Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 09.07.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 352/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 230 Abs. 2
StPO § 124 Abs. 2 Satz 1
StPO § 124 Abs. 2 Satz 2
StPO § 124 Abs. 1 Satz 1
StPO § 123 Abs. 2
Stop § 123 Abs. 1 Satz 1
StPO § 124
StPO § 116
StPO § 116 Abs. 1 Nr. 4
StPO § 123 Abs. 1 u. 2
StPO § 473 Abs. 1
Eine zur Haftverschonung geleistete Sicherheit wird nicht bereits dadurch frei, dass die Voraussetzungen des Haftbefehls nicht mehr vorliegen, sondern erst durch dessen formelle Aufhebung.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ws 352/01

Verkündet am 09.07.2001

In der Strafsache

...

wegen Verdachts des Verstoßes gegen das BtMG hier: Verfall der Sicherheit,

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerden des Angeklagten und seines Verteidigers gegen den Beschluss der 17. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.2.2001 am 9.7.2001 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten und des Rechtsanwaltes H. verworfen.

Gründe:

Am 7.11.1996 ist gegen den Angeklagten Haftbefehl durch das Amtsgericht München ergangen, der mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 2.6.1997 erweitert wurde. Am 13.3.1997 hat das Amtsgericht Frankfurt am Main den Angeklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 DM und Meldeauflage von der Haft verschont. Die Sicherheit hat Rechtsanwalt H. als Verteidiger im eigenen Namen erbracht.

Der Angeklagte ist zu den Hauptverhandlungsterminen am 13. und 22.10.1999, zu denen er ordnungsgemäß geladen war, nicht erschienen. Der Verteidiger hat ein in bulgarischer Sprache abgefasstes ärztliches Attest vorgelegt und vorgetragen, dass nach dem Inhalt der in Bulgarien aufhältige Angeklagte reise- und verhandlungsunfähig sei. Mit Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.10.1999 ist Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO ergangen. Mit Beschluss vom 30.12.1999 hat das Landgericht die Sicherheit für verfallen erklärt und den erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts München aufgehoben. Das Landgericht hat den Inhalt des Attestes, in dem nur von "psychischen Problemen" die Rede sei, nicht als ausreichende Entschuldigung angesehen. Am 10.5.2000 hat der Senat (3 Ws 830/00) die Verfallentscheidung wegen unterbliebener Anhörung nach § 124 Abs. 2 Satz 1 StPO aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Landgericht zurück verwiesen. Am 14.2.2001 hat das Landgericht erneut mit gleichbleibender Begründung den Verfall der Sicherheit beschlossen, ohne über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden. Gegen diese, dem Verteidiger am 28.2.2001 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 6.3.2001, eingegangene sofortige Beschwerde des Angeklagten und seines Verteidigers. Letzterer hat für sich und für seinen Mandanten erklärt, auf eine mündliche Anhörung zu verzichten; ein entsprechender Verzicht liegt auch seitens der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vor.

Die nach § 124 Abs. 2 Satz 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig aber unbegründet. Die gestellte Sicherheit ist nach § 124 Abs. 1 Satz 1 StPO der Staatskasse verfallen, weil sich der Angeklagte der Untersuchung entzogen hat. Dies geschah bereits zu einem Zeitpunkt, an dem der Haftbefehl des Amtsgerichts München in der erweiterten Fassung des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 2.6. 1997 noch inKraft war. Durch die Aufhebung des Haftbefehls mit Beschluss vom 30.12.1999 ist die Sicherheitsleistung nicht gemäß § 123 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StPO frei geworden, denn sie war - was ausreicht - bereits durch ein vor diesem Zeitpunkt liegendes Verhalten verfallen (vgl. Senat, NJW 1977, 1975, 1976; Beschluss vom 27,1.1997 - 3 Ws 73/97).

Ein Sich-Entziehen liegt objektiv vor, wenn der Angeklagte aufgrund. seines Verhaltens zumindest zeitweise für die erforderlichen gerichtlichen Verfahrensakte nicht zur Verfügung steht (Kleinknecht / Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 124 Rdnr. 4 m.w.N.). Subjektiv muss er diesen Erfolg beabsichtigen oder zumindest bewusst in Kauf nehmen und billigen, dass er dadurch den Fortgang des Verfahrens behindert (vgl. Senat in NJW 1977, 1975ff; OLG Düsseldorf, NStZ 1990, 97; OLG Karlsruhe, MDR 1985, 694). Bloße unterlassene Mitwirkung am Strafverfahren, der bloße Ungehorsam des Angeklagten und der Verstoß gegen Haftverschonungsauflagen reichen hingegen für eine Verfallsanordnung nicht aus Der Angeklagte muss sich vielmehr durch Flucht, durch Sich-Verborgen-Halten oder durch Täuschungsmanöver (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1978, 1932) der Verfügungsgewalt des Richters, wenn auch nur vorübergehend, in der Weise entzogen haben, dass notwendige Verfahrensakte nicht jederzeit ungehindert, notfalls durch seine zwangsweise Gestellung, durchgeführt werden konnten (vgl. Senat a.a.O.; OLG Karlsruhe, NStZ 1992, 204).

