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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 223/06 (StVollz)
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 27
1. Führt die Justizvollzugsanstalt im Anschluss an den Besuch eine gründliche körperliche Durchsuchung des Gefangenen durch, bei der sich der Gefangene vollständig entkleiden muss, erscheint die zusätzliche Anordnung der Durchführung des Besuchs an einem sog. Trennscheibentisch nicht erforderlich und auch unverhältnismäßig im engeren Sinne.

2. Zur Frage, wann die kumulative Anordnung von "Trennscheibentischbesuch" und körperlicher Durchsuchung zulässig sein kann.


3 Ws 223/06 (StVollz) 3 Ws 269/06 (StVollz) 3 Ws 461/06 (StVollz) 3 Ws 513/06 (StVollz)

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt O1. Mit den vorliegenden Anträgen wendet er sich gegen die Anordnung der Besuchsdurchführung mittels Tischen mit Übergabe- und Durchreichesperren ("Trennscheibentischen").

Der Antragsteller beantragte für den 24.01.2006, 02.03.2006 und 13.04.2006 jeweils die Erteilung einer Besuchserlaubnis für den Besucher A sowie für den 28.02.2006 die Erteilung einer Besuchserlaubnis für die Besucher B und C.

Die Antragsgegnerin erteilte zwar in allen Fällen einen Besuchsschein, allerdings jeweils mit dem Zusatz "Trennscheibentisch". Damit ist gemeint, dass der Besuch in Abweichung von der bisherigen Regelung ("Normalbesuch") und unter Umsetzung des Erlasses des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 12.09.2005 (4434 - IV/7 - 2003/12804) nebst dessen Präzisierung vom 11. Januar 2006 an Tischen mit Übergabe- und Durchreichsperren durchzuführen ist. Hierbei handelt es sich um Tische, auf deren Tischplatte eine 40 cm hohe Plexiglasplatte und zwischen deren Tischbeinen eine bündig abschließende Spanplatte angebracht ist, um ein gemeinsames Zugreifen auf die Tischplatte seitens der Besucher und der Gefangenen, die sich gegenüber sitzen, und damit die unerlaubte Übergabe von Gegenständen oder Substanzen an besuchte Gefangene zu verhindern. Körperkontakte zwischen Besuchern und Besuchten sind in Form eines Händedrucks zur Begrüßung und Verabschiedung gestattet. Von dieser Besuchsausgestaltung sind Angehörige im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ausgenommen. Im übrigen sind von dieser Regelung alle Besucher umfaßt, über die in der Anstalt keine näheren Erkenntnisse vorliegen. Wenn eine gewisse Anzahl von Besuchen in dieser Form beanstandungsfrei durchgeführt worden ist, werden die Besucher zum normalen Besuch ohne Trennscheibentische zugelassen.

Mit seinen hiergegen gerichteten Anträgen auf gerichtliche Entscheidung (§§ 109 ff. StVollzG) hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs. 2 StVollzG; insoweit nicht in dem Verfahren 3 StVK 22/06) und in der Hauptsache zu verpflichten, den jeweiligen Besuch als "Normalbesuch" anzuordnen sowie in dem Verfahren 3 StVK 1/06 (betreffend den für den 24.01.2006 beantragten Besuchsschein) darüber hinaus, dies auch "für die Zukunft" zu beschließen. Der Antragssteller hat insoweit vorgetragen, er habe keinen Grund oder Anlaß für einen Trennscheibentischbesuch gegeben. Bei dem Besucher A handele es sich zudem um eine "Bezugsperson", die ihn schon "über zehn Jahre" in der JVA O2 ohne Beanstandungen besucht habe. Darüber hinaus verlange die Antragsgegnerin nach jedem Besuch "Durchsuchung mit Totalentkleidung". Im übrigen lehnten nicht nur er, sondern vor allem die Besucher den "Trennscheibenbesuch" ab.

Mit den angefochtenen Beschlüssen hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel die Anträge jeweils als unbegründet zurückgewiesen, wobei sie in den Verfahren 3 StVK 1/06 und 3 StVK 13/06 (betreffend die für den 24.01.2006 und 28.02.2006 vorgesehenen Besuche) die Anträge als vorbeugende Unterlassungsklagen gewertet hat.

II.

