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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.12.2000
Aktenzeichen: 20 W 460/00
Rechtsgebiete: HGB, HRV, KostO


Vorschriften:

HGB § 36
HGB § 33 Abs. 1
HGB § 33 Abs. 2 Satz 2
HGB § 1 ff
HGB § 29
HRV § 40 Abs. 4
KostO § 131 Abs. 2
KostO § 30 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 460/00

13 T 9/00 LG Kassel

880 AR 98/00 AG Kassel

Entscheidung vom 29.12.2000

In der Handelsregistersache

der ... Öffentliche Versicherungsanstalt ..., Antragstellerin, Beschwerdeführerin und weitere Beschwerdeführerin,

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde der Anmelderin gegen den Beschluss der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Kassel vom 24. August 2000 am 29. Dezember 2000 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 27. März 2000 werden aufgehoben.

Das Amtsgericht wird angewiesen, die begehrte Eintragung nicht aus den bisherigen Gründen abzulehnen.

Beschwerdewert: 10.000,-- DM.

Gründe:

Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Eintragung der Anmelderin als Anstalt des öffentlichen Rechts in das Handelsregister kann nicht mit der Begründung versagt werden, der in der Satzung der Anmelderin vorgesehene Mehrfachsitz in W., K. und E. sei unzulässig.

Da durch Art. 3 des Handelsrechtsreformgesetzes (HRefG) vom 22. Juni 1998 (BGBl I S. 1474) § 36 des früheren HGB aufgehoben wurde, sind seit dem 01. Juli 1998 auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, deren Eintragung in das Handelsregister mit Rücksicht auf den Gegenstand oder auf die Art und den Umfang ihres Gewerbebetriebes zu erfolgen hat, zur Eintragung anzumelden. Gemäß Art. 38 EGHGB ist hierfür eine Anmeldung bis zum 31. März 2000 und eine Gebührenfreiheit für die Ersteintragung vorgesehen.

Hiernach unterfällt die Anmelderin der Anmeldepflicht, da sie ein Handelsgewerbe (§ 1 Abs. 2 HGB) betreibt und gemäß § 1 Abs. 1 ihrer Satzung eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechtes und damit eine juristische Person im Sinne des § 33 Abs. 1 HGB ist.

Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 HGB in Verbindung mit § 40 Abs. 4 der Handelsregisterverfügung (HRV) ist bei der Eintragung unter anderem der Sitz der juristischen Person anzugeben. Die materiell-rechtlichen Anforderungen an die einzutragenden Rechtsverhältnisse ­ hier also den Sitz ­ ergeben sich mangels einschlägiger Bestimmungen in den § 1 ff HGB aus den speziellen für die jeweilige juristische Person geltenden materiellen Vorschriften.

Die Organisation der Anmelderin als rechtsfähiger Anstalt des öffentlichen Rechtes beruht auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Sie ist in der Satzung der Anmelderin näher geregelt. Diese Satzung findet ihre Rechtsgrundlage in § 19 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Neuordnung des öffentlichen Bank- und Sparkassenwesens und über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Hessen-Nassauischen Versicherungsanstalten in der Fassung vom 08. Februar 1990 (Hess. GVBl. I S. 38), geändert durch Gesetz zur Änderung des Hessischen Sparkassengesetzes und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften vom 13. September 1990 (Hess. GVBl. I S. 539), dem Staatsvertrag zwischen den Ländern Hessen und Thüringen über die Bildung einer gemeinsamen Sparkassenorganisation vom 10. März 1992 (Hess. GVBl. I S. 190) und § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Nassauischen Brandversicherungsanstalt Wiesbaden und der Hessischen Brandversicherungsanstalt für Gebäude Darmstadt vom 27. Juli 1993 (Hess. GVBl. I S. 352). Gemäß Art. 15 Abs. 2 des vorgenannten Staatsvertrages ist die öffentliche Versicherungsanstalt eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechtes und hat ihren Sitz in W. und E., wobei die Satzung weitere Orte als Sitz bestimmen kann. Von dieser Ermächtigung wurde in § 1 Abs. 2 der Satzung 1998 der Anmelderin dergestalt Gebrauch gemacht, dass K. zum weiteren Sitz bestimmt wurde. Die zuletzt am 26. November 1997 und 26. März 1998 geänderte Satzung wurde am 22. Mai 1998 durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen sowie am 17. März 1998 und 19. Mai 1998 durch das Thüringer Finanzministerium im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung sowie im Benehmen mit dem Ministerium des Inneren und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz genehmigt und im Bundesanzeiger Nr. 105 vom 10. Juni 1998 veröffentlicht.

