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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.09.2001
Aktenzeichen: 24 U 22/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 287
Bei der Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität bezüglich einer Halswirbelsäulenverletzung kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles und nicht allein auf eine "Harmlosigkeitsgrenze" für Geschwindigkeitsänderungen von 110 km/h an (§§ 286, 287 ZPO).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 22/00

Verkündet am 07.09.2001

In dem Rechtsstreit ...

Der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2001 durch die Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der ersten Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 05.11.1999 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 11.250,00 nebst 4 % Zinsen seit dem 07.11.1996 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten erster Instanz hat der Beklagte zu tragen.

Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte ist mit DM 11.250,00 beschwert.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat - abgesehen von einem geringfügigen Teil der geltend gemachten Zinsen - Erfolg.

I.

Der Klägerin steht nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 AKB in Verbindung mit § 179 VVG die geltend gemachte Versicherungsleistung in Höhe von DM 11.250,00 zu. Denn der Versicherungsfall ist eingetreten. Er besteht nach § 16 Nr. 2 a AKB in der dauernden Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit infolge eines Unfalls.

1. Das Unfallereignis vom 12.05.1995 ist als solches nicht streitig (§ 18 Abs. 2 AKB).

2. Daß der Geschäftsführer der Klägerin im Anschluß an das Unfallereignis wegen Schmerzen im Kopf -/Hals - Bereich ärztlich behandelt worden ist, ergibt sich schon aus dem Gutachten des Orthopäden Dr. G. vom 12.06.1995. Der Geschäftsführer der Klägerin hat den Arzt am 16.05.1995, also vier Tage nach dem Unfall aufgesucht. Die gesundheitliche Beeinträchtigung dauert an. Dies ergibt sich eindeutig aus dem zeitlich letzten der dem Senat vorliegenden Gutachten (Dr. F. vom 25.11.1999).

Damit hat der Senat von einer dauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung des Geschäftsführers der Klägerin auszugehen. Der drei - Jahres - Zeitraum des § 22 Nr. 4 AKB ist abgelaufen.

3. Der Senat ist des weiteren davon überzeugt, daß das Unfallereignis vom 12.05.1995 für die gesundheitliche Beeinträchtigung des Geschäftsführers der Klägerin ursächlich war. Er bejaht die haftungsbegründende Kausalität.

Der Anspruchsteller trägt auch für die haftungsbegründende Kausalität die volle Beweislast. Maßstab für den zu führenden Vollbeweis ist § 286 ZPO (BGH, NJW 1993, 201; KG, NJW 2000, 877, 878; Grimm, Unfallversicherung - 3. Auflage, § 1 Rdnr. 45). Die Beweiserleichterung des § 287 ZPO kommt dem Anspruchsteller insoweit nicht zugute. Ebensowenig gelten die Regeln des Anscheinsbeweises, da es um die Beurteilung individuell geprägter Geschehensabläufe geht (KG, NJW 2000, 877, 878).

4. Wie hoch die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zwischen den beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen tatsächlich war, kann für die Entscheidung offen bleiben. Der Beweisaufnahme bedarf es nicht. Die Beklagte räumt eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 5 km/h selbst ein. Für die von der Klägerin behauptete Differenzgeschwindigkeit" zwischen 30 und 35 km/h gibt es überhaupt keinen greifbaren Anhaltspunkt; sie kann auch nicht aus der Stellungnahme des Sachverständigen Sch.t vom 21.03.1996 hergeleitet werden.

Eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 5 km/h, von der der Senat für seine Entscheidung ausgeht, liegt unterhalb der sogenannten Harmlosigkeitsgrenze".

Bei Auffahrunfällen mit einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung unterhalb der sogenannten Harmlosigkeitsgrenze geht die überwiegende Rechtssprechung schon aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung davon aus, daß die haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung fehlt (KG, NJW 2000, 877; OLG Hamm, Versicherungsrecht 1999, 990; OLG Hamm, NJW 2000, 878; OLG Hamm, ZfSch. 2001, 160; OLG Hamm, Schaden - Praxis 2001, 14). Die Harmlosigkeitsgrenze wird regelmäßig bei einer Geschwindigkeitsänderung von 10 km/h gezogen. Hierzu werden regelmäßig als Begründung die sogenannten Scooter" - Fälle auf Jahrmärkten herangezogen, bei denen es zu Stößen bei jeder nur denkbaren Kopfhaltung kommt. Außerdem wird zur Begründung angeführt, daß - vor allem bei älteren Geschädigten - die degenerative Bandscheibeveränderungen weit verbreitet seien (OLG Hamm, Versicherungsrecht 1999, 990).

