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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 14.05.2009
Aktenzeichen: 26 U 31/08
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 2271
BGB § 2296
EGBGB Art. 26 Abs. 4
Artikel 26, Absatz 5 EGBGB regelt auch die Frage, nach welchem Statut sich die Wirksamkeit des Widerrufs einer wechselbezüglichen letztwilligen Verfügung richtet (hier: Erschwerung des Widerrufs durch das Erfordernis des Zugangs).
Gründe:

I.

Die Klägerin macht als vermeintliche Erbin des am ....2003 in Stadt1 verstorbenen Ehemanns der Beklagten Ansprüche auf Auskunft über den Nachlass und Herausgabe der Nachlassgegenstände geltend und begehrt die Feststellung, Alleinerbin des Verstorbenen zu sein.

Der Erblasser war deutscher Staatsbürger und seit 1963 mit der Beklagten verheiratet. Am 9. 7.1973 errichteten die Beklagte und ihr verstorbener Ehemann ein notarielles gemeinschaftliches Testament, mit dem sie sich gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden, zu alleinigen, unbeschränkten Erben einsetzten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 33-35 d. A. verwiesen. Bis zu seinem Tod hielt sich der Erblasser außer in der Bundesrepublik Deutschland in Stadt2 (Österreich) auf, wo er unter anderem eine Wohnung besaß und mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet war.

Am 1.3.2003 verfasste der Erblasser in Stadt3 (Bundesrepublik Deutschland) unter Hinzuziehung von drei Testamentszeugen ein mit Schreibmaschine geschriebenes, eigenhändig unterzeichnetes Testament, mit dem er sämtliche bisherigen letztwilligen Verfügungen, soweit sie mit dem folgenden in Widerspruch stehen, widerrief. Ferner ordnete er an, dass sein gesamtes Vermögen der noch zu gründenden Klägerin als seiner einzigen Erbin zukomme. Die Einzelheiten ergeben sich aus Bl. 5 d. A..

Die Klägerin wurde am 14.5.2003 errichtet und am 15.7.2003 in das beim Landesgericht Salzburg geführte Firmenbuch eingetragen. Die Beklagte übertrug der Klägerin drei Grundstücke im Wert von über einer Million Euro, Wertpapiere im Wert von 8.500.000 € sowie 100.000 € an Bargeld.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, aufgrund des Testaments vom 1.3.2003 Erbin des Verstorbenen zu sein. Mit dieser letztwilligen Verfügung habe der Erblasser seine letztwillige Verfügung vom 9.7.1973 wirksam widerrufen. Das Testament vom 1.3.2003 sei nach dem aufgrund Internationalen Privatrechts anzuwendenden österreichischen Recht formwirksam. Aus der Anwendung des österreichischen Rechts ergebe sich auch, dass das Testament vom 1.3.2003 der Beklagten nicht gemäß §§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 BGB hätte zugestellt werden müssen. Im übrigen könne sich die Beklagte auf eine mangelnde Zustellung auch nicht berufen, da sie während der gesamten Besprechung des Inhalts der Verfügung und während der Abgabe der Erklärung des Erblassers vor den Testamentszeugen im Wohnzimmer des Anwesens Stadt3 anwesend gewesen sei. Abgesehen davon sei die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Verfügung des Erblassers nicht wechselbezüglich, da die Beklagte im Gegensatz zum Erblasser im Zeitpunkt der Testierung über kein wesentliches eigenes Vermögen verfügt habe. Der Erblasser habe die vermögenslose Beklagte nicht allein deshalb zu seiner Erbin bestimmt, weil auch sie ihn als ihren Erben eingesetzt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände aus der Erbschaft nach dem am 17.10.2003 verstorbenen A zu erteilen;

2. festzustellen, dass die Klägerin Alleinerbin nach dem am 17.10.2003 verstorbenen A ist;

