Judicialis Rechtsprechung
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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 23.10.2004
Aktenzeichen: 3 Ws 599/04 StVollz
Rechtsgebiete: StVollzG
Vorschriften:
StVollzG § 29 I 1 | |
StVollzG § 30 II |
2. Das Öffnen von Verteidigerpost zur Kontrolle auf unzulässige Einlagen ist nur dann gestattet, wenn sicher gewährleistet ist, dass jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der Kontrollierende vom gedanklichen Inhalt der dem Schutz des § 29 I 1 StVollzG unterliegenden Schriftstücke, nämlich dem Schriftsatz des Verteidigers und vom Verteidigungszweck umfasster Anlagen auch nur bruchstückhaft Kenntnis erlangt.
3. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Post vom kontrollierenden Beamten oder dem Gefangenen geöffnet wird. Auch eine Zustimmung des Gefangenen zur Öffnung ist jedenfalls dann unwirksam, wenn ihre Verweigerung dazu führt, dass die Anstalt vor der Aushändigung der Post beim Verteidiger telefonisch zurückfragt, ob die Post vom Anwalt stammt.
4. Wird die Verteidigerpost einer unzulässigen Kontrolle unterworfen, bevor sie dem Gefangenen ausgehändigt wird, ist die Aushändigung nicht mehr unverzüglich i. S. des § 30 II StVollzG.
3 Ws 599-615/04 StVollz
Gründe:
Mit Allgemeinverfügung vom 4.7.2003 regelte die Justizvollzugsanstalt die Eingangskontrolle bei Verteidigerpost wie folgt:
",,,"2. Der Bereichsleiter oder der/die Stationsbedienstete begibt sich mit dem ungeöffneten Schreiben zu dem Adressaten/Gefangenen und befragt diesen, ob er bereit ist, den Umschlag im Beisein des/der Bediensteten zu öffnen und durch Hochhalten bzw. Ausschütteln des Inhalts nachzuweisen, dass sich außer dem Verteidigerschreiben keine (unzulässigen) Einlagen darin befinden.
a. Im Falle des Einverständnisses des Gefangenen wird entsprechend verfahren, wobei durch ausreichenden Abstand zwischen dem/der Bediensteten und dem Gefangenen sichergestellt sein muss, dass dem/der Bedienstete keine Möglichkeit hat, von dem Inhalt bzw. Text des Verteidigerschreibens Kenntnis zu nehmen.
b. Im Falle der Weigerung des Gefangenen ist die Verteidigerpost unverzüglich an die Poststelle zurückzugeben.
c. Die Poststelle nimmt umgehend telefonischen Kontakt mit dem Büro der Rechtsanwaltskanzlei auf und erkundigt sich, ob und wann das Schreiben dort abgesandt wurde. Sollte diese Auskunft nicht sofort erteilt werden können, hat der/die Mitarbeiter der Poststelle unter Hinweis darauf, dass das Schreiben andernfalls unausgehändigt zurückgesandt werden würde, um umgehenden Rückruf zu bitten.
Wird die Absendung des Verteidigerschreibens innerhalb der normalen Postlaufzeit bestätigt, vermerkt der Mitarbeiter der Poststelle dies und den Namen derjenigen Person, von der er die Bestätigung erhalten hat, auf einem gesonderten Blatt und leitet dieses mit dem Verteidigerschreiben an den zuständigen Bereichsleiter weiter. Erhält der Mitarbeiter der Poststelle innerhalb eines Tages keine Absendebestätigung des Rechtsanwaltsbüros oder ergibt sich, dass das Schreiben vor der üblichen Postlaufzeit abgesandt wurde, ergänzt er das anliegende Begleitschreiben und sendet dieses mit dem Schreiben des Verteidigers an diesen zurück...."