Eine derart pauschale Betrachtungsweise wird aber dem Phänomen der unfallbedingten Halswirbelsäulenverletzungen nicht gerecht. Auch bei der Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles an.

Mag bei der vorliegend angenommenen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung auch nach allgemeiner Lebenserfahrung und nach überwiegender Meinung in der Rechtssprechung regelmäßig eine unfallbedingte HWS-Schädigung ausscheiden, so hindert dies nicht eine gegenteilige Beurteilung im Einzelfall. Nach den Erkenntnissen des angesehenen und auch vom Beklagten angesprochenen Sachverständigen Dr. L. kann es bei ungünstigen Gegebenheiten auch unterhalb der Harmlosigkeitsgrenze zu unfallbedingten HWS-Verletzungen kommen. Biomechanisch ist dies möglich. Da es um Ausnahmefälle geht, bedarf es besonderer Strenge im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 286 ZPO). Die Überlegungen des Sachverständigen Dr. L. beziehen sich - entgegen der Auffassung des Beklagten in der Berufungserwiderungsschrift (Seite 4) - auf den klassischen HWS-Unfall - Heckaufprall auf das Fahrzeug des später HWS-Verletzten". Um genau einen solchen Unfall geht es vorliegend.

Für eine neurotische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens fehlt es an Anhaltspunkten. Beim Geschäftsführer der Klägerin waren Tendenzen weder zur Aggravation noch zur Simulation feststellbar. Dies ergibt sich aus den beiden gutachterlichen Stellungnahmen des Neurologen Dr. Bernsdorf vom 03.09.1996 und vom 14.02.1997, denen auch der Beklagte in diesem Punkte nicht entgegen tritt.

Der immer wieder angeführte Vergleich mit den sogenannten Scooter" - Fällen ist auch alles andere als zwingend. Zum einen sind bei dem komplexen Körperorgan der Wirbelsäule schematische Betrachtungen nach strengen physikalischen Regeln ohnehin problematisch. Zum anderen rechnet der Scooter-Fahrer mit Stößen, während die Krafteinwirkungen bei einem Auffahrunfall regelmäßig überraschend erfolgen (vergleiche insoweit völlig zurecht LG Augsburg, NJW 2000, 880, 881).

5. Daß die Beschwerden des Geschäftsführers der Klägerin im Halswirbelsäulenbereich auf dem Unfallereignis vom 12.05.1995 beruhen, ist nach Überzeugung des Senats auch medizinisch nachgewiesen.

Wie der von der Klägerin konsultierte Privatgutachter Dr. O. in seinem Gutachten vom 20.05.1999 überzeugend ausführt, liegt bei dem Geschäftsführer der Klägerin eine hypomobile Funktionsstörung der Halswirbelsäule vor (Gutachten Seite 8). Die röntgenologische Untersuchung ergab eine asymmetrische Abbildung des dens axis" im Atlasbogen (Gutachten Seite 14). Als Ergebnis der Untersuchung diagnostiziert der Sachverständige ein posttraumatisches cervicocephales Syndrom nach atlantoaxialer Rotationsfehlstellung I. Grades" (Gutachten Seite 16).

In der nachfolgenden eingehender Auseinandersetzung des Sachverständigen Dr. O. mit der medizinischen Forschung zum HWS Syndrom (Gutachten Seite 19 ff.) stellt der Gutachter zunächst dar, daß die beim Geschäftsführer der Klägerin vorgefundene Erkrankung unfallursächlich sein kann (Gutachten Seite 19 und 22). Auf die hierin beschriebene bloße Möglichkeit einer unfallbedingten Schädigung stellt der Beklagte in seiner Berufungserwiderungsschrift vom 30.08.2000 maßgeblich ab. Aus den Feststellungen des Sachverständigen rechtfertigt sich aber andererseits nicht der Schluß, daß bei Verletzungen unterhalb der Harmlosigkeitsgrenze die behaftungsbegründende Kausalität regelmäßig fehle. Im Anschluß an die vorgenannten Darlegungen führt der Sachverständige sodann im einzelnen aus, daß beim Geschäftsführer der Klägerin die festgestellte asymmetrische Darstellung des dens axis" im Atlasbogen eindeutig" (!) eine Unfallfolge sei (Gutachten Seite 31), die ohne den Unfall nicht denkbar" sei (Gutachten Seite 33).

