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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 12.08.2002
Aktenzeichen: 3 VAs 11/02
Rechtsgebiete: IRG, EGGVG


Vorschriften:

IRG § 71
EGGVG § 23
EGGVG § 28
Werden die Belange der inländischen Rechtspflege durch die Vollstreckungspraxis des zu ersuchenden Staates im Einzelfall nicht gewahrt (vorzeitige Entlassung des Strafgefangenen), kann ein Ersuchen auf Überstellung ermessensfehlerfrei zurückgenommen werden (betr. Mazedonien).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 VAs 11/02

Verkündet am 12.08.2002

In der Strafvollstreckungssache

wegen: Mordes u.a.,

hier: Rücknahme der Anregung auf Überstellung zur Strafvollstreckung im Heimatland,

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom 30.05.2002 gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 20.03.2002 in der Gestalt des Bescheids der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 16.05.2002 am 12.8.2002 gemäss §§ 23 ff. EGGVG beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet auf Kosten des Antragstellers verworfen.

2. Der Gegenstandswert wird auf 1000 * festgesetzt.

Gründe:

Der Verurteilte ist mazedonischer Staatsangehöriger und verbüßt seit dem 25.09.1993 unter Anrechnung der seit dem 29.06.1990 erlittenen Untersuchungshaft von 1075 Tagen aufgrund des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 11.12.1992 (AZ.: 38 Js 71499/91-11 Ks) eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe wegen Mordes, versuchten Mordes, versuchten Totschlags und Verstoßes gegen das Waffengesetz. 15 Jahre werden am 14.11.05 verbüßt sein.

Im Anschluss ist eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten aufgrund des Urteils des Landgerichts Gießen vom 17.02.1998 (AZ.: 5 Ks 6 Js 20222.0/96) wegen gefährlicher Körperverletzung bis zum 24.04.2008 notiert. Nach deren Verbüßung soll sich die Fortsetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe anschließen.

Mit Schreiben vom 13.09.1998 beantragte der Verurteilte, zur Vollstreckung seiner Reststrafen nach Mazedonien überstellt zu werden.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt regte mit Bericht vom 02.08.2000 bei dem Hessische Ministerium der Justiz (H) an, ein Überstellungsersuchen an die mazedonische Regierung zu richten.

Am 23.08.2000 wurde das Ersuchen durch das H gestellt.

Daraufhin wandelte das Amtsgericht Skopje II (Mazedonien) mit Urteil vom 10.05.2001 (AZ.: KS.br. 272/2000) die in den deutschen Urteilen verhängten Strafen unter Anrechnung der bisher erlittenen Untersuchungs- und Strafhaft in eine Gesamtfreiheitsstrafe von 20 Jahren um.

Mit Schreiben vom 16.7.2001 stimmte das Justizministerium der Republik Mazedonien einer Überstellung des Verurteilten zu.

Auf erst danach erfolgte Anfrage des H sandte das Justizministerium der Republik Mazedonien diesem u.a. Auszüge der dort geltenden Straf- und Strafvollstreckungsvorschriften zu. Danach ist eine bedingte Entlassung gemäß Art. 34 I bereits nach Ablauf der Hälfte der Strafe im Regelfall möglich. Gemäß Art. 34 III in Ausnahmefallen sogar nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe.

Der davon in Kenntnis gesetzte Verurteilte bot mit Schreiben vom 01.12.2001 an, vor Ablauf des 24.04.2008 keinen Antrag auf vorzeitige Entlassung zu stellen. Dennoch regte die Staatsanwaltschaft Darmstadt das H mit Blick auf die ihr nunmehr bekannt gegebene mazedonische Vollstreckungspraxis sowie die Höhe der mit dem Urteil des Amtsgerichts Skopje II festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe durch Bericht vom 10.12.2001 an, das bereits an die mazedonischen Behörden gerichtete Ersuchen um Überstellung zurückzunehmen.

Dieser Anregung kam das H mit Schreiben vom 08.02.2002 nach.

Durch Bescheid vom 20.03.2002 setzte die Staatsanwaltschaft Darmstadt den Verurteilten unter Angabe der Gründe davon in Kenntnis.

Den als Beschwerde aufzufassenden Antrag des Verurteilten vom 26.4.20002 gegen diesen Bescheid hat die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 16.05.2002 verworfen.

