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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 28.07.2006
Aktenzeichen: 24 U 78/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
Unabhängig von der Frage nach der "objektiven" Angemessenheit der Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung kann von einem wucherähnlichen Rechtsgeschäft i.S. d. § 138 Abs. I BGB dann nicht ausgegangen werden, wenn die Bestimmung der Angemessenheit von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist, welche bewertender Einschätzung zugänglich sind (hier: Bemessung des angemessenen Erbbauzinses).
Gründe:

1.

Die Beklagte erwarb aufgrund notarieller Verträge vom 01.12.1992 und 05.01.1993 einen Miterbbaurechtsanteil an einem Grundstück der Klägerin verbunden mit dem Sondereigentum an einem auf diesem Grundstück errichteten Wohngebäude. Das Erbbaurecht hatten die Veräußerer im Jahre 1978 erworben; auf den Erbbaurechtsvertrag vom 10.08.1978 wird verwiesen.

Mit notariell bekundeter Erklärung vom 11.01.1993 bot die Beklagte der Klägerin eine Erhöhung des bislang auf 1.727,50 DM bemessenen Erbbauzinses - bezogen auf den erworbenen Anteil - auf 8.000,00 DM jährlich an, dies unter der Voraussetzung, dass die Klägerin die Zustimmung zum Verkauf des Erbbausondereigentums erteile und ein bestehendes Vorkaufsrecht nicht ausübe. Dieses Angebot nahm die Klägerin mit notariell bekundeter Erklärung vom 18.01.1993 an; wegen der Einzelheiten der getroffenen Regelungen wird auf die Urkundenrollen Nr. ... und .../1993 der Notarin A in O1 verwiesen.

Das Grundstück war bauordnungsrechtlich als Teil einer "Fläche für die Landwirtschaft" ausgewiesen. Auf dem bei den Veräußerern verbliebenen Anteil war ein Gewerbegebäude errichtet. In der Nachbarschaft fanden sich ebenfalls - teils emissionsintensiv - genutzte Gewerbegebäude, daneben größere Gartenflächen; auch der von der Beklagten erworbene Grundstücksanteil war auf einer größeren Teilfläche (zier-) gärtnerisch genutzt.

Vor dem Verkauf des mit dem Sondereigentum am Wohngebäude verbundenen Miterbbaurechtsanteiles hatten die Parteien unter Einbeziehung der B in O2 und O3 Kontakt aufgenommen. Ein Mitarbeiter der B teilte mit Telefaxschreiben vom 01.12.1992 zur Vorlage an die wenige Stunden später protokollierende Notarin mit, "dass... auf das Vorkaufsrecht verzichtet werde". Noch im Dezember 1992 kam es zu Unstimmigkeiten über diesen Punkt; die Beteiligten korrespondierten über die Höhe des Erbbauzinses und über die Problematik des Vorkaufsrechts; in einem Schreiben vom 11.12.1992 wies die Beklagte auf Investitionen hin, die sie im Vertrauen auf den Bestand des geschlossenen Vertrages getätigt habe.

Im Anschluss an die notarielle Vereinbarung vom 11./18.01.1993 zahlte die Beklagte zunächst die vereinbarten Beträge. Nachdem sie im Jahre 2000 eine Reduzierung des Erbbauzinses verlangt hatte, zahlte sie beginnend mit dem Jahr 2001 nur jährlich 1.728,00 DM. Die Klägerin begehrt für die Jahre bis einschließlich 2003 Zahlung der - jeweiligen - Differenz auf 8.000,00 DM, umgerechnet insgesamt 9.620,48 €.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Wegen der von ihm gefundenen Gründe sowie des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf das Urteil vom 17.01.2006 verwiesen.