Daß der Gutachter Dr. O. den Geschäftsführer der Klägerin erst Jahre nach dem Unfallereignis gesehen hat (14.05.1999), begründet entgegen der Auffassung des Beklagten keine Bedenken gegen die gefundenen Ergebnisse. Denn der Gutachter Dr. O. stützt sich bei seiner Begutachtung auf die Vielzahl der ärztlichen Befunde, die seit der erstmaligen ärztlichen Konsultation des Geschäftsführers der Klägerin am 16.05.1999 (Dr. G.) erhoben worden sind.

Es trifft auch nicht zu, daß die Schlußfolgerungen des Sachverständigen Dr. O. - wie der Beklagte meint - bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen" seien. Eine andere denkbare Ursache als das Unfallereignis ist für die vorliegende HWS-Verletzung nach der Begutachtung auszuschließen. Dies überzeugt den Senat ohne weiteres, da der Geschäftsführer der Klägerin vor dem Unfallereignis nicht über Schmerzen im HWS-Bereich geklagt hat, wohingegen diese Beschwerden unmittelbar nach dem Unfallereignis auf Dauer aufgetreten sind. Der Vollbeweis des § 286 ZPO erfordert keine absolute Gewißheit; diese ist selten zu erreichen. Es genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit, der etwaigen restlichen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, NJW 1993, 935, 937; BGH, NJW 1999, 486, 488). An die beweisbelastete Partei dürfen keine unerfüllbaren Forderungen gestellt werden. Ansonsten würde sich auch der mit dem Abschluß eines Versicherungsvertrages bezweckte Schutz vielfach als illusorisch erweisen.

Daß sich, wie der Sachverständige Prof. H. in seinem Gutachten vom 08.09.1998 ausführt, Anhaltspunkte für eine funktionelle Störung der Halswirbelsäule schon seit 1991, also schon aus einer Zeit vor dem Unfallereignis, ergäben (Gutachten Seite 16), kann nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. O. (Gutachten Seite 33) die Unfallursächlichkeit der Beeinträchtigungen des Geschäftsführers der Klägerin nicht beseitigen. Hiernach besitzt dieser nämlich keine besonders anfällige" Halswirbelsäule.

Das von dem Orthopäden Dr. O. gefundene Ergebnis wird letztlich bestätigt durch die radiologische Begutachtung des Dr. F. vom 25.11.1999. Auch er schreibt die beim Geschäftsführer der Klägerin vorhandene Sympthomatik angesichts der im Halsbereich erheblich bedeutsamen Weichteillusionen einer unfallbedingten HWS- Verletzung zu (Gutachten Seite 3 und 5). Zwar spricht der Gutachter nur von überwiegender Wahrscheinlichkeit" und vom ersten Anschein". Die getroffenen ärztlichen Feststellungen genügen aber zusammen mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. O., um beim Senat die volle richterliche Überzeugung von der haftungsbegründenden Kausalität zu begründen.

6. Die weiteren, dem Senat vorliegenden ärztlichen Gutachten begründen an dem vorstehenden Ergebnis keine ernst zunehmenden Zweifel.

Das neurologische Gutachten des Dr. Sch. vom 02.10.1995 hält eine traumatische Schädigung der Halswirbelsäule immerhin für möglich. Der Gutachter sah sich lediglich außerstande, eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nachweisbar zu begründen.

Das chirurgische Zusammenhangsgutachten des Prof. W. vom 07.10.1995 fußt neben der ärztlichen Untersuchung des Geschäftsführers der Klägerin ganz wesentlich auf technischen Voraussetzungen (keine hocheinwirkende Energie, stabiles Auto, gleiche Richtung) und geht deshalb von einer leichten HWS-Distorsion aus, die in der Regel" binnen drei Wochen folgenlos ausheilt. Damit beschreibt der Gutachter den Regelfall. Daß bei den technischen Gegebenheiten gleichwohl Schädigungen im Halswirbelsäulenbereich auf Dauer auftreten können, berücksichtigt der Sachverständige nicht. Er setzt sich auch nicht mit der Literatur auseinander, wie dies der Sachverständige Dr. O. ausführlich getan hat. Letztlich fußt die gutachterliche Stellungnahme des Prof. W. darauf, daß objetivierbare Unfallfolgen nicht nachweisbar" seien; hieraus schlußfolgert er, daß eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht vorliegt. Genau der Nachweis ist nach Überzeugung des Senats aber durch die weiteren gutachterlichen Stellungnahmen gelungen.