Auf der Grundlage dieser Allgemeinverfügung kontrollierte die Anstalt auf der Vorder- und Rückseite durch einen Stempelaufdruck als "Verteidigerpost" gekennzeichnete Briefe der Rechtsanwälte A und C, die durch Vollmachtshinterlegung als Verteidiger des Gefangenen registriert sind. Namentlich händigte sie einen am 9.10.2003 eingegangenen Brief des Rechtsanwalts A dem Gefangenen, der sich bei früheren Schreiben der Anwälte geweigert hatte, diese zu öffnen und auszuschütteln, erst aus, nachdem dessen Kanzlei auf telefonische Rückfrage erklärt hatte, dass das Schreiben von dort stammte.
Am 11.11.2003 erhielt die Allgemeinverfügung folgende Fassung:
"...2. Der Bereichsleiter oder sein Vertreter bestellt zum Zwecke der Aushändigung der Verteidigerpost den Empfänger (Gefangenen) in den Raum ... (Station ...), wo im Abstand von mindestens 5 Metern auf dem Boden zwei Punkte markiert sind. Dort befragt er den Adressaten/Gefangenen, ob dieser bereit ist, den Umschlag in seinem Beisein zu öffnen und durch Hochhalten und Ausschütteln des Inhalts nachzuweisen, dass sich außer dem Verteidigerschreiben keine (unzulässigen) Einlagen darin befinden. Hierbei ist der Gefangene darauf hinzuweisen, dass sich beide Personen bei diesem Vorgang auf den markierten Stellen befinden werden, wodurch aufgrund des Abstandes sichergestellt ist, dass der Bereichsleiter bzw. sein Vertreter keine Möglichkeit haben, von dem Text des Verteidigerschreibens auch nur bruchstückhaft Kenntnis zu nehmen.
a) Im Falle des Einverständnisses des Gefangenen wird entsprechend verfahren.
b) Im Falle der Weigerung des Gefangenen ist die Verteidigerpost unverzüglich an die Poststelle zurückzugeben.
c) Die Poststelle nimmt umgehend telefonischen Kontakt mit dem Büro der Rechtsanwaltskanzlei auf und erkundigt sich, ob und wann das Schreiben dort abgesandt wurde. Sollte diese Auskunft nicht sofort erteilt werden können, hat der/die Mitarbeiter/in in der Poststelle unter Hinweis darauf, dass das Schreiben andernfalls unausgehändigt zurückgesandt werden würde, um umgehenden Rückruf zu bitten.
Wird die Absendung des Verteidigerschreibens innerhalb der normalen Postlaufzeit bestätigt, vermerkt der Mitarbeiter der Poststelle dies und den Namen derjenigen Person, von der er die Bestätigung erhalten hat, auf einem gesonderten Blatt und leitet dieses mit dem Verteidigerschreiben wieder an den zuständigen Bereichsleiter. Erhält der Mitarbeiter der Poststelle innerhalb eines Tages keine Absendebestätigung des Rechtsanwaltsbüros oder ergibt sich, dass das Schreiben vor der üblichen Postlaufzeit abgesandt wurde, ergänzt er das anliegende Begleitschreiben und sendet dieses mit dem Schreiben des Verteidigers an diesen zurück."
Am 10.12.2003 ging ein in vorbeschriebener Weise gekennzeichneter Verteidigerbrief des Rechtsanwaltes A für den Antragsteller ein. Er wurde in den vorbezeichneten Raum gerufen und aufgefordert, im Beisein des Bereichsleiters den Brief zu öffnen, auszuschütteln und den Umschlag zur Sichtkontrolle zu übergeben. Nach Weigerung des Gefangenen wurde ihm der Brief nicht ausgehändigt, sondern erst am 11.12.2003 übergeben.
Die Durchführung der Kontrolle sowie die hierdurch bewirkte Verzögerung bei der Aushändigung der erwähnten sowie weiterer Schreiben seiner Verteidiger hat der Gefangene mit seinen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung beanstandet. Die Kammer hat im angefochtenen Beschluss nach Auslegung und teilweiser Umformulierung dieser Anträge u.a. erkannt:
"zu 2.), 7.), 11.), 12.) u. 17.)
die Antragsgegnerin wird angewiesen, dem Antragsteller künftig unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Verteidigerpost unverzüglich auszuhändigen;
zu 8.)