Der hiergegen gerichtete form- und fristgerecht eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässig, insbesondere statthaft.

Das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) sieht in §§ 71 ff. vor, dass ein ausländischer Staat um die Vollstreckung eines inländischen Strafurteils ersucht werden kann. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn ein von einem deutschen Gericht verurteilter Ausländer nach dem am 01.02.1992 in Kraft getretenen Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ÜberstÜbk) den Wunsch äußert, in seinen Heimatstaat überstellt zu werden.

Die Praxis einer derartigen Überstellung ist in der Bundesrepublik zweistufig ausgestaltet. Das Bundesministerium der Justiz prüft als Bewilligungsbehörde nur die außen- und allgemeinpolitischen Aspekte und wird erst tätig, wenn zuvor die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die vollstreckungsrechtlichen Belange geprüft und eine Überstellung angeregt hat. Danach ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Interessen des Verurteilten an einer sozialen Wiedereingliederung und die Belange der Rechtspflege vollstreckungsrechtlich zu würdigen.

Im Gegensatz zur Entscheidung der Bewilligungsbehörde über das Ersuchen selbst, die für den Verurteilten als solche - jedenfalls nach §§ 23 ff. EGGVG - nicht justiziabel ist (vgl. BVerfG, NStZ 1998, 141; OLG Stuttgart, NStZ 1990, S.133; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 1998, Art.3 ÜberstÜbk, Rdn.2g) handelt es sich bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde um einen Rechtsakt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Außenwirkung i.S.d. § 23 Abs.1 EGGVG, so dass das Verfahren gem. §§ 23 ff. EGGVG - mangels anderer Rechtsbehelfe - eröffnet ist (vgl. hierzu die st. Rspr. des Senats, z.B. Beschluss v. 22.07.1998 - 3 VAs 26/98 sowie Beschluss v. 11.09.1998 - 3 VAs 33/98, in: NJW 1999, S.92 und mittlerweile überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur: BVerfG, NStZ 1998, 141; OLG Hamburg, StV 1999, 105 f.; Schomburg/Lagodny, a.a.O., Art.3 ÜberstÜbk, Rdn.2l; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 23 EGGVG, Rdn.16 m.w.N.). Gleiches gilt somit auch für die angegriffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Darmstadt über die Rücknahme der Anregung als actus contrarius zu deren vormals positiven Bescheidung.

Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid weist keine Ermessensfehler auf ( folgend 1. ). Die Vollstreckungsbehörde war an seinem Erlass auch durch Vertrauensgrundsätze nicht gehindert ( folgend 2. ).

1. Bei der von der Vollstreckungsbehörde getroffenen Entscheidung, von einer Fortsetzung des Vollstreckungshilfeverfahrens abzusehen und die ursprünglich an das H gerichtete Anregung auf Überstellung des Verurteilten in seinen Heimatstaat zurückzunehmen, handelt es sich ebenso um eine Ermessensentscheidung wie bei der zurückgenommenen positiven Entscheidung selbst. Sie kann daher vom Senat gemäss § 28 Abs.3 EGGVG nur darauf überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind, oder ob die Vollstreckungsbehörde in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Der Rücknahmebescheid der Vollstreckungsbehörde in der Gestalt, die er im Vorschaltverfahren erhalten hat, lässt Ermessensfehler indes nicht erkennen.

Bei der Ermessensentscheidung sind die Interessen des Verurteilten an der sozialen Wiedereingliederung in seinem Heimatland und das öffentliche Interesse der Strafrechtspflege gegeneinander abzuwägen (vgl. Senatsbeschluss v. 11.09.1998 - 3 VAs 33/98, in: NJW 1999, S.92 und überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur: BVerfG, NStZ 1998, 141; OLG Hamm, NStZ-RR 1996, S.63; Vogler/Wilkitzki, IRG-Kommentar, § 71 Rdn.3, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen Bd.1, 2 Aufl., 2002). Insofern führt § 71 Abs.1 Nr.2 IRG als Entscheidungskriterium sowohl das Interesse des Verurteilten als auch das öffentliche Interesse an. Das nach § 1 Abs.3 IRG vorrangige Überstellungsübereinkommen, dem auch Mazedonien mit Wirkung vom 01.11.1999 beigetreten ist (BGBl 2000 Teil II, S.785), lässt die Interessen der deutschen Strafrechtspflege nicht zurücktreten. Zwar wird in den zugehörigen Materialien die Resozialisierung des Verurteilten in den Vordergrund gestellt. Die Bundesregierung hat jedoch anlässlich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde die Erklärung abgegeben, dass das Abkommen in Übereinstimmung mit dessen Präambel (BGBl. 1991 II, S. 1007) auch den Interessen der Rechtspflege dienen soll und entsprechend die Entscheidung in jedem Einzelfall auf der Grundlage aller dem deutschen Strafrecht zugrunde liegenden Strafzwecke getroffen wird (BGBl 1992 II, S.98; Schomburg/ Lagodny, a.a.O., Vorbem. Überstübk, Rdn.5 und 15).

