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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.01.2006
Aktenzeichen: 20 W 52/05
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 131
AktG § 132
1. Eine Aktiengesellschaft kann verpflichtet sein, einem Aktionär in der Hauptversammlung auf Frage Auskunft über die Gesamtvergütung der Mitglieder eines Gremiums zu erteilen, das innerhalb einer Umstrukturierung der Führungsebene neu geschaffen wurde und dem eine herausragende, exponierte Stellung zukommt.

2. Eine Auskunft über die Höhe der Vergütung einzelner Mitglieder dieses Gremiums, die nicht dem Vorstand angehören, darf der Vorstand zur Vermeidung des Nachteils der Abwerbung solcher Mitarbeiter verweigern.


Gründe:

I.

Im Anschluss an die ordentliche Hauptversammlung der Antragsgegnerin hat der Antragsteller als Aktionär bei dem Landgericht nach Rücknahme und Erledigterklärung weiterer Fragen zuletzt noch Antrag auf Auskunftserteilung gemäß § 132 AktG zu folgender in der Hauptversammlung der Antragsgegnerin vom 2. Juni 2004 nicht beantworteter Frage gestellt:

Welches die geldwerten Leistungen für jedes einzelne (also getrennte Auflistung) Mitglied des ... Committee (im folgenden: GEC) im Geschäftsjahr 2003 waren ( (Grundgehalt, Prämien, Tantiemen, Werte von Optionen pp.) ?

Mit Beschluss vom 18. Januar 2005 (Bl. 163 - 175 d. A.), auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das Landgericht diesen Antrag als unbegründet zurückgewiesen und die Beschwerde zugelassen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, angesichts der derzeitigen gesetzlichen Regelung der §§ 285 Nr. 9 und 286 Abs. 4 HGB, wonach sogar für den Vorstand der Gesellschaft Einzelangaben zur Vergütung nicht zu veröffentlichen seien, müsse auch im Rahmen des Verfahrens nach § 132 AktG dem Interesse des Einzelnen, seine Einkommensverhältnisse nicht offenbart zu sehen, der Vorrang vor dem Interesse des einzelnen Aktionärs eingeräumt werden.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, mit der er im wesentlichen geltend macht, ein Auskunftsverweigerungsrecht aus Gründen des Datenschutzes, auf welches sich die Antragsgegnerin in der Hauptversammlung zunächst nicht berufen habe, könne weder aus den hier nicht anwendbaren Vorschriften über die Veröffentlichung der Bezüge der Organmitglieder noch aus den Bestimmungen des BDSG hergeleitet werden; jedenfalls überwiege das durch Art. 14 GG geschützte Informationsinteresse der Aktionäre. Durch die Erteilung der Auskunft über die Einzelvergütungen werde die wahre Bedeutung und Struktur des GEC, das die Geschäfte mit dem Vorstand führe, offenbart.

Die Antragsgegnerin tritt der sofortigen Beschwerde entgegen. Sie ist der Auffassung, die Auskunft über die Einzelvergütung der GEC-Mitglieder sei für die Aktionäre zur Beurteilung der Tagesordnung nicht erforderlich, für die Gesellschaft jedoch wegen der erhöhten Gefahr der Abwerbung und der Unzulässigkeit der Offenlegung im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen erheblich nachteilig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist kraft Zulassung im landgerichtlichen Beschluss nach § 132 Abs. 3 Satz 2 AktG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Das Rechtsmittel führt jedoch in der Sache nicht zum Erfolg, da ein Anspruch des Antragstellers auf Auskunft über die Einzelbezüge der GEC-Mitglieder nicht besteht.

