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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: 3 VAs 46/07
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 71 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Am 09.05.1996 wurde der Antragsteller durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 5/17 KLs 70 Js 34267.0/95) wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom 15.06.1998 setzte das Landgericht Frankfurt den Rest dieser Strafe ab dem 08.07.1998 zur Bewährung aus. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Strafrest noch 488 Tage. Die Bewährung für diese verbleibende Reststrafe widerrief das Landgericht Frankfurt am Main durch Beschluss vom 04.05.1999 auf der Grundlage von § 56 f I Nr. 2 StGB.

Am 06.03.2001 wurde der Antragsteller sodann vom "Tribunale di Bolzano" in Italien wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren verurteilt. Diese Freiheitsstrafe verbüßt der Antragsteller zurzeit noch in der JVA ... in Italien.

Auf Anregung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ersuchte das Hessische Ministerium der Justiz mit Schreiben vom 27.11.2000 das italienische Justizministerium um die Auslieferung des Antragstellers zur Vollstreckung der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe von 488 Tagen. Das italienische Justizministerium beantwortete dieses Ersuchen mit Schreiben vom 16.08.2001. Hierin wurde die Auslieferung des Antragstellers der Bundesrepublik Deutschland - so wörtlich - "gewährt". Im gleichen Schreiben wurde die Überstellung zur Auslieferung jedoch so lange ausgesetzt, bis "der italienischen Justiz Genüge getan sein wird." Auf Nachfrage gab das italienische Justizministerium an, dass hiermit Bezug auf die Verbüßung der Strafe aus dem Urteil des "Tribunale di Bolzano" genommen werde, die am 08.10.2016 verbüßt sein wird.

Am 21.05.2007 beantragte der Rechtsbeistand des Antragstellers gem. § 71 II 2 IRG, die italienischen Behörden auch um die Übernahme der (Rest-)Strafvollstreckung von 488 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main aus dem Jahre 1996 zu ersuchen. Begründet wurde dieses Anliegen mit familiären und sozialen Bindungen des Antragstellers, die mittlerweile nur noch in Italien und nicht mehr in Deutschland bestünden. Diesen Antrag lehnte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main mit Schreiben vom 25.07.2007 ab. Die Staatsanwaltschaft begründete die Ablehnung mit der Tatbestandsvoraussetzung des § 71 II 2 Nr. 2 IRG, die deshalb nicht vorliegen könne, weil das italienische Justizministerium die Auslieferung des Antragstellers bereits bewilligt habe. Eine gegen diesen Bescheid gerichtete Vorschaltbeschwerde verwarf die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main durch Bescheid vom 14.08.2007.

Hiergegen richtet sich der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG.

II.

Der Antrag ist gem. §§ 23 ff. EGGVG zulässig.

Insbesondere liegen auch die Voraussetzungen des § 24 I EGGVG vor, weil der Antragsteller geltend macht, durch eine Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

Gem. § 24 I EGGVG obliegt einem Antragssteller die Darlegungslast dafür, dass er durch einen erlassenen oder unterlassenen Justizverwaltungsakt in seinen Rechten verletzt ist (sog. Antragsbefugnis). Er muss einen Sachverhalt dartun, aus dem sich im Wege einer Schlüssigkeitsprüfung eine Rechtsverletzung wenigstens ergeben kann (OLG Karlsruhe NStZ 1991, 50; KK StPO - Kissel, 5. Auflage 2003, § 24 EGGVG, Rn. 1). Diesen Grundsätzen folgend ist ein Antrag also immer dann unzulässig, wenn das vom Antragsteller in Anspruch genommene Recht entweder nicht besteht oder ihm überhaupt nicht zustehen kann (OLG Karlsruhe, aaO.).

Dies ist hier nicht der Fall.

Der Antragsteller macht eine ihm zustehende Rechtsposition geltend, die aus den Ermessenerwägungen des § 71 II IRG resultiert. Insoweit ist anerkannt, dass im Rahmen der dem § 71 IRG zu Grunde liegenden Ermessenserwägungen nicht nur das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu berücksichtigen ist, sondern gerade auch die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen einer verurteilten Person (grundlegend hierzu: BVerfGE 96, 100, 114 ff.). Bei der für den Antragsteller maßgeblichen Rechtsposition handelt es sich - der Rechtsprechung des BVerfG folgend - um den Anspruch eines zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Menschen auf Resozialisierung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG). Aus dieser verfassungsrechtlich verankerten Rechtsposition erwächst bei Ermessensentscheidungen im Strafvollzug jedem Verurteilten - und mithin auch dem Antragsteller - ein Anspruch darauf, dass staatliche Behörden ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben (BVerfGE 96, 100, 115). Dieser Anspruch ist wegen der Rechtsschutzgarantie des § 19 IV GG auch justiziabel (BVerfGE, aaO., 119).

Weil auf Ebene der Zulässigkeit des Antrages bei summarischer Prüfung nicht offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen werden kann, dass diese Rechtsposition des Antragstellers eventuell verletzt wurde, ist er als antragsbefugt im Sinne des § 24 I EGGVG anzusehen.

Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 71 II 2 Nr. 2 IRG nicht vorliegen.

Nach § 71 II 2 Nr. 2 IRG kann ein ausländischer Staat nur dann um die Vollstreckung einer im Inland ausgesprochenen Strafe gegen einen deutschen Staatsbürger ersucht werden, wenn "der Verurteilte nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist." Da von deutscher Seite her bereits ein Auslieferungsersuchen gestellt wurde, das von den italienischen Behörden "gewährt" wurde, bedarf hier wegen der zeitlichen Verzögerung der Auslieferung bis ins Jahr 2016 einzig das Tatbestandsmerkmal "nicht ausführbar" einer näheren Erörterung.

Der Senat ist diesbezüglich der Auffassung, dass ein "nicht ausführbar" im Sinne des § 71 II 2 Nr. 2 IRG nur dann gegeben sein kann, wenn eine Auslieferung endgültig nicht erfolgen kann (so tendenziell auch Grützner / Pötz - Grotz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, IRG-Kommentar, 63. Lieferung, September 2004, § 71, Rn. 13). Damit lässt sich der vorliegende Fall, in dem eine Auslieferung lediglich zeitlich aufgeschoben (bis ins Jahr 2016), nicht aber gänzlich unausführbar ist, nicht unter das in Rede stehende Tatbestandsmerkmal subsumieren, was wiederum zur Folge hat, dass die Voraussetzung des § 71 II 2 Nr. 2 IRG nicht vorliegt.

Der historische Gesetzgeber des § 71 II IRG verfolgte mit der Norm die in den Gesetzgebungsmaterialien artikulierte Intention, ein Ersuchen um ausländische Strafvollstreckung gegen einen deutschen Staatsbürger nur zuzulassen, "wenn die Auslieferung des Verurteilten nicht erreicht werden kann" (so BT-Drucksache 9 / 1338, S. 91). Damit bestimmte bereits die Intention des Gesetzgebers das Verhältnis zwischen einer Auslieferung sowie eines Ersuchens um ausländische Strafvollstreckung in einem Rangverhältnis, wonach eine Strafvollstreckung im Inland vorrangig sein sollte. Anders ausgedrückt kann deshalb ein Ersuchen um ausländische Strafvollstreckung im Rahmen des § 71 II IRG nur subsidiär erfolgen, so dass hierbei zu Recht von einer Art "Auslieferungsersatz" gesprochen werden kann (vgl. hierzu F.-C. Schroeder, ZStW 98 [1986], S. 479 f.).

Gleichzeitig bringt es das Tatbestandsmerkmal des § 71 II 2 Nr. 2 IRG nahezu automatisch mit sich, dass hiernach eine Nichtauslieferung nur dann einem Ersuchen um ausländische Strafvollstreckung im Wege stehen kann, wenn sich deutsche Behörden überhaupt um eine Auslieferung bemühen. Damit vermittelt die Norm den zuständigen deutschen Behörden eine "Wahlmöglichkeit", ob man sich für eine Auslieferung entscheidet oder nicht (so explizit auch Grützner / Pötz - Grotz, aaO.; F.-C. Schroeder, aaO., S. 104).

Von dieser Wahlmöglichkeit hat das hessische Ministerium der Justiz im vorliegenden Fall dergestalt Gebrauch gemacht, dass man sich für eine Auslieferung des Antragstellers entschieden hat. Mit der "Gewährung" der Auslieferung durch die italienischen Behörden wurde damit ein Ersuchen um eine ausländische Strafvollstreckung in ein subsidiäres Verhältnis verdrängt. Ein Vollstreckungshilfeersuchen nach § 71 II 2 IRG ist damit nach derzeitigem Stand der Dinge nicht mehr möglich.

Bei dieser Sichtweise hat der Senat nicht verkannt, dass es so stets von einer womöglich zufälligen behördlichen Entscheidung für oder gegen ein Auslieferungsersuchen abhängen wird, ob eine Vollstreckungshilfeersuchen gem. § 71 II 2 IRG gestellt werden kann oder nicht, was wiederum zur Folge haben kann, dass wichtige Zwecke des § 71 IRG, wie etwa die Berücksichtigung von Interesse und Wille des Verurteilten sowie das Strafziel der Resozialisierung bzw. der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, zwangsläufig in den Hintergrund gedrängt werden (vgl. zum Normzweck des § 71 IRG Hackner / Lagodny / Schomburg / Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, München 2003, Rn. 133 ff. sowie Schomburg, NStZ 1999, S. 199). Der Senat sieht sich jedoch an einer anderweitigen Entscheidung aufgrund des klaren Wortlauts des § 71 II 2 IRG in Verbindung mit der dazugehörigen gesetzgeberischen Intention gehindert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 I EGGVG i.V.m. § 130 I KostO.

Der Gegenstandswert beruht auf § 30 III EGGVG i.V.m. § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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