die Antragsgegnerin wird angewiesen, es künftig zu unterlassen, den Antragsteller bezüglich eingehender und ordnungsgemäß gekennzeichneter Verteidigerpost aufzufordern, diesen im Beisein eines Vollzugsbeamten zu öffnen;
zu 10.)
es wird festgestellt, dass die telefonische Kontaktierung des als Verteidiger des Antragstellers ordnungsgemäß eingetragenen Rechtsanwalts A aus O 1 bezüglich eines von ihm stammenden, ordnungsgemäß gekennzeichneten Verteidigerbriefes vom 9.10.2003 zur Absenderkontrolle rechtswidrig war;
zu 15.)
es wird festgestellt, dass die Aufforderung an den Antragsteller gem. Ziff. 2.a) der Verfügung der Antragsgegnerin vom 11.11.2003 und das Nichtaushändigen gem. Ziff. 2.b) derselben Verfügung bezüglich des ordnungsgemäß gekennzeichneten Verteidigerbriefes des eingetragenen Rechtsanwalts A vom 10.12.2003 rechtswidrig waren;
zu 16.)
es wird festgestellt, dass die Aushändigung des am 10.12.2003 eingegangenen Verteidigerbriefes des Rechtsanwalts A aus O 1 erst am 11.12.2003 rechtswidrig war;
zu 19.)
der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Anordnung des LG Gießen vom 11.11.2003, Az. 2 StVK-Vollz 1778/03, ein Zwangsgeld von 1.000,00 Euro angedroht."
Auf diese Aussprüche beschränkt hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt form- und fristgerecht "Rechtsbeschwerde" eingelegt und diese in gleicher Weise mit der Sachrüge begründet. Das Rechtsmittel ist - soweit es sich gegen Ziffer 19 richtet - gemäß §§ 120 I StVollzG, 300 StPO als Beschwerde auszulegen (vgl. nachfolgend II).
I.
Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 I StVollzG. Denn die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist, soweit sie beim Senat angefallen ist, sowohl zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als auch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
Das Rechtsmittel hat nur zum geringen Teil Erfolg.
Die Kammer hat die Anträge Ziffer 2, 7, 8, 11,12,17 zutreffend als vorbeugende Unterlassungsbegehren ausgelegt, die wegen Wiederholungsgefahr zulässig sind . Diese Gefahr ergibt sich schon daraus, dass die Kontrollpraxis durch die Anstalt als rechtlich zulässig verteidigt wird . Ob die Anstalt darüber hinaus an dieser Praxis trotz entgegen stehender Eilanordnungen der Kammer festgehalten hat, worauf diese im angefochtenen Beschluss maßgeblich abhebt, kann mithin dahin stehen. Die Fortsetzungsfeststellungsanträge sind - soweit sie beim Senat angefallen sind - aus dem gleichen Grunde, nämlich Bestehen von Wiederholungsgefahr, zulässig.
Die Anträge erweisen sich nach Überprüfung des angefochtenen Beschlusses durch das Rechtsbeschwerdegericht auf sachlich-rechtliche Fehler auch - bezüglich des Unterlassungsbegehrens allerdings nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange - als begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats , der sich die übrigen Obergerichte - jedenfalls in Strafvollzugssachen - angeschlossen haben , und der die Literatur ganz überwiegend gefolgt ist , ist nach § 29 I 1 StVollzG jede Überwachung der Verteidigerpost, d.h. jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts der Sendung unzulässig . Denn Sinn und Zweck des Überwachungsverbotes in § 29 I 1 StVollzG ist es, den unbefangenen Verkehr zwischen Gefangenen und seinem Verteidiger, d.h. ihren freien, vor jeder auch nur bloßen Möglichkeit einer Kenntnisnahme des Kommunikationsinhaltes durch Dritte geschützten Gedankenaustausch auf schriftlichem Wege zu gewährleisten . Verboten ist deshalb jedes - auch nur teilweises - Öffnen der Verteidigersendung, wenn nicht gänzlich auszuschließen ist, dass der Kontrollierende hierdurch bewusst oder unbewusst auch nur Bruchstücke des Textes wahrnehmen kann, so dass selbst die (teilweise) Öffnung der Verteidigerpost zur bloßen Feststellung der Absenderidentität oder die Kontrolle des Inhalt der Sendung in Form einer groben Sichtung und eines Durchblätterns der Schriftunterlagen von dem Kontrollverbot umfasst ist . Dabei macht es keinen Unterschied, vom wem der Brief geöffnet und die Schriftunterlagen "ausgeschüttelt" werden. Auch wenn der Gefangene selbst im Beisein eines Beamten seine Verteidigerpost öffnen und "ausschütteln" soll, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beamte bewusst oder unbewusst Bruchstücke des Inhaltes wahrnehmen kann, ist eine derartige Kontrollmaßnahme unzulässig . Dies gilt auch dann, wenn die Kontrollmaßnahmen mit Zustimmung des Gefangenen erfolgt . Zulässig ist hingegen eine Prüfung, ob überhaupt Verteidigerpost vorliegt, also auf die Absenderidentität, die sich auf nur äußere Merkmale beschränkt .
