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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 07.07.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 585/09
Rechtsgebiete: GVG, StPO


Vorschriften:

GVG § 24 Abs. 1
StPO § 14
StPO § 19
StPO § 209
1. Hat das Amtsgericht gemäß § 209 II StPO die Sache der Strafkammer vorgelegt, prüft diese nicht nur ihre sachliche Zuständigkeit, sondern entscheidet auch über die Eröffnung, die gegebenenfalls auch vor dem vorliegenden Amtsgericht erfolgen kann.

2. Auch im Falle einer missbräuchlichen Vorlage oder willkürlichen Verneinung der Zuständigkeit durch das Amtsgericht, kann die Strafkammer nicht lediglich die "Übernahme ablehnen", um dann im Wege der Vorlage das Oberlandesgericht die Zuständigkeitsfrage nach § 24 GVG entscheiden zu lassen.


Gründe:

Mit Anklage vom 19.09.2007 legt die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main dem Angeschuldigten 106 Fälle des gewerbsmäßigen Betruges zur Last. Die Anklage wurde am 24.09.2007 zum Amtsgericht - Schöffengericht - Frankfurt am Main erhoben. Der Vorsitzende verfügte die Zustellung der Anklage an den Angeschuldigten, die am 18.10.2007 erfolgte. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10.7.2008 unter Beifügung eines Ordners, der eine eigene Stellungnahme des Angeschuldigten zur Anklage und Beweismittel enthielt, ließ sich der Angeschuldigte ein. Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, die einer beabsichtigten Vorlage an die Strafkammer nicht entgegentrat, legte das Amtsgericht mit näher begründetem Beschluss das Verfahren gem. § 209 II StPO der Strafkammer vor, weil deren Zuständigkeit gem. § 24 I Nr. 2 und Nr. 3 GVG gegeben sei. Mit Beschluss vom 01.10.2008 lehnte die 4. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main "die Übernahme ab", weil die Voraussetzungen des § 24 I Nr. 2 und Nr. 3 GVG nicht gegeben seien, was näher begründet wurde. Daraufhin erfolgte die Vorlage an den Senat durch das Amtsgericht.

Die Vorlage ist in entsprechender Anwendung der §§ 14, 19 StPO zulässig, da sich kein anderer Ausweg darbietet und das Verfahren - beide Gerichte halten sich für unzuständig - ansonsten zum Stillstand kommen würde (vgl. Senat, Beschl. v. 18.06.2004 - 3 Ws 668/04 mwN - für den Fall der Geltendmachung fehlender Bindungswirkung einer Verweisung nach § 270 StPO; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 14 Rn 2 mwN).

In der Sache selbst war unter Aufhebung des Beschlusses vom 1.10.2008 festzustellen, dass sich die Strafkammer der Entscheidung über die Eröffnung zu unterziehen hat.

Nach § 209 I StPO prüft das Gericht höherer Ordnung im Eröffnungsverfahren nach einer Vorlage gem. § 209 II StPO nicht nur seine sachliche Zuständigkeit, sondern entscheidet auch über die Eröffnung, die gegebenenfalls auch vor dem vorlegenden Gericht niederer Ordnung erfolgen kann (BT Dr. 8/976, S. 44;Tolksdorf, in: KK-StPO, 6. Aufl., § 209 Rn 15; Meyer-Goßner, § 209 Rn 3; Paeffgen, in: SK-StPO, § 209 Rn 10 mwN). Diese Entscheidung durfte die Strafkammer nicht verweigern, indem sie lediglich - wie geschehen -"die Übernahme des Verfahrens ablehnte". Eine solche Zwischenentscheidung im Zuständigkeitsstreit wollte die Regelung des § 209 II StPO gerade vermeiden; die Entscheidung i.S. dieser Vorschrift ist nur eine Gesamtentscheidung über den hinreichenden Tatverdacht und die sachliche Zuständigkeit (Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 209 Rn 33;Seidl, in: SK-StPO, § 209 Rn 9; vgl. auch OLG Koblenz, JR 1982, 479 mit Anm. Brunner). Das Gericht höherer Ordnung ist mit anderen Worten zwar an die Vorlage als solche, nicht aber an die dieser zu Grunde liegenden Rechtsansicht des Gerichts niederer Ordnung gebunden (Stuckenberg, § 209 Rn 45): Es muss zwar über die Eröffnung entscheiden, prüft aber die sachliche Zuständigkeit, auch nach Maßgabe der hier in Rede stehenden Vorschriften des § 24 I Nr. 2 und Nr. 3 GVG (Stuckenberg, § 209 Rn 35) selbstständig.

Das gilt auch im Falle einer missbräuchlichen Vorlage oder willkürlicher Verneinung der Zuständigkeit durch das Amtsgericht (i.E. ebenso Stuckenberg, a. a. O., § 209 Rn 46). Denn das Landgericht hat nach der dargestellten Rechtslage auch in diesem Falle die Möglichkeit, das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht zu eröffnen. Auf diese Weise kann es als Gericht höherer Ordnung den Kompetenzkonflikt mit dem Gericht niederer Ordnung selbst lösen (vgl. Ritscher, in: Graf/Volk, BeckOK StPO, Stand 01.04.2009, § 209 Rn 1) und zugleich dem Verfahren Fortgang geben; einer Entscheidung des übergeordneten Gerichts bedarf es gerade nicht. Dieser Beschluss des Landgerichts ist im Falle seiner Rechtskraft für das Amtsgericht auch bindend, als Gericht niederer Ordnung darf es nicht erneut und schon gar nicht abweichend von dem höherrangigen Gericht entscheiden (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1990, 100; Tolksdorf, in. KK- StPO, 6. Aufl. § 209 Rn 12) oder seinerseits erneut - etwa nach § 225a StPO - vor Beginn der Hauptverhandlung vorlegen (vgl. OlG Jena, Beschl. v. 23.10.2006 - 1 AR (S) 96/06 -juris; offen gelassen von OLG Rostock, Beschl. v. 28.02.2003 - 1 Ws 71/03 -juris; a.A. Paeffgen, § 209 Rn 12 ohne Begründung und unter unzutr. Berufung auf OLG Karlsruhe aaO). Vielmehr kann das Gericht niederer Ordnung, selbst wenn es die Eröffnungsentscheidung des Gerichts höherer Ordnung seinerseits für willkürlich hält, frühestens nach Beginn der Hauptverhandlung an ein höheres Gericht, ggf. auch an das Eröffnungsgericht verweisen (OLG Jena; OLG Karlsruhe -jew. aaO).

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