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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 03.06.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 214/09
Rechtsgebiete: InsO, StPO


Vorschriften:

InsO § 50
InsO § 88
InsO § 89
StPO § 111 g
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Gegen den Angeklagten und einem weiteren Angeklagten wurde vor der Wirtschaftstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden wegen Untreue in 86 Fällen verhandelt. Hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhalts wird auf die Anklageschrift vom 17.7.2007 in Verbindung mit dem Eröffnungsbeschluss vom 15.11.2007 Bezug genommen. Das mittlerweile ergangene Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 02.11.2006 (70 Gs - 1130 Js 26113/05) ist zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche als Wertersatz ein Arrest in das Vermögen der A-GmbH in Höhe von 1.212.084,00 Euro angeordnet worden. In Vollziehung dieses Arrestes wurden mit Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 02.11.2006 die Forderungen der A-GmbH gegen die X-Bank in O1 bis zu einer Höhe von 1.212.084,00 Euro gepfändet.

Über das Vermögen der Firma A-GmbH ist nach Antrag vom 07.02.2007 am 25.06.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt RA1 zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Die B-GmbH & Co. KG (fortan: B-GmbH) hat gegen die A-GmbH im Arrestverfahren durch Beschluss des Oberlandesgericht Frankfurt/M vom 2.2.2007 wegen einer Forderung in Höhe von 300.000,00 Euro nebst Zinsen und einer Kostenpauschale von 2.000,00 Euro den dinglichen Arrest in das gesamte Vermögen der A-GmbH erwirkt (Az.: 3 W 3/07). Der Beschluss wurde der A-GmbH am 09.02.2007 zugestellt. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Titels wurden nicht vorgenommen. Am 13.02.2007 stellte die B-GmbH einen Antrag auf vorrangige Befriedigung nach § 111g StPO, über den nicht mehr entschieden wurde.

Den Antrag des Insolvenzverwalters der Firma A-GmbH auf Aufhebung des dinglichen Arrestes in das Vermögen der Insolvenzschuldnerin sowie die Aufhebung des in Vollzug des Arrestes vorgenommenen Forderungspfändungen in die Gesellschaftskonten bei der X-Bank in O1 hat das Landgericht Wiesbaden durch Beschluss vom 15.12.2008 zurückgewiesen.

Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass der Staat bereits ein nach § 88 InsO wirksames Absonderungsrecht erlangt habe. Dies sei durch die am 8.11.2006 erfolgte Zustellung des Pfändungsbeschlusses an die A-GmbH bewirkt.

Dagegen richtet sich die vom Beschwerdeführer als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A-GmbH eingelegte Beschwerde.

Das Landgericht hat am 22.12.2008 der Beschwerde gegen den Kammerbeschluss vom 15.12.2008 nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Aufhebung der Arrest- und Pfändungsbeschlüsse des Amtsgerichts Wiesbaden vom 2.11.2006.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nach § 89 Abs. 1 InsO eine Einzelzwangsvollstreckung durch die Verletzten - also auch durch die B-GmbH - nicht mehr möglich, da weder die B-GmbH noch ein anderer Verletzter ein Absonderungsrecht nach § 50 InsO erlangt hat.

1. Nach § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Es gilt das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nach Verfahrenseröffnung (vgl. Meyer-Goßner, 51. Aufl., 3 111c Rdn.: 12a; Greier, ZInsO 2007, 956; Malitz, NStZ 2002, 341f.; Breuer in Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 89 Rdn. 1). Das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckung verdrängt die Einzelvollstreckung und damit auch den dinglichen Arrest zugunsten Ansprüche Verletzter einer Straftat (vgl.: Breuer aaO § 89 Rdn. 5, 6, 13; Hess in InsO 2007, Bd. 1, § 89 Rdn. 1, 8; KG, NStZ-RR 2005, 322f.).

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners führt zwar dann nicht zur Aufhebung des Arrestes, wenn der Gläubiger bereits vor Beginn des in § 88 InsO bezeichneten Monatszeitraumes durch dessen Vollzug Sicherheiten erlangt hat, für die ihm ein Absonderungsrecht nach § 50 InsO zusteht (vgl. OLG Köln, ZIP 2004, 2013ff; Hess aaO, § 89 Rdn. 17 + 29; App in FK-InsO, 5. Aufl., § 89 Rdn.: 12; KG aaO., 322f.). Dafür müssten jedoch alle Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen sein.

Im vorliegenden Fall haben weder die B-GmbH noch ein anderer Verletzter die (zivilprozessuale) Zwangsvollstreckung in das Vermögen der A-GmbH vor Eröffnung der Insolvenz betrieben mit der Folge, dass zu ihren Gunsten keine absonderungsfähigen Pfandrechte entstanden sind.

