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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 22.01.2004
Aktenzeichen: 20 W 7/03
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 44
§ 44 Abs. 1 WEG gilt auch im Beschwerdeverfahren. Von einer mündlichen Verhandlung kann nur im Einzelfall abgesehen werden, wenn besondere Umstände sie entbehrlich machen.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 7/03

Entscheidung vom 22.01.2004

In der Wohnungseigentumssache

betreffend die Wohnungseigentumsanlage ...

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 21.11.2002 am 22.01.2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht Fulda zurückverwiesen, das auch über die Kosten des sofortigen weiteren Beschwerdeverfahrens zu befinden haben wird.

Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde: 20.000,-- EUR.

Gründe:

Durch den angefochtenen Beschluss, auf den verwiesen wird, hat das Landgericht ohne vorherige mündliche Verhandlung unter überwiegender Bezugnahme auf die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fulda "vom 28.05.2002" zurückgewiesen, mit dem dieses im Wohnungseigentumsverfahren die Antragsgegner verpflichtet hatte, vorgenommene Ausbauten im Dachgeschoss der Wohnungseigentumsanlage vollständig zurückzubauen und den Zustand wieder herzustellen, der bei Erwerb der Eigentumswohnung durch die Antragsgegner bestand und der aus der Anlage zur Abgeschlossenheitsbescheinigung Nr. .../94 vom ....12.1994 ersichtlich ist.

Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegner sofortige weitere Beschwerde eingelegt, die sie nach Durchführung weiterer Vergleichsverhandlungen mit Schriftsatz vom 05.08.2003 begründet haben. Die Antragsteller sind der sofortigen weiteren Beschwerde entgegengetreten.

Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner ist gemäß § 45 Abs. 1 WEG statthaft und auch ansonsten zulässig, so insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie hat auch in der Sache vorerst Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensfehler, §§ 43 Abs. 1 WEG, 27 Abs. 1 Satz 1 FGG, 546 ZPO, weil das Landgericht nicht mündlich verhandelt hat, was die Antragsgegner im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde zu Recht ausdrücklich gerügt haben. Gemäß § 44 Abs. 1 WEG soll der Richter in Wohnungseigentumssachen mit den Beteiligten mündlich verhandeln und hierbei darauf hinwirken, dass sie sich gütlich einigen. Die mündliche Verhandlung dient nicht nur der Sachverhaltsaufklärung (vgl. BayObLGZ 1972, 348, 350; WE 1988, 34; WE 1988, 139, 140; WE 1989, 58; WE 1990, 62, 63; WE 1992, 207, 208; WE 1993, 349), sondern auch der Möglichkeit einer gütlichen, vergleichsweisen Erledigung des Verfahrens (BayObLGZ 1983, 73, 77; WE 1988, 34; WE 1988, 139, 140). Vordringlichste Pflicht des Richters ist es, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, d. h. den Beteiligten zu einer Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse zu verhelfen, die ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben der Wohnungseigentümer gewährleistet (OLG Hamm Rechtspfleger 1978, 60). Darüber hinaus dient sie der Gewährung rechtlichen Gehörs (BGH NJW 1998, 3713).

Von der mündlichen Verhandlung darf nur abgesehen werden, wenn besondere Umstände sie entbehrlich machen, d. h. wenn keine weitere Sachaufklärung erforderlich ist, keine Aussicht auf eine gütliche Einigung besteht und das rechtliche Gehör auf andere Weise sichergestellt ist (BGH NJW 1998, 3713).

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt die Beschlüsse vom 25.06.2001, Az. 20 W 226/2000, vom 07.08.2000, Az. 20 W 498/98, vom 28.08.2000, Az. 20 W 521/98 und 20 W 576/99, und vom 23.10.2000, Az. 20 W 541/99) gilt § 44 Abs. 1 WEG auch im Beschwerdeverfahren (allgemeine Meinung: vgl. Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 44 Rz. 24; Weitnauer/Hauger, WEG, 8. Aufl., § 44 Rz. 1; Bärmann/Pick, WEG, 15. Aufl., § 44 Rz. 1; Staudinger/Wenzel, BGB, Stand Juni 1997, § 44 Rz. 12; Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl., § 44 WEG, Rz. 1; Niedenführ/Schulze, WEG, 6. Aufl., § 44 Rz. 3). Nur im Einzelfall kann das Beschwerdegericht von der mündlichen Verhandlung absehen, wenn besondere Umstände sie entbehrlich machen (BayObLG WE 1988, 138, 139; WE 1988, 141; WE 1990, 181; WE 1991, 197), so wenn es keiner weiteren Sachaufklärung mehr bedarf und keine Aussicht auf eine vergleichsweise Regelung besteht (BayObLG WE 1990, 181; OLG Düsseldorf WE 1997, 191). Wird ein solcher Ausnahmefall angenommen, bedarf dies einer entsprechenden Begründung, wobei eine gütliche Einigung nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann (Senat NZM 2000, 878; OLG Hamm NZM 1998, 769; BayObLG WE 1988, 138, 139; WE 1992, 207, 208). Ein derartiger Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn es nach übereinstimmender Erledigung ausschließlich um Kostenfragen geht (OLG Hamburg OLGZ 1991, 47, 48), das Landgericht die Beschwerde als unzulässig verwerfen will oder ein Antrag auf Wiedereinsetzung erfolglos bleibt (BayObLG WE 1991, 197, 198).

Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Entgegen den oben geschilderten Anforderungen weist die angefochtene Entscheidung des Landgerichts überhaupt keine Begründung dafür auf, warum die Kammer von der Durchführung der erforderlichen mündlichen Verhandlung abgesehen hat. Dem Senat ist es deshalb auch verwehrt, entsprechende Überlegungen der Kammer in rechtlicher Hinsicht auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.

Dass von vorneherein nicht mit einer gütlichen Einigung der Beteiligten gerechnet werden konnte, scheidet vorliegend erkennbar aus. Die Beteiligten haben während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens mehrfach darauf hingewiesen, dass sie bestrebt seien, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Dies betrifft auch die Antragsteller, die im Schriftsatz vom 10.10.2001, Seite 5, das Gericht sogar ausdrücklich gebeten hatten, zur Klärung der total verfahrenen Wohnungseigentumssituation beizutragen (Bl. 59 d. A.). Entsprechende Erklärungen der Beteiligten, die auf eine angestrebte gütliche Einigung hinweisen, finden sich darüber hinaus unter anderem in der Antragsschrift vom 02.08.2001, Seite 6, im Schriftsatz vom 19.12.2001, Seite 2, im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht vom 08.01.2002, sowie dem Schriftsatz vom 01.07.2002, Seiten 2 und 3 (vgl. die Seiten 6, 76, 80, 153 d. A.). Dies wird darüber hinaus auch durch den nunmehr vorgelegten Schriftverkehr zwischen den Beteiligten belegt. Dass die Antragsteller in Kenntnis des angefochtenen Beschlusses eine solche gütliche Einigung nicht mehr für angezeigt halten, ist angesichts des Umstandes, dass sie - vorerst - obsiegt haben, verständlich, schließt aber eine gütliche Einigung angesichts des in der weiteren Beschwerde Vorgetragenen und auch des in Aussicht gestellten Gegenanspruchs nicht gänzlich aus. Hinzu kommt im vorliegenden Verfahren, dass der zuletzt gestellte Antrag der Antragsteller auf die Zerschlagung erheblicher wirtschaftlicher Werte hinauslaufen würde, was im Hinblick auf das zwischen den Wohnungseigentümern bestehende Treueverhältnis und insbesondere den Umstand, dass die Wohnungseigentumsanlage lediglich aus zwei Miteigentumsanteilen besteht, grundsätzlich die "ultima ratio" bleiben sollte, weil das weitere Zusammenleben dadurch erheblich beeinträchtigt wird. Daher hätte hier sogar eine besondere Veranlassung bestanden, auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken. Bereits aus diesen Gründen bedurfte es einer Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und einer Zurückverweisung an das Landgericht. Eine eigene Sachentscheidung des Senats erschien aus diesem Grund keinesfalls angezeigt.