Diese zusätzliche Erklärung ist zwingend dadurch gerechtfertigt, dass die von deutschen Gerichten erlassenen Strafurteile nach allgemeinen Grundsätzen von deutschen Behörden zu vollstrecken sind. So lautet die Rechtsfolge, die sich aus dem Urteilsspruch ergibt und die Rechtsstellung des Verurteilten bestimmt. Demgemäss geben § 71 Abs.1 IRG und Art.2 Abs.2 ÜberstÜbk den deutschen Behörden zwar die Möglichkeit, ausländische Behörden um Vollstreckung einer gegen einen Ausländer verhängten Sanktion zu ersuchen, eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer derartigen Rechtshilfe oder einen Anspruch des Verurteilten auf Überstellung oder deren Anregung begründet das Gesetz indes nicht (vgl. Denkschrift der Bundesregierung, BT-Dr. 12/194 S.17 ff. sowie Erklärungen derselben zum ÜberstÜbk, BGBl 1992 II, S.98, beides in ihren wesentl. Auszügen jeweils abgedr. bei Schaumburg/Lagodny, a.a.O., Anh. C sowie bei den entspr. Artikeln, hier zu Art. 2 ÜberstÜbk, Rdn.1 und 4 sowie ÜberstÜbk, vor Art.1, Rdn.12 b und c). Gerade diese Ausgestaltung der Vollstreckungsübernahme als Form der zwischenstaatlichen Rechtshilfe bringt es mit sich, dass auch die Vollstreckung im ersuchten Staat maßgeblich der Verwirklichung des innerstaatlichen Strafanspruchs dient (vgl. schon BGH, NStZ 1986, S.77), was die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung angemessen zu berücksichtigen hat.

Die Vollstreckungsbehörde hat die Resozialisierungsbelange des Verurteilten in allen ihren relevanten Aspekten gewichtet und umfassend in ihre Abwägung eingestellt. In ihrer abschließenden vollstreckungsrechtlichen Gesamtwürdigung hat sie sinngemäß ausgeführt, dass das Wiedereingliederungsinteresse des Verurteilten und die übrigen, seinen Überstellungswunsch tragendenden Gründe wegen seiner besonders schweren persönlichen Schuld und seiner Neigung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bis auf weiteres hinter dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen inländischen Strafvollstreckung zurückzustehen habe. Diesen Vorrang hat sie im wesentlichen damit begründet, dass nach der Vollstreckungspraxis der Republik Mazedoniens, die u.a. in deren Art. 34 I StGB geregelt ist, Verurteilte, deren Vollzugsverhalten nicht zu beanstanden sei, regelmäßig bereits nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung entlassen würden. Angesichts dessen, dass der Verurteilte bereits jetzt mehr als die Hälfte der nach dem Urteil des Amtsgerichts Skopje II verhängten Freiheitsstrafe verbüßt habe, stehe daher zu erwarten, dass die Überstellung des Verurteilten in Mazedonien zu dessen sofortiger oder jedenfalls alsbaldiger Freilassung führe. Dies widerspreche den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Recht verfolgten Zwecken, insbesondere dem Interesse an einer nachhaltigen, gleichmäßigen Vollstreckung inländischer Strafen und führe darüber hinaus zu einer sachlich nicht gerechtfertigten erheblichen Benachteiligung anderer, vor allem deutscher Strafgefangener.