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist. Durch die Gewährung des Auskunftsrechtes soll es dem Aktionär ermöglicht werden, von seinem Stimmrecht und den sonstigen Mitgliedschaftsrechten einen sinnvollen Gebrauch zu machen. Er soll hierdurch in die Lage versetzt werden, die Gegenstände der Tagesordnung beurteilen zu können. Dazu sind ihm diejenigen konkreten Informationen zu erteilen, die er zur sachgerechten Ausübung seines Rechts auf Teilnahme an der Hauptversammlung benötigt. Nach seiner Zweckbestimmung ist das Auskunftsrecht auf solche Auskünfte beschränkt, die zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung der Hauptversammlung erforderlich sind. Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung ist hierfür ein objektiver Maßstab geboten. Allgemein wird eine Auskunft für erforderlich gehalten, wenn sie aus der Sicht eines vernünftigen Durchschnittsaktionärs, der die Gesellschaftsverhältnisse nur aufgrund allgemein bekannter Tatsachen kennt, ein wesentliches Element für seine Urteilsfindung bildet und deshalb von ihm benötigt wird (vgl. BayObLG AG 96, 563 und NJW-RR 96, 680; KG ZIP 95, 1585; OLG Düsseldorf WM 86, 1435; OLG Frankfurt am Main AG 94, 39; MünchKomm AktG/Kubis, § 131 Rn. 1; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 131 Rn. 1; KölnKomm AktG/Zöllner § 131 Rn. 2, jeweils m. w. N.). Dies kann jeweils nur im Zusammenhang mit dem konkret betroffenen Tagesordnungspunkt der Hauptversammlung beurteilt und beantwortet werden (vgl. BayObLG AG 96, 563 und 2001, 424; OLG Stuttgart AG 2001, 540; KG ZIP 95, 1585; OLG Frankfurt AG 94, 39). Dabei ist hinsichtlich der hier jeweils betroffenen Tagesordnungspunkte der Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrates für die Beurteilungsrelevanz die gesetzliche Funktion der Entlastung zu berücksichtigen (BayObLG NJW-RR 96, 680; OLG Karlsruhe NZG 96, 604; OLG Frankfurt AG 94, 36). Diese besteht nach § 120 Abs. 2 AktG in der Billigung der Verwaltung der Gesellschaft durch die Mitglieder der Gesellschaftsorgane des Vorstandes und des Aufsichtsrates, enthält jedoch keinen Verzicht auf Ersatzansprüche und gilt typischerweise auch als Vertrauenskundgabe für die künftige Verwaltung (BGHZ 94, 326; KölnKomm/Zöllner § 120 Rn. 21 m.w.N.). Durch die gesetzliche Vorgabe des § 120 Abs. 3 AktG über die Verbindung der Verhandlungen über die Entlastung und die Verwendung des Bilanzgewinnes sowie die Verpflichtung zur Vorlage von Jahresabschluss, Lagebericht und Bericht des Aufsichtsrates wird zugleich der Rahmen aufgezeigt, in dem die Aktionäre mit der Entscheidung über die Entlastung eine Gesamtwürdigung vornehmen sollen (OLG Frankfurt AG 94, 39). Ist nach diesen Maßstäben ein Auskunftsanspruch des Aktionärs gegeben, so darf der Vorstand nach § 131 Abs. 3 AktG die Auskunft nur verweigern, wenn einer der dort aufgezählten Fälle gegeben ist.

Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht zu Recht einen Auskunftsanspruch des Antragstellers über die Einzelvergütung der Mitglieder des GEC abgelehnt, nachdem in der Hauptversammlung vom Vorstand auf diese und ähnliche Fragen bezüglich der 4 im GEC vertretenen Vorstandsmitglieder auf die freiwillige Veröffentlichung der Bezüge entsprechend der Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex hingewiesen und im übrigen die Auskunft unter Hinweis auf Nachteile für den Wettbewerb verweigert wurde.

Allerdings hat der Senat bezüglich des Auskunftsbegehrens eines anderen Aktionärs im Anschluss an die auch hier maßgebliche Hauptversammlung der Antragsgegnerin mit Beschluss vom heutigen Tage ( 20 W 56/05) einen Auskunftsanspruch zu der Frage nach der Gesamtvergütung der nicht im Vorstand vertretenen Mitglieder des GEC bestätigt. Bei dieser Frage nach der Gesamtvergütung handelt sich nach Auffassung des Senates um eine Auskunft über eine Angelegenheit der Gesellschaft, die zur sachgemäßen Beurteilung der Tagesordnungspunkte "Entlastung des Vorstandes" und "Entlastung des Aufsichtsrats" erforderlich ist und für die im Hinblick auf die damit nicht gegebene Individualisierbarkeit der Einzelvergütungen kein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG zur Abwehr von Abwerbungsversuchen oder zum Schutz des informationellen Selbstbestimmmungsrechtes der einzelnen GEC-Mitglieder besteht. Der Senat hat in der dortigen Entscheidung, auf deren Inhalt im einzelnen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, insbesondere näher ausgeführt, dass die Beurteilungsrelevanz der Gesamtvergütung im wesentlichen darauf beruht, dass die Antragsgegnerin mit der Gründung dieses Gremiums im Jahre 2002 jedenfalls eine grundlegend neue Führungsstruktur der Gesellschaft geschaffen hat, die in der Öffentlichkeit starke Beachtung gefunden und eine breite Diskussion über die Zulässigkeit organexterner Führungsgremien sowie die Stärkung der Position des Vorstandsvorsitzenden oder -sprechers ausgelöst hat (vgl. hierzu im Einzelnen Hoffmann-Becking NZG 03, 745 und Götz ZGR 2003, 1, 9 jeweils m.w.N.). Insbesondere aus der Institutionalisierung des Zusammenwirkens des Vorstandes mit den sieben Leitern der wichtigsten Geschäftsbereiche ("Global Business Heads") unter der Führung des Vorstandssprechers, dem zugleich die nicht dem Vorstand angehörenden GEC-Mitglieder zu berichten haben (vgl. Hoffmann-Becking, a.a.O., S. 748 ergibt sich, dass vom Vorstand ein neuartiges Gremium eingerichtet wurde, dem innerhalb der Organisationsstruktur der Gesellschaft eine exponierte Stellung und herausragende Bedeutung zukommt. Die nicht zum Vorstand gehörenden GEC-Mitglieder erhalten durch ihre Einbindung in dieses Gremium eine über ihre bisherige Führungsposition in den einzelnen Geschäftsbereichen hinausgehende, exponierte Stellung innerhalb der Konzerngesellschaft. Da es sich bei der Schaffung dieses Gremiums deshalb nach Auffassung des Senates aus der Sicht eines vernünftigen Durchschnittsaktionärs um eine bedeutsame unternehmerische Entschließung mit weit reichender Bedeutung für die Gesellschaft handelt, ist eine Beurteilungsrelevanz der Gesamtvergütung der nicht dem Vorstand angehörenden Mitglieder des GEC in Bezug auf die Tagesordnungspunkte der Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrates anzuerkennen.