Mit der Berufung trägt die Beklagte vor, die Klägerin habe in Kenntnis dessen, dass die Beklagte in eine Zwangslage geraten sei, einen unangemessen hohen Erbbauzins durchsetzten können und durchgesetzt. Die Beklagte habe sich angesichts einer drohenden Ausübung des Vorkaufsrechts der Gefahr ausgesetzt gesehen, einen neben dem im notariellen Vertrag vom 01.12.1993 ohne Kenntnis der Notarin an die Verkäufer bar ausgezahlten Betrag in Höhe von 150.000,00 DM zu verlieren. Wirtschaftlich sei sie auch deshalb zum Vollzug des Erwerbsgeschäftes gezwungen gewesen, weil sie in den folgenden Tagen bis zum 04.12.1992 Renovierungsaufträge zum Gegenwert von etwa 78.000,00 DM vergeben habe. Alles dies habe die Klägerin gewusst und sich in den Verhandlungen über die Höhe des Erbbauzinses zunutze gemacht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils kostenpflichtig abzuweisen,

widerklagend,

die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 11.01.1993, UR.-Nr. .../1993 der Notarin A mit dem Amtssitz in O1, in der übersteigenden Höhe für unzulässig zu erklären.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung einschließlich des erweiternden Antrages zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der vereinbarte Erbbauzins sei angemessen, liege sogar im unteren Bereich des unter vergleichbaren Umständen Üblichen.

Wegen des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2.

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung des anknüpfend an die Vereinbarung vom 11./18.01.1993 offen stehenden Erbbauzinses verurteilt. Denn diese Vereinbarung war und ist rechtswirksam mit der Folge, dass auch die - mit der Widerklage angegriffene - Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung Bestand hat.

a) Die Vereinbarung vom 11./18.01.1993 war nicht auf der rechtlichen Grundlage des § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Nach dieser gesetzlichen Regelung ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es nach seinem Gesamtcharakter - wie er einer Gesamtschau auf Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmen ist - mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Anders als - dazu später unter lit. b) - es für den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB gilt, ist die bewusste Ausnutzung einer Zwangslage nicht erforderlich; § 138 Abs. 1 BGB setzt weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch gar eine Schädigungsabsicht voraus; vielmehr genügt es, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt; der Kenntnis steht es gleich, wenn er sich bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis dieser Tatsachen verschließt (BGHZ 146, 298).

Als "wucherähnlich" können Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB danach sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und zumindest ein Umstand auf subjektiver Ebene hinzukommt, der den Vertrag in der Gesamtschau seiner subjektiven und objektiven Merkmale sittenwidrig erscheinen lässt. So gilt es insbesondere dann, wenn eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragspartners hervorgetreten ist, vor allem, wenn er - so er nicht bewusst die schwache Position des anderen Teiles zu seinem Vorteil ausgenutzt hat - sich leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass der andere Teil sich nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf die für ihn ungünstigen vertraglichen Regelungen eingelassen hat (BGHZ 146, 298).

Auf eine in diesem Sinne zumindest grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes kann dann zu schließen sein, wenn Leistung und Gegenleistung in einem besonders auffälligen Missverhältnis stehen (BGH WM 1981, 404; 2000, 1487). Denn es gilt der Erfahrungssatz, dass außergewöhnlich hohe Leistungsversprechen in der Regel nicht ohne Not gegeben werden. Von einem besonders auffälligen Missverhältnis im angesprochenen Sinne ist bei Grundstücksgeschäften dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung der "benachteiligten" Seite zumindest etwa doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung der anderen Seite (BGH NJW 1995, 2635).

