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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 27.06.2007
Aktenzeichen: 24 W 35/07
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 2
GG Art. 12
ZPO § 355
ZPO § 377
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

1. Der Beschwerdeführer ist steuer- und unternehmensberatend tätig. Eine von ihm geführte Beratungsgesellschaft war mit der Vermittlung des Absatzes von Anteilen in einem Großobjekt betraut, welches unter anderem von der Klägerin finanziert wurde. Über die Werthaltigkeit der Anlage und die Wirksamkeit des Vertragsschlusses entstand Streit zwischen einer Vielzahl von Anlegern und den finanzierenden Banken; ein solcher Streit wird im vorliegenden Falle geführt.

Das Landgericht hat zur Klärung der Frage, ob bei Abschluss des Darlehensvertrages zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ein Angebot zum Abschluss eines Geschäftsversorgungsbetrages in notarieller Ausfertigung vorgelegen habe, die Vernehmung des Beschwerdeführers angeordnet. Mit Schreiben vom 6. Februar 2007 bat der Beschwerdeführer darum, eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anzuordnen. Er verwies dabei auf seine geschäftlichen Verpflichtungen und schilderte im einzelnen, wie er - die von ihm geführte Beratungsgesellschaft - in vergleichbaren Fällen vorgegangen sei; er zitierte aus seinen Akten zu den Vorgängen im vorliegenden Fall und hob zugleich hervor, dass er sich hierzu "nur auf die vorhandene Aktenlage" beziehen könne; dafür, "dass es in den vorliegenden Fall eine Abweichung vom Regelfall gab," finde sich in den "Unterlagen kein Anhaltspunkt".

Vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung rief der Beschwerdeführer noch einmal in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten - die eine große Zahl von Anlegern vertreten - an und bat darum, im Wege der Rechtshilfe vernommen zu werden. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Februar 2007 erschien er nicht.

Mit Beschluss vom selben Tage setzte das Landgericht gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft fest und erlegte ihm zugleich die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auf.

Mit der sofortigen Beschwerde trägt der Zeuge vor, er sei - belegt durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines Hausarztes - am Verhandlungstage krank und reiseunfähig gewesen. Unabhängig hiervon ist er der Auffassung, dass er angesichts der besonderen Umstände aus Rechtsgründen nicht gezwungen werden dürfe, zur persönlichen Vernehmung über immer wieder dieselben Fragen zu erscheinen. Nachdem er innerhalb der vergangenen zwei Jahre in rund 300 Gerichtsverfahren bundesweit zu dem selben Beweisthema - in der Regel durch die selben Prozessbevollmächtigten benannt - als Zeuge geladen worden sei, wende er sich nunmehr regelmäßig im Vorfeld schriftlich an das jeweilige Gericht mit einer Stellungnahme zum Beweisthema. Er sehe sich außer Stande, die Vielzahl von Verfahren "abzuarbeiten, ohne sich ins berufliche Abseits zu manövrieren".

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Ohne dass es darauf ankäme, ob der Beschwerdeführer am Verhandlungstage in der Tat erkrankt war, durften gegen ihn schon deshalb keine Maßregeln wegen seines Ausbleibens verhängt werden, weil er durch die Umstände im Ganzen entschuldigt war. Seinem Gesuch, die Beweisfrage schriftlich beantworten zu dürfen, hätte entsprochen werden müssen.

Nach § 377 Abs. 3 ZPO kann das Gericht eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet; darüber hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden. Im Schnittfeld des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme einerseits, des Entlastungszwecks des § 377 Abs. 3 ZPO andererseits hat es den voraussichtlichen Erkenntnisgewinn der persönlichen im Verhältnis zur schriftlichen Vernehmung gegen die Belastung abzuwägen, die dem Zeugen mit der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen auferlegt würde. Wie stets hat es damit auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes - so zuvörderst den Anspruch der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch möglichst aussagekräftige Beweisaufnahme - einerseits, die Grundrechte des Zeugen - so die allgemeine Handlungsfreiheit, die Freiheit der Berufsausübung - gegeneinander abzuwägen und hierbei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Blick zu behalten.

Auf dieser Grundlage reduzierte sich der Ermessensspielraum im vorliegenden Fall nach Einschätzung des Senats auf Null; ermessensrichtig war allein die Entscheidung zugunsten der vom Beschwerdeführer angeregten schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage. Angesichts dessen, dass der Zeuge in seiner ausführlichen schriftlichen Bitte um die Anordnung einer schriftlichen Vernehmung im einzelnen deutlich gemacht hatte, dass er sich zur Beweisfrage ohnehin nur durch Auskunft aus seinen Akten äußern könne und dass er diese Akten - wie er es gleichzeitig zum Teil tat - auch in Kopie vorlegen wolle, versprach eine persönliche Vernehmung überhaupt keinen greifbaren zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Stellt man dem gegenüber, dass der Beschwerdeführer - wie er glaubhaft dargetan hat, beim Senat sind mehrere gleich gelagerte Verfahren anhängig - innerhalb der vergangenen zwei Jahre in etwa 300 Fällen zur persönlichen Vernehmung geladen wurde, so wird deutlich, dass die Grundlagen der beruflichen Existenz des Beschwerdeführers erschüttert würden, würde er in allen Fällen zum persönlichen Erscheinen gezwungen. Das Jahr hat durchschnittlich 250 Arbeitstage; umgerechnet auf das Jahr sind dem Zeugen für etwa 150 dieser 250 Arbeitstage Ladungen zugegangen, dies "bundesweit". In Abwägung zu dem - nicht messbaren - Erkenntnisgewinn erachtet der Senat eine solche Belastung eines Staatsbürgers bis hin zur Gefährdung seiner beruflichen Existenz - oder der Verlust jeglicher Freizeit - für schlechterdings unzumutbar, unverhältnismäßig.

Ende der Entscheidung

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