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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: 3 VAs 16/09
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 35
1. Eine Betäubungsmittelsucht - wobei eine seelische Abhängigkeit ausreicht - muss nicht nur zum Zeitpunkt der abgeurteilten Taten vorliegen und diesen zu Grunde liegen, sondern auch (noch) bei Bewilligung der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe gegeben sein.

2. Zur Frage der erforderlichen Sachverhaltsermittlung bei der Beurteilung der Frage des Fortbestehens einer psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit.


Gründe:

Der Antragsteller wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Marburg vom 13.02.2007 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in 14 Fällen, davon einmal im Versuch, sowie wegen eines weiteren Diebstahls und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Im Urteil ist festgestellt, dass der Verurteilte seit seinem 16. Lebensjahr drogenabhängig ist, das Vollbild der Polytoxikomanie aufweist und die abgeurteilten Taten auf seinem Beschaffungsbedarf von circa 5 g Heroin täglich beruhten. Er befindet sich in Strafhaft in der JVA ..., 2/3 der Strafe waren am 01.09.2009 verbüßt. Strafende in dieser Sache ist auf den 12.12.2010 notiert.

Der Verurteilte beantragte, die Vollstreckung der - weniger als zwei Jahre betragenden - Reststrafe zurückzustellen. Das Amtsgericht erteilte mit Beschluss vom 04.11.2008 hierzu seine Zustimmung. Die externe Drogenberatung teilte mit Schreiben vom 21.11.2008 mit, die abgegebenen Urinkontrollen seien seit dem Jahre 2007 auf Drogenmissbrauch negativ. Aufgrund der langjährigen Abhängigkeit des Verurteilten bestehe ein erhebliches Rückfallrisiko, wenn er ohne therapeutische Unterstützung in sein altes Umfeld zurückkehre. Nach den ärztlichen Befundberichten des medizinischen Dienstes, die zur Erreichung der Kostenübernahmeerklärung des Sozialversicherungsträgers erstellt worden seien, liege eine Polytoxikomanie vor und seien die Indikationskriterien für eine stationäre Entwöhnungsbehandlung erfüllt. Am 23.1. 2009 teilte der Anstaltsarzt auf Nachfrage der Vollstreckungsbehörden mit, der Verurteilte sei letztmalig am 03.12.2006 auf THC positiv getestet worden, eine aktuelle Suchtproblematik bestehe nicht.

Die Staatsanwaltschaft Marburg lehnte es mit Verfügung vom 19.03.2009 (erneut) ab, die Vollstreckung der zurückzustellen. Die hiergegen eingelegte Vorschaltbeschwerde verwarf die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht mit Bescheid vom 15.04.2009. Die Vollstreckungsbehörden haben ihre Ablehnung im Wesentlichen darauf gestützt, es fehle an einer aktuellen Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten, wie sich aus der Auskunft des Anstaltsarztes ergebe.

Dass gemäß der Stellungnahme vom 23.11.2008 von einem erheblichen Rückfallrisiko bei Rückkehr des Antragsteller in sein altes Umfeld ohne therapeutische Unterstützung auszugehen sei, ändere daran nichts. § 35 BtMG diene nicht der präventiven Verhinderung einer künftigen Suchtmittelabhängigkeit.

Hiergegen richtet sich der fristgerecht eingegangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem geltend gemacht wird, die Vollstreckungsbehörden würden den Begriff der aktuellen Suchtproblematik verkennen. Beim Verurteilten bestehe nach wie vor eine psychische Abhängigkeit. Ein Rückfall in die körperliche Abhängigkeit sei lediglich durch das beschützende Setting des geschlossenen Vollzugs verhindert worden. Hiervon gehe auch die Justizvollzugsanstalt aus, wie der Einweisungsbescheid der JVA ..., die Vollzugsplanfortschreibung vom 04.11.2008 und der Bescheid vom 19.02.2009 betreffend die Ablehnung der Gewährung von Ausgang belegen würden.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, namentlich ist er entgegen der Auffassung der Generalsstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 27.04.2009 die Rechtsverletzung ausreichend i.S. des § 24 EGGVG substantiiert. Namentlich konnte sich der Verurteilte zur Darlegung seiner aktuellen Suchtmittelabhängigkeit auf die Wiedergabe der diesbezüglichen Stellungnahmen der Drogenberatung und des medizinischen Dienstes beschränken.

Der Antrag hat in der Sache auch einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Bei der von der Vollstreckungsbehörde getroffenen Entscheidung, von einer Zurückstellung der Strafe nach § 35 BtMG abzusehen, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die vom Senat gem. § 28 EGGVG nur daraufhin überprüft werden kann, ob die Behörde von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind, oder ob die Vollstreckungsbehörde in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ein derartiger Ermessensfehler liegt hier vor.

Die Vollstreckungsbehörde ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass eine Betäubungsmittelabhängigkeit nicht nur - wie hier unzweifelhaft der Fall - zum Zeitpunkt der Taten, sondern auch bei der Bewilligung der Zurückstellung der Vollstreckung gegeben sein muss. Denn wenn der Täter im Zeitpunkt der Antragstellung seine Abhängigkeit bereits überwunden hat und der deswegen keine Therapie mehr bedarf, ist für die Zurückstellung zum Zwecke der Durchführung der Therapie aus der Natur der Sache kein Raum mehr (vgl. Weber, BtMG, 2. Aufl. § 35 Rn 31; Katholnigg, NStZ 1981, 417 [418]). Auch dienen die §§ 35 ff. BtMG nur der Überwindung einer noch bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit und nicht etwa der präventiven Verhinderung der Entwicklung einer (neuerlichen) Sucht (Körner, BtMG, 6. Aufl. § 35 Rn 48).