Auch der Gutachter Prof. H. schließt in seinem Gutachten vom 08.09.1998 eine unfallbedingte Verletzung des Geschäftsführers der Klägerin keineswegs aus. Er meint lediglich, die Kausalität sei nicht eindeutig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu beantworten" (Gutachten Seite 17).

7. Bei seiner Entscheidung verkennt der Senat nicht, daß es sich bei den vorgelegten Privatgutachten nur um einen qualifizierten, substantiierten Parteivortrag handelt.

Gleichwohl ist eine weitere Beweisaufnahme durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens entbehrlich.

Zwar hat der Tatrichter grundsätzlich die Verpflichtung, bei widersprechenden Privatgutachten ein gerichtliches Gutachten einzuholen (BGH, NJW 1993, 2382, 2383). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn schon allein aufgrund dieses substantiierten Parteivortrages eine zuverlässige Beantwortung der Beweisfrage gelungen ist. Sämtliche zur Beurteilung des Gesundheitszustandes des Geschäftsführers der Klägerin herangezogenen Gutachter sind hochqualifiziert und auf den jeweiligen Fachgebieten tätig. Dies stellt auch der Beklagte nicht in Abrede. Eine weitergehende, von einem höheren Maß an Qualifikation getragene Beurteilung kann auch von einem gerichtlichen Sachverständigen nicht erwartet werden. Dementsprechend setzt sich der Beklagte in seiner Berufungserwiderungsschrift mit sämtlichen vorhanden Privatgutachten ausführlich auseinander. In seiner zusammenfassenden Wertung (Berufungserwiderung Seiten 30 - 33) läßt der Beklagte auch nicht erkennen, daß durch die Einschaltung eines gerichtlichen Sachverständigen weiterreichende Erkenntnisse zu gewinnen seien. Er setzt sich auf der Grundlage der vorhandenen ärztlichen Begutachtungen mit diesen auseinander und gelangt - abweichend von der Auffassung des Senats - zu dem Ergebnis, daß sich aus den vorhandenen Begutachtungen ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis einerseits und der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Geschäftsführers der Klägerin andererseits nicht herleiten lasse.

Im Gegensatz zu dem Fall, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.05.1993 (NJW 1993, 2382) zugrunde lag, hat der Beklagte vorliegend auch nicht beantragt, ergänzend ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen. Soweit sich der Beklagte im Zusammenhang mit den Erörterungen zu dem Gutachten des Sachverständigen Dr. O. auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens bezieht (Berufungserwiderung Seite 20), geht es einzig um die Frage, ob nach einem zeitlichen Ablauf von mehr als vier Jahren nach dem Unfallereignis eine unfallbedingte Schädigung der Halswirbelsäule noch festgestellt werden kann. Hierbei trägt der Beklagte aber dem Umstand keine Rechnung, daß die erste orthopädische Untersuchung des Geschäftsführers der Klägerin nicht erst nach Ablauf von vier Jahren erfolgt ist, sondern bereits vier Tage nach dem Unfallereignis, nämlich durch den ärztlichen Gutachter Dr. G.. Auf die von diesem erhobenen Befunde stützt sich der orthopädische Sachverständige Dr. O.. Die von dem Beklagten aufgeworfene Streitfrage ist daher im vorliegenden Falle gar nicht relevant.

Der weitere Beweisantritt auf Einholung eines Sachverständigengutachtens (Berufungsbegründung Seite 33) ist darauf gerichtet, daß die gesundheitliche Beeinträchtigung des Geschäftsführers der Klägerin nur äußerst geringfügig war und bereits nach drei Wochen vollständig und folgenlos verheilt war. Von ersterem geht der Senat aus. Wie oben ausgeführt und von dem Sachverständigen Dr. O. im Einzelnen dargelegt, können auch geringfügige Beeinträchtigungen der Halswirbelsäule zu dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Daß die Schädigung des Halswirbelsäulenbereichs bereits nach drei Wochen vollständig und folgenlos verheilt war, trifft ersichtlich nicht zu; aus sämtlichen gutachterlichen Stellungnahmen, die die Klägerin vorgelegt hat, ergibt sich, daß ihr Geschäftsführer noch heute an gesundheitlichen Beschwerden leidet. Derartige Beschwerden hat er auch bei den Erörterungen im Senatstermin vom 07.09.2001 glaubhaft bekundet.