Andererseits ist entgegen der Ansicht der Kammer, nicht jedwede Sichtkontrolle der Verteidigerpost ausgeschlossen. Die Sendung des Verteidigers darf auf unerlaubte Einlagen in einer Weise überprüft werden, bei der eine - auch nur bruchstückhafte - Kenntnisnahme des gedanklichen Inhaltes ausgeschlossen ist . Geschützt und von der Kontrolle ausgenommen nach § 29 I StVollzG ist nämlich nur der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger. Hierunter sind lediglich die Bestandteile einer (Post)Sendung - gleichgültig ob sie nun als Brief, Päckchen oder Paket zu qualifizieren sind - die den Gedankenaustausch zwischen Gefangenen und Verteidiger betreffen, zu verstehen . Beilagen sind also dann Bestandteil der Verteidigerpost, wenn sie sich als untrennbarer Teil dieses Gedankenaustausches darstellen , also vom Verteidigungszweck getragen sind . Diese Grundsätze schließen zwar aus, die Verteidigerpost daraufhin zu überprüfen, ob sie neben dem eigentlichen Schriftsatz unzulässige (i.e. vom Verteidigungszweck nicht umfasste) sonstige schriftliche oder bildliche Unterlagen enthält. Denn eine solche Überprüfung ist nur durch partielle Kenntnisnahme deren Inhalts möglich .
Eine Kontrolle auf andere Beilagen als schriftliche Unterlagen, Fotokopien oder Bilder - z.B. auf Rauschgift oder Geldscheine - schließt § 29 StVollzG hingegen nicht per se aus. Aus diesem Grunde hat es der Senat für zulässig erachtet, eine Briefsendung des Verteidigers zu röntgen. Aber auch ein Öffnen der Verteidigerpost durch den Gefangenen zu diesem letztgenannten Zwecke ist nicht in jedem Falle unzulässig. Sie darf durchgeführt werden, wenn wirklich jede Möglichkeit der auch nur bruchstückhaften Kenntnisnahme vom Inhalt der Briefsendung (einschließlich der Verteidigungszwecken dienenden Beilagen) ausgeschlossen ist, wobei allerdings ein bloßes Verbot der Vollzugsbehörde an den kontrollierenden Beamten, vom gedanklichen Inhalt Kenntnis zu nehmen, nicht ausreicht . Ob es sich bei dieser zulässigen Öffnung der Verteidigerpost zur Kontrolle auf unzulässige Beilagen im obigen Sinne nur um eine theoretische (i.e. rein ideell vorstellbare) oder auch praktisch realisierbare Möglichkeit handelt, hat der Senat hier nicht zu entscheiden. Er hat sich vielmehr auf die Überprüfung bei ihm konkret zur Entscheidung angefallener Kontrollpraktiken der Anstalt zu beschränken.