Die umschriebene tatsächliche Vermutung greift aber - entgegen der Auffassung der Beklagten - unter den hier zu beurteilenden Umständen nicht ein. Ihr fehlt es fehlt es schon an der Grundlage, an einem besonders auffälligen, groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung, an einem Missverhältnis, das der Klägerin überhaupt nicht entgehen konnte, dem sie sich redlicherweise nicht verschließen durfte:

Zwar lassen sich im Schnittfeld der zur Ermittlung des angemessenen Erbbauzinses anzustellenden Einschätzungen, so vor allem der Einschätzung des Verkehrswertes des Grundstücks(-anteils), der Bestimmung seiner konkreten Nutzung wie seines im Umfeld mit angelegten Charakters, der Auswirkungen dieses Charakters auf die Bemessung des einschlägigen Prozentsatzes und die Einbeziehung üblicher Spannenwerte von fachkundiger Seite Einschätzungen finden, welche in ihrem Ergebnis weit unterhalb des vereinbarten Satzes liegen. So ist es in der von der Beklagten vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen C mit einem von ihm für angemessen gehaltenen Erbbauzins in Höhe von 3.067,00 DM anschaulich zum Ausdruck gekommen.

Die von ihm gefundene Einschätzung und damit die Tatsache, dass ein fachkundiger Beurteiler die Höhe des angemessenen Erbbauzinses mit guten Gründen auf weniger als 50 % des tatsächlich vereinbarten Betrages einschätzen konnte, lässt angesichts der Gegebenheiten in ihrer konkreten Gesamtheit aber nicht den Schluss darauf zu, dass der tatsächlich vereinbarte Erbbauzins auffällig unangemessen, in einem auffälligen Missverhältnis zur gebotenen Gegenleistung - der Überlassung des Grundstückes - gestanden hätte. Denn andere Fachleute schätzten die maßgeblichen Aspekte ganz anders ein; unabhängig davon, was der "objektiv" - was immer dies in der auf Wertungen und Einschätzungen gleich auf mehreren Ebenen beruhenden Bestimmung des angemessenen Zinses bedeuten sollte - angemessene Erbbauzins sein könnte, läge selbst dann, wenn man sich die Einschätzung des Sachverständigen C als "objektiv" richtig zu Eigen machen wollte, alles andere als auf der Hand, dass diese Einschätzungen die Sicht jedes verständigen, fachkundigen Beteiligten bestimmen mussten.

Schon in der Bemessung des (anteiligen) Grundstückswertes als Ausgangspunkt einer Bemessung des Erbbauzinses ließ sich ohne Arg ein weit über dem vom Sachverständigen C gefundenen Ansatz von 78.400,00 € liegender Wert, nämlich ein solcher von mindestens 115.167,00 € (= 207.270,00 DM) finden. So wird es in dem vom Landgericht eingeholten Gutachten des dem erkennenden Gericht als besonders zuverlässig bekannten Sachverständigen D deutlich, welcher ausgehend von den allgemeinen Verhältnissen am Grundstücksmarkt im betroffenen Bereich und unter Berücksichtigung spezieller Beeinträchtigungen des konkreten Grundstückes von einem grundsätzlichen Bodenwert von 90,00 DM bis 95,00 DM pro Quadratmeter ausging und dabei - anders als der Sachverständige C - eine rechnerische Teilung des Grundstücksanteiles in bebaute und nicht bebaute Flächen nicht für angemessen hielt. Fast noch deutlicher wird die Vertretbarkeit eines die Ansätze des Sachverständigen C weit übersteigenden Ansatzes in der vom Gutachterausschuss - einem mit den örtlichen Verhältnissen besonders vertrauten Gremium - gefundenen höheren Ansatzes von 100,00 DM bis 105,00 DM pro Quadratmeter.

Wenngleich die Vertretbarkeit der im nächsten Bemessungsschritt vollzogenen Einschätzung des Gebietscharakters und der hierauf gründenden Einschätzung des angemessenen prozentualen Zinssatzes auf 2 % seitens des Sachverständigen C in seinem Gutachten durchaus nachvollziehbar veranschaulicht ist, ergibt sich doch aus dem Vergleich seiner Ausführungen mit denen des Sachverständigen D, dass auch ganz andersartige Einschätzungen mit einem nach Zinssatz und Betrag sehr viel höheren Ergebnis vertretbar erscheinen mussten, dies mit der Folge, dass von einer "Auffälligkeit" einer Überhöhung, von einem besonders auffälligen, groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, schließlich davon keine Rede sein kann, dass die Klägerin sich besserer Erkenntnis im Sinne der Einschätzungen des Sachverständigen C - der Beklagten - leichtfertig verschlossen haben müsse.

