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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 28.03.2007
Aktenzeichen: 23 U 297/05
Rechtsgebiete: InsO, KostO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 140 Abs. 1
KostO § 140 Abs. 3
1. Nach der Legaldefinition der Insolvenzmasse in § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Deshalb sind auch nach Eröffnung entstandene Zinsforderungen Bestandteil der Masse.

2. Gemäß § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. So wird die Vorausabtretung künftiger Forderungen erst mit deren Entstehen wirksam (vgl. OLG Karlsruhe NZI 2006, 103). Dabei ist auch für die Anfechtbarkeit der Vorausabtretung nicht auf die dingliche Einigung, sondern auf das Entstehen der Forderung abzustellen (BGH WM 1997, 545). Für den vorliegenden Fall einer Vorausverpfändung nichts anderes gelten.


Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, die keiner Änderung bedürfen, wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Ergänzend ist festzustellen, dass die Anlage auf dem Festgeldkonto Nr. ... des Schuldners A bei der Beklagten jeweils für einen Monat erfolgt ist mit regelmäßiger Prolongation. Dem lag die Vereinbarung vom 3.6.1999 über die "Neuanlage Festgeld" zugrunde (Bl. 234 d.A.), die folgende Bestimmung enthält:

"Sofern wir von Ihnen bis 2 Bankarbeitstage vor Fälligkeit keine andere Weisung erhalten, werden wir das Festgeld jeweils zum dann gültigen Marktsatz prolongieren. Abrechnung und Zinsgutschrift erhalten Sie bei Fälligkeit."

Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass die streitgegenständlichen Festgeldzinsen trotz Vorausverpfändung dem Insolvenzverwalter zustünden, weil sie als Forderungen erst mit dem jeweiligen Ablauf des Anlagezeitraums und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien.

Gegen das ihr am 10.10.2005 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Streitverkündete am 7.11.2005 fristgerecht Berufung eingelegt und diese am 9.1.2006 innerhalb der bis zu diesem Datum verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Mit der Berufung wendet sich die Streitverkündete gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Zinsen betreffend das o.g. Festgeldkonto seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 21.3.2000 an den Kläger. Sie meint, dass im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts sämtliche Zinsforderungen insolvenzfest abgetreten worden seien. Zinsen als nach der Laufzeit bemessene Vergütung für den Gebrauch des überlassenen Kapitals entstünden bereits mit der Überlassung des Kapitals, so dass der nach § 140 Abs. 3 InsO maßgebliche Zeitpunkt der Vertragsschluss über das Festgeldkonto sei, was der BGH auch für die Provisionsforderung des Handelsvertreters, Mietzinsen und das OLG Rostock für den anwaltlichen Honoraranspruch so entschieden habe. Auch im Hinblick auf den Darlehensvertrag vom 1.6.1999 als Dauerschuldverhältnis könne nichts anderes gelten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Streitverkündeten wird auf die Schriftsätze vom 9.1.2006 (Bl. 171-174 d.A), vom 7.2.2007 (Bl. 229-231 d.A.) und vom 22.2.2007 (Bl. 245 d.A.) verwiesen.

Die Streitverkündete beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.9.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Landgerichts unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Nach seiner Ansicht stünden die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners entstandenen Zinsen aus dem o.g. Festgeldkonto der Insolvenzmasse zu. Diese Zinsforderungen seien nicht bereits bei der Erstanlage, sondern erst für jeden monatlichen Prolongationszeitraum neu entstanden. Die von der Streitverkündeten angeführten Fälle seien ohne Aussagekraft für den vorliegenden Fall einer Vorausverpfändung, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Wirkung verliere. Die Streitverkündete habe der Beklagten eine Verpfändung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht angezeigt, nach der Eröffnung habe sie nach § 91 InsO kein Pfandrecht mehr erwerben können. Im Übrigen habe die Streitverkündete das der Festgeldanlage zugrundeliegende Darlehen nicht alleine, sondern gemeinsam mit dem Schuldner aufgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens des Klägers wird auf den Schriftsatz vom 20.3.2006 (Bl. 180-182 d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung der Streitverkündeten ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Es liegt kein Berufungsgrund im Sinne des § 513 ZPO vor, denn weder beruht die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.

Das Landgericht hat zu Recht einen Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte auf die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners A am 21.3.2000 entstandenen Zinsen betreffend das Festgeldkonto Nr. ... des Schuldners bei der Beklagten nach § 80 Abs. 1 iVm § 140 Abs. 1 InsO bejaht.