Anders verhält es sich jedoch bei der hier von dem Antragsteller begehrten Auskunft über die Einzelvergütung der GEC-Mitglieder. Die Bekanntgabe der Einzelvergütung erachtet der Senat zur Beurteilung der hierfür allein in Betracht kommenden Tagesordnungspunkte der Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrates aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Durchschnittsaktionärs nicht für erforderlich. Die jeweiligen Einzelvergütungen stellen keine wesentlichen Informationen dar, die der einzelne Aktionär für die von ihm insoweit zu treffende Entscheidung über die Billigung der Verwaltung der Konzerngesellschaft durch die Gesellschaftsorgane des Vorstandes und des Aufsichtsrates im abgelaufenen Geschäftsjahr sowie eine Vertrauenskundgabe für deren künftige Tätigkeit als wesentliches Element für seine Urteilsfindung benötigt. Vielmehr kommt es für die Einschätzung der Bedeutung dieses neu geschaffenen Gremiums und seiner Stellung innerhalb des Konzerns nur auf die von dem hiesigen Antragsteller gerade nicht erfragten Gesamtvergütung an, soweit sie von der Antragsgegnerin nicht bereits ohnehin in Bezug auf die einzelnen Vorstandsmitglieder veröffentlicht wurde.

Unabhängig davon ist im Unterschied zur Gesamtvergütung hinsichtlich der Einzelvergütung der Mitglieder des GEC auch ein Auskunftsverweigerungsrecht der Antragsgegnerin unter dem Gesichtspunkt der Abwehr von Abwerbungsversuchen anzuerkennen. Hierbei handelt es sich im vorliegenden Fall um Angaben, deren Bekanntgabe der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil im Sinne des § 131 Abs. 2 Nr. 1 AktG zufügen könnte (vgl. etwa MünchKomm/Kubis, a.a.O., § 131 Rn. 209 m.w.N.; KG AG 94, 469).

Die Antragsgegnerin hat insoweit unter Hinweis auf entsprechende Presseberichte nachvollziehbar dargelegt, dass bei derartigen Führungskräften eine Gefahr der Abwerbung durch die Konkurrenz im Hinblick auf den Bekanntheitsgrad und die bekannte Qualifikation dieser Personen bereits ohne die Bekanntgabe der individuellen Bezüge gegeben ist. Im Unterschied zur bloßen Bekanntgabe der auf die einzelnen Personen nicht hinreichend individualisierbaren Gesamtvergütung wäre die Kenntnis der konkreten Einzelbezüge durchaus geeignet, die Abwerbung von einzelnen Führungskräften für Konkurrenzunternehmen zusätzlich zu erleichtern und zu fördern. Eine konkrete Gefahr der Erhöhung derartiger Abwerbungen durch die Erteilung der Auskunft über die Einzelvergütungen der Mitglieder des GEC erscheint dem Senat deshalb plausibel.

Ein Auskunftsanspruch des Antragstellers war deshalb abzulehnen und die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, ohne dass es auf die von dem Antragsteller im übrigen aufgeworfenen Fragen und Probleme, insbesondere auch zur Protokollierung der Hauptversammlung im einzelnen ankäme.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 132 Abs. 5 S. 7 AktG i.V.m. § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.

Die Festsetzung des Wertes beruht auf § 132 Abs. 5 S. 1 und 5 AktG.

Ende der Entscheidung

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