Objektiv hat sich der Angeklagte dem weiteren Verfahren entzogen, indem er ausweislich der Mitteilung seines Verteidigers kurz nach Erfüllung der Meldeauflage am1. 10. 1999 nach Bulgarien gefahren und nicht zu den angesetzten Hauptverhandlungsterminen erschienen ist. Auch das subjektive Erfordernis ist erfüllt. Der Angeklagte ist nämlich - entgegen seiner durch - den Verteidiger vorgebrachten Darstellung - nicht reise - und verhandlungsunfähig erkrankt, sodass aus dem Fernbleiben von der Hauptverhandlung auf - einen zumindest bedingten Vorsatz zur Behinderung des Verfahrensfortgangs geschlossen werden muss. Dies gilt um so mehr, als er - jedenfalls für diemit der Untersuchung betrauten Organe - nach wie vor unbekannten Aufenthaltes ist und sich nach dem 1.10.1999 nicht an die Meldeauf lage gehalten hat. Der Inhalt des vorgelegten Attestes, welches der Senat hat übersetzen lassen, gibt für eine Erkrankung, die das Ausbleiben entschuldigt, nichts her. Nach dem nicht mit einem Datum versehenen Attest eines Dr. I. aus S. spiegele sich für den 12.10.1999 das Bild eines sich erschöpfenden Anfalls unruhiger Gespanntheit, der Panik wieder; der Denkprozess - Tempo und Verlauf - sei äußerst stabil, es fehlten Anhalte einer Wahnproduktion. Angesichts der relativen Häufigkeit solcher Anfälle, komme er zu dem Schluss, dass die diagnostischen Kriterien für F.41.O., panische Störung, nach der Klassifikation der Krankheiten -zehnte Revision /ICD 10/, erfüllt seien. Bei dieser Diagnose liegt eine Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit nicht vor. Vielmehr handelt es sich um eine angesichts der Strafandrohung durchaus nachvollziehbare, in das panikartige gesteigerte Angst vor einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe und Inhaftierung. Ein Beleg dafür findet sich in den eigenen Angaben des Angeklagten gegenüber Dr. I., wonach er unter den geschilderten Symptomen erstmals im Zuge der Untersuchungshaft in 1996 gelitten habe. Auch die dem Angeklagten verschriebenen Medikamente - Seropram und Rivotril - lassen keinen Schluss auf eine Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit zu; es handelt sich jeweils um Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine mit einer beruhigenden, schlaffördernden und muskelrelaxierenden Wirkung, wobei Rivotril im Wesentlichen als Antiepileptikurn Anwendung findet. In der Summe der Umstände - Auslandsaufenthalt, Verstoß gegen Meldeauflagen und Behauptung der Reise- und Verhandlungsunfähigkeit, ohne ein zureichendes Attest vorlegen zu können - belegen sich die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des "Sich-Entziehens".

Entgegen der Ansicht des Verteidigers ist die Sicherheit auch nicht deshalb freizugeben, weil der Haftbefehl schon zu einem früheren Zeitpunkt vor der Hauptverhandlung hätte aufgehoben werden müssen. Es kann dahinstehen, ob der außer Vollzug gesetzte Haftbefehl wegen eines etwaigen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot hätte aufgehoben werden müssen. Bei § 124 StPO. handelt es sich nämlich um eine Verfahrensnorm, die nicht den Grundsätzen über Strafen und strafähnlichen Sanktionen folgt, sondern allein der Verfahrenssicherung dient, sodass materiellrechtliche Gerechtigkeitsgesichtspunkte außer Betracht bleiben müssen (OLG München -NStZ 1990, 249).. Demgemäss erledigen sich ohne eine förmliche Aufhebung des Haftbefehls die Maßnahmen nach § 116 StPO nicht von selbst. Auch die Sicherheit wird in keinem Fall ohne diesen Akt frei. Selbst wenn der Haftbefehl ohne weitere Prüfung aufgehoben werden muss, bewirkt erst die Aufhebung selbst das Freiwerden der Sicherheit (Löwe-Rosenberg-Wendisch, StPO, 25. Auflage, 1997, Rdnr. 5 zu § 123). Der entgegenstehenden Ansicht des Landgerichts Lüneburg (StV 1987, 111), wonach bei Aufrechterhaltung des Haftbefehls infolge falscher Sachbehandlung der Sicherungsgeber nicht schlechter gestellt werden dürfe, als er bei ordnungsgemäßer Aufhebung des Haftbefehls vor Eintritt der den Verfall auslösenden Handlung stünde, tritt der Senat nicht bei. Die Sicherheitsleistung dient allein der Verfahrenssicherung. Ihre Verfallsmöglichkeit bietet die ausschlaggebende Gewähr dafür, dass der Sicherheitsleistung als Gegengewicht zu Fluchtanreizen Bedeutung zukommt (vgl. OLG München a.a.). Andernfalls wäre die erforderliche Sicherheit für den Fortgang des Verfahrens nicht gegeben. Könnte eine Kaution nicht mehr verfallen, hätte sie keinen Sicherungszweck und wäre kein geeignetes Mittel, die Untersuchungshaft zu ersetzen. Jenes wäre indes zu besorgen, wenn der Verfall einer Kaution neben dem formellen Bestand des Haftbefehls von weiteren materiellrechtlichen oder prozessualen Umständen abhinge, die zu erkennen der Haftrichter bei der Frage der Außervollzugsetzung nicht in der Lage ist, weil sie beispielsweise von zukünftigen Entwicklungen beeinflusst sind. Der Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 4 StPO würde damit jede praktische Relevanz genommen, was weder im Interesse der Untersuchungshäftlinge, noch Sinn des Gesetzes sein kann. Es muss deshalb dabei bleiben, dass die Verschonungsmaßnahmen dem Gesetzeswortlaut des § 123 Abs. 1 und 2 StPO entsprechend erst mit der formellen Aufhebung des Haftbefehls ihre Bedeutung verlieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Dies gilt auch hinsichtlich. des Beschwerdeverfahrens 3 Ws 830/00, da dem Beschuldigten letztendlich ein Erfolgversagt geblieben ist.

Ende der Entscheidung

Zurück