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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 13.01.2003
Aktenzeichen: 25 W 97/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 247 analog
Auch im Zivilprozess kann nach § 247 StPO analog angeordnet werden, dass sich eine Partei aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn bei einer Vernehmung einer Person in Anwesenheit der Partei die dringende Gefahr eines schwer wiegenden Nachteils für die Gesundheit dieser Person besteht. Diese Möglichkeit hat auch gegenüber einer audiovisuellen Übertragung in ein Nachbarzimmer Vorrang.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main 25. Zivilsenat in Kassel Beschluss

25 W 97/02

Verkündet am 13.01.2003

In der Beschwerdesache

...

hat der 25. Zivilsenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter am 13. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer - Einzelrichter -des Landgerichts Kassel vom 8. November 2002, durch welchen der Beklagte angewiesen wird, sich während der gerichtlichen Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin F. aus dem Sitzungszimmer zu entfernen, wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Gegenstandswert von 10.000 Euro zu tragen.

Gründe:

Unter dem Gesichtspunkt, dass die angegriffene Anordnung des Einzelrichters der Kammer eine dem Anwendungsbereich der sofortigen Beschwerde entzogene Maßnahme der Sitzungsleitung in der mündlichen Verhandlung sein dürfte, die nur zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache rechtmittelfähig ist, bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Statthaftigkeit der Beschwerde (OLG Frankfurt FamRZ 1994, 1400, 1401). Jedenfalls hat das Rechtsmittel aber in der Sache selbst aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses und des Nichtabhilfebeschlusses der Zivilkammer vom 29. November 2002 keinen Erfolg.

Auch das weitere Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar ist es nach § 357 Abs. 1 ZPO jeder Partei gestattet, der Beweisaufnahme beizuwohnen.

Gleichwohl ist es zulässig (OLG Frankfurt am Main FamRZ 1994, 1401; Zöller-Greger, ZPO, 23. Aufl., § 357 Rdn. 5 mit weiteren Nachweisen) dass auch im Zivilprozess vom Gericht entsprechend § 247 StPO angeordnet wird, dass sich eine Partei aus dem Sitzungszimmer zu entfernen hat, wenn bei einer Vernehmung einer Person in Anwesenheit der Partei die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit dieser Person besteht. So liegt es nach den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen im Falle der vom Beklagten geschlagenen und vergewaltigten, psychisch gefährdeten und mit einer Anwesenheit des Beklagten im Gerichtssaal bei der Vernehmung seelisch überforderten Zeugin F.. Dass die psychischen Leiden und Gesundheitseinbußen nicht nur auf den vom Beklagten erhaltenen Schlägen und mit der durch ihn erlittenen Vergewaltigung beruhen, ändert nichts daran, dass bei seiner Anwesenheit doch die dringende Gefahr erneuter Panikattacken und eines Rückfalles der Zeugin in die frühere - durch Psychotherapie inzwischen gemilderte - seelische Erkrankung besteht.

Der Argumentation des Beklagten, seine prozessualen Rechte hätten Vorrang vor Befindlichkeiten einzelner Zeugen, geht fehl. Gerade Zeugen - als Personen, die sich auch gegen ihren Willen als Beweis"mittel" in fremde Zivilprozesse ziehen und sich nicht nur im staatlichen Interesse der Gewährleistung der Zivilrechtspflege, sondern auch für fremde private Interessen (vorliegend: reine Vermögensinteressen) in gewisser Weise instrumentalisieren lassen müssen - haben in besonderer Weise ein Recht auf Wahrung ihrer eigenen (Grund-)Rechte als Personen, darunter ihres Rechts auf Wahrung ihrer psychischen Gesundheit. Wenn sie also schon hinnehmen müssen, unfreiwillig in fremde Rechtsstreitigkeiten hineingezogen zu werden, so haben sie jedenfalls ein Recht auf Wahrung ihrer eigenen Rechte, soweit es irgend möglich ist. In Abwägung der betroffenen Interessen - einerseits der (freilich erheblichen) Vermögensinteressen der Streitparteien, andererseits der - ebenfalls schwerwiegenden -Gesundheitsinteressen der Zeugin erscheint es als sachgerecht, dass das Gericht § 247 StPO analog anwendet und also einerseits die Zeugin zwar zur Aussage heranzieht, ihr aber andererseits die für ihre seelische Gesundheit gefährliche Konfrontation mit dem Beklagten persönlich erspart. Dabei werden die prozessualen Rechte des Beklagten aus § 357 Abs. 1 ZPO nur eingeschränkt, aber nicht ausgehöhlt, da das Gericht auch § 247 Satz 4 StPO analog anzuwenden hat, wonach das Gericht den Beklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten hat, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. Dadurch ist sichergestellt, dass der Informationsstand des Beklagten im wesentlichen dem der anderen Prozessbeteiligten entspricht und er aufgrund der durch den Vorsitzenden in die Verhandlung eingeführten Aussage der Zeugin sein Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen und sonstigen Verfahrensbeteiligten sachgerecht auszuüben vermag (vgl. BGH StV 2002, 353).

Die vom Beklagten angeregte audiovisuelle Übertragung der Zeugenaussage in ein Nachbarzimmer ist zwar - wenn die technischen Voraussetzungen dazu in Kassel bestehen sollten - ebenfalls ein mögliches Mittel für die Lösung des aufgezeigten Konfliktes zwischen den Interessen der Prozessparteien und denen des Zeugen.

Diese - im Strafprozess in § 247 a StPO seit 1998 auch gesetzlich vorgesehene - Vorgehensweise ist freilich selbst im Strafprozess nur für den Fall vorgesehen, dass die dringende Gefahr eines wesentlichen Nachteils für das Wohl des Zeugen nicht durch Entfernung des Angeklagten abgewendet werden kann, mithin ist die Möglichkeit, nach § 247 a StPO vorzugehen, nicht vorrangig vor Maßnahmen nach § 247 StPO (BGH StV 2002, 10). Entsprechend ist auch im Zivilprozess grundsätzlich die Möglichkeit einer vorübergehenden Entfernung einer Partei aus dem Sitzungsraum nach § 247 StPO vorrangig vor einer Videoübertragung der Zeugenaussage.

Da der Beklagte mit seinem Rechtsmittel ohne Erfolg bleibt, hat er nach § 97 Abs. 1 ZPO dessen Kosten zu tragen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist nach §§ 3 ZPO,12 Abs. 2 GKG auf 10.000 Euro festgesetzt worden.

Ende der Entscheidung

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