Die bei den verfahrensgegenständlichen Kontrollen der Verteidigerpost des Antragstellers angewandte, auf den Allgemeinverfügungen vom .4.7.2003 bzw. 11.11.2003 beruhende Kontrollpraxis der Anstalt erweist sich jedoch auch auf der Basis der soeben dargestellten Rechtsprechung des Senats als rechtswidrig. Es ist bereits nicht zulässig, generell und unterschiedslos die Aushändigung jeder eingehenden Post des Verteidigers davon abhängig zu machen, dass der Gefangene sie öffnet und "ausschüttelt" oder aber dass die Absenderidentität durch gesonderte telefonische Nachfrage bestätigt wird (nachfolgend 1). Außerdem gewährleistet der von der Anstalt praktizierte und dem Gefangenen abverlangte Modus des Öffnens der Post nicht, dass eine unbefugte Kenntnisnahme der kontrollierenden Beamten von deren gedanklichen Inhalt ausgeschlossen ist (nachfolgend 2). Dies rechtfertigt den Ausspruch des vorbeugenden Unterlassungsbegehrens im tenorierten Umfange und führt dazu, dass die Kammer denjenigen Feststellungsbegehren des Gefangenen, die auf Grund der beschränkten Rechtsmitteleinlegung beim Senat angefallen sind, zu Recht entsprochen hat (nachfolgend 3).
1.
Dass sich die Prüfung, ob es sich bei der eingehenden Post um Verteidigerpost handelt und keine unzulässigen Beilagen enthält, grundsätzlich auf äußere Merkmale beschränken muss , bedeutet nicht, dass sich die Vollzugsbehörde nur auf den äußeren Schein - etwa die Absenderangabe eines Verteidigers - verlassen müsste . Vielmehr muss sich der Verteidiger als solcher gegenüber der Anstalt durch die Vollmacht des Gefangenen oder seine Bestellungsanordnung durch das Gericht ausgewiesen haben. Er ist überdies gehalten, die Verteidigerpost ausreichend zu kennzeichnen. Hierzu gehört nicht nur, dass er im sichtbaren Adressfeld des Briefes seine Absenderadresse wiedergibt. Vielmehr ist auch der Umschlag selbst als Verteidigerpost zu kennzeichnen. Erreicht die Anstalt ein Brief ohne ausreichende Kennzeichnung des Umschlages oder bestehen sonst begründete Zweifel an dem Vorliegen von Verteidigerpost, so kann die Anstalt beim Verteidiger Rückfrage halten und wenn keine ausreichende Abklärung erfolgt, die Sendung an den Absender zurücksenden .
Umgekehrt ist - mit Blick auf den von Verfassungs wegen garantierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - das in § 29 StVollzG niedergelegte Recht des Gefangenen auf unbehinderten und unbefangenen Schriftverkehr mit seinem Verteidiger verletzt, wenn die Kontrolle der Absenderidentität über das hierfür erforderliche Maß hinausgeht, also ohne zureichende Gründe - d.h. einen konkreten Anhalt dafür, dass die Sendung nicht vom Verteidiger stammt oder unzulässige Einlagen enthält - die Aushändigung der Post von deren "Ausschütteln" und im Falle der Weigerung des Gefangenen einer telefonischen Nachfrage beim Verteidiger abhängig gemacht bzw. die Sendung zurückgeschickt wird. Denn dem Gesetzgeber war bekannt, dass das Verbot der inhaltlichen Kontrolle der Verteidigerpost Gefahren eines Missbrauchs in sich birgt. Er hat diese indes bewusst in Kauf genommen , um jeder Beeinträchtigung des zwischen dem Gefangenen und seinem Verteidiger bestehenden besonderen Vertrauens vorzubeugen. Zielsetzung des § 29 I 1 StVollzG ist nämlich - wie diejenige des § 148 I StPO - die "völlig freie Verteidigung" zu gewährleisten, die von jeder Behinderung oder Erschwerung freigestellt und in deren Rahmen der Anwalt wegen seiner Integrität als Organ der Rechtspflege jeder Beschränkung enthoben ist . Eine Beeinträchtigung der freien Verteidigung und des