Dabei ist es zutreffend davon ausgegangen, dass diese künftigen, mit Vereinbarung vom 31.7.1997 im voraus verpfändeten Zinsforderungen nicht bereits mit der Erstanlage des Festgeldes entstanden waren und damit nach §§ 51, 50 sowie 91 Abs. 1 InsO kein entsprechendes Forderungs- bzw. Absonderungsrecht zugunsten der Beklagten (oder der Streitverkündeten) begründen konnten, sondern erst jeweils mit Ablauf des monatlichen Festlegungszeitraums und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.

Nach der Legaldefinition der Insolvenzmasse in § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, weshalb die nach der Eröffnung entstandenen Zinsforderungen aus dem Festgeldkonto Bestandteil der Insolvenzmasse sind und dem Insolvenzverwalter, nicht jedoch der Beklagten oder der Streitverkündeten zustehen.

Gemäß § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. So wird beispielsweise die Vorausabtretung künftiger Forderungen erst mit deren Entstehen wirksam (vgl. OLG Karlsruhe NZI 2006, 103). Dabei ist auch für die Anfechtbarkeit der Vorausabtretung nicht auf die dingliche Einigung, sondern auf das Entstehen der Forderung abzustellen (BGH WM 1997, 545). Für den vorliegenden Fall einer Vorausverpfändung kann im Ergebnis nichts anderes gelten.

Die von der Streitverkündeten angeführten Entscheidungen des BGH sowie des OLG Rostock rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Es handelt sich hier nämlich schon im Ausgangspunkt nicht um einen Fall des § 140 Abs. 3 InsO, wie aber die Streitverkündete meint. Nach § 140 Abs. 3 InsO bleibt bei einer bedingten oder befristeten Rechtshandlung der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht. Indessen liegt bei dem hier gegebenen Festgeldkonto mit monatlicher Prolongation - von dem nicht nur aufgrund des erstinstanzlichen, unwidersprochen gebliebenen Vorbringens des Klägers unter Vorlage entsprechender Auszüge (Bl. 122f d.A.) nach § 138 Abs. 3 ZPO auszugehen war, sondern vor allem gemäß der erstmals im Berufungsverfahren vorgelegten Vereinbarung vom 3.6.1999 - im Hinblick auf die Zinsen etwaiger, ungewisser künftiger Monatszeiträume keine Bedingung oder Befristung vor, sondern es geht dabei um eine Kette von einzelnen, rechtlich selbständigen Festgeldvereinbarungen mit einer Laufzeit von jeweils einem Monat. Darin liegt zugleich auch der entscheidende Unterschied zu den von der Streitverkündeten benannten Entscheidungen betreffend die Provisionsforderung des Handelsvertreters, Mietzinsen sowie Vermieterpfandrecht und den anwaltlichen Honoraranspruch.

So befasste der BGH sich in seinem Urteil vom 29.6.2004 (NZI 2004, 580) mit der Anwendbarkeit des § 140 Abs. 3 InsO, der gegenüber dem früheren § 54 KO verändert ist, auf die Provisionsforderung eines Handelsvertreters gemäß § 87 HGB. Hierzu führte der BGH aus, dass diese bereits mit Abschluss des Vertrages zwischen dem Unternehmer und dem Dritten entstehe, obwohl die Provision gemäß § 87a Abs. 1 Satz 1 HGB erst mit Ausführung des Geschäfts verdient sei. Im Rahmen des § 140 Abs. 3 InsO sei jedoch auf den "Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände" (BT-Drucks. 12/2443, S. 167) abzustellen. Hieran anschließend entschied der BGH am 11.11.2004 (NZI 2005, 164), dass nach § 140 Abs. 3 InsO der Eintritt einer Bedingung außer Betracht bleibe und deshalb für das Entstehen einer mietvertraglichen Forderung das Eingehen des Mietverhältnisses der "Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände" sei. Im Regelfall des § 140 Abs. 1 InsO gelte aber eine Rechtshandlung erst dann als vorgenommen, wenn ihre rechtlichen Wirkungen eingetreten sind. In Fortführung seiner Rechtsprechung urteilte der BGH am 14.12.2006 (ZIP 2007, 191), dass das gesetzliche Vermieterpfandrecht an eingebrachten pfändbaren Sachen des Mieters mit der Einbringung entstehe, auch soweit es erst künftig entstehende Forderungen aus dem Mietverhältnis sichert, und das der Sicherung des Mietzinsanspruchs dienende Vermieterpfandrecht insolvenzrechtlich nicht in weiterem Umfang angefochten werden könne als die Mietzinszahlung selbst, womit dem Vermieter deshalb in der Insolvenz des Mieters ein anfechtungsfreies Absonderungsrecht zustehe, soweit die von dem Pfandrecht erfassten Gegenstände bereits vor der Krise eingebracht wurden.

