Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.05.2009
Aktenzeichen: 3 U 200/08
Rechtsgebiete: RVG-VV


Vorschriften:

RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das am 18.07.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Gießen werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 30%, die Beklagte 70% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit einer ihm angebotenen Aufhebung seines Arbeitsvertrages und der nachfolgenden Kündigung.

Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 18.07.2008, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, teilweise stattgegeben. Hiergegen richten sich die vom Kläger und der Beklagten eingelegten Berufungen.

Der Kläger rügt mit seiner Berufung, das Landgericht habe bei der Entscheidung über die im Zusammenhang mit der Kündigungserklärung (Rechnung Nr. 343) verkannt, dass in dem Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages jedenfalls mittelbar eine Kündigungsandrohung gelegen habe und daher der Versicherungsfall bereits eingetreten gewesen sei. Wenigstens rechtfertige sich eine Erstattung außergerichtlicher Kosten aus der Tätigkeit der Bevollmächtigten anlässlich der Kündigung des Arbeitgebers. Bei Berechnung der Kosten im Zusammenhang mit der Schadensersatzforderung des Arbeitgebers (Rechnung Nr. 346) sei der vorbehaltene Schadensersatzanspruch derart konkret dargelegt worden, dass mit einer Geltendmachung gerechnet habe werden müssen und deswegen auch bezüglich dieses Betrages eine außergerichtliche Zurückweisung geboten gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Gießen vom 18.07.2008 - 3 O 92/08 - teilweise abzuändern,

die Beklagte zu verurteilen, ihn in Höhe des Restes der Kostenrechnung der Rechtsanwälte A und B Nummer 0700346 vom 22.07.2007 in Höhe eines Restbetrages von weiteren 544,24 € freizustellen,

die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Kostenrechnung der Rechtsanwälte A und B Nummer 0700343 vom 21.07.2007 in Höhe eines Restbetrages von 1.881,06 € freizustellen,

und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Gießen vom 18.07.2008 (Az. 3 O 92/08) die Klage insgesamt abzuweisen

und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Gegen die Berufung des Klägers macht sie geltend, das Aufhebungsangebot könne nicht als Kündigungsandrohung verstanden werden (Rechnung Nr. 343). Einer Einbeziehung des lediglich vorbehaltenen Schadensersatzanspruches in die abgerechnete Geschäftsgebühr stehe die fehlende Geltendmachung entgegen, jedenfalls habe der Kläger die Obliegenheit verletzt, unnötige Kosten zu vermeiden (Rechnung Nr. 346).

Mit der von ihr eingelegten Berufung rügt die Beklagte, bei den Kosten der Kündigungsschutzklage sei die Verfahrensgebühr aufgrund der gebührenrechtlich gebotenen Anrechnung der Geschäftsgebühr lediglich zur Hälfte angefallen (Rechnung Nr. 343). Für den die Lohnklage beendenden Vergleich (Rechnung Nr. 349) sei ein zu hoher Streitwert angesetzt worden.

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie haben indes beide in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen dem Berufungsverfahren zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

Die Berufung des Klägers ist unbegründet, soweit er damit Freistellung von Verbindlichkeiten den Rechtsanwälten A und B gegenüber aus der Rechnung Nummer 0700346 vom 22.07.2007 in Höhe eines Restbetrages von weiteren 544,24 € begehrt. Ein dahin gehender Anspruch steht ihm aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag i.V.m. 4 I c) ARB 2000 nicht zu. Danach besteht ein Anspruch auf Rechtsschutz nur von dem Zeitpunkt an, in dem ein Dritter einen Verstoß gegen Rechtspflichten begangen hat. Hierfür genügt jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der die Anbahnung eines Rechtskonfliktes in sich trägt (BGH VersR 2005, 1684 m.w.N.). Dies war zum Zeitpunkt der Beauftragung der Rechtsanwälte durch den Kläger noch nicht der Fall. Es lag zunächst lediglich das Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages vor. Dieses stellt entgegen der Ansicht des Klägers weder an sich noch bezüglich einzelner Vertragsregelungen eine Rechtsverletzung dar. Das bloße Angebot auf Abschluss eines Vertrages stellt einen Verstoß i.S.d. § 4 I c) ARB 2000 grundsätzlich nicht dar (Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 7. Auflage, ARB 75 § 14 Rn. 53 m.w.N.). Auch inhaltlich unwirksame, weil gesetzes- bzw. sittenwidrige oder einer Inhaltskontrolle nach dem AGB nicht standhaltende Vereinbarungen stellen einen Verstoß gegen Rechte des Versicherungsnehmers erst mit dem Zustandekommen der Vereinbarung dar. Dahin stehen kann, ob ein Verstoß in der Verletzung vorvertraglicher Pflichten auch dann liegen kann, wenn die Vereinbarung später nicht zustande kommt, da vorliegend weder vorgetragen noch erkennbar ist, dass der Arbeitgeber mit dem Angebot auf Abschluss des Aufhebungsvertrags eine solche Pflichtverletzung begangen haben könnte. Dem Kläger stand es im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vertragsfreiheit frei, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Dass er dabei getäuscht oder bedroht worden wäre, ist nicht ersichtlich.