Diese Begründung des Abwägungsergebnisses hält der Überprüfung nach Maßgabe des § 28 Abs.3 EGGVG stand.

Ohne Wertungsfehler hat die Vollstreckungsbehörde eine nachhaltige Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus generalpräventiven Gründen deutlich über den Zeitpunkt der Hälfte hinaus für erforderlich gehalten, um den inländischen Strafzwecken und dem Gleichbehandlungsgesichtspunkt Genüge zu tun und diesen Gesichtspunkten Vorrang vor dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten eingeräumt. Da bei der Entscheidung über die Überstellung eines ausländischen Verurteilten neben dessen Grundrechtsposition ebenso das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu berücksichtigen ist, ist die Vollstreckungsbehörde auch gehalten, die nach deutschem Recht maßgeblichen Strafzwecke in die Abwägung einzustellen und darf dabei auch die Vollstreckungspraxis des Heimatlandes des Verurteilten einbeziehen (vgl. BVerfG, NJW 1997, 3014, 3015 und st. Rspr. des Senats: Beschluss v. 22.07.1998 - 3 VAs 26/98 sowie Beschluss v. 11.09.1998 - 3 VAs 33/98, NJW 1999, S.92). Sie kann deshalb berücksichtigen, ob die maßgeblich von den Strafzwecken geprägten Belange der inländischen Rechtspflege durch die Vollstreckungspraxis des zu ersuchenden Staates gewahrt bzw. - wie hier durch Mazedonien - zumindest teilweise vereitelt werden. Insofern zielt das Überstellungsübereinkommen, indem es den Resozialisierungsgedanken in den Vordergrund rückt, zwar darauf ab, durch eine Überstellung eines Gefangenen in sein Heimatland dessen, durch Kommunikationsschwierigkeiten wegen Sprachbarrieren, Entfremdung von der heimatlichen Kultur und fehlender Kontakte zu Familienangehörigen behinderte Resozialisierung im weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe zu beseitigen. Die Anwendung des Übereinkommens darf indes nicht dazu führen, dass einem im Inland Verurteilten ausländischen Gefangenen durch die Überstellung über sein Wiedereingliederungsinteresse hinausgehende Vorteile zukommen, die ihm nach inländischer Rechtspraxis verwehrt wären, nämlich die im vorliegenden Fall eine den inländischen Strafzwecken zuwiderlaufende und den Verurteilten zudem gegenüber anderen Strafgefangenen bevorzugende vorzeitige Entlassung in die Freiheit (vgl. Senatsbeschluss v. 11.09.1998 - 3 VAs 33/98, NJW 1999, S.92).

Es ist demgemäss nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Vollstreckungsbehörde diesen Erwägungen den Vorrang vor den persönlichen Belangen des Verurteilten beigemessen hat, deren Beeinträchtigung zudem in erster Linie die selbstverschuldete Folge seiner schwerwiegenden Straftaten ist.

Der Einwand des Verurteilten, hierdurch aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen gegenüber anderen, ohne weiteres in ihr Heimatland überstellten, vor allem europäischen Strafgefangenen benachteiligt zu werden, verfängt nicht. Die Möglichkeit einer Überstellung eines Verurteilten ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung seiner individuellen Persönlichkeit, seines Vollstreckungsverhaltens, des Gewichtes der abgeurteilten Tat und der Vollstreckungspraxis des jeweiligen Heimatstaates neu zu beurteilen. Mithin handelt es sich ausschließlich um Einzelfallentscheidungen, die per se nicht miteinander vergleichbar sind, so dass bereits aus diesem Grunde eine Verletzung des Gleichheitssatzes ausscheidet. Sachfremde Erwägungen der Vollstreckungsbehörde liegen nicht vor. Insbesondere hat sie ihre Entscheidung nicht etwa schlicht von der Nationalität des Verurteilten abhängig gemacht. Dass ihm diese angesichts der Vollstreckungspraxis seines Heimatstaates zum Nachteil gereicht, erwächst dessen eigentümlicher Rechtsordnung und nicht etwa einer willkürlichen Betrachtung der Vollstreckungsbehörde.

