, soweit die Vertretung eines Mitglieds nicht durch ein Mitglied desselben Gerichts möglich ist (§ 70 Abs. 1 GVG).

Die für die Behandlung der endgültigen Verhinderung eines Vorsitzenden Richters als eine nur vorübergehende Verhinderung entwickelten Grundsätze betreffen allein die Vertretung, nicht aber die vom Gesetz vorgeschriebene Besetzung einer Zivilkammer. Sie gestatten es nicht, die Zahl der ordentlichen Mitglieder einer Zivilkammer unter die vom Gesetz vorgesehene Mindestzahl von drei Richtern sinken zu lassen. Eine auch nur vorübergehende Besetzung einer Zivilkammer mit weniger als drei Richtern kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

Im Übrigen ist es regelmäßig nicht unvermeidbar, sondern möglich, den gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Besetzung einer Zivilkammer mit drei ordentlichen Mitgliedern durch Zuweisung eines weiteren beisitzenden Richters zu genügen. Zum einen ist die Zahl der Richter im Eingangsamt insgesamt und auch in den einzelnen Gerichten stets erheblich größer als die Zahl der Vorsitzenden Richter und zum anderen erfordert die Zuweisung eines neuen Richters, z.B. eines Richters auf Probe bei sachgerechter Personalbewirtschaftung regelmäßig keinen nennenswerten Zeitraum.

Deshalb hätte das Präsidium des Landgerichts X unverzüglich nach dem Tod des Vorsitzenden Richters A und nicht erst mehr als drei Monate später eine Änderung der Geschäftsverteilung z.B. durch Zuweisung zumindest eines beisitzenden Richters beschließen und erforderlichenfalls einen Antrag nach § 70 Abs. 1 GVG stellen müssen.

Da das Präsidium des Landgerichts X der ... Zivilkammer einen weiteren Richter erst durch Beschluss vom 4. Oktober 2004 mit Wirkung vom 18. Oktober 2004 zugewiesen hat, war die ... Zivilkammer am 11. Oktober 2004 nicht ordnungsgemäß besetzt.

Danach kann hier sogar dahinstehen, ob nicht auch deshalb von einer fehlerhaften Besetzung der .... Zivilkammer auszugehen ist, weil die Stelle des Vorsitzenden Richters der ... Zivilkammer bis zum Tag der landgerichtlichen Entscheidung und damit mehr als drei Monate und bei einer krankheitsbedingten dem Tod voraus gegangenen dauernden Verhinderung möglicherweise noch sehr viel länger nicht mit einer Vorsitzenden Richterin/einem Vorsitzenden Richter am Landgericht besetzt war (vgl. dazu nur BVerwG aaO).

Ende der Entscheidung

Zurück