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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 04.11.2004
Aktenzeichen: 26 U 17/03
Rechtsgebiete: InsO
Vorschriften:
InsO § 133 | |
InsO § 143 |
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Insolvenzanfechtungsansprüche, die der Kläger im Hinblick auf die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Beklagte geltend macht.
Hinsichtlich der in erster Instanz getroffenen Feststellungen wird auf den Tatbestand des am 26.02.2003 verkündeten landgerichtlichen Urteils (Bl. 145 ff d. A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Kläger die Voraussetzungen der §§ 133, 143 InsO nicht ausreichend dargelegt habe. So könne schon nicht unterstellt werden, dass der Beklagten im Zeitpunkt der Vereinnahmung der Gelder ein möglicher Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin bekannt gewesen sei. Zwar handle es sich bei Zahlungen zur Abwendung einer drohenden Zwangsvollstreckung um inkongruente Geschäfte im Sinne der §§ 131 ff InsO. Hieraus folge jedoch noch keine Beweislastumkehr zu Lasten des Empfängers, vielmehr stelle ein solches Geschäft lediglich ein Beweisanzeichen dar, dessen Bedeutung vom Ausmaß der Inkongruenz abhänge. Die Indizwirkung entfalle, wenn noch keine ernsthaften Zweifel an der Liquidität des Schuldners bestünden oder aus der Sicht des Empfängers zu bestehen scheinen. Für die Beklagte habe es im vorliegenden Fall keine Veranlassung gegeben, von einer möglichen Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin auszugehen. So sei es im Baugewerbe nicht unüblich, dass fällige Sozialleistungen verspätet gezahlt würden. Zudem seien die ihr bzw. dem Gerichtsvollzieher übergebenen Schecks unproblematisch vom Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin abgebucht worden. Die Beklagte habe auch keine Möglichkeit gehabt, Kenntnisse über die finanzielle Situation der Insolvenzschuldnerin zu erlangen, etwa betreffend deren Steuerschulden. Im Übrigen sei die Beklagte ohnehin nur hinsichtlich eines geringen Teils der Beiträge passiv-legitimiert, da sie lediglich als Einzugsstelle für andere Sozialkassen fungiert und die eingezogenen Beträge an diese weitergeleitet habe. Sie habe insoweit nichts erlangt im Sinne des § 143 InsO. Den der Beklagten zustehenden Beitragsanteil von 1,65 % habe der Kläger im Einzelnen nicht weiter aufgeschlüsselt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ist der Auffassung, das Landgericht habe die Voraussetzungen der §§ 133, 143 InsO rechtsfehlerhaft verneint. Selbst wenn man nach der Entscheidung des BGH vom 27.05.2003 (IX ZR 169/02) davon ausgehen müsse, dass eine zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an den Gerichtsvollzieher erbrachte Zahlung keine inkongruente Rechtshandlung darstelle und somit kein Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners sei, lägen gleichwohl weitere Beweisanzeichen zugunsten des Klägers vor. So spreche es für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn der Schuldner zur Vermeidung unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an einen einzelnen Gläubiger leiste. Im Übrigen ergebe sich ein entsprechender Vorsatz auch aus einer analogen Anwendung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO; wenn der Schuldner wisse, dass seine Zahlungsunfähigkeit drohe oder bereits eingetreten ist, müsse ihm auch klar sein, dass er in Kürze nicht mehr alle seine Gläubiger werde befriedigen können. Ihm müsse sich deshalb auch die Kenntnis aufdrängen, dass dennoch erfolgte Zahlungen die anderen Gläubiger benachteiligen werden. Bei der Insolvenzschuldnerin habe im Zeitpunkt der Zahlungen an die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit zumindest gedroht; dies ergebe sich bereits aus den erheblichen Steuerschulden, die die Schuldnerin trotz der Stundungs- und Teilzahlungsvereinbarung nicht habe tilgen können und die zugleich weiter angewachsen seien. Die Schuldnerin sei also nicht in der Lage gewesen, ihre Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu erfüllen. Diese Beweiszeichen habe die Beklagte nicht entkräftet. Sie habe vielmehr um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gewusst, was zumindest gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO zu vermuten sei. Entscheidend komme es darauf an, ob der Gläubiger davon ausgehen könne, dass der Schuldner in Zukunft in der Lage sein wird, seine Verbindlichkeiten fristgerecht zu erfüllen. Dabei genüge die Kenntnis von Umständen, aufgrund derer der Gläubiger zwingend auf die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen musste. Solche Umstände seien der Beklagten im vorliegenden Fall bekannt gewesen. Schon aufgrund des Verzuges mit den Beitragszahlungen und der Beitreibung durch den Gerichtsvollzieher habe die Beklagte Anlass gehabt, an der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin zu zweifeln. Spätestens aber der Umstand, dass die Schuldnerin nicht in der Lage gewesen sei, die Forderung durch eine Zahlung zu begleichen, habe für die Beklagte deutlich gemacht, dass die Schuldnerin nicht zu einer sofortigen Zahlung in der Lage, mithin zumindest drohend zahlungsunfähig war. Diese für ihre Kenntnis streitende Vermutung habe die Beklagte nicht entkräftet. Hinsichtlich der Passivlegitimation verweist der Kläger auf die Entscheidung des BGH vom 12.02.2004 (IX ZR 70/03).
