Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 93/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56
StGB § 67 a
StGB § 67 g
Die Entscheidung nach § 67 a StGB bedarf regelmäßig der zuvorigen Einholung einer sachverständigen Stellungnahme.
Gründe:

I.

Gegen den Verurteilten hat das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Betzdorf mit Urteil vom 27.2.1987 eine Einheitsjugendstrafe von 4 Jahren verhängt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Das Landgericht Koblenz erkannte am 4.10.1990 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 1 Monat, zugleich wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ausgesprochen.

Seit dem 7.12.2004 wird die Unterbringung im Maßregelvollzug des Psychiatrischen Krankenhauses in O1 nach § 64 StGB vollzogen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Limburg hat am 12.6.2006 die Vollstreckung der Unterbringung und die durch Anrechnung noch nicht erledigten Strafreste zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte ist mit seinem Einverständnis angewiesen worden, sich in die Fachklinik X in O2 zu begeben, dort an der therapeutischen Nachsorgebehandlung teilzunehmen, sich einer örtlichen Suchtselbsthilfegruppe anzuschließen und regelmäßig therapeutische Gespräche in der forensischen Ambulanz der Klinik in O1 wahrzunehmen. In den Gründen führt die Kammer aus, dass die medikamentöse Weiterbehandlung mit Ritalin unter fachärztlicher Aufsicht die günstige Prognose erhöhe.

Am 28.8.2006 kehrte der Verurteilte nach Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe nicht mehr in die Fachklinik X zurück. Nachdem er sich am 30.8.2006 telefonisch beim Bewährungshelfer gemeldet hatte, fand er in einem Übergangswohnheim in O3 Unterkunft, erhielt dort aber bereits zwei Tage später Hausverbot, weil er stark alkoholisiert erschien. Der Verurteilte war sodann unbekannten Aufenthalts. Am 11.9.2006 meldete er sich telefonisch bei der forensischen Ambulanz der Klinik und räumte ein, aktuell Heroin zu konsumieren. Das Angebot einer stationären Entgiftung lehnte er ab.

Der am 24.10.2006 erlassene Sicherungshaftbefehl ist am 27.11.2006 vollstreckt worden und wird seit dem 28.11.2006 in der Klinik für forensische Psychiatrie O4, Y, vollzogen.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Kammer die gewährte Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung sowie der Reststrafen widerrufen und zugleich die Rücküberweisung der Vollstreckung der Maßregel in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet.

II.

Das gemäß §§ 453 Abs. 2 S. 3, 463 Abs. 5, 462 Abs. 3 S.1, 311 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist zulässig und hat zumindest einen vorläufigen Erfolg.

Das Verfahren der Strafvollstreckungskammer leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Die Strafvollstreckungskammer war gehalten, vor Entscheidung über den Widerruf der ausgesetzten Unterbringung nach § 67 g StGB, den Widerruf der ausgesetzten Jugend- und Freiheitsstrafe nach §§ 88 Abs. 6, 26 JGG bzw. § 56 f StGB und der Rücküberweisung in den Maßregelvollzug eines psychiatrischen Krankenhauses nach § 67 a StGB zumindest eine gutachterliche Stellungnahme des ärztlichen Direktors der Klinik in O1 einzuholen.

Die Schwere der Weisungsverstöße, deren zeitliche Nähe zur bedingten Entlassung, der unbekannte Aufenthalt des Verurteilten sowie der Rückfall in den missbräuchlichen Konsum von Drogen boten zwar eine in jeder Hinsicht tragfähige Grundlage für den Erlass eines Sicherungshaftbefehls. Eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die angefochtene Entscheidung sind diese Umstände ohne fachärztliche Stellungnahme aber nicht.

Die angeordnete Rücküberweisung in den Maßregelvollzug eines psychiatrischen Krankenhauses setzt voraus, dass die Resozialisierung des Verurteilten, d.h. die zukünftige Eingliederung in die Gesellschaft (verg. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 67 a Rz. 4), dadurch besser gefördert werden kann. Diese Prognose bedarf regelmäßig sachverständiger Stellungnahme (verg. OLG Hamm NStZ 1987, 93; Tröndle/Fischer aaO). Bei der vielschichtigen, zuletzt vom ärztlichen Direktor des Psychiatrischen Krankenhauses in O1 gestellten Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, einer Störung durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum sonstiger psychotropen Substanzen bei hinzutretender histrionischer Persönlichkeitsstörung konnte die Kammer nicht aus eigener Sachkunde beurteilen, ob die ursprüngliche Überweisung aus dem Vollzug des psychiatrischen Krankenhauses in O4 (Y) in den Maßregelvollzug der Psychiatrischen Klinik in O1 sich als unzutreffend erwiesen hat. Die Beurteilung, ob die weitere Behandlung im Vollzug nach § 63 StGB förderlicher erscheint, kann auch nicht allein daraus abgeleitet werden, dass der Verurteilte bei Verkündung des Sicherungshaftbefehls spontan erklärt hat, er wolle "keinesfalls nach O1 zurück, sondern ins Y". Maßgeblich auf den augenblicklichen Willen des Verurteilten abzustellen, entspricht weder den gesetzlichen Voraussetzungen noch wird dies der Bedeutung der Entscheidung für die künftige Vollstreckung gerecht. Die Annahme der Kammer, es handele sich um eine strikt ablehnende Einstellung, wird zudem bereits durch das Beschwerdevorbringen widerlegt, wonach der Verurteilte nunmehr eine Behandlung im Psychiatrischen Krankenhaus O1 bevorzugt. Im Übrigen ist es Aufgabe jeden Maßregelvollzuges, einen Therapiewillen zu wecken. So ist dies den behandelnden Ärzten im Psychiatrischen Krankenhaus O1 auch beim Verurteilten gelungen, der bei Beginn des Maßregelvollzugs noch nachdrücklich Behandlungsunwilligkeit bekundete.