Vertrauensverhältnisses zum Mandaten ist indes bereits zu besorgen, wenn ohne besonderen Anlass auch ausreichend und ordnungsgemäß gekennzeichnete Post eines bei der Anstalt vorschriftsmäßig gemeldeten Verteidigers der Kontrolle unterworfen wird. Sie bringt nämlich aus der - für eine Störung des Vertrauensverhältnisses allein maßgeblichen - Sicht des Gefangenen und des Verteidigers Misstrauen der Anstalt auch gegenüber dem Verteidiger zum Ausdruck. Ganz abgesehen davon können gerade bei intensivem Gedankenaustausch zwischen Verteidiger und Gefangenen, also regem Schriftwechsel, häufige telefonische Nachfragen, für die der Verteidiger keine Veranlassung gegeben hat, beim diesem zumindest das Gefühl, über die Gebühr belästigt zu werden, auslösen. Nur bei begründeten Zweifeln an der Absenderidentität und einem begründeten Verdacht eines Missbrauchs - z.B. wenn der Aufgabeort der Sendung weit vom Büro des Verteidigers entfernt liegt oder der Anstalt Hinweise auf einen Missbrauch bekannt geworden sind - ist hingegen dem vom den Vollzugsbehörden ins Feld geführten öffentliche Sicherheitsinteresse der Vorrang einzuräumen, nämlich jedenfalls in Anstalten der Sicherheitsstufe I dem Einschmuggeln gefährlicher Einlagen, namentlich Rauschgift, vorzubeugen.
Diesem Abwägungsergebnis zwischen dem Interesse des Gefangenen am Schutz des Vertrauensverhältnisses zu seinem Verteidiger und dem Sicherheitsinteresse steht auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung der Obergerichte , der sich auch der Senat angeschlossenen hat , in Anstalten der höchsten Sicherheitsstufe auch die eingehende Gerichts- und Behördenpost zumindest einer Sichtkontrolle auf die Wahrhaftigkeit des Absenders zulässig ist. Denn zum einen unterliegt diese Post § 29 III StVollzG, ist also von der Kontrolle gerade nicht gesetzlich ausgenommen , zum anderen besteht zwischen Behörden bzw. Gerichten und dem Gefangenen nicht das für das Kontrollverbot konstituierende besondere Vertrauensverhältnis.
Dass der erforderliche begründete Zweifel an der Absenderidentität oder der begründete Verdacht des Missbrauchs im Falle der am 9.10.2003, und 10.12.2003 kontrollierten Verteidigerbriefe ebenso fehlte wie bei den vorangegangenen, vielmehr die Anstalt ausnahmslos alle eingehenden ordnungsgemäß gekennzeichneten Sendungen der registrierten Verteidiger des Antragstellers nach Maßgabe ihrer Allgemeinverfügungen kontrolliert hat, ist für den Senat durch die Kammer bindend festgestellt.
2.
Die auf den Allgemeinverfügungen vom 4.7.2003 und 11.11.2003 beruhende Praxis des Aufforderns zum "Ausschütteln" von Verteidigerpost gewährleistet zudem nicht, dass jede Möglichkeit, dass der Kontrollierende vom gedanklichen Inhalt der dem Schutzzweck des § 29 I StVollzG unterliegenden Schriftstücke keine Kenntnis erlangt, ausgeschlossen ist. Vom Verbot einer inhaltlichen Kontrolle sind nicht nur der jeweils versandte Schriftsatz des Verteidigers selbst, sondern - wie bereits dargelegt - auch sämtliche dem Verteidigungszweck getragenen sonstigen Beilagen umfasst. Es erscheint bereits zweifelhaft - was die Kammer offengelassen hat, wogegen indes die von ihr durchgeführte Augenscheineinnahme und Beteiligung auch eines Vertreters der Aufsichtsbehörde spricht -, dass ein Abstand von 5 Metern zwischen kontrollierenden Beamten und die Methode des "Ausschüttelns" sicher ausschließt, dass der Beamte auch nur Bruchstücke des Textes des in der Hand des Gefangenen befindlichen Schriftsatzes selbst bewusst oder unbewusst aufnehmen kann, jedenfalls bei Verwendung größerer Schrifttypen