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die nach Erteilung der Auskunft noch zu bezeichnenden verbliebenen Nachlassgegenstände sowie die mit den Mitteln der Erbschaft erworbenen Sachen und Rechte sowie die aus der Erbschaft und aus den mit den Mitteln der Erbschaft erworbenen Sachen und Rechten gezogenen Nutzungen herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Widerruf der bisherigen letztwilligen Verfügungen in dem Testament vom 1.3.2003 sei unwirksam, da der Erblasser ihr diesen Widerruf niemals förmlich zugestellt habe.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass selbst bei einer Formwirksamkeit des Testaments vom 1.3.2003 nach österreichischem Recht mit diesem die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahr 1973 nicht beseitigt werden konnte. An der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen in jenem Testament bestünden keine Zweifel. Schon der Umstand, dass sich die Ehegatten durch eine gleichlautende, völlig identische Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu unbeschränkten Erben eingesetzt haben, spreche - unabhängig von der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB - eindeutig für die Annahme der Wechselbezüglichkeit. Das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte habe über kein eigenes wesentliches Vermögen verfügt, sei unsubstantiiert. Darüber hinaus sprächen selbst erhebliche Vermögensunterschiede nicht ohne Weiteres gegen die Wechselbezüglichkeit. Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments und damit auch die materielle Wirksamkeit des Widerrufs beträfen das materielle Recht und nicht bloße Formvorschriften, so dass gemäß Art. 25, 26 Abs. 5 EGBGB das hypothetische Erbstatut und damit vorliegend deutsches Recht zu Grunde zu legen sei. Damit gehöre zu den materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen, dass der Widerruf dem anderen Testator zugehen müsse. Soweit die Klägerin darauf abstelle, dass die Widerrufserklärung in Anwesenheit der Beklagten abgegeben worden sei, fehle es bereits an einem hinreichend substantiierten Vorbringen. Mit der behaupteten bloßen Anwesenheit der Beklagten im Wohnzimmer des Hauses in Stadt3 sei keinesfalls zwingend verbunden gewesen, dass eine konkrete Willenserklärung auch an die Beklagte gerichtet worden sei. Auch im Hinblick auf einen späteren Zeitpunkt habe die Klägerin keinen konkreten Akt der Übergabe bzw. des Zugangs der schriftlichen Erklärung an bzw. bei der Beklagten als Erklärungsempfängerin bzw. Adressatin nennen können. Wegen der tatsächlichen Feststellungen sowie der Begründung im Einzelnen wird auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen (Bl. 118 bis 127 d. A.).

Gegen das am 16.9.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.10.2008 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 17.12.2008 verlängerten Frist begründet. Mit der Berufung rügt die Klägerin die Verletzung des materiellen und prozessualen Rechts. Sie macht geltend, sie habe bereits in erster Instanz vorgetragen, dass das Testament vom 1.3.2003 mit den Anwesenden und auch mit der Beklagten erörtert worden sei. Ferner trägt sie vor, das Testament sei von dem bei der Errichtung anwesenden Herrn Dr. B hinterlegt und dem Erblasser per Telefax am 3.3.2003 in die eheliche Wohnung übermittelt worden. Es könne nur die Beklagte gewesen sein, die das Telefax aus dem Telefaxgerät genommen habe. Damit habe sie erneut das ihr bereits bekannte und mit dem Erblasser abgesprochene Widerrufstestament zur Kenntnis genommen und einen körperlichen Ausdruck davon in den Händen gehalten. Die Klägerin ist der Ansicht, der Sinn und Zweck des § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB, zu verhindern, dass der Widerruf heimlich und hinter dem Rücken des anderen Ehegatten vorgenommen werde, sei im Streitfall erfüllt gewesen, da die Beklagte als ehemals Begünstigte von ihrer Enterbung zuverlässig Kenntnis erlangt habe. Darüber hinaus sei es einem Erblasser auch nicht zumutbar, ein Testament und damit die Verfügungsgewalt darüber der enterbten Person zu überlassen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hanau vom 10.9.2008 aufzuheben und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie sei bei der Errichtung der Urkunde am 1.3.2003 nicht zugegen gewesen und habe auch keine Kenntnis vom Inhalt der Urkunde erlangt. Die Urkunde sei so entstanden, dass der Erblasser und die drei Vorstandsmitglieder der Klägerin zusammen am Esszimmertisch gesessen hätten. Das Vorstandsmitglied Dr. B habe die Urkunde in einen mitgebrachten Laptop eingetippt. Nach Unterschriftsleistung habe er die Urkunde in die Aktenmappe gepackt. Der Inhalt der Urkunde sei mit ihr nicht erörtert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin ist nicht aufgrund des Testaments vom 1.3.2003 Erbin des Ehemanns der Beklagten geworden, so dass ihr weder Ansprüche auf Auskunft (§ 2027 BGB) noch auf Herausgabe des Nachlasses (§ 2019 BGB) zustehen und sie auch nicht als Erbin festzustellen ist.

