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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 14.01.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 26/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Verurteilte verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe von 11 Jahren und 6 Monaten wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes. Zwei Drittel der Strafe werden am 25.2.2008 verbüßt sein. Zu diesem Zeitpunkt ist auch über die Aussetzung des Restes einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Einbruchdiebstahles zu entscheiden. Im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafreste zur Bewährung hat die Strafvollstreckungskammer am 2.11.2007 ein Gutachten "zur Frage der günstigen Prognose" in Auftrag gegeben.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer eine von Rechtsanwalt A beantragte Beiordnung als Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren abgelehnt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die - aus dem Sachzusammenhang heraus - als namens des Mandanten eingelegt anzusehende - gem. § 304 I StPO zulässige Beschwerde, der auch der Erfolg nicht zu versagen ist.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht hat in ihrer Zuschrift vom 7.1.2008 u.a. hierzu ausgeführt:

"Die Strafvollstreckungskammer hat m. E. zu Unrecht die Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger des Verurteilten abgelehnt.

Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig, oder wenn sonst ersichtlich ist, dass sich der Verurteilte nicht selbst verteidigen kann, oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist (vgl. BVerfGE 70, 297, 323; OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 30.05.2005 - 3 Ws 645-647/03 -; v. 31.03.2005 - 3 Ws 160/05 -; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 140 Rn. 33), wobei es hinsichtlich des erstgenannten Gesichtspunktes nicht auf die Schwere oder die Schwierigkeit im Erkenntnisverfahren ankommt, sondern auf die Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten oder auf besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren abzustellen ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2947 für die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.02.2005 - 3 Ws 108/05 - ; Meyer-Goßner, a.a.O.). Auch gilt die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur für den jeweiligen Verfahrensabschnitt und nicht für das gesamte Vollstreckungsverfahren (OLG Frankfurt a.M. NStZ - RR 2003, 252).

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass im Vollstreckungsverfahren in weitaus geringerem Maße als in dem kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht (vgl. BVerG NJW 2002, 2773). Daher sind im Vollstreckungsverfahren die drei abschließend genannten Merkmale des § 140 Abs. 2 S. 2 StPO einschränkend zu beurteilen (KG StraFo 2006, 342; 2002, 244). Je nach Lage des einzelnen Falles kann auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch die Strafvollstreckungskammer zur Frage einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebieten, namentlich dann, wenn das Gutachten zahlreiche psychiatrisch-neurologische Fachbegriffe enthält, die das Verständnis des Verurteilten und seine Fähigkeit übersteigen, sich damit angemessen auseinanderzusetzen, und weitere Faktoren hinzukommen, etwa eine bereits eingetretene Verzögerung der Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung und die Ankündigung des sachbearbeitenden Staatsanwalts, er werde ebenfalls an dem Termin teilnehmen (vgl. KG StraFo 2006, 342).

Vorliegend hat sich die Justizvollzugsanstalt O1 unter Berücksichtigung der Gutachten des Dr. SV1 vom 23.04.2007 und des Dr. SV2 vom 20.09.2007 (Doppelbegutachtung, vgl. Bl. 272 ff. Bd. XV d.A.) gegen eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ausgesprochen. Die Staatsanwaltschaft Gießen hat beantragt, den Antrag des Verurteilten auf Aussetzung der Vollstreckung zurückzuweisen (Bl. 258 R Bd. XV d.A.). Das von der Strafvollstreckungskammer am 02.11.2007 (Bl. 208 f. Bd. XV d.A.) angeforderte Gutachten liegt noch nicht vor.

Die vom Gericht zu treffende Entscheidung wird mithin eine umfassende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Stellungnahmen und mit den fachkundig auszuwertenden psychologischen Sachverständigengutachten erfordern.

Nach dem Gutachten des Dr. SV1 ist das Leistungsvermögen des Verurteilten grenzwertig (Bl. 270 Bd. XV d.A.), nach dem des Dr. SV2 handelt es sich bei dem Verurteilten um eine niedrig begabte, schlecht gebildete und haltschwache dissoziale Persönlichkeit (Bl. 274 Bd. XV d.A.); ausweislich der Urteilsfeststellungen (S. 199 UA) kam der damalige Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte Schwächen im sprach- und bildungsgebundenen Bereich aufwies, jedoch keine Minderbegabung bei durchschnittlicher bis leicht unterdurchschnittlicher Intelligenz. Den Urteilsgründen ist weiter zu entnehmen, dass der Verurteilte die Führerscheinprüfung für den Fahrerlaubnisklassen 1 und 3 bestanden (UA S. 14), und auch seinen Wehrdienst abgeleistet hat (UA S. 23). Andererseits hatte er bei der Einschulung bereits den Aufnahmetest für die erste Klasse nicht bestanden, musste zwei Klassen wiederholen und wurde danach in eine Sonderschule für Lernbehinderte versetzt, die er mit mäßigem Notendurchschnitt verließ (UA S. 13); eine Ausbildung brach er ab (UA S. 14).

Angesichts dieser Gesamtumstände erscheint es zumindest zweifelhaft, ob der Verurteilte zu eigener sachgerechter Interessenwahrnehmung in der Lage ist.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im Fall einer vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafen die Inhaftierung voraussichtlich bis zum 04.09.2012, mindestens bis zum 05.08.2012 (vgl. Bl. 263 Bd. XV d.A.) andauern wird, erscheint von daher die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im vorliegenden Fall geboten, um eine den Umständen nach angemessene Verteidigung des Verurteilten zu gewährleisten".

Diesen überzeugenden Ausführungen hat der Senat nichts hinzuzufügen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 467I, 473 III StPO.

Ende der Entscheidung

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