Darüber hinaus weist die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.05.1993 zum vorliegenden Fall einen ganz erheblichen Unterschied auf. Im dort entschiedenen Fall standen sich lediglich zwei (!) widersprechende Privatgutachten gegenüber. Im vorliegend zu beurteilenden Fall ist die Zahl der ärztlichen Begutachtungen nahezu unüberschaubar. Weitergehende ärztliche Erkenntnisse stehen nicht zu erwarten. Aus diesem Grunde hält der Senat die ihm vorgelegten ärztlichen Begutachtungen zu einer zuverlässigen Beantwortung der haftungsbegründenden Kausalität für ausreichend.

Die anstehende weitere Begutachtung in dem vor dem Landessozialgericht geführten Rechtsstreit abzuwarten, sieht der Senat keine Veranlassung. Denn die Unfallursächlichkeit spielt im sozialgerichtlichen Verfahren keine entscheidende Bedeutung. Dort geht es vorrangig darum, ob bei dem Geschäftsführer der Klägerin überhaupt eine Minderung der Erwerbstätigkeit vorliegt.

II.

Auch der Höhe nach ist das Klagebegehren gerechtfertigt.

Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde in den vorgelegten Gutachten zwischen 10 % (gutachterliche Stellungnahme des Prof. H. vom 10.11.1999) und der sogar" 30 % (radiologisches Gutachten Dr. F. vom 25.11.1999) angenommen. Der Sachverständige Dr. O. geht in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 16.08.1999 sowie in seiner Stellungnahme vom 19.10.1999 von 20 % aus. Der Gutachter Dr. B. spricht beständig von 25 % MdE. Der Sachverständige Dr. F. nennt in seinem radiologischen Gutachten vom 25.11.1999 einen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 %", was bedeutet, daß der tatsächliche Grad der MdE höher liegt.

Die Höhe der Versicherungsleistung richtet sich nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 AKB nach dem Grad der Invalidität. Für die Bestimmung dieses Grades ist nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 c AKB maßgebend, inwieweit die normale körperliche und geistige Leistungsfähigkeit unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte beeinträchtigt ist". Soweit in den vorgelegten Gutachten und auch vom Landgericht der sozialrechtliche Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit verwendet wird, ist dieser auf dem Begriff des Grades der Invalidität zu übertragen.

Anhand der vorerwähnten Begutachtungen ist der Senat davon überzeugt, daß der Grad der Invalidität über 20 % liegt. Die von der Klägerin beanspruchten 25 % hält der Senat für angemessen und vertretbar.

Etwaige psychisch veranlasste Unfallfolgen sind - entgegen der Ansicht des Beklagten (Berufungserwiderung Seite 34 f.) nicht zu eliminieren, soweit sie unfallbezogen sind (BGH, NJW 1993, 1523). Daher hat der Senat die gesamten von den Sachverständigen genannten Gradzahlen seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Bei der vorhandenen Versicherungssumme von DM 60.000,00 errechnet sich unter Berücksichtigung einer zunächst vorzunehmenden 50 %-igen Erhöhung (auch die Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin saß im Unfallfahrzeug) und einer anschließend vorzunehmenden hälftigen Teilung des Betrages bei 25 % Invaliditätsgrad der geltend gemachte Betrag von DM 11.250,00.

Zinsen kann die Klägerin in gesetzlicher Höhe (§ 288 Abs. 1 BGB a. F.) seit dem 07.11.1996 beanspruchen. Unter diesem Tage hat die Beklagte ihre Leistungspflicht endgültig und ernsthaft verweigert, so daß sie dadurch in Schuldnerverzug kam. Für das weitergehenden Zinsbegehren - bereits seit dem 01.11.1996 - fehlt es an einem schlüssigen Vortrag der Klägerin.

III.

Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.

Die Kostenentscheidung für die Berufungsinstanz gründet sich auf § 97 Abs. 2 ZPO. Auch wenn die Klägerin fast vollständig obsiegt, hat sie die Kosten der Berufung zu tragen. Denn die letzte mündlichen Verhandlung in erster Instanz fand am 13.09.1999 statt. Zu diesem Zeitpunkt lagen alle entscheidenden Gutachten - mit Ausnahme des radiologischen Gutachtens Dr. F. vom 25.11.1999 - bereits vor. Die Klägerin hätte diese Gutachten bereits im ersten Rechtszug einreichen müssen. Sie obsiegt aufgrund neuen Vorbringens", welches sie in erster Instanz hätte geltend machen können.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Entscheidung zur Beschwer der Beklagten ergeht gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen, unter denen nach § 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Revision zuzulassen ist, liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung; es geht um eine Entscheidung im Einzelfall. Noch weicht der Senat von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab.

Ende der Entscheidung

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