Die sachverständige Beratung hat sich aber nicht nur auf die Auswahl der Maßregel zu erstrecken, sondern auch darauf, ob ein milderes Mittel als ein Widerruf der Aussetzungen in Betracht kommen kann. Dies erfordert eine prognostische Beurteilung künftigen Verhaltens, die ohne sachverständige Stellungnahme ebenfalls keine tragfähige Grundlage hat. Hier wird, wenn auch kritisch, zu prüfen sein, ob das Wagnis einer erneuten Aufnahme in die Fachklinik X verantwortbar ist.

Bei derzeitiger Vollzugslage empfiehlt es sich, sowohl die Stellungnahme der behandelnden Ärzte im Psychiatrischen Krankenhaus in O1 als auch der behandelnden Ärzte im Psychiatrischen Krankenhaus in O4 einzuholen. Deren Stellungnahmen bilden erst die wesentliche Grundlage für die zu treffende Entscheidung. Hierzu wird der Verurteilte anzuhören sein. Seine Anhörung bei Verkündung des Sicherungshaftbefehls kann diese Anhörung nicht ersetzen.

Dem Verurteilten wird Gelegenheit zur mündlichen Anhörung zu gewähren sein. Zwar ist bei einem Widerruf einer ausgesetzten Unterbringung und einer Überweisung in eine andere Maßregel die mündliche Anhörung gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben. Bezüglich des Verfahrens verweist § 463 Abs. 5 StPO nämlich nicht auf § 453 Abs. 3 S. 3 StPO, sondern auf § 462 StPO. Der damit anzuwendende § 462 Abs. 2 StPO lässt aber grundsätzlich eine schriftliche Anhörung genügen (verg. Senat, Beschl. v. 11.12.2006 - 3 Ws 1133/06). Die Strafvollstreckungskammer hat aber zugleich die Aussetzung einer Restjugend- und Restfreiheitsstrafe widerrufen. Dies gebietet nach § 453 Abs. 1 S. 3 StPO regelmäßig eine mündliche Anhörung, wenn - wie hier - wegen Weisungsverstößen widerrufen werden soll (verg. Senat, Beschl. v. 4.4.2002 - 3 Ws 370/02). § 453 Abs. 1 S. 2 StPO, der bei einem Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit keine mündliche Anhörung fordert, ist nicht einschlägig.

Entgegen der angefochtenen Entscheidung kann der Widerruf nicht darauf gestützt werden, der Verurteilte habe eine neue Straftat begangen, in dem er bei Verkündung des Sicherungshaftbefehls glaubhaft angegeben habe, "einmal in einer Gaststätte einen Deckel über 7 Euro gemacht zu haben und diesen nicht habe zahlen zu können". Der Senat kann offen lassen, ob diese gedrängte Zusammenfassung eines - zudem nach Ort und Zeit nicht näher konkretisierten - Lebenssachverhalts eine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Straftat ist. Ein ggf. anzunehmender Betrug mit einem Vermögensschaden von 7 Euro steht jedenfalls in keinem angemessenen Verhältnis zum Widerruf einer ausgesetzten Unterbringung, die seit nahezu 20 Jahren vollzogen worden ist. Das eingestandene Verhalten ist vielmehr angemessen in die Gesamtschau bei Gewichtung der Weisungsverstöße einzustellen.

Die Verfahrensfehler führen - auch wenn das Beschwerdegericht im Regelfall die erforderliche Sachentscheidung zu treffen hat (§ 309 Abs. 2 StPO) - zur Aufhebung und Zurückverweisung. Der Senat könnte zwar die fachärztlichen Stellungnahmen einholen, das mit der erforderlichen mündlichen Anhörung verbundene Verfahren ist aber im Beschwerdeverfahren nicht nachzuholen, da eine mündliche Anhörung dort in der Regel nicht stattfindet (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 14.8.2006 - 3 Ws 743/06; Beschluss vom 24.08.2004 - 3 Ws 897-899/04; Beschluss vom 1.10.2001 - 3 Ws 945-946/01). Diese in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (verg. OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 3031 [3014]; Wendisch, in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 454 Rn 69 jeweils m.w.N.).

Vor erneuter Entscheidung wird die Strafvollstreckungskammer auch die Einlassung des Verurteilten im Beschwerdeverfahren zu prüfen haben, die Weisungsverstöße seien mit darauf zurückzuführen, dass die Ambulanz der Klinik die medikamentöse Behandlung mit Ritalin abgesetzt habe.

Ende der Entscheidung

Zurück