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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 21.02.2002
Aktenzeichen: 3 U 99/01
Rechtsgebiete: AKB


Vorschriften:

AKB § 7 I Abs. 2 Satz 3
Wer nach einem Verkehrsunfall lediglich den (vergeblichen) Versuch macht, die Polizei per Handy zu verständigen und sodann nach 30 Minuten Wartezeit die Unfallstelle verlässt, verliert seinen Deckungsschutz in der Vollkaskoversicherung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 99/01

Verkündet am 21.02.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter... auf die mündliche Verhandlung vom 21.02.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 09.04.2001 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer des Klägers beträgt 7.413 Euro.

Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Zurecht hat das Landgericht entschieden, dass dem Kläger wegen des Unfalls vom 01.01.2000 auf der Fahrt von Wismar nach Frankfurt am Main eine Entschädigung aus der bei der Beklagten bestehenden Vollkaskoversicherung Nr. 1140.1520.1864-3 nicht zusteht.

Vorliegend geht es nicht um eine Kfz.-Haftpflichtversicherung, für die § 7 Abs. V Nr. 1 - 3 AKB gilt, sondern um eine Vollkaskoversicherung, auf die § 7 Abs. V Nr. 4 AKB Anwendung findet, welcher auf § 6 Abs. 3 VVG verweist. Danach ist vorliegend von einer Leistungsfreiheit der Beklagten auszugehen. Durch das Strafurteil des Landgerichts Limburg vom 09.11.2000 steht rechtskräftig fest, dass sich der Kläger nach § 142 Abs. 2 StGB strafbar gemacht hat, weil er, nachdem er sich vom Unfallort entfernt hat, die Feststellungen zum Unfall nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht hat; dazu hätte sich der Kläger gemäß § 142 Abs. 3 StGB unverzüglich beim Berechtigten oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle melden müssen, was unstreitig nicht geschehen ist. Vielmehr will der Kläger nach seiner eigenen Darstellung zunächst an der Unfallstelle erfolglos per Handy die Polizei zu erreichen versucht haben; er will dann per Anhalter nach Gießen in seine Wohnung gefahren sein, anschließend per Taxi nach Frankfurt am Main zu einem Diskobesuch, dann per Bahn nach Köln und anschließend per Taxi wieder zurück nach Gießen, wo er zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr von der Polizei aufgesucht worden ist. Mit diesem Verhalten hat der Kläger die Feststellungen zum Unfall nicht wenigstens unverzüglich nachträglich ermöglicht.

Die rechtskräftig festgestellte Verkehrsunfallflucht stellt sich in versicherungsrechtlicher Hinsicht als Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 7 1, Abs. 2 Satz 3 AKB dar. Nach ständiger höchst richterlicher Rechtssprechung, der der Senat folgt, stellt das bloße Verlassen der Unfallstelle durch den Versicherungsnehmer stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten in der Kaskoversicherung dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt wird; das gilt auch dann, wenn die Haftungslage eindeutig ist (vgl. BGH VersRecht 2000, 222; VersRecht 87, 657; OLG Nürnberg in OLG-Report Kompakt Dezemer 2000).

Der objektive und subjektive Verstoß gegen § 142 StGB ist vorliegend im Strafurteil rechtskräftig festgestellt. Mithin ist hier von einer Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Kläger auszugehen, da dieser nach Verlassen des Unfallorts - was möglicherweise noch zulässig war - die erforderlichen Feststellungen jedenfalls nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht hat. Dazu hätte es noch ausgereicht, wenn sich der Kläger am nachfolgenden frühen Morgen bei der Polizei oder dem Geschädigten gemeldet hätte (vgl. BGH Recht und Schaden 99,141). Aber auch dies hat der Kläger unterlassen. Er hat es nach eigener Darstellung bei einem oder mehreren Anruf-Versuchen belassen und sich auch anschließend nicht bei der Polizei gemeldet, auch nicht am frühen Morgen nach dem Unfall. Vielmehr ist er ohne eigenes Zutun von der Polizei gestellt worden. Steht bei einem Kaskofall die Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers fest, so wird vermutet, dass sie vorsätzlich geschehen ist; es ist dann Sache des Versicherungsnehmers, diese Vermutung zu widerlegen (vgl. BGH VersRecht 98, 577; OLK Köln Recht und Schaden 99, 231).

Diese Vermutung ist vom Kläger vorliegend nicht widerlegt worden. Die angeblichen Handy-Anrufversuche waren völlig unzureichend. Statt nach dem Unfall nachts nach Frankfurt in eine Disko und anschließend noch nach Köln zu fahren, hätte der Kläger nachts oder jedenfalls am frühen Morgen eine Polizeidienststelle in Gießen aufsuchen können und müssen. All dies hat der Kläger jedoch nicht getan. Mithin ist von einer vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Kläger auszugehen.

Geht man zugunsten des Klägers von einer Folgenlosigkeit der Pflichtverletzung aus, so sind die Anforderungen der sogenannten "Relevanztheorie" zu überprüfen; diese sind jedoch vorliegend ebenfalls zu bejahen.

Es liegt ein schweres Verschulden des Klägers vor. Der Kläger hat nämlich in besonders krasser Weise gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Unfall wenigstens nachträglich unverzüglich beim Berechtigten oder der Polizei anzuzeigen. Er hat sich auf einige Handy-Anruf-Versuche beschränkt und anschließend eine nächtliche Vergnügungsfahrt mit den Stationen Gießen, Frankfurt am Main und Köln unternommen. Die ihm dabei mehrfach gegebene Möglichkeit, den Unfall bei einer örtlichen Polizeidienststelle zu melden, hat er nicht wahrgenommen, was sein Verhalten deutlich von dem "Normalfall" einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung abhebt. Es wären daher sogar die Voraussetzungen eines besonders schwerwiegenden Verstoßes zu bejahen, die jedoch nur im Rahmen der Kfz.-Haftpflichtversicherung nach § 7 V, Abs. 2 Satz 2 AKB gegeben sein müssen (vgl. BGH NJW 82, 2323).

Sein Verhalten war auch generell geeignet, das Aufklärungsinteresse der beklagten Versicherung zu gefährden. Der Unfallverlauf so wie die sonstigen Umstände- die vorausgegangene Silvesterfeier und die erheblichen Vorstrafen des Klägers - legen die Vermutung nahe, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt infolge Alkoholisierung oder sonstiger Umstände, z. B. Drogeneinfluss, in seiner Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigt gewesen sein könnte. Hätte sich der Kläger noch in der Nacht oder jedenfalls am frühen Morgen bei der Polizei gemeldet, statt erst um 10.30 Uhr von dieser in seiner Wohnung angetroffen zu werden, so wären die Feststellungsmöglichkeiten der Beklagten erheblich günstiger gewesen. Die Aufklärungsmöglichkeiten der Beklagten sind insbesondere durch die nächtliche Vergnügungsfahrt nach Frankfurt am Main und Köln beeinträchtigt worden, weil sich der Kläger damit die Möglichkeit verschafft hat, eine eventuelle Fahruntauglichkeit zu verschleiern.

Nach alldem ist die Beklagte wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Kläger leistungsfrei geworden, so dass die Berufung zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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