Das Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen der A-GmbH wurde am 25.6.2007 eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte die B-GmbH als Gläubigerin durch den Beschluss des Oberlandesgericht Frankfurt/M vom 2.2.2007 (Az.: 3 W 3/07) einen vorläufig vollstreckbaren Titel erwirkt, indes keine zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsmaßnahme ergriffen, obwohl dies schon vor der richterlichen Zulassung nach § 111g StPO möglich gewesen wäre (vgl. dazu: Kiethe/Groeschke/ Hohmann, ZIP 2003, 186 m.w.N.). Demnach ist kein zur Absonderung berechtigendes Pfandrecht zu Gunsten der B-GmbH entstanden, weil der dingliche Arrest nach den zivilprozessualen Regeln nicht vollzogen wurde.

2. Entgegen der Auffassung der B-GmbH kommt es auch nicht darauf an, dass sie noch vor Insolvenzeröffnung einen Zulassungsantrag nach § 111g StPO gestellt hat. Denn § 111g Abs. 3 S. 6 StPO bestimmt nur, dass das Pfandrecht des Verletzten ab dem Zeitpunkt der staatlichen Arrestvollziehung wirksam ist. Das ändert aber nichts daran, dass es erst mit der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in den betreffenden Gegenstand durch den Verletzten entsteht. Die Zulassung durch das Strafgericht ist von der Entstehung unabhängig (Nack, KK, 6. Aufl., § 111g Rdn. 2 + 3; Meyer-Goßner, aaO., § 111g Rdn.: 5; Gleichenstein ZIP 2008, 1151ff.).

3. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass zu Gunsten des Bundeslandes Y zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche schon am 02.11.2006 - also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens - der (strafprozessuale) dingliche Arrest in das Vermögen der A-GmbH angeordnet und die Forderungen gegen die X-Bank in Vollziehung des Arrestes gepfändet wurden.

Der dingliche Arrest im Rahmen der Zurückgewinnungshilfe stellt nach §§ 111d, 111g Abs. 3 S. 6 und 5 StPO nämlich nur ein relatives Veräußerungsverbot im Sinne von § 136 BGB dar. Dieses relative Veräußerungsverbot, das gegen den Schuldner zum Schutz bestimmter Personen erfolgt, ist gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirkungslos mit der Folge, dass es zu Gunsten der Verletzten keine Rückwirkung mehr entfalten kann (vgl. dazu: BGH, Urteil vom 24.5.2007 in NJW 2007, 3350-3352; Meyer -Großner, aaO., § 111 c Rdn.: 10; Nack, aaO, § 111g Rdn.: 10; Ott/Vuia, Münchner Kommentar zur InsO, 2. Aufl., § 80 Rdn.: 154; OLG Köln in ZIP 2004, 2013 ff; LG Köln in ZIP 2006, 1059; KG in NStZ-RR 2005, 322; LG Neubrandenburg, ZInsO Rechtsprechungsreport 2000, S. 676; LG Saarbrücken, Beschluss vom 19.05.2003 - 8 Qs 86/03 - zitiert nach juris; LG Berlin, Beschluss vom 11.12.2007 - 534 Qs 224/07 - zitiert nach juris; dazu tendiert auch: OLG Köln, Beschluss vom 21.11.2003 - 2 Ws 593+617/03 -zitiert nach juris).

Soweit in der Kommentarliteratur und der Lehre die Meinung vertreten wurde, die Vorschrift begründe ein absolutes Veräußerungsverbot (so Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 111b Rdn.: 50d; Kiethe/Groeschke/ Hohmann, ZIP 2003, 185f.) kann diese Auffassung angesichts der eindeutigen Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (Bundestags- Drucksache 16/700) nicht aufrechterhalten werden.

Danach hat der Gesetzgeber zu § 111g Abs. 1 bis 4 StPO ausgeführt, dass nach der Norm "alle nach dem Zeitpunkt der Arrestvollziehung erfolgenden Verfügungen anderer Gläubiger, insbesondere solche aus Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung gegenüber dem nach (§ 111g) Absatz 2 (StPO) zugelassenen Verletzten relativ unwirksam sind" (Bundestags-Drucksache 16/700, S. 13).