Entgegen der Ansicht des Verurteilten hat sich die Vollstreckungsbehörde auch nicht von falschen Vorstellungen über die in Mazedonien real zu erwartenden Restverbüßungszeit leiten lassen. Sowohl Art. 34 I als auch Art 38 VI StGB der Republik Mazedonien sehen eine Strafaussetzung zur Bewährung ( bedingte Entlassung") im Falle beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens des Verurteilten bereits nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe vor. Dabei ist davon auszugehen, dass dies nach der Vollzugspraxis Mazedoniens auch der Regelfall ist, da die bedingte Entlassung im übrigen an keine besonderen Umstände geknüpft und gemäss Art. 34 III sowie Art.38 VI des StGB der Republik Mazedonien in Ausnahmefällen sogar eine Strafaussetzung nach Verbüßung eines Drittels der Strafe vorgesehen ist. Da nur im letzten Fall auf den Ausnahmefall abgestellt ist, muss die Halbstrafenaussetzung die Regel sein.

Soweit der Verurteilte einwendet, die Prognose, dass im Falle seiner Überstellung seine unmittelbare Entlassung drohe, gehe fehl, da Mazedonien sowohl die deutschen Urteile als auch die entsprechenden Vorgaben zum zeitlichen Ablauf der Vollstreckung durch Urteil des Amtsgerichts Skopje II vollständig anerkannt habe, trifft dies so und vor allem im letztgenannten Umfang nicht zu.

Zwar greift das Urteil des Amtsgerichts Skopje II die Vorgaben der Vollstreckungsbehörde zum zeitlichen Ablauf der Vollstreckung in der Bundesrepublik auf, indem es dort auf Seite 6 f. sinngemäß heißt, der Verurteilte habe die lebenslängliche Freiheitsstrafe vollständig zu verbüßen, wobei nach Ablauf von 15 Jahren, mithin am 14.11.2005, eine Unterbrechung angezeigt sei, um zunächst ab dem darauf folgenden Tag 2/3 der durch Urteil des Amtsgerichts ( richtig Landgerichts ) Gießen verhängten Freiheitsstrafe bis zum 24.04.2008 zu vollstrecken.

Eine rechtsverbindliche Anerkennungserklärung ergibt sich indes hieraus und aus dem Urteil auch im übrigen nicht. In diesem, von dem Verurteilten herangezogenen, offensichtlich missverstandenen Passus wird - wie sich aus dem Kontext des Urteils eindeutig ergibt- im Rahmen einer ausführlichen Schilderung des bisherigen Verlaufs des Verfahrens vielmehr lediglich wiedergegeben, was die Vollstreckungsbehörde in ihrem gemäss Nr.105 Abs.2 und 3 der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) an die oberste Justizbehörde abzuliefernde und dem gemäss Art.6 Abs.2b ÜberstÜbk dem Ersuchen beizufügenden Bericht der mazedonischen Regierung über den bisherigen Stand und den vorgesehenen weiteren Ablauf der Vollstreckung in Deutschland mitgeteilt hat.

Das Amtsgericht Skopje II hat im Rahmen des von mazedonischer Seite bevorzugten und durchgeführten Umwandlungsverfahren entsprechend Art.9 Abs.1b i.V.m. Art.11 ÜberstÜbk nur den Schuldspruch der deutschen Urteile sowie die dort festgesetzte Art der Sanktion anerkannt. Davon bleiben spätere Entscheidungen über bedingte Entlassungen unberührt. Denn gemäss Art.8 Abs.1 ÜberstÜbk wird die Vollstreckung im Urteilsstaat, hier der Bundesrepublik, durch die Übernahme des Verurteilten durch die Behörden des Vollstreckungsstaates außer Vollzug gesetzt. Die Vollstreckung richtet sich gemäss Art.9 Abs.3 ÜberstÜbk fortan nach dem Recht des Vollstreckungsstaates, hier Mazedonien, der danach nunmehr allein für alle diesbezüglichen Entscheidungen, insbesondere jene über bedingte Entlassungen zuständig ist, so dass die Bundesrepublik die Herrschaftsgewalt über die weitere Vollstreckung mit Ausnahme der nach Art. 12 bis 14 ÜberstÜbk eingeräumten Rechte vollständig verliert. Im Hinblick darauf, dass das Ersuchen vorliegend auch an keine Bedingung geknüpft war, ist Mazedonien als Vollstreckungsstaat an die von den Vollstreckungsbehörden der Bundesrepublik festgesetzte Vollzugsdauer und auch im übrigen an deren Vollstreckungspraxis also nicht gebunden. Demgemäss wäre im Falle der Überstellung des Verurteilten in seinen Heimatstaat die gebotene nachhaltige Vollstreckung und damit die Wahrung der Belange der deutschen Strafrechtspflege nicht gewährleistet.