als etwa "Arial 11". Nicht auszuschließen ist zumindest, dass mit dem Schriftsatz nicht fest verbundene, dem Gedankenaustausch dienende Anlagen, z.B. Fotokopien, Bilder, handschriftliche Notizen des Anwalts oder eines Mitarbeiters des Büros pp sich bei Schütteln lösen und dann als solche vom Beamten bei seinem Bemühen festzustellen, ob es sich um unzulässige Beilagen handelt, zumindest teilweise auch inhaltlich wahr- und aufgenommen werden. Die Kontrolle solcher Anlagen schließen die Allgemeinverfügungen gerade nicht aus. Vielmehr beziehen sie das Kontrollverbot ausdrücklich nur auf den Schriftsatz selbst (in der Nomenklatur der Verfügungen "Verteidigerschreiben") Eine Bewertung, ob eine Anlage der Verteidigung dient oder nicht, lässt sich indes ohne nähere Kenntnisnahme vom Inhalt gar nicht vornehmen lässt . Dies gilt um so mehr, als die Verteidigungsstrategie dem kontrollierenden Beamten nicht bekannt ist und auch nicht bekannt sein darf. Letztere Erwägung lässt ein Verbot, bestimmte Anlagen von einer "Nachschau" auszunehmen, weitgehend illusorisch erscheinen . Dies anzumerken, erlaubt sich der Senat vorsorglich mit Blick auf die mehrfachen, letztlich fehlgeschlagenen Versuche der Vollzugsbehörden, mit ihrer Kontrollpraxis die Grenzen des nach Rechtsprechung Zulässigen auszuloten, statt zum jahrzehntelangen praktizierten und vom Senat auch gebilligten Usus, nur in wirklichen Zweifelfällen Rückfrage beim Verteidiger zu halten, zurückzukehren oder aber die im Saarland praktizierte Methode zu übernehmen.
Dass diese soeben dargestellte Gefahr des Verstoßes gegen § 29 I 1 StVollzG durch unzulässige inhaltliche Kontrolle von Anlagen zu Schriftsätzen des Verteidigers nicht nur theoretischer Natur ist, zeigen nicht zuletzt die Ausführungen des Anstaltsleiters in der Rechtsbeschwerde überdeutlich. Dort wird zur Begründung der Notwendigkeit der Kontrolle durch "Ausschütteln" u.a. darauf hingewiesen, dass einem "echten Verteidigerbrief" ein handschriftlicher, in ausländischer Sprache verfasster Brief eines Angehörigen des Gefangenen beigefügt gewesen sei, wie bei der Kontrolle nach Maßgabe der Allgemeinverfügungen offenbar geworden sei. Genauso gut hätte es sich bei der inkriminierten Anlage indes um eine handschriftliche Notiz des Verteidigers handeln können. Festgestellt werden könnte dies nur eine verbotene inhaltliche Kontrolle.
3.
Nach alledem verstieß die ausnahmslose, nämlich nicht durch konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch gedeckte und die Gefahr einer zumindest bruchstückhaften Wahrnehmung eines geschützten gedanklichen Inhalts der Verteidigerpost begründende Aufforderung an den Gefangenen, die verfahrensgegenständlichen Briefe nach Maßgabe der Allgemeinverfügungen "auszuschütteln", gegen § 29 I StVollzG. Dass er das Ausschütteln verweigern konnte, ändert an der Rechtswidrigkeit der Praxis nichts. Entgegen der Ansicht der Vollzugsbehörde und des Hessischen Ministeriums der Justiz wird durch die Weigerungsmöglichkeit der in dem aufforderungsgemäßen Ausschütteln liegende Verzicht auf das Kontrollverbot des § 29 I StVollzG nicht zu einem "freiwilligen". Er wird nämlich nur zur Vermeidung einer - durch die dann erforderlich werdende Nachfrage - Verzögerung des Aushändigung erklärt, welche sich nach den Feststellungen der Kammer auf den der Kontrolle nachfolgenden Tag verschiebt. Zudem ist nicht von der Hand zu weisen, dass derjenige Gefangene, der das Ausschütteln verweigert, in den Verdacht gerät, etwas zu verbergen zu haben, was negative Auswirkungen im Vollzugsalltag haben kann.