Der Gesetzgeber hat zudem klar zu erkennen gegeben, dass er die Opferansprüche im Fall der Insolvenz des Täters nicht mit einem umfassenden Schutz versehen wollte. Vielmehr sollten die im Wege der Rückgewinnungshilfe gesicherten Ansprüche Verletzter nicht insolvenzfest sein (Bundestags-Drucksache 16/700, S. 14). Die strafprozessualen Normen der §§ 111b StPO ff. sollen danach dem Verletzten einer Straftat nur innerhalb des vom Zivilrecht vorgegebenen Rechtsrahmen bei der Durchsetzung seiner Ansprüche unterstützen. Die Ordnungsfunktion der Insolvenzordnung soll dadurch aber nicht berührt werden (Bundestags-Drucksache 16/700, S. 14).

4. Eine andere Rechtslage ergibt sich hier auch nicht aus § 80 Abs. 2 S. 2 InsO. Danach bleiben die Vorschriften über die Wirkung einer Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt. Diese Folge, die für den nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung erlassenen Arrest gilt, findet auch auf den nach § 111d StPO angeordneten Arrest Anwendung, weil über § 111d Abs. 2 StPO im Wesentlichen die Normen der Zivilprozessordnung heranzuziehen sind.

Soweit daherzu Gunsten des Bundeslandes Y ein dinglicher Arrest gemäß § 111d StPO angeordnet wurde, sind Pfandrechte zu dessen Gunsten nach § 111d Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 930 ZPO entstanden. Diese Pfandrechte bleiben nach § 80 Abs. 2 S. 2 InsO trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam und begründen Absonderungsrechte nach § 50 InsO.

Dadurch, dass das zu Gunsten des Bundeslandes Y der Arrest jedoch allein als Maßnahme der Rückgewinnungshilfe angeordnet wurde, wurden die Vermögenswerte zur alleinigen Sicherung der Ansprüche der Geschädigten arretiert. Das Bundesland Y kann deshalb nach § 73 StGB daraus keine Rechte (für sich) geltend machen; die erworbenen Pfandrechte stellen somit reine "Platzhalter" dar (vgl. dazu: Greier, ZInsO 2007, 957f.). Haben die Verletzten im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollstreckt, dann können sie gemäß § 89 Abs. 1 InsO auch nicht mehr wirksam vollstrecken mit der Folge, dass die Zurückgewinnungshilfe aus Rechtsgründen nicht mehr durchgeführt werden kann.

Dies hat wiederum zur Folge, dass die Arretierung von in die Insolvenzmasse fallenden Vermögenswerten nach § 111d StPO zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr aufrecht erhalten bleiben kann (OLG Köln in ZIP 2004, 2013 ff; LG Köln in ZIP 2006, 1059; KG Berlin, aaO., 322f.; LG Neubrandenburg, aaO, S. 676; LG Saarbrücken in NStZ-RR 2004, 274; Gleichenstein, aaO., 1160; dazu tendiert auch: OLG Köln, Beschluss vom 21.11.2003 - 2 Ws 593+617/03 - zitiert nach juris).

Auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin ist der aufgrund des Arrestbeschlusses ergangenen Pfändungsbeschluss vom 2.11.2006 ebenfalls aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO entsprechend.

III.

Die Akteneinsichtsgesuche der B-GmbH waren zurückzuweisen.

Nach § 406e Abs. 1 S. 2 StPO kann für den Verletzten ein Rechtsanwalt die Akten einsehen, soweit er ein berechtigtes Interesse darlegt und überwiegende schutzwürdige Interessen der Beschuldigten nicht entgegenstehen.

Im vorliegenden Fall wurden dem Rechtsanwalt der B-GmbH das Beschwerdeschreiben des Insolvenzverwalters sowie die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht in Kopie übersandt. Auf die im Schriftsatz vom 27.04.2009 angeforderten Aktenbestandteile (angefochtene Entscheidung der Kammer, dessen Ausfertigung ausweislich der Akten bereits an Rechtsanwalt Dr. RA2 übersandt worden war sowie Anlagen des Beschwerdeschriftsatzes) wurden ihm entsprechende Kopien übersandt. Ein darüber hinausgehendes Interesse an der Einsicht der vollständigen Akten ist weder erkennbar noch dargelegt worden.

Soweit das Akteneinsichtsgesuch damit begründet wurde, die übersandten Kopien seien durcheinandergeraten und es sei "eine vollständige Konfusion" darüber eingetreten, wie sich die Aktenbestandteile zueinander verhielten, weswegen Akteneinsicht weiterhin erforderlich sei, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Dass Rechtsanwalt Dr. RA2 die Zuordnung offensichtlich doch gelungen ist, zeigt sein ausführlicher Vortrag zu den einzelnen Beschwerdeschriftsätzen.

Ende der Entscheidung

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