Das Verfahren ist in der Hauptsache durch Zeitablauf erledigt. Gegenstand des Verfahrens war die Art und Weise der Durchführung der in den jeweiligen Anträgen näher bezeichneten für den 24.01.2006, 28.02.2006, 02.03.2006 und 13.04.2006 vorgesehenen Besuche. Ein Feststellungsantrag im Hinblick auf die Ausgestaltung künftiger Besuche ist - mit Ausnahme des Verfahrens 3 StVK 1/06 (betreffend den für den 24.01.2006 vorgesehenen Besuch, siehe hierzu unten III.) - nicht gestellt. Dies gilt - entgegen der Auffassung der Kammer - auch für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung in dem Verfahren 3 StVK 13/06, der sich ausdrücklich nur gegen den für den 28.02.2006 angeordneten Trennscheibentischbesuch richtet. Daher war insoweit gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden (siehe unten IV.).

III.

In dem Verfahren 3 StVK 1/06 (den Besuch am 24.01.2006 betreffend) hat der Antragsteller zusätzlich beantragt, die Genehmigung von "Normalbesuch" auch "für die Zukunft" zu beschließen. Der Senat wertet diesen Antrag, anders als die Strafvollstreckungskammer, nicht als - nach der wohl herrschenden Meinung als grundsätzlich zulässig angesehene (vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. A., § 109 RN 6 m. w. N.) - vorbeugende Unterlassungsklage, sondern als Feststellungsantrag gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG, da ein effektiver Rechtsschutz hierdurch hinreichend sichergestellt ist. Insoweit war über die Rechtsbeschwerde in der Sache zu entscheiden.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere sind auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG erfüllt, weil die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind bislang durch das Oberlandesgericht nicht geklärt und werden - wie dem Senat aus mehreren anhängigen Verfahren bekannt ist - durch die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Gießen einerseits und Kassel andererseits bei gleich gelagerten Sachverhalten voneinander abweichend entschieden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die von dem Antragsteller erhobene Sachrüge greift durch, so daß es eines Eingehens auf die ebenfalls erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.

Der gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG erhobene Feststellungsantrag war zulässig; insbesondere hat der Antragsteller ein - erforderliches - Feststellungsinteresse, weil - wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat - Wiederholungsgefahr bestand.

Der Antrag war auch begründet, denn die Anordnung eines "Trennscheibentisch-Besuchs" bzw. die Ablehnung eines "Normal"-Besuchs für den am 24.01.2006 vorgesehenen Besuch des Antragstellers durch Herrn A war im vorliegenden Fall rechtswidrig.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG dürfen Besuche aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, dass es der Überwachung nicht bedarf. Nach der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Meinung setzt diese optische Überwachung, die hier allein in Rede steht, allerdings konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefährdung der Behandlung, Sicherheit oder Ordnung voraus (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. A., § 27 RN 2 m. w. N.). Die Überwachung des Besuchs bedeutet für den Gefangenen und den Besucher eine Beeinträchtigung der persönlichen Sphäre und für die Anstalt einen erheblichen Aufwand. Sie soll daher nicht häufiger und eingehender durchgeführt werden als notwendig (vgl. BT-DS 7/918, S. 58). Liegen die Voraussetzungen zu Überwachungsmaßnahmen vor, hat die Anstalt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welchem Umfang überwacht wird (Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. A., § 27 RN 1). Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. A., § 27 RN 4 a. E.).

Nach diesem Maßstab erweist sich die Anordnung des "Scheibenbesuchs" hier als ermessensfehlerhaft. Die Durchführung des Besuches an Tischen mit Übergabe- und Durchreichesperren dient der optischen Besuchsüberwachung. Sie soll dem Anstaltspersonal die Besuchsüberwachung erleichtern, insbesondere verhindern, dass Gegenstände (z. B. Mobiltelefone, Drogen usw.) entgegen § 27 Abs. 4 Satz 1 StVollzG übergeben werden, ohne dass das Personal dies bemerkt und eingreifen kann. Insofern handelt es sich grundsätzlich um ein mögliches, geeignetes und auch zulässiges Hilfsmittel zur Optimierung der Besuchsüberwachung.

