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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 18.09.2001
Aktenzeichen: 23 U 3/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 713
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
BGB § 254 Abs. 1
Keine Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB), wenn eine Kundin in einem Supermarkt eine auf einem Hubwagen liegende Palette betritt, dabei stürzt und sich verletzt.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

23 U 3/00

Verkündet am 19.09.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter am Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 25.11.1999 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 11.005,48 DM.

Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des begehrten Schadensersatzbetrages von 6.005,48 DM und eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 5.000,00 DM.

Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass der Beklagten keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zur Last gelegt werden kann; die Klageabweisung ist darüber hinaus auf den rechtlichen Gesichtspunkt des ganz überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin zu stützen.

Den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zur Verneinung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte ist kaum etwas hinzuzufügen.

Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, dass jeder, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat. Da aber eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muss nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden (Palandt- Thomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 823, Rdnr. 58). Vielmehr sind nach der Rechtsprechung des BGH nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs (BGH NJW 1985, 1076) im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten weitestgehend abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (BGH NJW 1978, 1629). Eine Gefahr wird hiernach haftungsbegründend erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH VersR 1975, 812). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das von der Klägerin vorgetragene Betreten einer Palette, die auf einer Hubkarre abgestellt ist, mit einem Fuß zum Zwecke des Abstützens eine bestimmungswidrige Benutzung des Transportmittels Hubkarre darstellt. Dem Landgericht ist in seiner Bewertung beizupflichten, dass ein solches bestimmungswidriges Besteigen von dem Betreiber eines Warenhauses nicht als naheliegende Missbrauchsmöglichkeit bedacht und entsprechend weiter abgesichert werden muss. Es liegt vielmehr näher, als Kunde entweder selbst das Beiseiteschieben einer als Hindernis aufgefassten Hubkarre vorzunehmen oder aber es durch das Personal des Warenhauses zu veranlassen. Die von der Klägerin angeführte Eile beim Einkauf und das Bestreben, das Kaufhaus schnellstmöglich wieder zu verlassen, ist kein Gesichtspunkt, der dem Verweis auf das Personal entgegensteht. Ferner ist nicht nachvollziehbar, inwieweit der Klägerin - wie von ihr vorgebracht - durch den Versuch eines Beiseiteschiebens des Hubwagens eine größere Verletzungsgefahr drohen sollte als diejenige, die sich durch das bestimmungswidrige Besteigen realisiert hat.

Auch die von der Klägerin angeführten Unfallverhütungsvorschriften, aus denen eine Verpflichtung der Beklagten zur Arretierung abgeleitet werden soll, führen zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen dienen diese Unfallverhütungsvorschriften in erster Linie dem Schutz des mit Arbeitsmitteln bestimmungsgemäß hantierenden Personals und nicht dem Schutz von Kunden, die in bestimmungswidriger Weise damit umgehen. Außerdem sollte eine Arretierung aufgrund dieser Vorschriften verhindern, dass sich das betreffende Gerät bei sachgemäßer Benutzung oder von selbst in Bewegung setzt, und nicht eine bestimmungswidrige Nutzung durch die Klägerin ermöglichen, womit das Verhalten der Klägerin nicht in den Schutzbereich der Unfallverhütungsvorschriften fällt.

Selbst wenn man aber die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte vorliegend bejahen wollte, würde ein Anspruch der Klägerin in jedem Fall an ihrem Mitverschulden scheitern, das hier derart überwiegt, dass demgegenüber eine mögliche Haftung der Beklagten vollständig zurücktritt. Den Geschädigten trifft ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren (sogenanntes Verschulden gegen sich selbst; BGHZ 3,49; 9,318). Ein solches Verschulden gegen sich selbst liegt im Streitfall im Verhalten der Klägerin, ohne vorherige Überprüfung, ob der Hubwagen arretiert ist, diesen in bestimmungswidriger Weise dergestalt zu benutzen, dass sie sich mit einem Fuß auf einer darauf befindlicher Palette abstützt und dadurch zu Fall kommt. Bereits die unterlassene vorherige Überprüfung der Standfestigkeit des Hubwagens begründet eine erhebliche Sorgfaltswidrigkeit, die noch gesteigert wird dadurch, eine mangels fester Verbindung ganz offenkundig nicht zum Betreten geeignete Palette auf dem Hubwagen mit einem Fuß zu betreten. Dass hiermit ein erhöhtes Sturz- und damit Verletzungsrisiko selbst geschaffen wird, liegt auf der Hand. Es bedarf ebenfalls keiner weiteren Ausführung, dass es wegen dieses Risikos der Klägerin zumutbar war, zur Beseitigung des Hindernisses die Hilfe des Personals in Anspruch zu nehmen, selbst wenn diese mit einem gewissen Zeitverlust verbunden gewesen wäre. Angesichts des eklatant sorgfaltswidrigen Verhaltens der Klägerin, die sich sehenden Auges in ein selbstgesetztes Sturzrisiko begab, ist ein dermaßen ausgeprägtes Verschulden gegen sich selbst gegeben, dass auch bei Bejahung einer schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten deren Haftung wegen eines ganz überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin zurücktreten würde.

Die Klägerin hat die Folgen ihres erkennbar unvorsichtigen Verhaltens selbst zu tragen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer war gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen.



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