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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 27.02.2003
Aktenzeichen: 3 Ws 234/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 147 I
StPO § 305 S. 1
1. Soweit es sich bei den Beweisstücken im Sinne des § 147 I 1 2. Alternative um Urkunden und Schriftstücke handelt, ist dem Verteidiger - soweit dies technisch möglich ist - Gelegenheit zu geben, von diesen Ablichtungen zu erstellen.

2. Wird dies vom Vorsitzenden nach der Eröffnung des Hauptverfahrens versagt, steht diese Entscheidung in einem engen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und unterliegt deshalb nach § 305 S. 1 StPO nicht der Beschwerde (im Anschluss an Senat in NStZ-RR 2001, 374 unter Aufgabe der Auffassung in StV 2002, 611 ff.).


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ws 234/03

Entscheidung vom 27. Februar 2003

In der Strafsache

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 17. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 2003 am 27. Februar 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

Mit der angefochtenen Verfügung hat der Strafkammervorsitzende den Antrag der Verteidigerin des Angeklagten abgelehnt, Fotokopien von denjenigen Asservaten anfertigen zu können, die sich in der Asservatenkammer befinden (ohne Bekleidungsgegenstände).

Die hiergegen eingelegte Beschwerde, der der Vorsitzende nicht abgeholfen hat, ist unzulässig.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht hat in ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2003 hierzu folgendes ausgeführt:

"Die Beschwerde ist gemäß § 305 S. 1 bereits nicht zulässig.

Als nicht beschwerdefähige Entscheidungen i. S. des § 305 S. 1 StPO sind auch Verfügungen des Kammervorsitzenden zu verstehen (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1986, 138; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 238; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 305 Rnr. 3 m. w. N.), wenn sie der Urteilsvorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Überprüfung unterliegen (OLG Frankfurt - 3 Ws 42/93; Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 305 Rnr. 1) und vom Revisionsgericht unter bestimmten Voraussetzungen überprüft werden können (vgl. BGH, NStZ 1985, 87 f.; OLG Frankfurt a. a. O.). Dies ist für die Verweigerung von Akteneinsicht und von Einsicht in Beweismittel in der Zeit zwischen Eröffnungsbeschluß und Urteilsfällung zu bejahen (OLG Frankfurt am Main, 3 Ws 52/03, 3 Ws 656/01, 3 Ws 73/00; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 238 noch offengelassen, aber mit umfassender Darstellung des Meinungsstandes). Um einen solchen Fall geht es auch vorliegend. Durch Beschluß vom 2.9.2002 hat das Landgericht Frankfurt am Main das Hauptverfahren eröffnet (Bl. 15, 16 BeschwH). Der Angeklagte stützt seinen Antrag, den er über seine Verteidigerin erstmals am 10.10.2002 gestellt hat (Bl. 1 BeschwH), auf das in § 147 I 2. Alt. StPO geregelte Einsichtrecht der Verteidigung in Beweismittel.

Die Akteneinsicht mit dem ergänzenden Einsichtsrecht in Beweismittel gewährleistet den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, speziell auf Waffengleichheit (vgl. BVerfG 1983, 1044; BGH NJW 1990, 585) und dient vornehmlich der Vorbereitung und/oder Begründung von Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen in der laufenden Hauptverhandlung. Wird die Akteneinsicht oder das Einsichtsrecht in Beweismittel nach der Eröffnung oder gar in laufender Hauptverhandlung versagt, steht diese Entscheidung bereits aus diesem Grund in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung. Da die Gewährleistung von Prozeßgrundrechten vornehmste Aufgabe der Fachgerichte ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 238 m. w. Nachw.), muß diese Entscheidung vor der Urteilsfällung erneut auf ihre Rechtsmäßigkeit hin vom gesamten Gericht überprüft werden. Schließlich unterliegt die Entscheidung jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen und der revisionsgerichtlichen Überprüfung, insbesondere wegen Verletzung des Prozeßgrundrechts auf ein faires Verfahren oder wegen unzulässiger Beschränkung der Verteidigung (vgl. BGH NStZ, 87; BGH NStZ 1990, 193; OLG Frankfurt 3 Ws 131/96, 3 Ws 565/01, 3 Ws 52/03; Karlsruher Kommentar, a. a. O., § 147 Rnr. 22; Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 147 Rnr. 171 jew. m. w. Nachw.). Nach der Gegenauffassung, die eine zusätzliche Beschwerdemöglichkeit für geboten erachtet, würde in der Beschwerinstanz ein unzulässiger Eingriff in die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts erfolgen (vgl. OLG Brandenburg NJW 1996, 67; OLG Stuttgart NJW 1996, 1908).

Auch die (Einzelfall-) Entscheidung des Senats vom 13.9.2001 (3 Ws 853/01 [StV 2001, 611]), auf die sich die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift bezieht, steht dem nicht entgegen.

Soweit der Angeklagte aus § 147 I 2. Alt. StPO einen Anspruch der Verteidigung auf Selbstfertigung oder Überlassung von Fotokopien der durch amtliche Verwahrung sichergestellten Beweismittel - mit Ausnahme der Bekleidungsgegenstände - ableitet und dies verwehrt wird, ist der Angeklagte darauf zu verweisen, die unterstellte Beschränkung der Verteidigung in die Beweismitteleinsicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung und ggf. der Revision zu machen."

Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

Die in dem vorliegenden Verfahren sichergestellten Gegenstände unterliegen der Akteneinsicht, wenn sie - wie hier - von der Staatsanwaltschaft verwertet wurden (KMR-Müller, StPO, § 147 Rnr. 3). Soweit es sich hierbei um Urkunden und Schriftstücke handelt, ist dem Verteidiger - soweit dies technisch möglich ist - Gelegenheit zu geben, von diesen Ablichtungen herzustellen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 147 Rnr. 30).

Wird dies - wie vorliegend - vom Vorsitzenden nach der Eröffnung des Hauptverfahrens versagt, steht diese Entscheidung in einem engen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung (vgl. Senatsbeschluß vom 10. Juli 2001 - 3 Ws 656/01 - = NStZ-RR 2001, 374). Soweit der Senat in der von dem Beschwerdeführer in Bezug genommenen Entscheidung (StV 2001, 611) eine andere Auffassung vertreten hat, hält er an dieser nicht länger fest.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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