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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.12.2006
Aktenzeichen: 23 U 309/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 174
ZPO § 233
ZPO § 234
ZPO § 236
Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis grundsätzlich erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn durch ihn selbst oder auf seine Veranlassung in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und die Notierung im Fristenkalender vermerkt ist . Entschließt sich ein Rechtsanwalt aber, das Empfangsbekenntnis vor vollständiger Fristensicherung zurückzugeben, so trifft ihn eine besondere Sorgfaltspflicht; um ihr gerecht zu werden, genügen allgemeine Weisungen des Rechtsanwalts an sein Personal grundsätzlich nicht.
Gründe:

I.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 30.9.2005 abgewiesen, das dem Kläger nach dem Eingangsstempel auf dem Urteil (Bl. 259 d.A.) sowie dem Vorbringen der Streitverkündeten am 14.10.2005 (Bl. 182 d. A.) zugegangen ist. Das vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterzeichnete Empfangsbekenntnis ist dagegen auf den 18.10.2005 datiert (Bl. 109 d.A.), das Empfangsbekenntnis der Beklagten trägt das Datum vom 13.10.2005 (Bl. 108 d.A.). Der Kläger hat am 15.11.2005 Berufung eingelegt (Bl. 133 d. A.).

Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der Frist nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht eingegangen, sondern der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20.12.2005 (Bl. 141 d. A.), bei Gericht eingegangen am selben Tag, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und dies mit der Nichteintragung dieser Frist durch die ansonsten erfahrene und zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte begründet, die er am 20.12.2005 festgestellt habe; außerdem erfolgte in diesem Schriftsatz die Berufungsbegründung. Auf den Hinweis des Senats vom 28.12.2005 (Bl. 188 d.A.) zu den Anforderungen an ein begründetes Wiedereinsetzungsgesuch hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19.1.2006 (Bl. 226ff d.A.) hierzu weiter vorgetragen und die von seinem Prozessbevollmächtigten am 1.10.2005 eingestellte Streitverkündete als die amtierende Rechtsanwaltsfachangestellte benannt. Sein Prozessbevollmächtigter habe diese am 19.10.2005 auf die Wichtigkeit der Fristen hingewiesen und die Anweisung zur Eintragung einer Vor- und Endfrist in dieser Sache erteilt. Er habe sich jeden Morgen eine Kopie bzw. Ausdruck des Tageskalenders vorlegen lassen sowie die Eintragungen im elektronischen Kalender überprüft, bei dem jedoch am 19.12.2005 ein technischer Defekt vorgelegen habe. Es finde auch eine Ausgangskontrolle statt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat der Streitverkündeten noch in der Probezeit, und zwar zum 30.11.2005 gekündigt.

Mit Hinweisschreiben vom 28.7.2005 (Bl. 260 d.A.) teilte der Senat dem Kläger mit, dass er aufgrund des Eingangsstempels auf dem Urteil des Landgerichts sowie des Vorbringens der Streitverkündeten davon ausgehe, dass ihm dieses Urteil am 14.10.2005 zugestellt worden sei. Hierzu nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 18.8.2006 (Bl. 278ff d.A.) Stellung, wonach die Zustellung am 18.10.2005 erfolgt sei.

Die Beklagte hat dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenso wie die Streitverkündete unter Verweis auf die Verletzung anwaltlicher Kontrollpflichten widersprochen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Der nach §§ 233, 234, 236 ZPO zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO war als unbegründet zurückzuweisen, da auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien sowie der objektiven Umstände davon auszugehen ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers schuldhaft eine nach § 85 Abs. 2 ZPO dem Kläger zurechenbare Ursache für die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist gesetzt hat.

Zwar kommt bereits in Betracht, dass der Kläger wegen der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 14.10.2005 die am 14.11.2005 abgelaufene Berufungseinlegungsfrist nach § 517 ZPO versäumt hat; ein Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der Berufungseinlegungsfrist wurde nicht gestellt. Dies kann jedoch im Ergebnis dahingestellt bleiben, weil jedenfalls die beantragte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu gewähren und gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO die Berufung als unzulässig zu verwerfen war.

Für den Zustellungsbeweis gilt freie Beweiswürdigung nach § 286 ZPO (Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 517 Rn 15).

Der Eingangsstempel auf dem Urteil des Landgerichts vom 14.10.2005, die Zustellung an die Beklagte laut deren Empfangsbekenntnis vom 13.10.2005 sowie das insoweit unstreitige Vorbringen der Streitverkündeten sprechen allerdings dafür, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers dieses Urteil bereits am 14.10.2005 zugestellt worden ist.

Jedoch hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Zustellung des Urteils auf einem Empfangsbekenntnis nach § 174 Abs. 1 u. 4 ZPO bescheinigt, das das Datum 18.10.2005 trägt, so dass danach die Frist zur Einlegung der Berufung nach § 517 ZPO eingehalten wäre.

Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist dann als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegen genommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (vgl. nur BGH MDR 2006,885). Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (BGH aaO mwN). Ein derartiges Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (BGH aaO mwN).

Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig (BGH aaO mwN). Dieser setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. BGH aaO mwN). Andererseits ist nicht der Nachweis der Fälschung erforderlich (BGH MDR 1991, 33).

Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nur in abstrakter Weise über das Erfordernis der Empfangsbereitschaft referiert und nichts dazu vorgetragen, aus welchem Grund diese Empfangsbereitschaft nicht bereits am 14.10.2005 (Freitag), sondern erst am 18.10.2005 (Dienstag) gegeben gewesen sein sollte. Insbesondere hat er keine Abwesenheit oder sonstige Verhinderung vor dem 18.10.2005 vorgebracht.

