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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 22 W 41/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 42 Abs. 2 |
Gründe:
Die statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.
Gemäß § 46 Abs. 2 ZPO findet die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 04.06.2007 statt. Die Frist beträgt zwei Wochen, § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Ausweislich der Verfügung vom 11. Juni 2007 (Bl. 550, Rückseite d.A.) ist der Beschluss des Landgerichts vom 4. Juni 2007 nicht mit Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Einem entsprechenden Vermerk auf Bl. 550 Rückseite d.A. ist jedoch zu entnehmen, dass die Verfügung vom 11. Juni 2007 erst am 14. Juni 2007 ausgeführt worden ist. Am 25. Juni 2007 ist bereits die sofortige Beschwerde eingegangen (Bl. 554 d.A.). Die Frist von zwei Wochen ist also in jedem Fall eingehalten worden.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.
Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.
Im Ablehnungsverfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO ist nicht darüber zu entscheiden, ob der Richter sich befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist, sondern allein ob aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis besteht, der zur Entscheidung berufene Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (BGH st. Rspr. vgl. NJW 2004, 163, 164). Maßgeblich ist hierbei, ob vom Standpunkt der Partei aus genügende objektive Gründe vorliegen, die in ihren Augen geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erregen (vgl. Nachweise bei Stein/Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl. (2004), § 42, Rz. 2; Saenger, ZPO (2006), § 42, Rz. 11 m.w.N.).
Keinen Ablehnungsgrund bilden vorläufige Meinungsäußerungen, durch die sich der Richter noch nicht abschließend festgelegt hat (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. (2007), § 42, Rnr. 26 m.w.N.).
Der abgelehnte Vorsitzende Richter des Landgerichts hat in seinem Hinweis vom 23. März 2007 unter Ziffer I seine Auffassung, die Klagebegründung stehe nicht im Einklang mit § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO, zwar als vorläufig bezeichnet, unter Ziffer V seines Hinweises hat er jedoch der Klägerin nicht nur eine - von der Dauer her sehr kurz bemessene - Frist von vier Wochen gesetzt, sondern sogar die Seitenzahl - nämlich eine Länge von ca. 20 bis 30 Seiten - des noch einzureichenden Schriftsatzes vorgegeben. Ferner hat er dort u. a. ausgeführt: "Verhindert der Anspruchsteller faktisch ein Tätigwerden des Gerichts, indem er Eingaben einreicht, die die Arbeitskraft eines jeden Gerichts weit überfordern, so kann er vernünftigerweise nicht mit einer Bearbeitung rechnen, ..." (Bl. 499 d. A.). Damit hat er deutlich werden lassen, dass die von ihm als "vorläufige Auffassung" bezeichnete Rechtsansicht bereits einschneidende Konsequenzen dahingehend habe, dass die Klägerin nunmehr gezwungen sei, innerhalb des gesetzten sehr kurzen Zeitraumes die gemachten Vorgaben zu erfüllen und dass sie andernfalls nicht mit einer Bearbeitung rechnen könne.
Tatsächlich handelt es sich zwar im vorliegenden Fall offenbar um eine das Übliche an Umfang und Komplexität bei weitem überschreitende Klageschrift, deren Bearbeitung einen ganz außergewöhnlichen Zeitaufwand erfordern dürfte. Dieser im vorliegenden Fall notwendige Arbeitsaufwand dürfte vermutlich durchaus im Grenzbereich des für einen einzelnen Berufsrichter - gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit zwei Handelsrichtern - Leistbaren liegen. Es ist jedoch auch in derartig umfangreichen und aufwändigen Rechtsstreitigkeiten Aufgabe der zuständigen Richter sowie des Präsidiums und der Gerichtsverwaltung dafür zu sorgen, dass auch diese innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes angemessen bearbeitet werden bzw. bearbeitet werden können. Hierbei haben einerseits die zuständigen Richter für die Bewältigung eines gegebenenfalls äußerst umfangreichen und komplexen Prozessstoffes ihre ganze Arbeitskraft einzusetzen und andererseits das Präsidium und die Gerichtsverwaltung die hierfür erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen.
Der Senat vermag im vorliegenden Fall zwar durchaus nachzuvollziehen, dass der abgelehnte Vorsitzende Richter den Prozessstoff gegebenenfalls insbesondere auch deswegen von der Klägerin hat zusammenfassen lassen wollen, um ihn mit den Handelsrichtern besser beraten und verhandeln zu können.
Angesichts des Hinweises in der Verfügung vom 23.03.2007, dass "im vorliegenden Fall ... die Klagebegründung ... jeden Rahmen" sprenge und "damit eine Bearbeitung, wie sie herkömmlichen Gepflogenheiten unter Zugrundelegung zivilprozessualer Bestimmungen" entspreche, "unmöglich" mache etc. sowie der zeitlichen und umfangmäßigen Vorgaben in dieser Verfügung konnte die Klägerin jedoch auch als eine objektiv und vernünftig urteilende Partei durchaus den begründeten Eindruck haben, der von ihr abgelehnte Vorsitzende Richter weigere sich, ihr Vorbringen insgesamt vollständig zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.
Der Senat verkennt nicht, dass das Gericht unter Umständen auch darauf hinwirken muss, dass alle für eine richtige Entscheidung benötigten Informationen eingebracht werden und zugleich das für alle Beteiligten belastende Ausufern von Schreibwerk, Konfliktstoff und Zeitaufwand vermieden wird (vgl. Zöller-Greger a.a.O. § 139, Rz 1). § 253 ZPO berechtigt das Gericht jedoch nicht dazu, den Parteien konkrete Vorgaben über die Länge ihrer Schriftsätze zu machen, dies auch noch mit dem Setzen einer sehr kurz bemessenen Frist zu verknüpfen und einer Partei zudem anzudrohen, dass sie nicht mit der Bearbeitung der eingereichten Klage rechnen könne, da deren Bearbeitung "unmöglich" sei.
Auch nach objektiven Maßstäben, nämlich vom Standpunkt einer verständigen, besonnen abwägenden Partei sind danach die von der Klägerin vorgebrachten Tatsachen geeignet, aus deren Sicht Zweifel bzw. Bedenken an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters aufkommen zu lassen.
Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung oder fehlerhafte Entscheidungen sind zwar grundsätzlich kein Ablehnungsgrund (vgl. die Nachweise bei Zöller-Vollkommer a.a.O., § 42, Rz. 28). Dies gilt auch bei einer Überschreitung der richterlichen Befugnisse gemäß § 139 ZPO (vgl. Zöller-Vollkommer a.a.O., § 42, Rz. 28; vgl. differenzierend BGHZ 156, 269, 273 f.).
Die Besorgnis der Befangenheit ist jedoch dann gerechtfertigt, wenn die Partei den Eindruck gewinnen kann, dass es an der Bereitschaft des Richters fehlen könnte, ihr Vorbringen vollständig zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu würdigen (vgl. OLG Hamm VersR 1978, 646, 647; OLG Köln MDR 1998, 432, 433; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. (2007), § 42, Rz. 55 "Weigerung"; Zöller-Vollkommer a.a.O., § 42, Rz. 23; Saenger, ZPO (2006), § 42, Rz. 18).
Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.
