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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 16.09.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 830/08
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 68 f
Wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren, die sowohl für Vorsatz- als auch für Fahrlässigkeitstaten verhängt wurde, vollständig verbüßt, so hat das über die Führungsaufsicht zuständige Gericht zur Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 68 f I StGB vorliegen, in eigener Strafzumessungskompetenz in Anlehnung an die im Urteil zum Ausdruck gekommenen Gesamtstrafenzumessungsgesichtspunkte ausschließlich aus den auf die Vorsatztaten entfallenden Einzelstrafen eine fiktive Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden.
Gründe:

Das Amtsgericht Bensheim verurteilte den Beschwerdeführer am 19.07.2005 wegen vierfachen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, davon in einem Fall im Stadium des Versuchs, und wegen fahrlässiger Brandstiftung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Nachdem der Antrag des Verurteilten, ihn nach § 57 Abs. 1 StGB bedingt zu entlassen, zurückgewiesen wurde und er somit seine Strafe bis zum Ende verbüßte, hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 22.07.2008 das Entfallen der Kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht abgelehnt. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte, der zum 09.09.2008 aus der JVA entlassen worden ist.

Das gegen den Eintritt der Führungsaufsicht gerichtete Rechtsmittel ist gemäß § 463 Abs. 3 i. V. m. § 454 Abs. 3 StPO zulässig.

Es ist jedoch unbegründet. Vorliegend ist die Führungsaufsicht kraft Gesetzes eingetreten, § 68f Abs. 1 StGB. Nach § 68f I StGB tritt im Fall der Vollverbüßung einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten mit der Entlassung der verurteilten Person aus dem Strafvollzug automatisch Führungsaufsicht ein.

Soweit die Gesamtfreiheitsstrafe dabei wie vorliegend auf Einsatzstrafen sowohl für Vorsatz- wie auch für Fahrlässigkeitstaten beruht, hat das über die Führungsaufsicht zu befindende Gericht in eigener Strafzumessungskompetenz in Anlehnung an die im Urteil zum Ausdruck gekommenen Gesamtstrafenzumessungsgründe eine fiktive Gesamtstrafe aus den auf Vorsatztaten entfallenden Einzelstrafen zu bilden und die für Fahrlässigkeitstaten verhängten Einzelstrafen (fiktiv) außer Betracht zu lassen (vgl. BT.Drs. 16/1993, 23; OLG München, Beschluss vom 26.01.1984, NStZ 1984, 314 ff.). Auf diese Weise ist zu ermitteln, welche Gesamtstrafe dem Urteil entspricht, wenn die darin enthaltenen Fahrlässigkeitstaten hinweggedacht werden. Diese fiktive Strafe ist sodann der Entscheidung nach § 68f I StGB zugrunde zu legen.

Eine solche vorzunehmende Überprüfung des die Gesamtstrafe bildenden Urteils ist nach den Grundsätzen der §§ 458 I, 463 I StPO zulässig und geboten. Nach dem in § 458 StPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken soll eine nachträgliche Klärung auslegungsbedürftiger Straferkenntnisse ermöglicht werden. Eine solche Unklarheit liegt hier vor, denn das Urteil lässt Zweifel über die Berechnung der erkannten Strafe entstehen, die auf die Frage der Vollstreckung der Maßregel der Führungsaufsicht übergreifen. Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass es hier um die Zusammensetzung der Gesamtstrafe und den davon abhängigen Eintritt der Führungsaufsicht geht und damit nicht um die Zulässigkeit der Strafvollstreckung der Gesamtstrafe als solches; der in § 458 StPO verwendete Strafbegriff umfasst nämlich nicht nur die Hauptstrafe, sondern die Gesamtheit der Rechtsfolgen eines Urteils in all seinen Teilen (BGH NJW 1956, 270; OLG München, Beschluss vom 26.01.1984, NStZ 1984, 314 ff.).

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich für den vorliegenden Sachverhalt, dass dem Urteil bei einer fiktiven Bemessung der Strafe ohne die Berücksichtigung der Fahrlässigkeitstat eine Gesamtfreiheitsstrafe von über zwei Jahren entspricht. Aus den Ausführungen des Urteils ergibt sich nämlich, dass die Kammer aus den Einsatzstrafen von sieben Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung, von jeweils sechs Monaten wegen vierfachen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall und zwölf Monaten wegen fahrlässiger Brandstiftung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gebildet hat. Sie hat dabei die relativ hohe Einsatzstrafe für die Brandstiftung gewählt, weil durch den Brand ein hoher Schaden entstanden ist und eine hohe Gefährlichkeit darin bestand, dass die Gasleitung hätte explodieren können; im übrigen hat sie bei der Gesamtstrafenbildung aber auf eine Strafe erkannt, die im unteren Bereich des Strafrahmens liegt, weil sie dies angesichts der Offenheit des Verurteilten für angemessen hielt.

Die Voraussetzungen dafür, dass die Führungsaufsicht gemäß § 68f Abs. 2 StGB entfällt, liegen nicht vor. Eine solche Anordnung hat Ausnahmecharakter und setzt eine günstige Legalprognose voraus. Deren Vorliegen hat die Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 15.08.2008, durch den sie die bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, mit zutreffender Begründung verneint. Ein Absehen von der Maßregel der Führungsaufsicht kam vorliegend nicht in Betracht, zumal hierfür ein strengerer Maßstab als bei der Prognose nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB gilt (vgl. Senat, Beschluss vom 19.10.2006 - 3 Ws 1013/06 mit Nachweisen). Der Ausnahmefall, dass im letzten Stadium des Vollzuges neue Umstände eingetreten sind, die nun eine positive Prognose im Sinne von § 67f Abs. 2 StGB ermöglichen würden (vgl. Senat a. a. O.), liegt nicht vor.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die bei dem Verurteilten bestehende Suchtproblematik, die u. a. auch Anlass für seine in laufender Bewährungszeit begangenen Straftaten war, während der Haftzeit unbearbeitet blieb. Zudem fehlt es nach seiner Entlassung aus der Haft an einem gefestigten sozialen Umfeld wie auch an einer Arbeitsstelle.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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