Damit dürfte indessen noch nicht feststehen, dass das von dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Empfangsbekenntnis angegebene Datum der Urteilszustellung im vorgenannten Sinne unrichtig ist, d.h. schlechterdings nicht richtig sein kann (vgl. insoweit auch BGH MDR 2006, 885; 1991, 33). Letztlich kann diese Frage aber dahingestellt bleiben.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nämlich in mehrfacher Hinsicht nicht den zu stellenden Anforderungen an die anwaltliche Fristenbehandlung und -kontrolle sowie an die in diesem Kontext erforderliche Büroorganisation genügt.

Der Bürobetrieb des Rechtsanwalts muss so organisiert werden, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (vgl. BGH VersR 1993, 1380; OLG Zweibrücken OLGR 2006, 744 ).

So darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis grundsätzlich erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn durch ihn selbst oder auf seine Veranlassung in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und die Notierung im Fristenkalender vermerkt ist (so ausdrücklich BGH NJW 2003, 1528; 1996, 1900; OLG Zweibrücken OLGR 2006, 744; Zöller-Greger, § 233 Rn 23 - Fristenbehandlung). Dies wurde vom Prozessbevollmächtigten des Klägers weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, vielmehr soll eine Eintragung der Berufungsbegründungsfrist ja gerade nicht erfolgt sein.

Damit ist schon die Fristensicherung nicht hinreichend dargetan.

Entschließt sich ein Rechtsanwalt aber, das Empfangsbekenntnis vor vollständiger Fristensicherung zurückzugeben, so trifft ihn eine besondere Sorgfaltspflicht; um ihr gerecht zu werden, genügen allgemeine Weisungen des Rechtsanwalts an sein Personal grundsätzlich nicht ( BGH NJW 2003, 1528 mwN).

Zumindest aber muss der Rechtsanwalt dann sofort durch besondere Einzelanweisung die betreffenden Eintragungen veranlassen (BGH NJW-RR 1993, 1213; VersR 1992, 1536). Auch das ist vorliegend nicht der Fall, denn die vom Kläger vorgetragene Einzelanweisung soll erst am 19.10.2005 und damit einen Tag nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses mit Datum vom 18.10.2005 erfolgt sein, mithin nicht sofort im vorgenannten Sinn.

Bei - wie vorliegend - nur mündlicher Einzelanweisung hat der Rechtsanwalt durch geeignete Organisation sicherzustellen, dass sie sofort erledigt wird (BGH NJW 1994, 2831; 1992, 574) bzw. nicht in Vergessenheit gerät (BGH NJW 2004, 688; 2003, 435; 2002, 3782). Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ebenfalls weder substantiiert vorgetragen noch eine Glaubhaftmachung vorgenommen. Insbesondere hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht ausreichend dargetan, wie er die Überwachung der Streitverkündeten bezüglich der selbständigen Fristennotierung sichergestellt hat und welche organisatorischen Maßnahmen er zur Vermeidung und Aufdeckung von Fehlern beim Vergessen der Eintragung einer Rechtsmittelfrist getroffen hat; eine nochmalige Kontrolle der einzuhaltenden Fristen zur Aufdeckung von Fehlern bei der Fristkontrolle fand offensichtlich nicht statt. Dass ein solches Versehen in Form der Nichtnotierung der Berufungsbegründungsfrist aufgetreten und bis zu deren Ablauf unbemerkt geblieben ist, ist somit auf ein Organisationsverschulden im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen.

Die Fristwahrung ist nicht nur durch Führen eines Fristenkalenders, sondern auch durch Notierung der Fristen auf den Handakten zu sichern (Zöller-Greger, § 233 Rn 23 - Fristenbehandlung). Ob letzteres vorliegend erfolgt ist, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Auch der angebliche technische Defekt des elektronischen Kalenders vom 19.12.2005 vermag den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zu entlasten, denn nach seinem eigenen Vorbringen soll ja gar keine Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Kalender erfolgt sein; zum anderen muss bei einem EDV-gestützten Fristenkalender dafür gesorgt werden, dass vom Programm nicht ausgeführte Datensätze rechtzeitig erkannt werden (BGH MDR 2006, 539; NJW 1999, 582). Im übrigen ist ein Defekt am 19.12.2005 hinsichtlich der Frage der Eintragung der Frist und ihrer Kontrolle am 18.10.2005 ohne Belang.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgebracht hat, er habe sich jeden Morgen eine Kopie bzw. Ausdruck des Tageskalenders vorlegen lassen sowie die Eintragungen im elektronischen Kalender überprüft, kann die Richtigkeit dieser nicht glaubhaft gemachten Behauptung dahingestellt bleiben, da bei entsprechend sorgfältiger Kontrolle ihm die Nichteintragung der Berufungsbegründungsfrist hätte auffallen müssen, was jedoch nicht der Fall war. Jedenfalls hat er keine Nachholung der Eintragung veranlasst.

Insgesamt wurden Fehlerquellen bei der Eintragung der Fristen im Fristenkalender, dem EDV-System oder in der Handakte nicht im Rahmen des Möglichen ausgeschlossen, sondern bei einem einmaligen Versehen durch Nichtnotierung der Berufungsfristen war eine Fristversäumnis geradezu zwangsläufig.

Aufgrund der Nichtgewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt es dabei, dass der Kläger die Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO versäumt hat, weshalb gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO die Berufung als unzulässig zu verwerfen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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