Die Antragsgegnerin hat es jedoch ermessensfehlerhaft unterlassen, die erforderliche Prüfung im Einzelfall vorzunehmen. Denn sie hat hier lediglich den Erlaß, an den sie sich gebunden gefühlt hat, umgesetzt. Sie hat es jedenfalls versäumt zu prüfen, ob die Anordnung des Scheibenbesuches im Hinblick auf andere Sicherheitsmaßnahmen, namentlich die körperliche Durchsuchung des Gefangenen nach dem Besuchskontakt erforderlich und im übrigen verhältnismäßig ist.

Damit war der insoweit angefochtene Beschluß (3 StVK 1/06) - mit Ausnahme der Festsetzung des Gegenstandswerts - aufzuheben und festzustellen, daß die Anordnung eines "Trennscheibentisch-Besuchs" bzw. die Ablehnung eines "Normal"-Besuchs für den am 24.01.2006 vorgesehenen Besuch des Antragstellers durch Herrn A rechtswidrig war.

3. Das vorliegende Verfahren gibt dem Senat Anlaß zu folgendem Bemerken:

Hintergrund der Besuchsüberwachung entsprechend dem Erlaß auf die oben beschriebene Art und Weise ist der Umstand, daß im vergangenen Jahr in der JVA O3, einer Anstalt der (höchsten) Sicherheitsstufe I, vermehrt Mobiltelefone und Drogen aufgefunden wurden. Für diese Fallgestaltung gilt folgendes:

Werde Mobiltelefone, Drogen oder Alkohol in die Anstalt eingeschmuggelt, so stellt dies eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt dar, die Maßnahmen zur optischen Besuchsüberwachung rechtfertigt (vgl. BT-DS 7/918, S. 59). Die Einzelheiten der Überwachung und ihre zweckmäßige Durchführung obliegen der Anstalt (BT-DS 7/918, S 59), die dabei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat (siehe oben).

Der Senat hat entschieden, daß die "normale (optische) Besuchsüberwachung" auch ausschließlich auf anstaltsbezogene Gefährdungen gestützt werden kann (Senat, NJW 1979, 2525, 2526). Dies entspricht auch der herrschenden Meinung (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. A., § 27 RN 2). Insoweit erscheint es mithin unbedenklich, daß die Besuchsüberwachung durchgeführt wird, nachdem in der (jüngeren) Vergangenheit verbotene Gegenstände in der Anstalt aufgefunden wurden und nicht auszuschließen ist, daß diese durch Besucher in die JVA eingebracht worden sind.

Es kann dahinstehen, ob die Anordnung des "Scheiben-Besuches" darüber hinaus gehende Gefährdungslagen, namentlich solche, die sich in der Person des Besuchers oder des Gefangenen gründen, voraussetzt.

Führt die Anstalt im Anschluß an den "Scheibenbesuch" noch - wie hier - eine gründliche körperliche Durchsuchung des Gefangenen durch, bei der er sich vollständig entkleiden muß, so erscheint jedenfalls die Anordnung des Scheibenbesuchs nicht mehr erforderlich und wegen des bereits mit der Durchsuchung verbundenen Eingriffs auch im engeren Sinne unverhältnismäßig.

Eine Kumulation von "Scheibenbesuch" und anschließender körperlicher Durchsuchung kann jedoch verhältnismäßig sein, wenn konkrete Anhaltspunkte in der Person des Besuchers oder des Gefangenen bestehen, die darauf hindeuten, daß dieser unerlaubte Gegenstände in die Anstalt einbringt. Dazu reicht es beispielsweise aus, wenn bei dem Gefangenen bereits solche Gegenstände aufgefunden wurden. Insoweit kommt es auf die Umstände im Einzelfall und die konkreten Verdachtsmomente an. Es kann auch ausreichen, wenn z .B. vermehrt solche Gegenstände im näheren Umfeld des jeweiligen Gefangenen aufgefunden werden und ein durch Tatsachen belegter einfacher Verdacht gegen ihn besteht. Hingegen reicht es jedenfalls nicht aus, daß eine Anstalt zur höchsten Sicherheitsstufe gehört, dort bereits verbotene Gegenstände aufgefunden wurden und völlig unklar ist, auf welche Weise diese in die Anstalt gelangt sind.

IV.

Soweit infolge der Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden war, waren diese nach billigem Ermessen der Antragsgegnerin aufzuerlegen, da sie nach dem bisherigen Sach- und Streitstand, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, voraussichtlich unterlegen wäre.

Im übrigen beruht die Kostenentscheidung auf §§ 121 Abs.1 und 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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