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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.01.2006
Aktenzeichen: 20 W 552/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 15 IV 1
AufenthG § 62 II 1 Nr. 5
AufenthG § 62 III
1. Das Bestehen eines Haftgrundes reicht nicht aus, die Dauer der Haft bis zu den Höchstfristen des § 62 Abs. 3 AufenthG auszuschöpfen.

2. Wenn der betroffene Ausländer nach den Angaben der Ausländerbehörde nicht innerhalb der Sechs-Monatsfrist des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG abgeschoben/zurückgewiesen werden kann, hat das Rechtsbeschwerdegericht dies zu berücksichtigen. Eine Aufrechterhaltung der Haft kommt dann nur in Frage, wenn feststeht, dass der betroffene Ausländer seine Abschiebung/Zurückweisung verhindert.


Gründe:

Mit Beschluss vom 8. Juli 2005 ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen antragsgemäß Zurückweisungshaft bis zum 7. Oktober 2005 an. Am 6. Oktober 2005 versuchte der Antragsteller den Betroffenen mit einem EU-Laissez-Passer nach Marokko zurückzuweisen. Die Behörden in Casablanca verweigerten die Übernahme des Betroffenen und bestanden auf marokkanischen Passersatzpapieren. Nach der Rückführung des Betroffenen ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. Oktober 2005 gegen den Betroffenen Zurückweisungshaft bis zum 7. Januar 2006 an. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Haftanordnung bestätigt.

Die dagegen gerichtete sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und hat in der Sache Erfolg; denn die Dauer der Zurückweisungshaft erweist sich als nicht mehr verhältnismäßig.

Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der begründete Verdacht besteht, der Betroffene wolle sich der Zurückweisung entziehen (§§ 15 Abs. 4 Satz 1, 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Da es hierbei um Fragen tatrichterlicher Würdigung geht, hat der Senat als Rechtsbeschwerdegericht nur darüber zu befinden, ob das Landgericht bei seiner Beurteilung wesentliche Tatumstände übersehen hat oder seine Feststellungen in Widerspruch zu Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen stehen. Das ist jedoch im Hinblick auf die Umstände, unter denen der Betroffene in den Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main gelangt ist, nicht der Fall.

Das Bestehen eines Haftgrundes reicht indessen nicht aus, die Haft bis zu den Höchstfristen des § 62 Abs. 3 AufenthG auszuschöpfen. In Anbetracht der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit kommt der Frage der Verhältnismäßigkeit der Haft eine maßgebliche - mit der Dauer der Freiheitsentziehung noch steigende - Bedeutung zu.

Nach den Angaben des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 (Bl. 74 f. GA) steht fest, dass der Betroffene nicht innerhalb der bis zum 7. Januar 2006 angeordneten Zurückweisungshaft zurückgewiesen werden kann. Diesen Umstand hat auch der Senat als Rechtsbeschwerdegericht zu berücksichtigen (vgl. dazu BverfG Beschluss vom 15. Dezember 2000 in der Sache 2 BvR 347/00 = InfAuslR 2001, 116). Dann aber besteht aus rechtlichen Gründen kein Anlass, den Betroffenen weiter in Haft zu halten, zumal am 7. Januar 2006 die Sechsmonatsfrist des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG abläuft.

Im einzelnen:

Entgegen der Auffassung des Antragstellers (Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 - Bl. 75 GA) bestehen vorliegend keine hinreichenden Gründe für die Annahme, die Haft könne nochmals verlängert werden. Dies könnte nur dann in Frage kommen, wenn der Betroffene seine Zurückweisung verhindern würde.