Daran ändert auch das von dem Verurteilten mit Schreiben vom 01.12.2001 unterbreitete Angebot, im Falle seiner Überstellung nach Mazedonien vor dem 24.04.2008 keinen Antrag auf Strafaussetzung zu stellen, nichts. Es dokumentiert zwar den dringenden Wunsch des Verurteilten auf seine Überstellung, rechtliche Bindungswirkung entfaltet es jedoch nicht. Denn zum einen ist nicht bekannt, und es lässt sich auch den von Mazedonien zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht entnehmen, ob die Strafaussetzung auch nach mazedonischem Recht überhaupt von einem Antrag oder der Zustimmung des Verurteilten abhängig oder nicht vielmehr von Amts wegen zu erfolgen hat. Vor allem aber läge die Vollstreckungsgewalt nach erfolgter Überstellung - wie bereits dargelegt - gemäss Art.8 Abs.1 und 9 Abs.3 ÜberstÜbk in der Hand Mazedoniens, das an eine gegenüber der Bundesrepublik abgegebene Zusicherung des Verurteilten nicht gebunden ist, während es sich der Kontrolle der deutschen Vollstreckungsbehörde entzieht, ob der Verurteilte seiner Zusicherung auch tatsächlich nachkommen wird. Im übrigen ermöglicht das deutsche Recht auch den jederzeitigen Widerruf einer derartigen Verzichtserklärung (vgl. schon OLG Koblenz, GA 1977, S.374), so dass insgesamt auch nicht gewährleistet ist, dass eine bedingte Entlassung durch den Verurteilten selbst unterbunden wird. Nach alledem kann die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs eine nachhaltige Vollstreckung im Falle einer Überstellung des Verurteilten nach Mazedonien nicht als hinreichend gesichert gelten.

Die durch das Übereinkommen bezweckte Wiedereingliederung des Verurteilten setzt aber - wie sich nicht zuletzt auch aus Art.3 Abs.1 Ziff. c) ÜberstÜbk ergibt - voraus, dass eine nachhaltige Vollstreckung und damit auch eine hierdurch bedingte Resozialisierung im Heimatstaat überhaupt noch zu besorgen ist. Dies entfällt aber, wenn der Verurteilte sofort oder schon bald nach erfolgter Überstellung - wenn auch nur bedingt - aus dem Vollzug entlassen wird.

Dies steht auch dem Resozialisierungszweck selbst im Wege, fände dann eine Resozialisierung im Strafvollzug nicht mehr statt. Nur darauf aber - und nicht etwa auf Resozialisierung in Freiheit - hat der Verurteilte einen Anspruch. Vor diesem Hintergrund käme eine Überstellung des Verurteilten letztlich auch einer schlichten Abschiebung gleich, was der Zielsetzung des Überstellungsübereinkommens zuwiderliefe. 2. Der angefochtene Bescheid stellt der Sache nach eine Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar. Die Voraussetzungen, die an eine solche Maßnahme zu stellen sind, sind aber ebenfalls gegeben.

Die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsverfahrens, insbesondere jene der §§ 48 ff. VwVfG sind, wenn auch aufgrund der rechtlichen Einordnung der Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde als Justizverwaltungsakt gemäss § 2 Abs.3 Ziff.1 VwVfG nicht direkt, so aber doch hier - mangels anderweitiger Regelung und wegen der besonderen Sachnähe - zumindest rechtsgedanklich heranzuziehen (vgl. Kopp, VwVfG, 7. Aufl. 2000, § 2, Rdnr.37und § 48, Rdnr. 10). Der Rücknahmebescheid der Vollstreckungsbehörde erweist sich nach dieser Maßgabe als rechtsfehlerfrei.

Heranzuziehen ist insoweit allenfalls der Rechtsgedanke des § 48 VwVfG, da sich die vormals positive Bescheidung des Überstellungswunsches des Verurteilten als rechtswidrig erweist.