In seiner Anhörung vor dem Landgericht - Sitzungsprotokoll vom 21. Mai 2005 - hat der Sachverständige D deutlich gemacht, dass schon die grundsätzliche Zuordnung des umstrittenen Grundstückes zu einem bestimmten Nutzungscharakter sehr unterschiedlich eingeschätzt werden kann, dass auch die Frage einer fiktiven Teilung der Grundstücksfläche mit der Folge möglicherweise unterschiedlicher prozentualer Bemessung des Erbbauzinses für fiktive Grundstücksteile und dass schließlich auch der an den "festgestellten" Grundstückscharakter anknüpfende Zinssatz sehr unterschiedlich beurteilt werden kann (insbesondere: Bl. 3 des Protokolls vom 31. Mai 2005). Ausgehend von den von ihm grundsätzlich für denkbar erachteten Mindest- und Höchstsätzen von 2,5 % und 5 % würde sich aus der Sicht des Sachverständigen D eine Spanne zwischen 5.181,75 DM und 10.383,50 DM ergeben; der konkret vereinbarte Erbbauzins von 8.000,00 DM läge kaum oberhalb des Mittelwertes dieser Spanne.

Selbst unter Einbeziehung der vom Sachverständigen D angesprochenen Möglichkeit einer insgesamt niedrigeren Bestimmung des Prozentsatzes mit Rücksicht auf die Größe des Grundstücks würde sich nicht zwangsläufig, damit nicht "auffällig" eine Unangemessenheit des Betrages von 8.000,00 DM ergeben. Dies gilt erst recht auch deshalb nicht, weil der Sachverständige D mit der Vorlage verschiedener Literaturauszüge zur Berücksichtigung größerer Grundstücksflächen auch darauf hingewiesen hat, dass sich die Grundstücksgröße auch im gegenteiligen Sinne auswirken könnte (aus den von ihm vorgelegten und in seiner Vernehmung in Bezug genommenen Schriftstücken: das unten links mit 1.9.5/6 bezeichnete Schriftstück).

Wird zusammenfassend aus den gesamten Ausführungen des Sachverständigen D deutlich, dass er keineswegs zwingend einen niedrigeren Ansatz für angemessen hielt als den, welchen die Parteien in der Vereinbarung vom 11./18.01.1993 fanden, so folgt daraus unmittelbar, dass von einem auffälligen, besonders groben Missverhältnis, von einem Missverhältnis, dessen Einsicht sich die Klägerin nicht verschließen konnte, keine Rede sein kann.

b) Die Vereinbarung vom 11./18.01.1993 ist auch nicht aufgrund Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig; dass die Klägerin sich unter Ausbeutung einer Zwangslage der Beklagten Vermögensvorteile für die Überlassung des Grundstücks habe versprechen lassen, welche in einem auffälligen Missverhältnis zu ihrer Leistung stünden, lässt sich nicht feststellen.

So folgt es in der Sache aus den vorstehenden Ausführungen unter lit. a). Denn "Ausbeutung" setzt Vorsatz, ein bewusstes Zunutzemachen der Zwangslage der anderen Seite in Kenntnis des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung voraus. Nicht einmal unter den - was die Auffälligkeit eines Missverhältnisses angeht - minder strengen Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB lässt sich solches feststellen. Im Gegenteil durfte die Klägerin den von ihr verlangten Erbbauzins sogar für durchaus vertretbar, in einer weiten Spanne liegend für einen "Mittelwert" halten.

c)

Da die notariell bekundete Vereinbarung vom 11./18.01.1993 bestandskräftig ist, ist auch die Widerklage unbegründet.

3.

Das Berufungsgericht erachtet die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung der Revision für nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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