Nach dem Urteil des OLG Rostock vom 18.4.2005 (NZI 2006, 107) sei wie das Mietverhältnis auch der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen Anwalt und Mandant ein Dauerschuldverhältnis, das - ungeachtet späterer Fälligkeit im Einzelnen - die vertragliche Grundlage für die in dieser Beziehung erwachsenden Rechte und Pflichten bilde. Hiernach sei für die Honorarforderung des Rechtsanwalts die Rechnungserstellung gem. § 18 BRAGO allenfalls eine Bedingung; die Honorarforderung an sich entstehe im Sinn des § 140 Abs. 3 InsO schon mit Abschluss des Mandatsvertrages.

Vorliegend handelt es sich hingegen nach der eingangs wiedergegebenen Vereinbarung vom 3.6.1999 um sukzessive, rechtlich selbständige Festgeldvereinbarungen mit einer bestimmten Laufzeit und damit um den Regelfall des oben zitierten § 140 Abs. 1 InsO, bei dem die rechtlichen Wirkungen in der Zukunft jeweils erst mit der Prolongation nach eigentlicher Fälligkeit und vertragskonformer Beendigung der Anlage eintreten, also hinsichtlich der streitgegenständlichen Zinsen auch der "Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände" im Sinne der Rechtsprechung des BGH erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist. Die Überlassung des Kapitals auf dem Festgeldkonto als Grundlage des Zinsanspruchs begann nach jedem Monat aufs Neue und basierte im Gegensatz zu den vom BGH und dem OLG Rostock entschiedenen Sachverhalten nicht auf einer einmaligen, vorangegangenen Vereinbarung. Es bedurfte dabei im Unterschied zu jenen Vertragsverhältnissen für eine Beendigung nach Ablauf des Festlegungszeitraums von einem Monat auch keiner Kündigung, sondern eine einfache Auszahlungsmitteilung des Anlegers reichte aus. Ein Dauerschuldverhältnis war insoweit jeweils nur für den laufenden Monatszeitraum gegeben, so dass dieses Charakterisierung für etwaige künftige Anlagezeiträume ohne Bedeutung ist.

Nach Ablauf der Anlagezeit wird das Festgeld vielmehr von selbst fällig und regelmäßig dem Girokonto gutgeschrieben, es sei denn, es erfolgt eine Prolongation, ggf. - wie vorliegend - als Fall des vereinbarten Schweigens im Renditeinteresse des Einlegers (vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski-Gößmann, Bankrechts-Handbuch, 2001, § 70 Rn 8). Eine solche Prolongationsabrede, wonach sich das Festgeld ohne Abgabe weiterer Willenserklärungen verlängert, wenn nicht der Kunde rechtzeitig Auszahlung begehrt, hat den revolvierenden Abschluss von Darlehensverträgen (mit der Bank als Darlehensnehmer) zum Inhalt (ebenso Schimansky/Bunte/Lwowski-Gößmann a.a.O. m.W.N.) und stellt keine Fiktion im Rahmen der Vertragsdurchführung dar.

Dies bestätigt die dargelegte Auffassung des Senats vom Vorliegen einer Kette sukzessiver, rechtlich selbständiger Festgeldvereinbarungen mit jeweils einer Monatslaufzeit, die im übrigen auch in Übereinstimmung mit der vom BGH nicht nur im Urteil vom 14.12.2006 (ZIP 2007, 191) zugrunde gelegten wirtschaftlichen Betrachtungsweise steht, der zufolge die Begründung eines rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Pfandrechts an Vermögensgegenständen des Schuldners zur Sicherung künftiger Forderungen erst im Entstehenszeitpunkt der gesicherten Forderung die Schmälerung des Schuldnervermögens und somit die Gläubigerbenachteiligung bewirkt. Aus ähnlichen Erwägungen heraus hat der BGH mit Urteil vom 4.10.2001 (WM 2001, 2208) bereits früher entschieden, dass im Gesamtvollstreckungsverfahren § 2 Abs. 4 GesO i.V.m. § 394 BGB die Aufrechnung mit einer vor Eingang des Eröffnungsantrags begründeten Forderung gegen eine Werklohnforderung des Schuldners ausschließe, die gemäß § 631 Abs. 1 BGB zwar schon vor Antragstellung begründet wurde, die aber auf Werkleistungen beruht, die erst nach diesem Zeitpunkt erbracht worden sind. Auch ein Pfandrecht zur Sicherung einer künftigen Forderung wird erst mit deren Entstehung für den Gläubiger werthaltig, ebenso wie eine solche - noch nicht fällige - Forderung des Schuldners einen Vermögenswert erst nach Ausführung der geschuldeten Werkleistung darstellt; letzteres entspricht wertungsmäßig der Konstellation im vorliegenden Fall.

Nach alledem konnte mangels Entstehens der jeweiligen monatlichen Zinsforderungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder die Beklagte noch die Streitverkündete diese Ansprüche im Wege der Vorausverpfändung erwerben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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