Damit ist nach den speziell für die Organisation der Anmelderin geltenden Vorschriften die Bildung von Mehrfachsitzen an den Orten W., E. und K. ausdrücklich zugelassen. Dies verstößt auch nicht gegen sonstige höherrangige Vorschriften des öffentlichen Rechts, da dort keine allgemeinen Regelungen existieren, die die Bildung von Doppel- oder Mehrfachsitzen für rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechtes verbieten. Nach den hier in materieller Hinsicht allein maßgeblichen öffentlichrechtlichen Vorschriften ist somit die Bildung von Mehrfachsitzen an den Orten W., E. und K. zulässig.

Der Eintragung dieser in zulässiger Weise begründeten Mehrfachsitze in das Handelsregister können des weiteren zivilrechtliche, insbesondere handelsrechtliche Vorschriften nicht entgegen gehalten werden. Zwar wurde bisher in der Rechtsprechung für juristische Personen des Privatrechts die Begründung eines Doppelsitzes nur in besonderen Ausnahmefällen zugelassen (vgl. BayObLGZ 1985, 111 = Rpfleger 1985, 242). Dies beruht jedoch im wesentlichen darauf, dass die einschlägigen materiellen Vorschriften etwa für Aktiengesellschaften, GmbHs und Genossenschaften jeweils von nur einem einzigen statutarisch festzulegenden Sitz ausgehen. Bereits deshalb kann diese Rechtsprechung auf die nach dem HRefG nunmehr ebenfalls in das Handelsregister einzutragenden juristischen Personen des öffentlichen Rechtes nicht übertragen werden. Eine derartige Ausdehnung der Regelung des HRefG, die sich inhaltlich nur auf die Registerpflicht der juristischen Personen des öffentlichen Rechtes bezieht, würde auch gegen die in Art. 70 GG geregelte grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Organisation öffentlichrechtlicher Anstalten und Körperschaften verstoßen.

Insgesamt ist somit die Eintragung von Mehrfachsitzen für die Anmelderin als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts im Handelsregister zulässig (vgl. ebenso Bay- ObLG Rpfleger 2000, 551 = BayObLGZ 2000, 210 = FGPrax 2000, 209 = NJW-RR 2001, 28 für Sparkassen als öffentlich-rechtliche Anstalten).

Die Anmeldung hat für juristische Personen des öffentlichen Rechts nach § 29 HGB bei dem Gericht, in dessen Bezirk sich die Handelsniederlassung befindet, zu erfolgen. Unter Handelsniederlassung ist der Mittelpunkt des Geschäftsbetriebes zu verstehen, somit der tatsächliche Verwaltungsmittelpunkt des Betriebes bzw. die kaufmännische Leitung, der nicht zwangsläufig mit dem Sitz einer juristischen Person identisch sein muss ( vgl. Heymann/Emmerich, HGB, 2. Aufl., § 29 Rn. 8 und § 33 Rn. 7 m.w.N.; OLG Hamm BB 1958, 1001; BayObLG a.a.O.). Ist die kaufmännische Leitung und tatsächliche Verwaltung im Falle zulässig begründeter und gleichberechtigter Mehrfachsitze auf diese verteilt, so wird eine Anmeldung und Eintragung bei sämtlichen Sitzgerichten zu erfolgen haben.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 Kost0.



Ende der Entscheidung

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