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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 12.03.2007
Aktenzeichen: 23 U 89/06
Rechtsgebiete: AGBG, BGB
Vorschriften:
AGBG § 3 | |
BGB § 305 c |
2. Überraschenden Charakter im Sinne des § 3 AGBG hat eine formularmäßige Zweckerklärung insbesondere dann, wenn sie von den - durch den Anlass der Sicherungsabrede begründeten - Erwartungen des Sicherungsgebers deutlich abweicht.
3. Solche Erwartungen können durch eine bestimmte Darlehensgewährung geprägt sein, wenn zwischen der Darlehensgewährung und der Grundschuldbestellung mit Zweckerklärung ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht.
Gründe:
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, die keiner Änderung bedürfen, wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Es ist ferner korrigierend festzustellen, dass die Zweckerklärung vom 1.7.1996 (Bl. 50f d.A.) nach dem Vorbringen der Parteien nicht "offenbar im Zusammenhang" mit den bestehenden Darlehensverbindlichkeiten des Ehemanns der Beklagten stand, wie der Tatbestand des angefochtenen Urteils ausführt.
Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte sei zur Duldung der Zwangsvollstreckung in ihr Grundstück in O1 verpflichtet aufgrund der wirksamen, sie entsprechend bindenden Zweckerklärung vom 31.8.1997; ein Verstoß gegen das AGBG liege insoweit nicht vor.
Gegen das ihr am 10.4.2006 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Beklagte am 2.5.2006 fristgerecht Berufung eingelegt und diese am 10.7.2006 innerhalb der bis zu diesem Datum verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Annahme einer wirksamen, die Darlehensverbindlichkeiten ihres Ehemannes gegenüber der Klägerin (mit Ausnahme des bereits getilgten Baudarlehens über 80.000.- DM vom August 1997) absichernden Zweckerklärung hinsichtlich der im Tenor des landgerichtlichen Urteils genannten Grundschuld auf ihrem dort bezeichneten Grundstück. Die Beklagte hält die Zweckerklärung(en) insoweit für unwirksam nach § 3 AGBG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 10.7.2006 (Bl. 108f d.A.), vom 26.9.2006 (Bl. 121f d.A.) und vom 19.10.2006 (Bl. 125 d.A.) verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7.4.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Landgerichts unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie geht von der Wirksamkeit zumindest der Zweckerklärung vom 31.8.1997 aus, die keine überraschende Klausel im Sinne des § 3 AGBG darstelle, nicht zuletzt auch angesichts der Entscheidung des BGH vom 6.2.1998 (WM 1996, 2233) zum zeitlichen Abstand zwischen zwei Zweckerklärungen. Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass es bei der Unterzeichnung dieser Zweckerklärung "allein um eine Darlehensgewährung an ihren Ehemann" gegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 14.9.2006 (Bl. 117-119 d.A.) und vom 26.2.2007 (Bl. 152f d.A.) verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet. Sie hat auch in der Sache selbst Erfolg.
Es liegt ein Berufungsgrund im Sinne des § 513 ZPO vor, denn die Entscheidung des Landgerichts beruht im Ergebnis auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO bzw. nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung.
Zu Unrecht hat das Landgericht der Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das im Tenor des landgerichtlichen Urteils bezeichnete Grundstück aus der dort genannten Grundschuld wegen der offenen Verbindlichkeiten ihres Ehemanns gegenüber der Klägerin zuerkannt. Dieser Anspruch aus den §§ 1191, 1192 i.V.m. § 1147 BGB ist nicht gegeben, denn die von der Beklagten am 1.7.1996 (Bl. 50f d.A.) und am 31.8.1997 (Bl. 10f d.A.) unterzeichneten Zweckerklärungen sind insoweit unwirksam nach § 3 AGBG, der vorliegend noch Anwendung findet.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH (NJW 2001, 1416; WM 2000, 2423 (2425) m.w.N.) liegt eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den konkreten Umständen und Verhältnissen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner mit ihr nicht zu rechnen braucht (§ 3 AGBG, jetzt § 305c BGB) dann vor, wenn ihr ein Überrumpelungseffekt inne wohnt. Sie muss danach eine Regelung enthalten, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und mit der dieser den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht.
Die Erwartungen des Vertragspartners werden von allgemeinen und individuellen Begleitumständen bestimmt. Zu ersteren zählen etwa der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht sowie die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung, zu letzteren der Gang und der Inhalt der Vertragsverhandlungen sowie der äußere Zuschnitt des Vertrages (BGH a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen ist die formularmäßige Ausdehnung der dinglichen Haftung des Versicherungsgebers auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten bei Bestellung einer Grundschuld aus Anlass einer bestimmten Kreditaufnahme in aller Regel überraschend im Sinne des § 3 AGBG, was auch dann gilt, wenn der Dritte der Ehegatte des Sicherungsgebers ist (ständige Rechtsprechung, BGH a.a.O. m.w.N.).
Überraschenden Charakter im Sinne des § 3 AGBG hat eine formularmäßige Zweckerklärung also insbesondere dann, wenn sie von den - durch den Anlass der Sicherungsabrede begründeten - Erwartungen des Sicherungsgebers deutlich abweicht; solche Erwartungen können durch eine bestimmte Darlehensgewährung geprägt sein, wenn zwischen der Darlehensgewährung und der Grundschuldbestellung mit Zweckerklärung ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht (BGH WM 1996, 2233).