Angesichts der vorgenannten Gründe ist die Berücksichtigung der real zu erwartenden Restverbüßungszeit und damit auch der Halbstrafenpraxis in den Abwägungsvorgang der Vollstreckungsbehörde nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Insoweit ist eine Abwägung, die nicht in Betracht zieht, dass im Vollstreckungsstaat schon nach der Hälfte der im Urteil festgesetzten Strafdauer die bedingte Entlassung vorgesehen ist, ermessensfehlerhaft. Dies gilt um so mehr, als das Überstellungsübereinkommen auch keine Möglichkeit vorsieht, die Vollstreckung im Falle vorzeitiger Entlassung des Verurteilten im Urteilsstaat wieder aufzunehmen. Insoweit lag auch hier ein Ermessensfehlgebrauch der Vollstreckungsbehörde vor, da sie bei ihrer Entscheidung über die Anregung der Überstellung vorgenannte und damit solche Gesichtspunkte außer acht gelassen hat, auf die es nach der Wertung der Rechtsordnung ankommt. Sie hat es bei ihrer früheren Entscheidung versäumt, die in Mazedonien zu erwartende Restverbüßungszeit in Bedacht zu nehmen. Sie hat sich insbesondere nicht über die dortige Halbstrafenpraxis sowie über das von Mazedonien bevorzugte Verfahren zur Durchführung der Überstellung (Umwandlungs- oder Weitervollstreckungsverfahren) unterrichtet, obwohl die Möglichkeit der Unterrichtung gemäss Art.6 ÜberstÜbk sogar gesetzlich eröffnet ist. Zwar ist der Vollstreckungsbehörde zuzugeben, dass auch im Falle einer Einholung einer auf den Einzelfall bezogenen Erklärung Mazedoniens das für die weitere Vollstreckung ebenso bedeutsame Ergebnis des Umwandlungsverfahrens letztlich bis zu dessen tatsächlichem Abschluss zunächst ungewiss geblieben wäre. Indes hätte bereits die Kenntnis der Halbstrafenpraxis eine negative Beurteilung der Sachlage nahegelegt.

Nach alledem erweist sich aber die frühere Entscheidung der Vollstreckungsbehörde als rechtswidrig. Mithin sind nach dem Rechtsgedanken des § 48 VwVfG an deren nachträgliche Aufhebung keine zusätzlichen, über eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hinausgehenden Anforderungen gestellt.

Insofern streitet für den Verurteilten vielmehr einzig der allgemeine Vertrauensgrundsatz. Für dessen Überwiegen ist indes nichts ersichtlich. Dass die Rechtswidrigkeit der früheren Entscheidung der Vollstreckungsbehörde maßgeblich eine Folge unzulänglicher Ermittlungen ist, lässt sich für einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Verurteilten angesichts der tragenden Gründe der Rücknahme noch nicht fruchtbar machen, zumal aus der Anregung der Vollstreckungsbehörde für diesen auch noch keine unabänderlichen Folgen erwachsen sind.