Das Testament vom 1.3.2003 ist zwar wirksam.

Gemäß Art. 26 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 EGBGB, Art. 1 Abs. 1 Buchstabe c) und d), Art. 2 des Haager Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht (TestFormÜbk) vom 5.10.1961 (BGBl. 1965 II S. 1145) ist eine letztwillige Verfügung, durch die eine frühere letztwillige Verfügung widerrufen wird, hinsichtlich ihrer Form gültig, wenn sie den Formerfordernissen des Rechts eines Ortes entspricht, an dem der Erblasser im Zeitpunkt, in dem er letztwillig verfügt hat, oder im Zeitpunkt seines Todes seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Dies ist hier das österreichische Recht. Der Erblasser hatte am 1.3.2003 einen Wohnsitz in Stadt2 in Österreich. Der Begriff des Wohnsitzes richtet sich nach dem Recht, das an diesem Ort gilt (Palandt/Thorn, BGB, 68. Aufl., Art. 26 EGBGB Rdn. 4), das heißt vorliegend nach österreichischem Recht. Das österreichische Recht nimmt einen Wohnsitz einer Person dort an, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht tatsächlich aufhält, einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 der österreichischen Jurisdiktionsnorm, nachfolgend JN). Die Absicht muss nach außen erkennbar sein. Möglich ist es auch, sich an mehreren Orten in der Absicht, sie zum jeweiligen Lebensmittelpunkt zu machen, niederzulassen (§ 66 Abs. 3 JN; siehe auch Fasching, Zivilprozessrecht, 2. Auflage, 1990, Rdn. 273). Die Anmeldung des Wohnsitzes ist nicht erforderlich, stellt jedoch einen gewichtigen Hinweis auf dessen Begründung dar. Nach den bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils (§ 529 Abs. 1 ZPO) verbrachte der Erblasser nicht nur "viel Zeit" in Stadt2. Er besaß dort auch eine Wohnung und war unter der dortigen Adresse im zentralen Melderegister mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet. Damit ist ein Wohnsitz im Sinne des österreichischen Rechts in Stadt2 zu bejahen. Überdies hat die Beklagte in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landesgericht Salzburg am 9.3.2007 selbst angegeben, dass der Verstorbene und sie selbst bereits seit 10 Jahren einen Wohnsitz in Stadt2 hatten, der dem Wohnsitz in Deutschland gleichwertig gewesen sei. Die Eheleute hätten ungefähr die Hälfte der Zeit im Jahr in Stadt2, die andere Hälfte in Deutschland zugebracht (Bl. 67 d. A.).

Das Testament vom 1.3.2003 ist nach §§ 579, 713 ABGB als sog. fremdhändiges Testament formgültig, da es vom Erblasser unterzeichnet und vor drei Testamentszeugen errichtet worden ist und diese das Testament unterschrieben haben (siehe auch Haunschmidt in: Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl., 2008, II Österreich, Rdn. 58).

Der Streit der Parteien geht indessen in erster Linie darum, ob mit dem Widerrufstestament die Bindungswirkung der letztwilligen Verfügung des Erblassers in dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahre 1973 beseitigt worden ist.

Zunächst ist der Auffassung des Landgerichts beizutreten, dass es sich bei der letztwilligen Verfügung des Erblassers um eine wechselbezügliche Verfügung im Sinne von § 2270 BGB handelte. Nur solche Verfügungen unterfallen den Widerrufsbeschränkungen des § 2271 BGB. Eine wechselbezügliche Verfügung liegt vor, wenn die Verfügung nicht ohne die Verfügung des anderen Testators getroffen sein würde (§ 2270 Abs. 1 BGB). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung der Verfügung zu ermitteln. Für die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen beider Ehegatten spricht vorliegend, dass sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben des jeweils anderen eingesetzt haben. Zudem besagt zum einen auch der Wortlaut der notariellen Urkunde, dass es sich um ein "wechselbezügliches Testament " handelte, und hat zum anderen der Notar unter Nummer 3. die Urkundsbeteiligten "auf die Bindungswirkung dieses gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testamentes hingewiesen". Auch daraus wird der Wille der Ehegatten deutlich, wechselseitig mit Bindungswirkung zu verfügen. Selbst wenn Zweifel verbleiben würden, ob wechselbezügliche Verfügungen vorliegen, würde sich dies aus der Vermutungsregel §§ 2270 Abs. 2 BGB ergeben. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg darauf, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Gegensatz zu ihrem Ehemann praktisch vermögenslos gewesen sei. Zwar gibt der Umstand, dass einer der Ehegatten vermögend ist, während der andere kein oder nur geringes Vermögen besitzt, besonderen Anlass zur Prüfung der Wechselbezüglichkeit. Auch dann muss diese jedoch nicht verneint werden (RGZ 116, 148, 150; RG DR 1940, 723, 24; BayObLG FamRZ 1995, 251, 253). Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die Eheleute bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments erst 33 beziehungsweise 39 Jahre alt waren und mit dem Versterben eines von ihnen erst nach Ablauf mehrerer Jahrzehnte rechnen mussten. In dieser Zeit hätte die Beklagte - wie es in der Folgezeit auch eingetreten ist - zu einem erheblichen Vermögen kommen können. Insbesondere dann, wenn dies auf Zuwendungen durch ihren Ehemann beruhen würde, hatte dieser ein erhebliches Interesse daran, beim Tod der Beklagten die Zuwendungen im Wege der Erbfolge zurückzuerhalten (ebenso BayObLG a. a. O.).

Die sich damit aus dem deutschen materiellen Erbrecht ergebende Bindungswirkung entfällt nicht dadurch, dass etwa auch insoweit das österreichische Erbrecht anzuwenden sei. Die Bindungswirkung unterliegt nach Art. 26 Abs. 5 EGBGB dem Errichtungsstatut (BayObLGZ 2003, 80; Staudinger/Dörner, BGB, Neubearbeitung 2007, Art. 25 EGBGB Rdn. 258 mit weiteren Nachweisen), das heißt, im Streitfall dem deutschen Recht.

Ebenfalls nach Art. 26 Abs. 5 EGBGB beurteilt sich, nach welchem Statut sich die materielle Wirksamkeit des Widerrufs richtet, da nur auf diese Weise der Vertrauensschutz der Testierenden in die Bindung an die wechselseitige Verfügung im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gewährleistet wird (Staudinger/Dörner, a. a. O., Rdn. 337; Süß, Erbrecht in Europa a. a. O., § 4 Rdn. 60, 91). Dies betrifft gerade auch die Erschwerung des Widerrufs durch das Erfordernis der Zugangs (Süß, a. a. O.).

Entgegenzutreten ist der Argumentation der Berufung, Artikel 26 Abs. 1, 2 EGBGB würde die Wirksamkeit des Widerrufstestaments auf Basis des österreichischen Rechts anordnen, wenn das Testament vom 1.3.2003 lediglich die Erbeinsetzung der Klägerin, nicht aber ausdrücklich den dadurch miterklärten Widerruf der vorhergehenden Verfügungen regeln würde, so dass ein Zugang des Widerrufstestaments zu Lebzeiten des Erblassers nicht erforderlich gewesen wäre (§ 1248 ABGB). Es könne im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob der Widerruf der vorherigen Verfügung wortwörtlich oder nur "schlüssig" durch Errichtung eines neuen Testaments erklärt werde. Bei dem Zugangserfordernis geht es nämlich - wie ausgeführt - um die Frage der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments, die dem Errichtungsstatut und damit im Streitfall dem deutschen Recht unterliegt. Abgesehen davon hätte der Erblasser nach § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB zu Lebzeiten der Beklagten seine wechselbezügliche Verfügung auch nicht einseitig durch eine neue Verfügung von Todes wegen aufheben können. § 2271 BGB lässt lediglich den Widerruf der früheren Verfügung zu, nicht aber deren Aufhebung durch eine widersprechende neue Verfügung.

Der Widerruf vom 1.3.2003 wäre deshalb nur dann gegenüber der Beklagten wirksam geworden, wenn ihr die letztwillige Verfügung in Urschrift zugegangen wäre (Musielak in: Münchener Kommentar BGB, 4. Aufl., § 2271 Rdn. 8; Palandt/Edenhofer, § 2296 Rdn. 2). Es genügt nicht, dass der Widerruf dem anderen Ehegatten irgendwie mitgeteilt wird (z. B. durch Vorlesen; Staudinger/Kanzleitner, BGB, Neubearb. 2006, § 2296, Rdn. 9). Daher ist es zunächst unmaßgeblich, ob die Beklagte bei der Errichtung des Testaments in Stadt3 anwesend war und vom Erblasser mündlich über dessen Inhalt informiert worden ist. Denn bei einer urkundlich verkörperten Erklärung kommt es, auch wenn sie unter Anwesenden abgegeben wird, auf deren Zugang an (BGH NJW 1998, 3344; Palandt/Ellenberger a. a. O., § 130 Rdn. 13). Zwar kann es ausreichen, wenn zwei Personen im selben Haushalt wohnen und die eine Person die für die andere bestimmte Erklärung auf den gemeinsamen Wohnzimmertisch legt (BGH NJW-RR 1996, 641, 642). Das war aber selbst nach dem Vortrag der Klägerin in der Berufung nicht der Fall. Vielmehr ist danach davon auszugehen, dass Herr Dr. B das Testament nach der Abfassung zwecks Hinterlegung mitgenommen hat. Es bestehen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute eine von § 130 Abs. 1 BGB abweichende Vereinbarung über den Zugang getroffen haben. Allerdings wäre eine derartige Vereinbarung zulässig (BGH NJW 1995, 2217).

Sie setzt aber grundsätzlich voraus, dass die Eheleute sich der Notwendigkeit des Zugangs der Willenserklärung bewusst waren, da ansonsten ein rechtsgeschäftlicher Wille, eine Vereinbarung zu treffen, nicht erkennbar wird. Dafür bestehen im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte.

Die erforderliche Übergabe der Urkunde ist auch nicht dadurch erfolgt, dass Herr Dr. B in die Wohnung des Erblassers ein Telefax des Testaments schickte. Bei dem Telefax handele es sich vielmehr um eine einfache Abschrift, die den Anforderungen des § 2296 BGB nicht genügt (siehe dazu BGH NJW 1960, 33; Palandt/Edenhofer a. a. O., § 2296 Rdn. 2; Erman/Schmidt, BGB, 12. Aufl., § 2296 Rdn. 2 m. w. N.).

Zutreffend hat es das Landgericht schließlich abgelehnt, dass die Zustellung der Widerrufserklärung mit der Klage erfolgt sei. Abgesehen davon, dass nur eine einfache Fotokopie zugestellt worden ist, die ohnehin nicht ausreichend wäre, hätte sich die Urkunde bereits beim Tode des Widerrufenden bereits "auf dem Weg" zur Beklagten befinden müssen (Staudinger/Kanzleitner, a. a. O., Rdn. 10; Erman/Schmidt, a. a. O., jeweils m. w. N.).

Ohne Erfolg macht die Berufung ferner geltend, der Zweck der Beschränkung des Widerrufs durch das Erfordernis des Zugangs sei im vorliegenden Fall dadurch gewährleistet, dass die Beklagte über ihre Enterbung und die Einsetzung der Klägerin als Alleinerbin zuverlässig Kenntnis hatte und den Willen des Erblassers durch Gründung der Klägerin und Übertragung erheblicher Teile des Nachlasses auf die Klägerin vollzogen habe. Zwar trifft es zu, dass der Zweck die Erschwerung des Widerrufs darin besteht, dass der andere Ehegatte zuverlässig Kenntnis von dem Widerruf erlangt und sich mit seinen eigenen Verfügungen darauf einrichten kann. Gleichwohl kommt es auf die von der Klägerin angeführten Einzelfallumstände nicht an. Sie können die Formenstrenge im Erbrecht nicht außer Kraft setzen. Vielmehr ist das Zugangserfordernis zwingend vorgeschrieben (Bamberger/Roth/Litzenberger, BGB, 2. Aufl., § 2271 Rdn. 11; Palandt/Edenhofer a. a. O., § 2271 Rdn. 2).

So ist etwa auch anerkannt, dass ein stillschweigender Widerruf durch neue eigene Verfügung von Todes wegen gemäß § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB selbst dann ausgeschlossen ist, wenn der andere Ehegatte zustimmt (RG DR 1945,76; OLG Schleswig SchlHA 1957, 181; Palandt/Edenhofer a. a. O., § 2271 Rdn. 3). Wie bereits ausgeführt, würde es ebenso nicht genügen, dass der Beklagten die Urkunde vorgelesen wurde.

Von dem Zugangserfordernis des deutschen Rechts ist im Streitfall ferner nicht deshalb abzusehen, weil der Erblasser das Testament in die Verfügungsgewalt der enterbten Person geben müsste. Im Übrigen bedarf nur die Widerrufserklärung als solche des Zugangs, nicht dagegen eine im Anschluss getroffene neue, der wechselbezüglichen Verfügung entgegenstehende Erbfolgeregelung. Es bleibt deshalb dem Erblasser unbenommen, den Widerruf und die neue Erbfolgeregelung in zwei getrennten Urkunden niederzulegen und Letztere in seiner Verfügungsbefugnis zu behalten.

Letztlich überzeugt auch das von der Klägerin ins Feld geführte Argument nicht, die Beschränkung des Widerrufs laufe dem Zweck des TestFormÜbk zuwider, im Sinne des favor testamenti den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung zu bringen und damit den Erblasser zu schützen. Die Bindung der Ehegatten an ihre wechselbezüglichen Verfügungen besteht nämlich nicht im Interesse des verfügenden Ehegatten, sondern gerade umgekehrt im Interesse des durch die Verfügung begünstigten anderen Ehegatten. Es geht hierbei somit nicht um den Schutz des verfügenden, sondern um den Schutz des anderen Ehegatten, dessen Verfügung erst den Grund für die wechselbezügliche Verfügung des einen Ehegatten abgibt.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht gemäß § 547 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Zwar ist zu der in Art. 26 Abs. 5 EGBGB erwähnten Bindung an eine wechselseitige letztwillige Verfügung noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen, jedoch besteht weder in der Rechtsprechung noch in den Stellungnahmen der wissenschaftlichen Literatur dazu eine Meinungsverschiedenheit.

Ende der Entscheidung

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