Darüber hinaus kann nach den Besonderheiten des vorliegenden Falles auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es im Beschwerdeverfahren keiner weiteren Sachaufklärung mehr bedurfte. Auch aus diesem Grunde rechtfertigt sich vorliegend nur die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung an das Landgericht. Vorliegend hatte das Amtsgericht zwar zweimal mit den Beteiligten mündlich verhandelt. Nachdem im ersten Termin jedoch offensichtlich wegen Vergleichsverhandlungen lediglich das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden war (Bl. 80 d. A.), ist in der zweiten mündlichen Verhandlung erstmals der zum Gegenstand der amtsgerichtlichen Sachentscheidung gemachte Rückbauantrag - offensichtlich auf Hinweis des Amtsgerichts - gestellt worden. Die ursprünglich von den Antragstellern gestellten Anträge sind in diesem Termin zurückgenommen worden. Wenn auch die den verschiedenen Anträgen zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen ähnlich sein mögen, so ist doch festzuhalten, dass sich das Begehren der Antragsteller in diesem Termin gänzlich geändert hat. Die Antragsgegner hatten erstmals nach dieser mündlichen Verhandlung Gelegenheit, zu diesem Begehren durch Schriftsatz vom 26.06.2002 umfassend Stellung zu nehmen. Dieses war dann nicht mehr Gegenstand einer weiteren mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, vielmehr folgte sodann der Beschluss vom 05.07.2002 (nicht wie das Landgericht tenoriert hat vom 28.05.2002) durch das Amtsgericht, in dem den von den Antragstellern gestellten Antrag - dazu noch lediglich in modifizierter Form - stattgegeben worden ist. Die Antragsgegner hatten deshalb durch das Vorgehen des Landgerichts nicht die Möglichkeit, ihren Rechtsstandpunkt in einer mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht vorzutragen, zumal das Landgericht - jedenfalls nicht aktenkundig - auf seine Absicht, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht hingewiesen hat, obwohl die Antragsgegner im Schriftsatz vom 19.08.2002 (Bl. 184 d. A.) ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt haben. Durch dieses überraschende Vorgehen ist den Antragsgegnern auch die Möglichkeit genommen worden, ergänzend in der Sache vorzutragen. Es kann deshalb zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung des Landgerichts im Falle einer ordnungsgemäßen mündlichen Verhandlung anders ausgefallen wäre.

Die Beteiligten haben nunmehr in der Rechtsbeschwerdeinstanz umfassend - auch tatsächlich vorgetragen, was das Landgericht zu berücksichtigen haben wird. Dabei wird das Landgericht dann auch zu klären haben, ob der Zustand des Dachgeschosses bei Erwerb der Eigentumswohnung durch die Antragsgegner überhaupt demjenigen aus der Anlage zur Abgeschlossenheitsbescheinigung vom 02.12.1994 entsprach, wovon das Amtsgericht offensichtlich ohne weiteres ausgegangen ist, was in der Beschwerdeschrift vom 19.08.2002, Seite 2 (Bl. 185 d.A.), in Zweifel gezogen worden ist, von der weiteren Beschwerde aber offensichtlich nicht mehr bestritten werden soll (vgl. Seite 3 des Schriftsatzes vom 08.05.2003, Seite 3, Bl. 220 d. A.). Hinsichtlich etwa nicht von den Antragsgegnern vorgenommenen Ausbauarbeiten käme eventuell allenfalls ein Anspruch auf erstmalige Herstellung eines den Plänen entsprechenden Zustandes in Betracht (vgl. etwa Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 22 Rz. 19, 21; Staudinger/Bub, a.a.O., § 21 Rz. 186; BayObLG NJW-RR 1986, 954, 955; WE 1992, 194). Darüber hinaus wird das Land gericht unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsgegner im weiteren Beschwerdeverfahren klarzustellen haben, ob es lediglich die Nutzung des Dachgeschosses als in sich abgeschlossene, eigenständige Wohnung durch die Antragsgegner für unzulässig erachtet, wofür immerhin die Ausführungen auf Seite 3 des angefochtenen Beschlusses (Bl. 201 d. A.) sprechen könnten, oder die Nutzung als Wohnraum insgesamt. Sollte lediglich ersteres der Fall sein, wird das Landgericht zu begründen haben, warum es hierfür eines vollständigen Rückbaus der Dachgeschossräume bedarf. Dies scheint aus dem angefochtenen Beschluss nicht hinreichend deutlich zu werden (vgl. auch die Ausführungen auf Seite 4 des angefochtenen Beschlusses, Bl. 202 d. A.).

Das Landgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde zu befinden haben, § 47 WEG. Es wird hierbei - wie bei der Entscheidung über die Kosten der Beschwerde - im Hinblick auf die außergerichtlichen Kosten zu berücksichtigen haben, dass gemäß § 47 Satz 2 WEG nur in Ausnahmefällen unter Billigkeitserwägungen eine Erstattung in Betracht kommt und die alleinige Tatsache des Unterliegens - das Landgericht spricht von den "Rechtsgedanken aus § 97 ZPO" - noch nicht zur Erstattungspflicht führt (vgl. Bärmann/Pick/Merle, a.a.0., § 47 Rz. 31, 38; Niedenführ/Schulze, a.a.0., § 47 Rz. 8).

Den Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde hat der Senat an der unbeanstandet gebliebenen Wertfestsetzung durch das Landgericht orientiert.



Ende der Entscheidung

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