Anlass der ersten Zweckerklärung vom 1.7.1996 war aus der maßgeblichen Sicht der Beklagten als Sicherungsgeberin nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien allein die Sicherung der beiden Darlehen der Beklagten vom 20.6.1996, die von dieser ordnungsgemäß bedient worden sind und werden. Für einen weiteren Sicherungsanlass hat die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nichts vorgebracht. Die unrichtige Feststellung im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ist entsprechend zu korrigieren, denn in diesem Unfang ist auch eine Bindungswirkung nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht gegeben. Ungeachtet dessen ist dem Berufungsgericht die Korrektur der Tatsachengrundlage bei - wie vorliegend wegen Verkennung des Parteivorbringens - rechtsfehlerhafter Erfassung der Tatsachengrundlage durch das Erstgericht ohnehin erlaubt (BGHZ 159, 254; 158, 269), was sich bereits aus § 513 Abs. 1 1. Alt. ZPO ergibt (vgl. Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 529 Rn 2).
Anlass der neuen Zweckerklärung vom 31.8.1997 war nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin (Bl. 45 d.A.), das sich in dieser Hinsicht mit dem Vortrag der Beklagten deckt - weshalb der Tatbestand hier zutreffend ist -, das von der Klägerin an den Ehemann der Beklagten gewährte Baudarlehen vom August 1997 über 80.000.- DM, das jedoch unstreitig bereits getilgt wurde. Die von der Klägerin gegenüber dem Ehemann der Beklagten geltend gemachten Forderungen, die die Grundlage der Inanspruchnahme der Beklagten auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ihr Grundstück bilden sollen, stammen aber aus weiteren Darlehensverbindlichkeiten, die aus der maßgeblichen Sicht der Beklagten als Sicherungsgeberin nicht Anlass der neuen Zweckerklärung vom 31.8.1997 waren. Jedenfalls hat die für einen darüber hinausgehenden Sicherungsanlass darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nichts dafür vorgebracht. Mit einer unbegrenzten Erweiterung des Sicherungszwecks auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten ihres Ehemanns gegenüber der Klägerin brauchte die Beklagte nicht zu rechnen.
Demnach sind vorliegend nicht nur eindeutig beschränkte Anlässe der beiden Zweckerklärungen gegeben, sondern sie standen auch jeweils in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Darlehensgewährung.
Zu den für die berechtigten Erwartungen des Vertragsgegners maßgebenden Umständen und Verhältnissen kann zwar durchaus auch eine frühere Darlehensgewährung gehören, wenn zwischen ihr und der Grundschuldbestellung mit formularmäßiger Zweckerklärung ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht. Je größer der zeitliche Abstand zwischen der Darlehensgewährung und der für eine Grundschuld abgegebenen neuen formularmäßigen Zweckerklärung ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der ursprüngliche, auf die Absicherung eines bestimmten Darlehens gerichtete Sicherungszweck durch einen anderen ersetzt oder erweitert worden ist, wie der BGH mehrfach entschieden hat (NJW 2001, 1416; WM 1995, 790; NJW 2001, 1417).
Vorliegend beträgt der maßgebliche zeitliche Abstand zwischen den beiden Zweckerklärungen und dem jeweiligen Anlass der konkreten Kreditgewährung aber nur wenige Tage und selbst derjenige zwischen den Zweckerklärungen lediglich 14 Monate, weshalb die für eine Überrumpelung im Sinne des § 3 AGBG notwendige zeitliche Nähe vorliegt (vgl. BGH NJW 2001, 1416 zu einem zeitlichen Abstand von 7 Jahren, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte). Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des BGH vom 6.2.1998 (WM 1996, 2233) rechtfertigt angesichts des hier jeweils gegebenen unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit einer bestimmten Darlehensgewährung (aus der die Klägerin aber gerade nicht die Zwangsvollstreckung betreibt) keine abweichende Beurteilung, sondern stützt vielmehr dieses Ergebnis.
In dem Umstand, dass sowohl die erste formularmäßige Zweckvereinbarung vom 1.7.1996 als auch die neue formularmäßige Zweckvereinbarung vom 31.8.1997 über die jeweiligen Anlässe der dinglichen Absicherung der Darlehen der Klägerin vom 20.6.1996 sowie des Baudarlehens vom August 1997 über 80.000.- DM an den Ehemann der Beklagten deutlich hinausgingen, ist deshalb entgegen der Auffassung von Landgericht und Klägerin eine Überraschung im Sinne des § 3 AGBG zu sehen.
Die Unwirksamkeit der "weiten", über den eigentlichen Anlass der Sicherung hinausgehenden Zweckerklärung hinsichtlich der formularmäßigen Ausdehnung der Haftung auch auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten eines Dritten gemäß der einschlägigen Rechtsprechung des BGH aus § 3 AGBG hat nicht die Nichtigkeit der gesamten Zweckerklärung zur Folge. Die Unwirksamkeit der jeweiligen Zweckerklärung beschränkt sich vielmehr auf die Einbeziehung sämtlicher bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Ehemanns der Beklagten mit Ausnahme des (inzwischen abgelösten) Baudarlehens vom August 1997, wobei die Zweckerklärung im übrigen aufrecht erhalten bleibt, weil sie aus sich heraus sinnvoll und verständlich ist, auch wenn der unzulässige Regelungsteil vom zulässigen Teil getrennt wird (vgl. BGH ZIP 2002, 932; BGHZ 106, 19).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).
Ende der Entscheidung
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