War danach die Aufforderung an den Antragsteller zum "Ausschütteln" rechtswidrig, so war auch die allein an die Verweigerung des "Ausschüttelns" und nicht an begründete Zweifel an der Absenderidentität bzw. an konkrete Anhaltspunkte für eine Missbrauch der Verteidigerpost zur Übermittlung unzulässiger Einlagen geknüpfte telefonische Nachfrage beim Verteidiger rechtswidrig. Ferner führte dieses Procedere dazu, dass die Verteidigerpost nicht unverzüglich i.S. des § 30 II StVollzG ausgehändigt wurde. Völlig zu Recht führt die Kammer aus, dass jede durch eine rechtswidrige Kontrolle bewirkte Verzögerung der Aushändigung von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist und schon deswegen dem Unverzüglichkeitsgebot widerspricht.
Demzufolge waren die in der Rechtsbeschwerdeinstanz angefallenen Feststellungsbegehren auch nach der Rechtsauffassung des Senats begründet, so dass die Rechtsbeschwerde des Anstaltsleiters insoweit zu verwerfen war.
Hingegen war der angefochtene Beschlusses im Ausspruch bezüglich des vorbeugenden Unterlassungsantrags - wie geschehen - enger zu fassen. Zur Verdeutlichung sei die Rechtsauffassung des Senats, die dieser zu Grunde liegt, nochmals zusammengefasst:
- Zum einen ist nicht jede künftige Kontrolle der Verteidigerpost an den Gefangenen unzulässig, sondern lediglich diejenige, die nach Maßgabe der obigen Ausführungen nicht durch begründete Zweifel an der Absenderidentität und/oder für einen Missbrauch der Verteidigerpost gedeckt ist .
- Ferner ist auch nicht jede (nur denkbare) Form des Öffnen der Verteidigerpost bei Vorliegen begründeter Zweifel rechtswidrig. Vielmehr ist diejenige zulässig, die nach Maßgabe der obigen Ausführungen die Gefahr ausschließt, dass der Kontrollbeamte bewusst oder unbewusst auch eine, wenn auch nur geringfügige Inhaltskontrolle wahrnimmt.
- Schließlich kann nicht eine lediglich vorstellbare zukünftige Kontrollpraxis der Anstalt, sondern nur eine sich aus deren bisherigen Vorgehensweise konkret abzeichnende Gegenstand eines vorbeugenden Unterlassungsbegehrens sein.
- Gleichzeitig war klarzustellen, dass nicht jede Verzögerung der Aushändigung der Verteidigerpost , die durch ihre Kontrolle eintritt, zu unterlassen ist, sondern nur diejenige, die durch eine nach der dargestellten Auffassung des Senats unzulässige Kontrolle eintritt.
Durch den nur geringfügigen Erfolg der Rechtsbeschwerde war eine Auferlegung von Kosten auf den Antragsteller nicht veranlasst (§§ 120 I StVollzG, 473 III StPO).
II.
Gegen die Anordnung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Ziff. 19 des angefochtenen Beschlusses) ist die einfache Beschwerde eröffnet, wie der Senat durch Beschluss vom 22.10.2004 - 3 Ws 928/04 (StVollz) klargestellt hat. Die Anordnung war aufzuheben, weil der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im angefochtenen Beschluss und des Gefangenen in einer Beschwerdeerwiderung an seiner in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung festhält, dass die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Vollzugsbehörde zur Durchsetzung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer mangels einer gesetzlichen Regelung, insbesondere Nichtanwendbarkeit der Vorschriften der §§ 170, 172 VwGO unzulässig ist.
Eine Kostenentscheidung war insoweit nicht veranlasst, weil das Kostenverzeichnis in Strafvollzugssachen Gebühren nur für die Zurückweisung und die Rücknahme von Rechtsbeschwerden nicht aber für die Bescheidung von Beschwerden vorsieht.
Ende der Entscheidung
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