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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 15.04.2005
Aktenzeichen: 24 U 11/05
Rechtsgebiete: HGB


Vorschriften:

HGB § 439
HGB § 463
Die dreijährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 S. 2 HGB gilt nur für Schadensersatzansprüche und gesetzliche Ansprüche ähnlichen Inhalts, nicht für primäre vertragliche Erfüllungsansprüche und vertragliche Aufwendungsersatzansprüche.
Gründe:

1.

Die in Brasilien ansässige A lieferte regelmäßig Waren an die in Deutschland ansässige Firma B GmbH. Mit der Abwicklung der Transporte betraute sie seit 1997/1998 die Firma C. Die C übertrug durch "Vertrag zur Unternehmensänderung" vom 01.09.2001 einen regional umschriebenen Teil ihrer Geschäfte auf die Klägerin des vorliegenden Verfahrens; seit dem wickelte die Beklagte die Transporte der A an ihr deutsches Partnerunternehmen im Auftrage der Klägerin, im Übrigen in gleicher Weise wie zuvor ab.

Wie zuvor aufgrund der zwischen der Firma C, der Firma A, der Firma B und der Beklagten getroffenen Vereinbarungen legte nach dem Eintritt der Klägerin in die Geschäftsbeziehungen jetzt regelmäßig die Klägerin die Lufttransportkosten vor, stellte sie der Beklagten unter Abzug einer Provision in Rechnung, und die Beklagte trat ihrerseits regelmäßig für die Firma B in Vorlage.

Im März 2002 beendete die Klägerin die Geschäftsbeziehung zur Beklagten; seinerzeit standen Rechnungen aus der Vorlage von Frachtkosten - im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten - in Höhe von 13.574,08 US$ offen. Die Parteien führten Telefongespräche über die Möglichkeit einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung; die Beklagte sandte der Klägerin eine E-Mail, in der sie den Ausgleich der offenen Rechnungen für den Fall einer Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung in Aussicht stellte. Die Klägerin entschloss sich allerdings nicht dazu, der Beklagten weitere Aufträge zu erteilen, und die Beklagte glich die Rechnungen nicht aus.

Mit der im November 2003 eingereichten und zugestellten Klage beansprucht die Klägerin Ausgleich der zur Gesamthöhe von 13.574,08 US$ in Rechnung gestellten Frachtkosten. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Hieran anknüpfend hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Wegen der von ihm gefundenen Gründe sowie der getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Einzelnen wird auf das Urteil vom 14.12.2004 verwiesen.

Mit der Berufung trägt die Klägerin vor, abweichend von der Annahme des Landgerichts, die geltend gemachten Forderungen unterlägen der einjährigen Verjährung nach §§ 463, 439 Abs. 1 Satz 1 HGB, sei eine Verjährungsfrist von drei Jahren nach §§ 462, 439 Abs. 1 Satz 2 HGB zugrunde zulegen. Denn die Beklagte habe die an sich unstreitigen Forderungen der Klägerin vorsätzlich nicht erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 13.574,08 US$ nebst 8 % Zinsen über dem Basiszins seit 04.04.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin habe die Beklagte durch unklare Zahlungsaufforderungen zugunsten eines dritten Unternehmens in die Gefahr einer "Doppelzahlung" gebracht. Der Begriff des Vorsatzes verweise auf Schadensersatzansprüche, nicht auf solche Ansprüche, die auf die Nichterfüllung von Primärleistungspflichten gerichtet seien.

Wegen des zweitinstanzlichen Sachvortrages im Einzelnen wird auf die vor dem Senat gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2.

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

a) Zwar sind diese Zahlungsansprüche - wie zwischen den Parteien unumstritten ist - zugunsten der Klägerin exakt so entstanden, wie sie sie der Beklagten in Rechnung gestellt hat und im Rechtsstreit verfolgt.

b) Diese Zahlungsansprüche sind aber - gleichviel, ob sie ihre Rechtsgrundlage in § 453 Abs. 2 HGB (Vergütungsanspruch) oder in § 670 BGB (Aufwendungsersatzanspruch) finden - verjährt; nachdem die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat, kann sie zur Zahlung nicht mehr verurteilt werden.

c) Für die konkrete Rechtsbeziehung der Parteien maßgeblich ist die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 463, 439 Abs. 1 Satz 1 HGB; sie beträgt ein Jahr. Diese Einjahresfrist ist - wie es in der "Zeitrechnung" zwischen den Parteien außer Streit steht - nach Ablieferung der Versendungsgüter zwischen November 2001 und März 2002 (§ 439 Abs. 2 HGB) einerseits, Einreichung und Zustellung der Klage im November 2003 andererseits abgelaufen.

d) Der Auffassung der Klägerin, im Streitfalle gelte anstelle der regelmäßigen Verjährungsfrist die besondere Verjährungsfrist von drei Jahren aus § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB, folgt der Senat nicht.

Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht stark dagegen, den Begriff des Vorsatzes - bzw. eines dem Vorsatz nach § 435 HGB gleichstehenden Verschuldens - auf primäre Erfüllungs- oder Aufwendungsersatzansprüche anzuwenden. Der Begriff des Vorsatzes ist im deutschen Recht wie im internationalen Transportrecht - so zu Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR: BGH VersR 1982, 649 - ein schadensersatzrechtlicher Begriff; er bezieht sich auf die Verletzung von Verhaltensnormen mit der Folge einer Schädigung von Rechtsgütern oder Vermögenspositionen der anderen Seite. Vom Begriffsverständnis wie der Gesetzessystematik her nur eine scheinbare Ausnahme stellt die Regelung des § 285 a. F., 286 Abs. 4 n. F. BGB dar, nach welcher der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Hier wird zwar ein Zusammenhang - u. a. - zwischen Vorsatz (§ 276 Abs. 1 BGB) und Nichterfüllung hergestellt; auch hier aber geht es zentral um die Frage eines Verhaltens - einer Unterlassung -, das - die - den Gläubiger schädigt, ihn Zins- und anderen Nachteilen der Leistungsverzögerung aussetzt.

Die historische Auslegung des § 439 HGB spricht stark für eine Beschränkung der Geltung der ausnahmsweisen Dreijahresfrist auf Schadensersatzansprüche. § 439 HGB knüpft historisch an die Regelung des Art. 32 CMR an (Gass in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 439 Rz 1; MüKo-Basedow, HGB, Erg.-Bd. 2003, § 463 Rz 3 f.). Bereits lange vor der Aufnahme des zur Neufassung des § 439 HGB - durch Transportrechtsreformgesetz vom 25.06.1998 - führenden Gesetzgebungsverfahrens hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung festgestellt, dass Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR lediglich auf Schadensersatzansprüche und gesetzliche Ansprüche ähnlichen Inhalts anzuwenden ist, nicht auf vertragliche Erfüllungsansprüche (und damit auch nicht auf gleichlaufende vertragliche Aufwendungsersatzansprüche) anzuwenden ist (BGH VersR 1982, 649). Hätte der Gesetzgeber an dieser Abgrenzung etwas ändern wollen, dann hätte er es durch eine klarstellende Formulierung zum Ausdruck gebracht.

Schließlich - und zentral - spricht eine ganz praktische Erwägung - wie der Senat meint: zwingend - dafür, § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht auf primäre Erfüllungs- und vertragliche Aufwendungsersatzansprüche anzuwenden. Würde man dies nämlich - mit der Klägerin und Koller (in Transportrecht, 6. Aufl. 2004, § 239 Rz 27; ähnlich Rabe in Gedächtnisschrift Helm (2001, 301/303)) - so sehen, dann würde dies in der Praxis zu einer Umkehrung des im Gesetz bestimmten Regel-/Ausnahmeverhältnisses der ein-/dreijährigen Frist führen. Praktisch betrachtet nämlich ist jede Nichterfüllung eines vertraglichen Vergütungsanspruches und meist auch jede Nichterfüllung eines vertraglichen Aufwendungsersatzanspruches seitens der Spediteurin, der Unterspediteurin wie des Frachtführers eine vorsätzliche Nichterfüllung. Kraft fachlicher Kenntnis wie konkret getroffener Vereinbarung wie erhaltener Rechnung wissen die Beteiligten des Fracht- bzw. Speditionsvertrages immer sehr genau, dass und was sie für die vertragliche Leistung der anderen Seite zu zahlen haben, welche Leistungen zur Erfüllung der vertraglich übernommenen Transport- bzw. Besorgungsaufgaben erforderlich werden und geworden sind. Eine "Nichtzahlung in unverschuldeter Unkenntnis" ist praktisch gesehen kaum denkbar.

e) Die Beklagte ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs - Einwand der Arglist - gehindert, sich auf Verjährung zu berufen.

aa) Soweit die Klägerin der Beklagten vorwirft, sie - die Beklagte - habe "die Zahlung vorsätzlich und rechtswidrig verweigert", so hat die Klägerin hiermit tatbestandlich an den Inhalt der E-Mail vom 04.04.2001 angeknüpft, in welcher die Klägerin den Ausgleich der offenen Rechnungen (nur) für den Fall einer Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung in Aussicht stellte oder - pointierter gesagt - die Zahlung von der Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung abhängig machte, teilt der Senat zwar die Auffassung der Klägerin, dass die von der Beklagten gesetzte Verknüpfung mit den Anforderungen geschäftlichen Anstandes kaum zu vereinbaren ist. Es fehlt aber an jeder ursächlichen Verbindung zwischen diesem Verhalten und dem Ablauf der Verjährungsfrist. Gerade weil die Beklagte einen Mangel an geschäftlichem Anstand offenbart hatte, konnte sich bei der Klägerin kein Vertrauen darauf bilden, die Beklagte werde zahlen. Im Gegenteil musste sich der Klägerin aufdrängen, dass man entschlossen würde gegen die Beklagte vorgehen müssen.

bb) Soweit die Klägerin weiter vorträgt, die Beklagte habe im Vorfeld des Prozesses die Verfolgung der Ansprüche der Klägerin "bewusst verzögert", nämlich durch ihren Anwalt im August/September 2003 um Klärungsfrist gebeten, bleibt dies ohne Belang; damals nämlich waren die Ansprüche der Klägerin bereits verjährt.

3.

Der Senat erachtet die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung der Revision für nicht gegeben. Die im Rahmen der Auslegung des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB zu klärende Rechtsfrage entspricht sachlich exakt der Rechtsfrage, die die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der bereits zitierten Entscheidung BGH VersR 1982, 649 zu Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR entschieden hat.

Ende der Entscheidung

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