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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 21 AR 15/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36
ZPO § 281
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Mit ihrer nach Durchführung des Mahnverfahrens an das Amtsgericht Friedberg (Hessen) abgegebenen Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten restliche Vergütung aus einer Abrechnung über Stromlieferungen in der Zeit vom 22.03. bis zum 02.07.2007 zu dem Anwesen der Beklagten Str.... in O1/Stadtteil in Höhe von 86,38 € sowie die Erstattung der Aufwendungen für erfolglose Bankeinzugsversuche von zweimal 6,83 €, zusammen 100,04 € nebst Zinsen. Nach Zustellung der Klagebegründung und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens erteilte das Amtsgericht Friedberg (Hessen) mit Schreiben vom 04.02.2008 den Parteien den Hinweis: "Das Gericht verweist auf § 102 EnWG.", worauf die Klägerin beantragte, den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen bei dem Landgericht in Gießen zu verweisen. Durch Beschluss vom 08.02.2008 erklärte sich das Amtsgericht Friedberg (Hessen) für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Gießen - Kammer für Handelssachen -. Zur Begründung führte es aus, dass das angerufene Gericht sachlich unzuständig sei, weil eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit aus dem Bereich des Energiewirtschaftsrechts vorliege, § 102 EnWG. Mit Beschluss vom 14.02.2008 erklärte sich das Landgericht Gießen - 2. Kammer für Handelssachen - ebenfalls für (sachlich) unzuständig und hat dem Senat die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung führt das Landgericht aus, dass keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vorliege, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergebe oder deren Entscheidung ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhänge, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen sei. Vielmehr handele es sich um eine Streitigkeit, die sich ausschließlich aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Energielieferungsvertrag ergebe. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Friedberg sei nicht bindend, da er ohne rechtliches Gehör des Beklagten ergangen sei.

Auf die zulässige Vorlage ist das Amtsgericht Friedberg (Hessen) gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht zu bestimmen.

Das Amtsgericht Friedberg (Hessen) ist gemäß § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 € liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt. § 102 EnWG, demzufolge für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergeben oder deren Entscheidung ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen ist, ausschließlich die Landgerichte zuständig sind, greift nicht ein. Das Energiewirtschaftsgesetz soll seinem gesetzlichen Zweck entsprechend (§ 1 EnWG) eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leistungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas sicherstellen, die Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze regeln und das europäische Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energieversorgung umsetzen und durchführen. Dieses Gesetz gibt dem Haushaltskunden einen Anspruch auf Grundversorgung, regelt also im Sinne eines Kontrahierungszwangs das "Ob" des Abschlusses eines Versorgungsvertrages, nicht aber die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferung und die Folgen der Nichterfüllung von Pflichten aus diesem Individualvertrag (vgl. LG Kassel NJW-RR 2007, 1651 und OLG Köln RdE 2008, 58).

Durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Friedberg (Hessen) vom 08.02.2008 ist nicht das Landgericht Gießen zuständig geworden, weil dieser Beschluss für das aufnehmende Gericht nicht bindend ist. Zwar haben Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Absatz 2 Satz 4 ZPO grundsätzlich Bindungswirkung. Diese setzt sich im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fort und kommt auch fehlerhaften Verweisungsbeschlüssen zu, denn sie soll gewährleisten, dass Streitigkeiten über die Zuständigkeit der Gerichte vermieden bzw. bald beendet werden und dass es möglichst rasch zu einer Sachentscheidung kommt. Die Bindungswirkung entfällt jedoch, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der Parteien beruht oder einer rechtlichen Grundlage entbehrt und sich daher als objektiv willkürlich erweist.

Der Verweisungsbeschluss vom 08.02.2008 erging ohne rechtliches Gehör der Beklagten. Das Amtsgericht Friedberg (Hessen) beschloss die Verweisung am 8. Februar 2008, also einen Tag nach Eingang des Verweisungsantrages. Zu diesem Zeitpunkt war eine angemessene Frist zur Stellungnahme der Parteien auf den Hinweis vom 04.02.2008 (Bl. 33 d.A.) noch nicht abgelaufen. Abgesehen davon kann dieser Hinweis nicht als ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs angesehen werden, weil er aus nicht mehr als der Bezeichnung einer eher wenig bekannten Gesetzesvorschrift besteht, die den nicht anwaltlich vertretenen Beklagten nicht geläufig sein dürfte, weswegen sich den Beklagten der Sinn dieses Hinweises nicht erschließen konnte. Ob die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses stets entfallen lässt, ohne dass es auf die Ursächlichkeit für die Entschließung des verweisenden Gerichts ankommt (so BayObLG MDR 1980, 583 und Prütting in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Auflage, Rdnr. 57 zu § 281 ZPO m.w.N.; vgl. auch BGHZ 71, 69 = FamRZ 1978, 402 = NJW 1978, 1163), kann dahinstehen. Jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass die ordnungsgemäße Gewährung des rechtlichen Gehörs Auswirkungen auf die Entschließung des Gerichts in der Frage der Verweisung gehabt hätte, führt die Nichtbeachtung dieses elementaren Verfahrengebots zum Wegfall der Bindungswirkung. Für die Entscheidung der Beklagten, ob sie sich gegen den Klageanspruch zur Wehr setzen solle, kann es eine bedeutende Rolle gespielt haben, ob dies vor dem Amtsgericht, wo sie sich selbst vertreten kann, oder dem Landgericht, wo sie einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragen muss, zu geschehen habe. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass sie diesen Gesichtspunkt bei ordnungsgemäßer Gewährung des rechtlichen Gehörs zur Geltung gebracht hätten und dies dem verweisenden Gerichts Veranlassung gegeben hätte, die Zuständigkeitsfrage einer genaueren Prüfung zu unterziehen, dass die Beklagte aber von einer Stellungnahme absah, nachdem ihr wenige Tage nach dem nicht ohne weiteres verständlichen gerichtlichen Hinweis vom 04.02.2008 bereits der Verweisungsbeschluss zuging.

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