Der Kläger beantragt,
das am 26.02.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden - 1 O 237/02 - aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 20.163,60 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 04.06.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 02.05.2004 (Bl. 191 ff d.A.) und 14.10.2004 (Bl. 216 ff d.A.) Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und darüber hinaus gemäß § 520 Abs. 2 ZPO rechtzeitig begründete Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Das Landgericht hat einen Zahlungsanspruch des Klägers nach §§ 133, 143 InsO jedenfalls im Ergebnis zu Recht verneint. Eine hiervon abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens nicht geboten. Das landgerichtliche Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Allerdings steht einem Anspruch des Klägers nicht bereits die fehlende Passivlegitimation der Beklagten entgegen. Auch eine tarifvertraglich zur Einziehung von Sozialkassenbeiträgen der Arbeitgeber ermächtigte Stelle kann insoweit als Anfechtungsgegnerin zur Rückgewähr verpflichtet sein, als sie fremdnützig eingezogene Beiträge an die hierfür berechtigten Sozialkassen ausgekehrt hat (vgl. BGH, ZIP 2004, 862 ff).
Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Voraussetzung einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO ist, dass der Schuldner die Rechtshandlung mit Benachteilungsvorsatz vorgenommen hat und der andere Teil den Vorsatz des Schuldner kannte.
Eine Rechtshandlung der Schuldnerin liegt in der Zahlung an die Beklagte durch Übergabe zweier Schecks an den mit der Zwangsvollstreckung beauftragten Gerichtsvollzieher. Zwar unterliegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern regelmäßig nicht der Anfechtung gemäß § 133 InsO, weil diese Norm eine Rechtshandlung des Schuldners voraussetzt. Vorliegend wurden Vollstreckungsmaßnahmen jedoch nur angedroht; die Schuldnerin erbrachte die Zahlungen gerade zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, so dass eine Rechtshandlung im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO vorliegt (vgl. auch BGH, ZIP 2003, 1506 ff).
Es ist bereits fraglich, ob die Schuldnerin dabei in dem Bewusstsein handelte, andere Gläubiger zu benachteiligen; jedenfalls ist eine dahingehende Kenntnis der Beklagten nicht hinreichend dargetan. Die Darlegungs- und Beweislast für den Benachteiligungsvorsatz und die übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO liegt beim Insolvenzverwalter (vgl. BGH, ZIP 2003, 1799 ff m.w.N.). Der Tatrichter hat sich seine Überzeugung nach § 286 ZPO zu bilden und dabei das entscheidungserhebliche Parteivorbringen, das Ergebnis einer eventuellen Beweisaufnahme und Erfahrungssätze zu berücksichtigen.
Zur Feststellung eines Benachteiligungsvorsatzes hat die Rechtsprechung im Laufe der Zeit bestimmte aus der Lebenserfahrung abgeleitete Grundsätze entwickelt. Hat etwa der Schuldner eine inkongruente Deckung vorgenommen, auf die der Begünstigte keinen Rechtsanspruch hatte, so kann darin regelmäßig ein starkes Indiz für einen Benachteiligungsvorsatz liegen (vgl. BGH, a.a.O; ZIP 1990, 459; 1997, 1509). Indes sind die hier zu beurteilenden Zahlungen nicht als inkongruente Deckungsgeschäfte zu werten. Eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung hin früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag erbringt, stellt sich nicht bereits deshalb als inkongruente Deckung dar, weil sie zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erfolgt (BGH ZIP 2003, 1506 ff; 1799 ff).