Die Verneinung einer Betäubungsmittelabhängigkeit zum derzeitigen Zeitpunkt beruht indes auf einem nicht ausreichend ermittelten Sachverhalt. Nicht notwendig ist, dass seelische und körperliche Abhängigkeit gleichzeitig vorliegen; psychische Abhängigkeit allein genügt (OLG Stuttgart MDR 1989, 85 = NStE Nr. 6 zu § 35 BtMG; Körner, § 35 Rn 50; Weber, § 35 Rn 24). Das Vorliegen einer körperlichen Abhängigkeit hat die Vollstreckungsbehörde mit Blick auf den langen Zeitraum, in dem beim Verurteilten kein Drogemissbrauch mehr festgestellt werden konnte (letzte positive Urinkontrolle am 03.12.2006) zwar rechtsfehlerfrei verneint. Für das Fortbestehen seelischer Abhängigkeit, die insbesondere bei langjähriger Drogeneinnahme trotz körperlichem Entzug, aber ohne therapeutische Aufarbeitung ohnehin naheliegt (vgl. Körner, § 35 Rn 50), sprechen hier zusätzlich der Bericht der Drogenberatung vom 23.11.2008 und der Umstand, dass der medizinische Dienst der Anstalt die Durchführung einer Entwöhnungsbehandlung, d.h. die Therapie einer (noch) bestehenden (psychischen) Sucht (und nicht etwa einer prophylaktischen Maßnahme) befürwortet und der der Sozialversicherungsträger eine derartige Maßnahme genehmigt hat. Mit Blick darauf ist die lapidare Auskunft des Anstaltsarztes vom 23.01.2009, eine aktuelle Suchtproblematik bestehe mit Blick auf das letztmals am 3.12.2006 positive Ergebnis der Urinkontrollen keine ausreichende Tatsachenbasis, das Vorliegen psychischer Abhängigkeit zu verneinen. Zum einen kann sich die Auskunft ihrem Wortlaut nach auch lediglich auf die Frage körperlicher Abhängigkeit beziehen. Zum anderen schließt selbst das erfolgreiche Durchlaufen eines Therapieprogramms das Fortbestehen der seelischen Abhängigkeit nicht aus (Körner aaO). Erst Recht gilt dies für - eine Entwöhnungsbehandlung lediglich vorbereitende Gespräche mit dem Drogenberater.

Nur solche hat der Verurteilte seit seinem letzten massiven Rückfall in die Sucht, Begehung der Straftaten und anschließender Inhaftierung aber geführt. Ohne nähere Erläuterung der anstaltsärztlichen Auskunft, ob und aus welchen Gründen trotz fehlender therapeutischer Aufarbeitung der Suchtproblematik eine psychische Abhängigkeit nicht (mehr) vorliege, durfte deshalb die Zurückstellung nicht abgelehnt werden. Dies gilt umso mehr, als Verantwortliche in der JVA, die den Verurteilten aus der täglichen Arbeit mit ihm kennen - wie Einweisungsbescheid und Vollzugsplanfortschreibung und auch der Bescheid vom 19.2.2009 ausweisen - von einem Fortbestehen der Suchtproblematik ausgehen. Gegebenenfalls wird zusätzlich ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

Nach alledem haben die Vollzugbehörden, dadurch dass sie auf die Erkenntnisse der Anstalt und ihrer Fachdienste zur Frage des Vorliegens psychischer Abhängigkeit nicht zurückgegriffen, sie jedenfalls in ihrer Entscheidung nicht ausreichend verwertet, sondern sich auf eine nicht eindeutige, zumindest nicht zureichend begründete Auskunft des Anstaltsarztes gestützt haben haben, ihre Ermessensentscheidung nicht auf eine ausreichende Tatsachengrundlage gestützt und damit ermessensfehlerhaft gehandelt.

Deshalb waren ihre Bescheide aufzuheben und die Vollstreckungsbehörde zu verpflichten, die Antragstellerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung der Senats zu bescheiden (§ 28 II 2 EGGVG). Eine Nachholung der nötigen Ermittlungen durch den Senat schied demgegenüber schon deswegen aus, weil darin ein unzulässiger Eingriff in das den Vollstreckungsbehörden zustehende (Beurteilungs-) Ermessen liegen würde (vgl. BGHSt 30, 320; s. auch Senat, NStZ-RR 1998, 91, 92).

Der Antragsteller wird die Kosten- und Therapieplatzzusagen aktualisieren müssen. § 35 VI Nr. 2 BtMG dürfte der Zurückstellung bei Bejahung des Fortbestehens der seelischen Sucht nicht entgegen stehen, weil in der Anschlussvollstreckungssache die Zurückstellung mit gleichgelagerter Begründung wie im vorliegenden Verfahren versagt wurde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 II EGGVG, die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 III EGGVG i.V. mit § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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