Dahin stehen kann auch, ob das Angebot eines Aufhebungsvertrags als Rechtsverstoß dann angesehen werden kann, wenn darin für den Fall des Nichtabschlusses eine Kündigung angedroht wird (so OLG Saarbrücken NJW 2006, 3730). Selbst wenn man dem entgegen der h.M. (AG Köln r + s 1997, 377; AG Gießen r + s 1997, 24; vgl. auch Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 14 ARB 75 Rn.25 m.w.N. aus der Rspr.; Harbauer, a.a.O., § 14 ARB 75 Rn.53) folgt, fehlt es im vorliegenden an konkreten objektiven, sich aus dem schriftlichen Angebot selbst ergebenden Anhaltspunkten dafür, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in jedem Fall beenden wollte. Im Text des Angebots ist von einer anderenfalls erfolgenden Kündigung nicht explizit die Rede. Sie liegt auch nicht in der Formulierung, die Aufhebung erfolge auf Veranlassung des Arbeitgebers aus betriebsbedingten Gründen. Dies mag Assoziationen mit einer betriebsbedingten Kündigung hervorrufen, drückt aber bei unbefangener Betrachtung zunächst nur ein Motiv für eine einvernehmliche Lösung aus und soll den Arbeitnehmer vor Nachteilen bei der Sozialversicherung und der Suche nach einer neuen Stelle bewahren. Nicht zur Auslegung der Erklärung herangezogen werden können bloß subjektive-individuelle Kenntnisse des Arbeitgebers über die Absichten des Arbeitgebers. Der Versicherer könnte ansonsten mangels genauer Fixierbarkeit des Rechtsverstoßes den Eintritt des Versicherungsfalles dem Versicherungsvertrag in zeitlicher Hinsicht nicht sicher zuordnen.

Unbegründet ist die Berufung des Klägers auch, soweit er Freistellung aus der Rechnung Nr. 346 in Höhe weiterer 1.881,06 € begehrt. Dem Kläger steht kein Freistellungsanspruch zu, der über die von der Beklagten gezahlten 1.948,91 € hinausgeht. Insoweit fehlt es an einem Gebührenanspruch der für den Kläger tätigen Anwälte. Zu Recht sind die Beklagte und das Landgericht davon ausgegangen, dass der Streitwert für die außergerichtliche Verteidigung des Klägers gegen Schadensersatzforderungen des Arbeitgebers sich lediglich auf 82.000,- €, und nicht auf 352.000,- € belief. Nur die Zahlung des erstgenannten Betrags war unter Fristsetzung gefordert, den weiteren Betrag behielt der Gläubiger sich ausdrücklich nur vor.

In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob sich die Zurückweisung der Bevollmächtigten - wie der Kläger vorbringt - tatsächlich auch auf die vorbehaltenen Ansprüche bezog. Entscheidend ist vielmehr, ob die Bevollmächtigten vom Kläger entsprechend mandatiert worden waren. Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, dass er seine Anwälte auch für den Fall einer ausbleibenden Deckungszusage bereits mit der Zurückweisung auch der vorbehaltenen Schadensersatzansprüche beauftragen wollte. Bei verständiger Würdigung der Interessen des Mandanten durften die Anwälte in der Überlassung des Schreibens des Arbeitgebers vom 30.06.2006 nicht bereits einen vom Ergebnis der Deckungsanfrage unabhängigen Auftrag zur Zurückweisung der bloß vorbehaltenen Schadensersatzansprüche sehen. Das gilt insbesondere angesichts der nicht unbeträchtlichen Höhe der Forderungen und des sich daraus ergebenden Gebührenstreitwertes.

Selbst bei Annahme einer entsprechenden Mandatierung oder einer Genehmigung seitens des Klägers scheitert ein versicherungsvertraglicher Freistellungsanspruch jedenfalls an der sich aus einem solchen Verhalten ergebenden Obliegenheitsverletzung gemäß § 17 V c) cc) der ARB. Das Berufungsgericht folgt auch in diesem Punkt der Feststellung des Landgerichts, dass ein anwaltliches Tätigwerden im fraglichen Zeitpunkt einen Verstoß gegen die vorgenannte versicherungsvertragliche Obliegenheit darstellt. Für die dem Kläger gemäß Abs. 6 der Vorschrift obliegenden Entlastung wurde nichts vorgetragen.

