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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 07.03.2005
Aktenzeichen: 20 W 538/04
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 34
FGG § 69 g I 1
Hat das Amtsgericht die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, weil der Betroffene nach den amtswegigen Ermittlungen und insbesondere dem Inhalt eines eingeholten Sachverständigengutachtens seine Angelegenheiten selbst erledigen kann und deshalb eine Betreuung nicht erforderlich ist, so kommt eine Akteneinsicht gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen in der Regel auch für nach § 69 g Abs. 1 S. 1 FGG beschwerdeberechtigte Angehörige nicht in Betracht.
Gründe:

Die Beteiligte zu 1) regte im August 2003 die Einrichtung einer Betreuung für die umfassende Personen- und die Vermögenssorge für die damals 70jährige Betroffene an und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, ihre Mutter leide unter Verfolgungswahn sowie gesundheitlichen sonstigen Beeinträchtigungen und könne ihre persönlichen und finanziellen Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln. Diese Anregung wurde von der in ... lebenden Beteiligten zu 2) unterstützt. Die Betroffene erteilte ihrem Sohn, der zwischenzeitlich in ihr Haus übersiedelt ist, am 08. September 2003 einen notariell beurkundete, umfassende Altersvorsorge- und Generalvollmacht. Nach persönlicher Anhörung der Betroffenen, der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Erforderlichkeit einer Betreuung sowie dessen Ergänzung zur Frage der Geschäftsfähigkeit lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 03. März 2004 die Bestellung eines Betreuers ab und führte zur Begründung aus, es sei festgestellt worden, dass die Betroffene eine Vorsorgevollmacht wirksam erteilt habe und von dem Bevollmächtigten ausreichend vertreten werde, so dass eine Betreuung nicht erforderlich sei.

Am 05. August 2004 beantragte die damalige gemeinsame Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) und 2), Einsicht in die Verfahrensakte zu gewähren. Dies lehnte der Amtsrichter mit Verfügung vom 17. August 2004 ab, nachdem die Betroffene einer Akteneinsicht widersprochen hatte.

Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde beriefen sich die Antragstellerinnen auf das ihnen gesetzlich in § 69 g FGG eingeräumte Beschwerderecht und führten zur Begründung im Wesentlichen aus, die Anregung zur Betreuung sei von ihnen gestellt worden, weil sie sich größte Sorgen um den Gesundheitszustand der Betroffenen gemacht hätten. Die Akteneinsicht werde benötigt um festzustellen, aufgrund welcher Tatsachen die Bestellung eines Betreuers abgelehnt worden sei. Die Betroffene, die sich bereits in der richterlichen Anhörung über den Antrag auf Anregung einer Betreuung verärgert und gekränkt gezeigt hatte und hierfür finanzielle Gründe vermutete, lehnte eine Akteneinsicht unter Hinweis auf ihr Persönlichkeitsrecht weiterhin ab.

Am 30. November 2004 beschloss das Landgericht, die Verfügung des Amtsgerichts Groß-Gerau vom 17. August 2004 aufzuheben und den Beteiligten zu 1) und 2) Akteneinsicht zu gewähren.

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der weiteren Beschwerde, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, aus ihrer Sicht gehe es der Beteiligten zu 1) mit der Betreuungsanregung, die sie weiterhin als unsachlichen Versuch einer Bevormundung empfinde, im Wesentlichen darum, sich selbst zur Betreuerin bestellen lassen zu wollen, obwohl sie in erheblicher räumlicher Entfernung in Freiburg wohne.

Die weitere Beschwerde der Betroffenen ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung über die Akteneinsicht nicht alle maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalles einbezogen, so dass diese keinen Bestand haben kann.

Im Ansatzpunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Gewährung von Akteneinsicht nach § 34 Abs. 1 FGG voraussetzt, dass ein berechtigtes Interesse hieran glaubhaft gemacht wird und eine nach pflichtgemäßen Ermessen vorzunehmende Interessensabwägung zu erfolgen hat. Ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht ist nach allgemeinen Grundsätzen dann gegeben, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, welches auch tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art sein kann, gegeben ist. Es liegt insbesondere dann vor, wenn das künftige Verhalten der antragstellenden Person durch die Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst sein kann (vgl. Keidel/Kuntze/Karl, FGG, § 34 Rn. 12 und 13 m. w. N.). Ein derartiges berechtigtes Interesse ist bei den Beteiligten zu 1) und 2) eindeutig gegeben auf Grund der Vorschrift des § 69 g Abs. 1 Satz 1 FGG, die ihnen als nahe Angehörige gegen die gerichtliche Entscheidung über die Ablehnung der Bestellung eines Betreuers ein eigenes Beschwerderecht einräumt und des durch Art. 103 Abs. 1 GG jedem Verfahrensbeteiligten gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör, der auch die Information über den Verfahrensstoff und den Akteninhalt umfasst.

Des Weiteren ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass auch bei Vorliegen eines berechtigten Interesses die Akteneinsicht nicht ohne weiteres gewährt werden darf, sondern es einer nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Interesse der die Akteneinsicht beantragenden Personen und dem Interesse der Betroffenen bedarf. Bei dieser Abwägung hat das Landgericht das ebenfalls verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. hierzu BVerfGE 65, 1/43) zwar allgemein erwähnt und berücksichtigt, ihm jedoch nicht die nach den Umständen des hier gegebenen Einzelfalles gebotene Gewichtung beigemessen.

Das Landgericht hat unter Hinweis auf eine Entscheidung des BayObLG (FamRZ 2005, 237), ausgeführt, die Betreuungsakte bestehe lediglich aus dem üblichen Inhalt, ohne dass gravierende Besonderheiten zu sehen seien, die etwa in außergewöhnlich belastenden intimen ärztlichen Befunden oder in schwerwiegenden oder geheim zu haltenden vermögensrechtlichen Angelegenheiten bestehen könnten und deshalb sei hier wie in aller Regel trotz des entgegenstehenden Willens der Betroffenen dem Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG der Vorrang einzuräumen. Der Senat lässt dahingestellt, ob dieser Aussage in solcher Allgemeinheit gefolgt werden kann, weil es für die Entscheidung des vorliegenden Falles hierauf nicht ankommt. Denn jedenfalls müssen die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt und in die Abwägung eingestellt werden. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Landgericht hat nicht hinreichend beachtet, dass im Unterschied zu dem von dem BayObLG entschiedenen Fall, in welchem eine Betreuung schon eingerichtet worden war, hier der Vormundschaftsrichter bereits die Bestellung eines Betreuers abgelehnt hat, weil ein fachpsychiatrisches Gutachten vorliegt, welches in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung der Betroffenen die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung gegen deren Willen nicht gegeben sind, weil sich ihr psychisches Zustandsbild trotz Anzeichen für eine Beeinträchtigung in der Vergangenheit zwischenzeitlich so gebessert hat, dass aktuell ihre Geschäftsfähigkeit gegeben ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Entscheidung für die vor kurzem erteilte Vorsorgevollmacht wesentlich durch krankheitsbedingte Einschränkungen in ihrer Gültigkeit gemindert sein könnte.

Die Beschwerdeberechtigung wird den in § 69 g Abs. 1 Satz 1 FGG aufgeführten Personen primär nicht zur Wahrnehmung eigener Interessen, sondern gerade zur Unterstützung der von dem Betreuungsverfahren betroffenen nahen Angehörigen gewährt, weil diese häufig krankheitsbedingt ihre Interessen im Betreuungsverfahren selbst nicht umfassend verdeutlichen und wahrnehmen können. Lehnt ein Betroffener eine Unterstützung durch einzelne Familienangehörige ausdrücklich ab, so ist dieser Umstand sowie die Gründe, die ihn hierzu bewegen, bei der Abwägung in der gebotenen Weise zu beachten. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es sich um eine atypische Verfahrenskonstellation handelt, weil die Betroffene nach dem Ergebnis der bisherigen amtswegigen Ermittlungen zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer Interessen im Verfahren uneingeschränkt selbst in der Lage ist. Deshalb muss hier dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, welches die Befugnis des Einzelnen schützt, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu entscheiden, besonderes Gewicht beigemessen werden.

Da das Landgericht die erforderliche Abwägung unterlassen hat, ist seine Entscheidung aufzuheben. Der Senat kann, da die entscheidungserheblichen Tatsachen hinreichend geklärt sind, unter eigener Vornahme einer Abwägung selbst abschließend entscheiden.

Dabei gelangt der Senat im Wege der Gewichtung zu dem Ergebnis, dass vorliegend das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen überwiegt und die Akteneinsicht deshalb zu versagen ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Beteiligten zu 1) und 2) sich bei der Anregung der Betreuung im August/September 2003 auf Grund ihres zuvor bei den Besuchen der Betroffenen gewonnenen Eindruckes von deren Gesundheitszustand durchaus von Sorgen um das Wohl der Mutter haben leiten lassen. Andererseits ist dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen aus den bereits ausgeführten Gründen hier ganz erhebliches Gewicht beizumessen. Insbesondere das fachpsychiatrische Gutachten befasst sich mit näheren Details zu den persönlichen Lebensumständen der Betroffenen, medizinischen Befunden und psychiatrischen Untersuchungsergebnissen und Einschätzungen, die die Betroffene in nachvollziehbarer Weise ihrer Intimsphäre zuordnen kann und auch ihren Angehörigen nicht preisgeben will. Nachdem das Amtsgericht sorgfältige Ermittlungen durch Verschaffung eines persönlichen Eindruckes von der Betroffenen durch deren persönliche Anhörung in Anwesenheit der Bet. zu 1) und die Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens nebst Ergänzung zur Frage der Geschäftsfähigkeit in Bezug auf die Erteilung einer Vorsorgevollmacht angestellt hat und diese zu dem nachvollziehbaren Ergebnis geführt haben, dass eine Betreuungsbedürftigkeit nicht gegeben ist, überwiegt im vorliegenden Falle das Interesse der Betroffenen an der Wahrung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung das Interesse der Bet. zu 1) und 2) auf Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte. Dies führt dazu, dass den Angehörigen die Akteneinsicht gegen den erklärten Willen der Betroffenen zu versagen ist.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei,

Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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