Aufgrund der Ausführungen des abgelehnten Vorsitzenden Richters in seinem Hinweis vom 23. März 2007 konnte die Klägerin den Eindruck haben, dass dieser nur unter bestimmten - verfahrensrechtlich nicht zulässigen - Voraussetzungen bereit war, sich mit der eingereichten Klage insgesamt auseinanderzusetzen. So heißt es in dem maßgeblichen Hinweis weiter wörtlich:
"Die dem Gericht zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen reichen nicht aus, um die Bearbeitung des vorgelegten Konvoluts in sachgerechter Form und in einem überschaubaren Zeitraum zu ermöglichen.... Unter diesen Umständen ist die sachgemäße Befassung mit einer Angelegenheit von derart exorbitantem Umfang nicht möglich ... Den berufstätigen Handelsrichtern kann nicht zugemutet werden, sich im Wege mehrwöchiger Lektüre in die Akten einzuarbeiten; dass eine ausreichende Unterrichtung im Wege eines Aktenvortrags mit anschließender Beratung nicht in Betracht kommt, bedarf keiner weiteren Erläuterung.... Der Klägerin wird aus diesem Grund Gelegenheit gegeben, in einem einzureichenden Schriftsatz von ca. 20 bis 30 Seiten ihre Klage entsprechend zu begründen. Hierzu wird ihr Frist gesetzt von 4 Wochen ...".
In seiner dienstlichen Äußerung vom 20. April 2007 hat der abgelehnte Vorsitzende Richter an den Ausführungen in seinem schriftlichen Hinweis vom 23. März 2007 festgehalten. Der Hinweis an die Parteien auf die Bestimmung des § 137 Abs. 2 ZPO sowie darauf, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Parteien Gelegenheit erhalten würden, "das Streitverhältnis in tatsächlicher und in rechtlicher Beziehung in freier Rede darzustellen" und die Bezugnahme auf schriftliches Vorbringen unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht komme, könnte hierbei aus der Sicht der Klägerin unter Umständen sogar den Eindruck entstehen lassen, dass der Vorsitzende Richter hinsichtlich der eigenen Anforderungen und derjenigen, die er an die Parteien stellt, unterschiedliche Maßstäbe anlegt.
Im vorliegenden Fall liegt daher eine Überschreitung der richterlichen Befugnisse im Rahmen des Hinweises gemäß § 139 ZPO vor, die geeignet ist, vom Standpunkt der Klägerin aus Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Vorsitzenden Richters zu erregen.
Der Umstand, dass die Klägerin in der Lage war, innerhalb des vom Landgericht vorgegebenen Zeitraumes eine 27 Seiten umfassende Zusammenfassung der klägerischen Ansprüche bei Gericht einzureichen, führt entgegen der im angegriffenen Beschluss vom 4. Juni 2007 geäußerten Rechtsauffassung nicht zur Erledigung des Befangenheitsgesuchs, zumal die Beschwerdeführerin zum einen unmissverständlich und ausdrücklich erklärt hat, an dem Ablehnungsgesuch festhalten zu wollen, und zum anderen darauf hingewiesen hat, dass es sich bei den Ausführungen im Schriftsatz vom 9. Mai 2007 nicht um einen Klageschriftsatz handele, der den Anforderungen des § 253 ZPO entspreche.
Der im Nichtabhilfebeschluss vom 12.09.2007 dargelegten Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
Aus der Sicht der Klägerin konnte diese aufgrund des oben genannten Inhalts des Hinweises vom 23. März 2007 den Eindruck gewinnen, dass sich das Gericht nicht mit ihrem gesamten in der Klagebegründung enthaltenen Vorbringen auseinandersetzen würde, denn weder in dem Hinweis noch in der dienstlichen Äußerung ist zum Ausdruck gekommen, dass die umfangreiche Klage in allen Punkten Gegenstand der Erörterungen in einer mündlichen Verhandlung sein und die Auseinandersetzung mit der "Kurzfassung" lediglich vorläufigen Charakter haben würde.
Im Ergebnis hat die sofortige Beschwerde daher in der Sache Erfolg.
Eine Entscheidung über die Kosten der sofortigen Beschwerde ist nicht veranlasst; sie sind solche des Rechtsstreits (vgl. OLG Köln MDR 1998, 797, 798; Zöller-Vollkommer a.a.O., § 46, Rz. 20 mit weiteren Nachweisen).
Ende der Entscheidung
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