Bei einem kongruenten Deckungsgeschäft, bei dem der Schuldner dem Gläubiger nur das gewährt, worauf dieser einen Anspruch hat, sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung und den Beweis des Benachteiligungsvorsatzes zu stellen. Dieser besteht, wenn der Schuldner mit kongruenten Zahlungen wenigstens mittelbar auch die Begünstigung des Gläubigers bezweckt. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn der Schuldner mit der Befriedigung gerade dieses Gläubigers Vorteile für sich erlangen oder Nachteile abwenden will. Einem Schuldner, der weiß, dass er nicht alle Gläubiger befriedigen kann und der Forderungen eines einzelnen Gläubigers vorwiegend deshalb erfüllt, um diesen von der Stellung eines Insolvenzantrages abzuhalten, kommt es nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner gesetzlichen und vertraglichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers an; damit nimmt er die Benachteiligung der anderen Gläubiger in Kauf. Darüber hinaus kann der bedingte Vorsatz des Schuldners zur Gläubigerbenachteiligung auch dann zu vermuten sein, wenn er wusste, dass seine Zahlungsunfähigkeit drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte (§ 133 Abs. 1 S. InsO analog - vgl. OLG Dresden, ZIP 2003, 1716 ff). Angesichts der vom Kläger dargetanen und der in Anbetracht der vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend bestrittenen Steuerverbindlichkeiten der Schuldnerin liegt der Schluss nahe, dass sie darum wusste, ihre Verbindlichkeiten bereits zum damaligen Zeitpunkt bei Fälligkeit nicht erfüllen zu können (§ 18 Abs. 2 InsO).
Indes bedurfte die Frage letztlich keiner abschließenden Bewertung, da sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht feststellen lässt, dass die Beklagte den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt kannte. Dem Kläger kommen insoweit auch keine Darlegungs- und Beweiserleichterungen zu Gute, insbesondere kann er sich nicht auf die Vermutungswirkung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO stützen. Nach dieser Vorschrift wird die Kenntnis des anderen Teils vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Insoweit reicht die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hinweisen, regelmäßig aus (BGH, ZIP 2003, 1799 ff). Allerdings dürften Außenstehende erfahrungsgemäß nur selten eine Überschuldung oder eine erst drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kennen; der Anfechtungstatbestand des § 133 InsO ist deshalb praktisch nur für Gläubiger bedeutsam, die Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners haben (vgl. Münch.-Kom. zur InsO, § 133 Rz. 24). Dass der Beklagten diese Verhältnisse bekannt waren, hat der Kläger selbst nicht dargetan. Allein aus den Rechtsbeziehungen der Beklagten zur Schuldnerin lässt sich eine Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht ableiten. Insoweit ist lediglich festzustellen, dass die Schuldnerin ihre Beitragszahlung nicht fristgerecht erbracht hat und die fällige Schuld erst nach Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen in zwei Raten beglichen hat. Allein vor diesem Hintergrund war für die Beklagte noch nicht zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu schließen. Zwar gilt es zu berücksichtigen, dass die Schuldnerin mit der Begleichung für die Existenz des Betriebes notwendiger Kosten wie Sozialversicherungsbeiträgen in Verzug geraten ist; allerdings rechtfertigt dieser Gesichtspunkt ohne das Hinzutreten weitere objektiver Umstände noch nicht die Schlussfolgerung, es habe sich auch aus der Sicht der Beklagten um das typische Bild eines Unternehmens in der Krise gehandelt. Offensichtlich handelte es sich um einen erstmaligen Rückstand, der die Einschaltung eines Gerichtsvollziehers erforderlich machte. Jedenfalls hat der Kläger nicht dargetan, dass es bereits zuvor zu Zahlungsschwierigkeiten im Verhältnis zur Beklagten gekommen ist (anders als in den Fällen, die der BGH in ZIP 2003, 1506 ff; 1799 ff entschieden hat: dort war es bereits zu Zahlungsvereinbarungen gekommen, die der Schuldner mehrfach nicht eingehalten hat - in diesem Zusammenhang gegebene Schecks waren ohne Deckung und konnten deshalb nicht eingelöst werden). Die von der Schuldnerin zum Ausgleich der Forderungen übergebenen Schecks hingegen sind ohne Beanstandungen auf dem Geschäftskonto der Schuldnerin eingelöst worden, so dass allein der Umstand, dass die Beitragsschuld in zwei Raten gezahlt wurde, nicht zwingend auf eine nachhaltig drohende Zahlungsunfähigkeit hindeutete, zumal solch verspätete Zahlungen von Sozialbeiträgen nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten in der Bauwirtschaft nicht unüblich sind und kein zwingendes Indiz für erhebliche und dauerhafte Zahlungsschwierigkeiten sind.
Weitere Umstände, die indiziell für eine Kenntnis der Beklagten im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO sein könnten, hat der Kläger nicht dargelegt, so dass letztlich die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch aus §§ 133, 143 InsO nicht bejaht werden konnten.
Nach alldem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs.1 Ziffer 1, Abs. 2 Ziffer 1, 2 ZPO).
Ende der Entscheidung
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