Unbegründet ist auch die Berufung der Beklagten.

Zutreffend das Landgericht dem Kläger Freistellung aus der Rechnung Nr. 343 in Höhe der vollen Verfahrensgebühr zugesprochen. Eine Reduzierung wegen der vorprozessual angefallenen Geschäftsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG war insoweit nicht geboten.

Eine solche Anrechnung kam schon deswegen nicht in Betracht, weil die anwaltliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Angebot eines Aufhebungsvertrages und die anschließende Kündigungsschutzklage nicht denselben Gegenstand i.S.d. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG betreffen, die insoweit erbrachten anwaltlichen Tätigkeiten beruhen vielmehr zwei unterschiedlichen Angelegenheiten i.S.d. § 15 II 1 RVG zuzuordnen sind.

Das RVG definiert den von ihm genannten Begriff der Angelegenheit (so z.B. in §§ 7 I, 14 I 1, 15 ff., 22 I) nicht explizit. Er dient gebührenrechtlich zur Abgrenzung desjenigen anwaltlichen zusammenhängenden Tätigkeitsbereiches, den eine Pauschgebühr abgelten soll, nämlich die gesamte Tätigkeit des Anwalts von der Erteilung des jeweiligen Auftrages bis zu dessen Erledigung (OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 67 (68); Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, RVG, § 15, Rn.10 f. m.w.N. aus der Rspr.) Daraus wird deutlich, dass es wesentlich auf die Art und den Umfang des Auftrages des Anwaltes ankommt. Voraussetzung für das Vorliegen "derselben Angelegenheit" ist die Erteilung eines einheitlichen Auftrages. Ein Auftrag leitet grundsätzlich eine neue Angelegenheit ein. Bei einem zeitlichen Aufeinanderfolgen von Aufträgen bedarf es für die Annahme einer Angelegenheit eines inneren Zusammenhanges zwischen den Aufträgen (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, RVG, § 15, Rn.20). Ein solcher ist zu bejahen, wenn die mandatierten Gegenstände einem einheitlichen Lebensvorgang entstammen und in einem Verfahren gleichzeitig verfolgt werden können (OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 67 (68); Mayer/Kroiß, RVG, 3. Auflage, § 15, Rn.20).

Die beiden vom Kläger erteilten, zeitlich aufeinanderfolgenden Aufträge weisen nicht diese für die Annahme einer Angelegenheit i.S.d. RVG erforderlichen Voraussetzungen auf. Die mit beiden Aufträgen jeweils verfolgten Ziele hätten nicht gleichzeitig in einem Verfahren verfolgt werden können. Das zunächst am 11.05.06 erteilte Mandat beschränkte sich auf die Beratung über die Zweckmäßigkeit der Annahme oder Ablehnung des Angebotes, war also grundsätzlich ergebnisoffen, während die zweite Mandatierung sich in erster Linie auf die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses in Form der Rücknahme der Kündigung richtete.

Soweit die Rspr. (BGH NJW 2007, 2050; LG Bonn NJW 2006, 2641) - in Abkehr von einer nur formalen Bewertung - aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zur Annahme eines einheitlichen Gegenstandes und einer Angelegenheit kommt, führt dies hier zu keiner abweichenden Beurteilung. Die dabei maßgebliche Überlegung stellt auf die ratio legis der Anrechnungsnorm ab, wonach die gleiche anwaltliche Tätigkeit nicht zweimal honoriert werden solle (BGH a.a.O., 2051). Der in diesem Zusammenhang beurteilte Falltypus, nämlich die außergerichtliche Kündigung eines Mietverhältnisses und die darauf gestützte spätere Räumungsklage, weicht von der Typik des vorliegenden Falles jedoch in relevanter Weise ab: Denn der mögliche Abschluss eines Aufhebungsvertrages hätte gerade die Abwehr einer nachfolgenden Kündigung vermieden, stellt sich somit nicht lediglich als ohnehin zu prüfende Vorfrage dar. Darüber hinaus lässt sich gemessen am Umfang beider Mandate schwerlich von einer "gleichen Tätigkeit" im Sinne einer doppelten Honorierung sprechen. Die Bevollmächtigten hatten im Rahmen des späteren Mandats zusätzlich die Rechtmäßigkeit der nunmehr konkret ausgesprochenen und nicht lediglich nur als möglich in Rechnung gestellten Kündigung zu prüfen. Außerdem bestand im Falle einer Verhandlung über den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs eine nunmehr veränderte Ausgangsposition.