Der Senat ist mit dem Kammergericht (vgl. z.B. Beschluss vom 28. September 2004 in der Sache 25 W 83/04 = InfAuslR 2005, 112 und Beschluss vom 7. Februar 1995 in der Sache 1 W 7601/94 = KG Report 1995, 56 = FGPrax 1995, 128 = NVwZ-Beil. 1995, 62) der Auffassung, dass die Verhinderung der Abschiebung/Zurückschiebung/Zurückweisung positiv feststehen muss, um eine Verlängerung der Sicherungshaft über die Dauer von sechs Monaten hinaus zu rechtfertigen. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Der Betroffene hat gegenüber deutschen Behörden stets angegeben, libyscher Staatsangehöriger zu sein. Soweit der Antragsteller annimmt, der Betroffene verschleiere seine Identität, bezieht er sich auf die Vorführung des Betroffenen vor den libyschen Generalkonsul am 30. Juni 2005, also einen Zeitpunkt, der vor dem Zurückweisungshaftantrag liegt (vgl. dazu OLG München Beschluss vom 11. März 2005 in der Sache 34 Wx 23/05 - dok. bei Melchior). Hierbei ist im Übrigen beachtlich, dass der Betroffene seine vor dem Generalkonsul abgegebene Erklärung, er sei Marokkaner, nach der Vorführung dem Antragsteller gegenüber widerrufen hat, wobei offen ist, welche Umstände den Betroffenen zu der Erklärung vor dem Generalkonsul veranlasst haben. Jedenfalls ist die Erklärung des Betroffenen in seiner richterlichen Anhörung am 7. Oktober 2005 (Bl. 7 GA) zu dem Ablauf der Vorführung, auf die Bezug genommen wird, weder widerlegt, noch hat ihr der Antragsteller substantiiert widersprochen.

Die Annahme des Antragstellers, der Betroffene sei marokkanischer Staatsangehöriger, gründet sich auf Vermutungen. Dabei bezieht sich der Antragsteller in seinem ersten Haftantrag vom 7. Juli 2005 (Bl. 3 der Beiakte 934 XIV 1758/05 - Amtsgericht Frankfurt am Main) auf die Vorführung beim libyschen Generalkonsul sowie darauf, dass bei einer Befragung des Betroffenen in seiner Behörde am 21. Juni 2005 eine anwesende Dolmetscherin angegeben habe, der Betroffene spreche "arabisch" mit marokkanischem Akzent. Demgegenüber konnten die Dolmetscher in den richterlichen Anhörungen vom 7. Oktober 2005 und 23. November 2005 (Bl. 8 und 39 GA) keine klärenden Angaben machen.

Soweit der Antragsteller im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde die Kopie eines Sprachgutachtens vorlegt (Bl. 76 - 80 GA), handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nur ganz eingeschränkt berücksichtigt werden kann. Dessen ungeachtet hat dieses - den Sachverständigen nicht ausweisende - Gutachten keine genügende Aussagekraft. Es enthält im Eingang die Feststellung, dass die durchgeführte Analyse mit einiger Wahrscheinlichkeit eine geografische Zuordnung des Betroffenen auf die Herkunftsregion Marokko ermögliche und die Herkunftsregion Tripoli (Libyen) ausschließe (Bl. 76, 77 GA). Als Ergebnis der Sprachanalyse wird ausgeführt, dass eine Reihe von Aussprachen und Formen darauf deuten, dass der Betroffene aus dem Westen des Maghreb stamme und nicht aus Libyen. Das Gutachten schließt mit dem Bemerken, dass 1.1.3 auf eine marokkanische Herkunft deute (Bl. 80 GA). Abschnitt 1.1.3 des Gutachtens enthält die Aussage, dass der Betroffene die Interdentale des Hocharabischen als Verschlusslaute realisiere, solches zwar typisch für den Dialekt von Tripoli sei, aber auch in anderen maghrebinischen Dialekten vorkomme, insbesondere Algerien und Marokko.

Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen durch den Antragsteller kommt nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen (§§ 106 Abs. 2 Satz 1 Auf, 16 Satz 1 FEVG) hier nicht in Betracht, weil das Verfahren nicht ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung eines Zurückweisungshaftantrags nicht vorgelegen hat.

Allerdings ist dem Betroffenen für das gesamte gerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe nach den §§ 103 Abs. 2 S. 1 AuslG, 3 S. 2 FEVG, 14 FGG, 114 ff ZPO zu bewilligen.

Ende der Entscheidung

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