Das Interesse des Verurteilten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes hat vielmehr gegenüber dem Interesse an einer nachhaltigen und gleichmäßigen Vollstreckung inländischer Strafe zurückzutreten. Dem Strafanspruch des Staates, dessen unbedingte Durchsetzung den Verfolgungsorganen und Gerichten als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips von Verfassungs wegen obliegt ( siehe auch BVerfGE 51, 324, 343; 80, 367,375; 77, 65,76; Senatsbeschluss vom 24.4.1992 ­ 3 VAs 11/92, StV 1993, 292,294 ), ist jedenfalls dann das Übergewicht beizumessen, wenn ­ wie hier ­ der rechtswidrige Verwaltungsakt eine Besserstellung des Verurteilten zur Folge hätte. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand des ihn begünstigenden Verwaltungsaktes kann es unter diesen Umständen nicht geben. Des weiteren steht einem Vertrauenstatbestand auch der Umstand entgegen, dass die von der Vollstreckungsbehörde ausgegangene Anregung zur Überstellung aufgrund ihres vornehmlich vorbereitenden Charakters schon von vornherein nur eine sehr eingeschränkte Bindungswirkung entfalten kann, die sich gerade vorliegend auch nicht als geeignet erweist, ein Vertrauen in den Bestand der Anregung zu begründen. Die Anregung wird letztlich maßgeblich von der Erklärung getragen, dass einer Überstellung des Verurteilten vollstreckungsrechtliche Belange nicht entgegenstehen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Wertung, der - wie vorliegend geschehen- durch Erlangung neuer Erkenntnisse oder Veränderungen der Sachlage jederzeit der Boden entzogen werden kann, zumal sich der Informationsfluss zwischen den Vertragsstaaten selbst im Falle größtmöglicher Bemühungen zum Teil als schwierig gestalten kann. Vor allem aber bleibt auch nach erfolgter Anregung der Überstellung immer noch die theoretische Ungewissheit, ob es auch zur Erfüllung der übrigen Voraussetzungen der Überstellung, etwa zu der nach Art.3 Abs.1 f ÜberstÜbk letztlich maßgeblichen Einigung zwischen den Vertragsstaaten kommt. Ebenso ungewiss bleibt auch das tatsächliche Ergebnis eines Umwandlungsverfahrens, dessen Durchführung durch den Vollstreckungsstaat naturgemäß erst nach dem Ersuchen zu besorgen ist. Kommt es hier etwa zu einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot (Art.11 Abs.1d ÜberstÜbk) oder anderen, der Rechtspflege zuwiderlaufenden Ergebnissen, muss der Vollstreckungsbehörde nicht zuletzt auch im Interesse des Verurteilten mindestens bis zum Zeitpunkt der Überstellung die Möglichkeit verbleiben, darauf angemessen, ggf. auch durch Rücknahme bzw. Widerruf der Anregung zu reagieren.

Aus diesen Gründen, insbesondere aus dem letztgenannten, kann für den Verurteilten auch weder aus der bereits gestellten Ersuchen noch der Tatsache, dass bereits ein Umwandlungsverfahren stattgefunden hat, eine Rechtsposition erwachsen, aufgrund derer er auf den Bestand der positiven Bescheidung vertrauen durfte. Diese Umstände stehen einer Rücknahme der Anregung ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass Mazedonien der Überstellung des Verurteilten bereits zugestimmt hat. So heißt es in Nr.113 Abs.1 RiVASt nur, dass die Vollstreckungsbehörde nach Bewilligung der Vollstreckungshilfe durch den ausländischen Staat gegebenenfalls" veranlasst, dass der Verurteilte an diesen überstellt wird, woraus deutlich wird, dass diese Folge auch nach erfolgter Einigung der Vertragsstaaten nicht zwingend ist . Die erfolgte Einigung zwischen den Vertragsstaaten kann auch schon deshalb nicht zum Vollzug der Überstellung zwingen, da sie gemäss Art. 3 Abs.1 f ÜberstÜbk nur Voraussetzung einer Überstellung ist, während eine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Leistung und Inanspruchnahme der Vollstreckungshilfe - wie bereits dargelegt - nicht begründet ist. Gegenteiliges ist dem Überstellungsübereinkommen sowie dem insofern subsidiären IRG nicht zu entnehmen.

Soweit im Rahmen des Umwandlungsverfahrens seitens Mazedoniens bereits eine rechtskräftige Entscheidung getroffen worden ist, steht auch dies einer Rücknahme nicht im Wege, insbesondere ist dadurch nicht etwa der ne bis in dem Grundsatz (Doppelbestrafungsverbot) verletzt, denn zum einen verbleibt die Straf- und Vollstreckungsgewalt bis zum Zeitpunkt der Überstellung beim Urteilsstaat, mithin der Bundesrepublik. Des weiteren ist das seitens Mazedoniens durchgeführte Umwandlungsverfahren aufgrund der Ausgestaltung der Vollstreckungsübernahme als Form der zwischenstaatlichen Rechtshilfe kein vollständiges Strafverfahren mit lückenloser Beweisaufnahmewürdigung und Strafzumessung, sondern lediglich ein Verfahren eigener Art zur Unterstützung und Vollstreckung eines bereits abgeschlossenen ausländischen Erkenntnisverfahrens, hat insofern also keine eigenständige Bedeutung, insbesondere ist damit kein zweites selbständiges Erkenntnis geschaffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 Abs.1 und 2 EGGVG, § 130 KostO.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 Abs.3 EGGVG, § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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