Teilt man vorstehende Auffassung von den unterschiedlichen Angelegenheiten nicht, folgt das Verbot einer Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr zumindest aus dem Rechtsgedanken der §§ 62, 63 VVG. Macht der Versicherungsnehmer Aufwendungen zur Minderung des vom Versicherer zu ersetzenden Schadens ("Rettungskosten"), fallen diese dem Versicherer zur Last. Nach den zur Berufung des Klägers gemachten Ausführungen kann dieser die durch die Beauftragung der Rechtsanwälte im Zusammenhang mit dem Angebot einer arbeitsrechtlichen Aufhebungsvereinbarung gemachten Aufwendungen nicht verlangen, hat sie alleine zu tragen. Kommt es hierdurch dann zu einer Reduzierung der später anfallenden Gerichtskosten, kann dies nicht dem Versicherer zu Gute kommen.

Ohne Erfolg bleibt letztlich auch die Berufung der Beklagten, soweit sie sich gegen eine Freistellung des Klägers wegen der im Zusammenhang mit dem in der Lohnzahlungsklage geschlossenen Vergleich richtet. Diesem Vergleich liegt ein Gebührenstreitwert in Höhe von 399.725,12 € zu Grunde.

Unabhängig vom Wert des übrigen Rechtsstreits richtet sich der Wert eines Prozessvergleichs nach dem Gesamtwert aller in den Vergleich einbezogenen und mit ihm abgegoltenen Ansprüche, unabhängig davon, ob diese im gleichen Verfahren, in anderen Verfahren oder überhaupt nicht rechtshängig waren (Hartmann, Kostengesetze, 37.Auflage, ZPO, § 3, Rn.127 m.w.N.). Zutreffend hat deswegen das Arbeitsgericht Offenbach neben dem eigentlichen Verfahrenswert der Lohnklage auch die Werte der durch den verglich mit erledigten Parallelverfahren einbezogen. Zutreffend war auch die Einbeziehung der noch nicht rechtshängigen Schadensersatzforderung des Arbeitsgebers in Höhe von 351.617,12 €. Diese wurde von der Abgeltungsvereinbarung umfasst. Dabei spielt es - anders als bei der Wertbestimmung für die vorgerichtliche Verteidigung gegen diese Forderung (oben zu Rechnung Nr. 346) - keine Rolle, ob oder inwieweit diese Forderung bereits tatsächlich erhoben war. Ein Vergleich dient der Beseitigung eines Streits der Parteien auch und gerade über ungewisse Forderungen (§ 779 BGB). Wertmäßig gar nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden allenfalls Forderungen, die erkennbar aus der Luft gegriffen sind, bei verständiger Würdigung offensichtlich nicht gegeben sind oder praktisch nicht realisierbar erscheinen (Hartmann, a.a.O. m.w.N.). Dass diese Ausnahme für den vom Arbeitgeber in seinem Anspruchsschreiben vom 30.06.2006 nicht unbedingt geforderten, sondern nur vorbehaltenen Teil des Schadensersatzes zuträfe, lässt sich dem Vortrag der Parteien nicht entnehmen. Hierzu genügt weder die unterschiedliche Behandlung der beiden Schadenersatzteile (die möglicherweise nur aus Kostengründen erfolgte) noch der Umstand, dass der vorbehaltene Teil nicht näher substantiiert war (was mangels konkreter Forderung noch nicht erforderlich war). Für die Ernsthaftigkeit der Forderung sprechen ihre Aufnahme in ein anwaltliches Forderungsschreiben und die konkrete Bezifferung. Auch wenn dabei eine kostenauslösende Verteidigung gegen den angekündigten Anspruch noch nicht erforderlich war, ist die endgültige Abwendung des Anspruchs im gerichtlichen Vergleich wertmäßig zu berücksichtigen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten führt dabei der Umstand, dass das Arbeitsgericht den Vergleichswert zunächst nur auf 98.108,- € festgesetzt hatte und ihn erst auf eine Beschwerde des Klägers (richtigerweise: seines Prozessbevollmächtigten) auf 399.725,12 € nicht zu einer Leistungsfreiheit der Versicherung. Der Versicherungsnehmer und sein Prozessbevollmächtigter sind nicht verpflichtet, einen zu ihren Lasten wirkenden Fehler des Gerichts zu akzeptieren, nur um der Versicherung Kosten zu ersparen. Ist die Beschwerde begründet, stellt ihre Einlegung auch dann weder eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsvertrags noch einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, wenn hierdurch die von der Versicherung zu leistende Entschädigung höher wird. Dass die Beklagte von dem Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts nicht in Kenntnis gesetzt wurde, hat zu einem Nachteil nicht geführt, weil dieser Beschluss nach den vorstehenden Ausführungen zutreffend ist und nicht anders hätte ergehen dürfen.

Die Kosten der Berufung haben die Parteien in dem Verhältnis zu tragen, in dem sie an dem Streitgegenstand zweiter Instanz unterlegen sind (§§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO)

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück