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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: 3 U 145/05
Rechtsgebiete: VAG, VVG
Vorschriften:
VAG § 21 | |
VVG § 51 | |
VVG § 55 | |
VVG § 178 a | |
VVG § 178 e |
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem seit über 40 Jahren bestehenden Krankenversicherungsvertrag wegen einer durchgeführten tariflichen Umgruppierung im Hinblick auf ihre Beihilfeberechtigung in Anspruch.
Die Klägerin ist zu den Tarifen A 15 und S 13 krankenversichert, nämlich zu 100 %. Daneben ist sie als Witwe ihres im Jahre 1999 verstorbenen Ehemannes, welcher Beamter des Landes Hessen war, beihilfeberechtigt. Mit Schreiben vom 16.1.2004 (Bl. 11 f. d.A.) teilte der Beklagte mit, in Anwendung des § 178 e VVG werde der Tarif der Klägerin an den bestehenden Beihilfebemessungssatz angepasst und der Klägerin ein kostengünstiger Beihilfetarif gewährt. Mit Schreiben vom 19.1.2004 (Bl. 13 f. d.A.) erhielt die Klägerin von dem Beklagten demgemäß einen Nachtrag zum Versicherungsschein, der ab dem 1.2.2004 die neuen Tarife BA 30 und BP 40 ausweist. Die Klägerin widersprach dem mit Fax vom 28.1.2004 (Bl. 15 d.A.).
In der Folgezeit rechnete der Beklagte nach den neu festgesetzten Tarifen ab, so dass insgesamt 6.835,89 € nicht erstattet wurden, die der Klägerin nach den alten Tarifen zugestanden hätten. Unstreitig ist ferner, dass die Klägerin Beiträge von 1.338,70 € und 960,51 € an den Beklagten zahlte und von diesem zurück überwiesen erhielt.
Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass sie nach wie vor zu den alten Tarifen versichert ist und dass die Beklagte nicht berechtigt ist, erhaltene Beihilfen auf die Versicherungsleistungen anzurechnen. Ferner verlangt die Klägerin Zahlung von 4.336,68 €, nämlich den Differenzbetrag aus den Leistungen, die der Klägerin nach den alten Tarifen zustünden abzüglich der dem Beklagten hierfür zustehenden Versicherungsbeiträge.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei nicht berechtigt, im Hinblick auf ihre Beihilfeberechtigung eigenmächtig den Versicherungstarif aus dem zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherungsvertrag zu ändern.
Die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass die Klägerin bei dem Beklagten auch nach dem 1.2.2004 in den Tarifen A 15 und S 13 versichert ist und der Beklagte nicht berechtigt ist, auf seine Versicherungsleistungen den Erhalt von Beihilfen in Krankheits- und Todesfällen, für Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten und für Schutzimpfungen anzurechnen,
2. den Beklagten zur Zahlung von 4.336,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.12.2005 an die Klägerin zu verurteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, seine Berechtigung zur Anpassung ergebe sich aus § 178 a, 55, 51 VVG. Das Verbot der Überversicherung rechtfertige die Tarifumstellung. Jedenfalls ergebe sich die Berechtigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, weil ihm zu Beginn der Versicherung die Beihilfeberechtigung der Klägerin nicht bekannt gewesen sei.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang entsprochen. Der Beklagte sei zu einer Tarifänderung im Hinblick auf die Beihilfeberechtigung der Klägerin nicht befugt gewesen, auch wenn die Klägerin dadurch insgesamt mehr an Erstattungen erhalte, als sie für ihre Krankheitskosten tatsächlich aufzuwenden habe. Eine Berechtigung zur Tarifänderung ergebe sich weder aus dem VVG noch aus Allgemeinen Grundsätzen. § 178 e VVG gebe nur dem Versicherungsnehmer einen Anspruch aus Vertragsänderung. § 178 a VVG verweise zwar auf §§ 51 und 55 VVG; jedoch berechtigten diese Bestimmungen nicht zur vorgenommenen Vertragsänderung. § 51 VVG enthalte kein generelles Verbot der Überversicherung, sondern berechtige lediglich dazu, die Versicherungssumme dem Wert des versicherten Interesses anzupassen. Eine solche Diskrepanz bestehe indessen nicht, weil der Beitragssatz dem Prozentsatz der gewährten Erstattungsleistungen entspreche. Dass das versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot nicht absolut gelte und Versicherungsleistungen nicht generell nachrangig zu sonstigen, namentlich gesetzlichen Erstattungsleistungen seien, ergebe sich aus § 5 Abs. 3 MBKK, der ein Freiwerden der Versicherung nur in den dort normierten Sonderfällen vorsehe und deshalb für Beihilfeleistungen nicht gelte. Der Klägerin werde im Krankheitsfall auch nicht mehr als der Betrag des Schadens ersetzt, nämlich die Kosten der medizinisch notwendigen Heilbehandlung. Ein solcher Schaden entfalle nicht dadurch, dass Beihilfeleistungen erbracht würden, sondern führe lediglich dazu, dass die Klägerin auf diesen Schaden teilweise doppelte Erstattungsleistungen erhalte. Dies auszugleichen, obliege nicht dem Beklagten, sondern dem Land Hessen als Verordnungsgeber. Dass das Land hierauf verzichtet habe, könne nicht zugunsten des Beklagten gehen; dieser habe sich an geschlossene Verträge zu halten. Er könne sich auch nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen, weil das Fehlen von Beihilfeleistungen nicht Geschäftsgrundlage des Versicherungsvertrages gewesen sei. Zumindest die Klägerin und ihr Ehemann hätten es gewusst; der Beklagte hätte es bei Vertragsschluss klären können und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihm die Beihilfeberechtigung der Klägerin bis 2004 verborgen geblieben sei. Daher habe der Beklagte auch die mit der Klage begehrten und der Höhe nach unstreitigen Zahlungen zu leisten.
Mit der Berufung verfolgt der Beklagte sein Abweisungsbegehren weiter und rügt die Wertungen des Landgerichts. § 5 Abs. 3 MBKK verdränge nicht das versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot. Die vom Landgericht herangezogenen Feststellungen des OLG Hamburg (VersR 1968, S. 1077) seien nur als obiter dictum getroffen.
Der Charakter der Beihilfe sei unbeachtlich. Die Leistung des Versicherers werde durch die Schadenshöhe begrenzt. Ob die Leistung mit dem Beitragssatz korrespondiere, sei nicht maßgeblich. Eine Verpflichtung zur Anrechnung ergebe sich letztlich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des § 21 VAG.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23.5.2005 (Az.: 2/23 O 45/04) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurück zu weisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und beruf sich ergänzend auf Verwirkung der Ansprüche.
II.
Die Berufung des Beklagten ist statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sie bleibt indessen in der Sache ohne Erfolg.
Die erhobene Feststellungsklage ist zulässig, das Feststellungsinteresse gegeben (§ 256 Abs. 1 ZPO), weil sich der Beklagte eines Rechts auf Tarifänderung und Abrechnung aufgrund des geänderten Tarifs berühmt. Das Feststellungsinteresse besteht, obwohl die Klägerin daneben - Klageantrag zu 2. - beziffert klagt, weil der Beklagte auch darüber hinaus in Zukunft auf der Grundlage der geänderten Tarife abrechnen will.
Ein Recht des Beklagten auf Tarifänderung wegen der bestehenden Beihilfeberechtigung der Klägerin ergibt sich indessen aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
Eine individualvertragliche Vereinbarung auf ein Tarifänderungsrecht des Beklagten für den Fall der Beihilfeberechtigung ist nicht vorgetragen oder sonst wie ersichtlich. Der in § 178 e VVG gesetzlich normierte Anspruch auf Tarifänderung gilt nur für den Versicherungsnehmer.
Ein Tarifänderungsrecht ergibt sich auch nicht aus §§ 178 a Abs. 2, 51, 55 VVG.
Zwar ist die Krankenversicherung (Krankheitskostenversicherung) Schadensversicherung (vgl. Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 178 a VVG, Rn. 4; BGH, VersR 1971, 1138), weswegen über den Verweis in § 178 a Abs. 2 VVG die §§ 51 und 55 VVG grundsätzlich Anwendung finden. Das in §§ 51 VVG enthaltene Verbot der Übersicherung ist indessen im Bereich der Privaten Krankenversicherung unanwendbar, weil es dort keinen Versicherungswert gibt, sondern ein offenes Schadensrisiko (Römer-Langheid, VVG 2. Aufl., § 51, Rn. 1; Bach/Moser a.a.O., Einl. Rn. 2). Im übrigen besteht - wie bereits das Landgericht zutreffend festgestellt hat - "Kongruenz" zwischen Versicherungsbeiträgen und versprochener Versicherungsleistung.
Die Subsidiaritätsklausel in § 5 MBKK gibt dem Beklagten ebenfalls keinen Anspruch auf Tarifänderung oder Absenkung der Versicherungsleistungen. Denn die Subsidiarität gilt gegenüber Ansprüchen der Versicherten aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder der gesetzlichen Rentenversicherung, auf gesetzliche Heilfürsorge oder Unfallfürsorge. In diesen Fällen ist der Versicherer nur für solche Aufwendungen leistungspflichtig, welche trotz der gesetzlichen Leistungen notwendig bleiben. Die Beihilfe ist indessen keine gesetzliche Heilfürsorge im Sinne dieser Vorschrift. Denn Beihilfen sind Ausfluss der Fürsorgepflicht des Dienstherren (hier § 92 Abs. 1 und 2 Hessisches Beamtengesetz), die nicht gesetzlich geregelt sind. Es existiert lediglich die Ermächtigungsvorschrift des § 92 Abs. 2 Hessisches Beamtengesetz, die durch die Hessische Beihilfeverordnung konkretisiert wird (Nitze, Hessische Beihilfenverordnung, 6. Aufl., 22. Lieferung, B/Einleitung, Nr. 2). Der Anspruch des Beamten ist - anders als bei der gesetzlichen Heilfürsorge - nicht darauf gerichtet, dass der Dienstherr die Heilung bewirkt oder bewirken lässt, sondern die Beihilfe soll es dem Beamten ermöglichen, unverschuldete wirtschaftliche Belastungen, sei es durch Krankheitskosten oder andere beihilfefähige Aufwendungen, zu tragen (BGH, VersR 1971, 1138 [1139]; OLG Hamburg, VersR 1967, 1077 [1078]; Prölss/Martin, VVG 27. Aufl., § 5 MBKK, Rn. 19; Bach/Moser a.a.O., § 5 MBKK, Rn. 72). In der Kommentarliteratur wird das Problem als weitgehend nicht mehr praxisrelevant angesehen, weil nach den Beihilfevorschriften die Beihilfe zusammen mit den Versicherungsleistungen die beihilfefähigen Aufwendungen nicht übersteigen darf (vgl. Prölss/Martin a.a.O.). Von dieser - durch das Bundesverfassungsgericht gebilligten Handhabung (BVerfGE 83, 89 = NJW 1991, 743) - hat das Land Hessen allerdings bisher keinen Gebrauch gemacht (Nitze a.a.O. Nr. 12). Die Subsidiaritätsvorschrift des § 5 Abs. 3 MBKK greift dennoch aus den oben genannten Gründen nicht ein.
Das aus § 55 VVG hergeleitete allgemeine Bereicherungsverbot eröffnet dem Beklagten ebenfalls keinen Anspruch auf Tarifänderung oder Abrechnung unter Berücksichtigung der Beihilfeleistungen. Entgegen früher herrschender Meinung ist das aus § 55 VVG hergeleitete Bereicherungsverbot kein allgemein gültiger und zwingender Rechtssatz im Versicherungsrecht. Dies hat der Bundesgerichtshof in neuerer Rechtsprechung mehrfach betont (zuletzt BGHZ 147, 212 = NJW 2001, 3539; vgl. auch Römer-Langheid a.a.O., § 55 VVG, Rdz. 11). Der Bundesgerichtshof hat dabei ausgeführt, der Versicherer könne sich nicht unter Berufung auf dieses Verbot von vertraglichen Versprechen lösen. Darauf ist nach Meinung des Senats auch im vorliegenden Fall abzustellen, in dem die Klägerin über 40 Jahre lang eine "Voll"-Krankenversicherung unterhalten und entsprechende Beiträge entrichtet hat. Die Beklagte kann hier deshalb jetzt nicht unter Berufung auf das Bereicherungsverbot eine andere Tarifgestaltung aufzwingen.
Im übrigen ist hier das Prinzip des Subsidiarität der Beihilfe zu beachten, welches dazu führt, dass die Fälle, in denen Versicherungsleistung und Beihilfeleistung die Krankheitskosten übersteigen, nicht dem Versicherer zugute kommen. Das Beihilferecht ist nämlich nach seiner Konzeption lediglich eine Ergänzung der mit eigenen Mitteln zu betreibenden Eigenvorsorge, womit der dem Beihilferecht inne wohnende Grundsatz der Subsidiarität oder auch des Nachranges der Beihilfe einhergeht (BVerfG a.a.O.; Nitze a.a.O., Nr. 2). Die Einführung der 100-%-Grenze in verschiedenen Bundesländern und im Bund ist gerade die Konsequenz dieses Grundsatzes, um das Subsidiaritätsprinzip im Beihilferecht zum Tragen zu bringen (BVerfG a.a.O.). Wenn das Land Hessen diese Grenze bislang nicht eingeführt hat, bedeutet dies nicht, dass die Vorteile hieraus nunmehr den Krankenversicherern zustehen. Auch in diesem Falle bleibt die Beihilfe nachrangig und führt nicht zu einer Minderung der geschuldeten Versicherungsleistung. Der Subsidiaritätsgrundsatz des Beihilferechtes gilt in gleicher Weise, soweit Einzelabrechnungen in Frage stehen.
Schließlich zwingt auch § 21 VAG den Beklagten nicht zur Anrechnung der Beihilfeleistungen. Gemäß § 21 Abs. 1 VAG dürfen Mitgliederbeiträge und Vereinsleistungen an die Mitglieder bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden. Verboten ist danach nur die ungleichartige Behandlung gleicher Tatbestände (vgl. Prölss/Reimer-Schmidt, VAG 11. Aufl. 1997, § 21, Rn. 5). Der vorliegende Fall liegt indessen genau umgekehrt, weil der Beklagte nach seiner Auffassung nach der ursprünglichen Tarifgestaltung ungleichartige Tatbestände (nämlich Versicherungen mit und ohne parallele Beihilfeberechtigung) gleichbehandeln würde, wenn er die Beihilfeleistungen nicht anrechnen würde.
Mit Recht hat das Landgericht schließlich auch eine (anfängliche) Störung der Geschäftsgrundlage verneint. Auf das angegriffene Urteil wird diesbezüglich verwiesen.
Die Kosten der somit erfolglosen Berufung trägt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Beklagte.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ist §§ 708 Ziff. 10, 711, 108 ZPO entnommen.
Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache - ungeachtet des Umstandes, dass der Bund und verschiedene Bundesländer die 100-%-Grenze im Beihilferecht eingeführt haben - grundsätzliche Bedeutung hat. Beispielsweise hat der Beklagte angekündigt, auch gegenüber anderen Vollversicherten mit Beihilfeberechtigung in dieser Weise vorgehen zu wollen. Auch andere Krankenversicherer, die derartige Versicherungsverträge abgeschlossen haben, können von der Entscheidung betroffen sein.
Ende der Entscheidung
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