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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 24.10.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 945/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 462 a Abs. 1 S. 2 | |
StPO § 462 a Abs. 4 S. 2 |
Gründe:
Die Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auf Kosten des Verurteilten (§ 473 I StPO) verworfen.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Auch das Verfahren ist nicht zu beanstanden, namentlich war die Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung über den Widerruf sachlich zuständig.
Für die Zuständigkeitsfrage ist folgender Verfahrensgang von Bedeutung: Am 8.11.2005 wurde die Verurteilte im Anlassverfahren verhaftet und auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Offenbach vom 9.11.2005 in Untersuchungshaft genommen, die in der JVA ... vollstreckt wurde. Am 14.12.2005 ging beim Amtsgericht Braunschweig, das damals (noch) die Bewährungsaufsicht im vorliegenden Verfahren führte, die Anklage vom 6.12.2005 im Anlassverfahren ein. Das im Anlassverfahren am 14.2.2006 ergangene Urteil wurde am 22.2.2006 rechtskräftig. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Verurteilte noch in der JVA ... . Sie wurde am 5.5.2006 nach vollständiger Verbüßung der sechsmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 14.2.2006 entlassen. Danach übernahm die Strafvollstreckungskammer die Bewährungsüberwachung in vorliegender Sache. Die Verurteilte befindet sich derzeit wegen des Vorwurfs eines nach der Entlassung aus der Strafhaft begangenen neuerlichen Diebstahlsdelikts wiederum in Untersuchungshaft in der ... .
Für die Bewährungsüberwachung und eventuelle Nachtragentscheidungen war nach Erlass des Urteils vom 31.10.2005 zunächst das Amtsgericht Braunschweig als erkennendes Gericht sachlich zuständig. Mit der Aufnahme der Verurteilten in den Strafvollzug der JVA ... zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Offenbach vom 14.2.2006 (Übergang der Untersuchungshaft in Strafhaft mit Rechtskraft dieses Urteils am 22.2.2006) ging die sachliche und funktionale Zuständigkeit für die Bewährungsaufsicht und die gem. § 453 StPO zu treffenden nachträglichen Entscheidungen auf die Strafvollstreckungskammer Frankfurt am Main über (§§ 462a I, IV 2 StPO). Für diesen Übergang der sachlichen Zuständigkeit ist unerheblich, ob Amtsgericht oder Strafvollstreckungskammer während der - am 5.5.2006 endenden - Haftzeit mit einer konkreten vollstreckungsrechtlichen Entscheidung befasst waren. Denn das "Befasstsein" i.S. des § 462 a Abs. 1 S. 1 StPO hindert nur den Übergang der Zuständigkeit im Verhältnis zwischen den Strafvollstreckungskammern, nicht aber im Verhältnis zwischen dem Gericht des ersten Rechtszuges und der Strafvollstreckungskammer (Senat, Beschl. v. 30.8.2006 - 3 Ws 841/06; OLG Düsseldorf, JMBL NW 2002, 114f.;). Eine Zuständigkeitsfixierung durch "Befasstsein" des Tatgerichts gibt es nicht (BGH, Beschl. v. 17.5.2000 - 2 ARs 120/00). Vielmehr hat vom Zeitpunkt der Aufnahme der Verurteilten in eine JVA die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer stets den Vorrang (BGH und Fischer jew. aaO). Das "Befasstsein" ist mithin nur für die - das Verhältnis mehrerer Strafvollstreckungskammern untereinander betreffende - Frage der örtlichen Zuständigkeit, nicht aber - das Verhältnis zwischen Strafvollstreckungskammer und erkennendem Gericht betreffenden - Frage der sachlichen und funktionalen Zuständigkeit von Bedeutung (vgl. BGH StPO § 462a Befasstsein 2; Senat, Beschl. v. 30.8.2006 - 3 Ws 841/06; OLG Düsseldorf aaO; Fischer, in KK-StPO, 5. Aufl., § § 462aRn 16, 30).
Nach erfolgtem Übergang der sachlichen Zuständigkeit auf die Strafvollstreckungskammer fiel diese nicht mehr an das erkennende Gericht zurück, obwohl die Verurteilte am 5.5.2006 nach vollständiger Verbüßung der Strafe aus dem Urteil vom 14.2.2006 aus der Strafhaft entlassen wurde und seitdem nicht erneut in Strafhaft aufgenommen worden ist.
Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 19.9.2006 - 3 Ws 911/06 allerdings ausgeführt, dass der genannte Entscheidungsvorrang der Strafvollstreckungskammer gegenüber dem Gericht des ersten Rechtszuges gem. § 462a I 1 StPO nur solange andauere, als die Freiheitsstrafe vollstreckt werde. Der genannte Zeitraum beginne mit der Einleitung der Strafvollstreckung und ende mit ihrer endgültigen Erledigung. Nach dem Wortlaut der eng auszulegenden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 462a Rn 1 mRsprN) Regelung des § 462a I 2 StPO werde die Zeitspanne nur verlängert in den Fällen der Begründung einer Fortwirkungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, also der Unterbrechung der Vollstreckung und der Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung, bzw. in den einer Aussetzung gleichgestellten Fällen der Führungsaufsicht (§ 463 VI StPO), sei es in der Sache, die den Zuständigkeitswechsel herbeigeführt hat, sei es in einer der auf Grund der Konzentrationsmaxime (§ 462a IV 2 StPO) der Strafvollstreckungskammer gleichermaßen überantworteten Sache (vgl. BGH, NStZ 2000, 111). Danach wäre auch vorliegend die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer wieder entfallen, da die Strafe vollständig verbüßt wurde und 2 Jahre nicht erreichte.
Der BGH hat demgegenüber in der - soweit ersichtlich einzigen, nicht die Fortwirkungszuständigkeit betreffenden, nur bei BGH-Nack veröffentlichten und dem Senat bisher unbekannten - Entscheidung vom 19.1.2000 - 2 ARs 509/99+2 ARs 261/99 ausgeführt, die Zuständigkeit für die Bewährungsaufsicht und die Nachtragsentscheidungen nach der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft, welche die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer begründet habe, gehe nach einer Entlassung der Verurteilten (ergänze: auch nach vollständiger Verbüßung der Strafe) nicht wieder auf das erkennende Gericht über (ebenso: Fischer, in: KK-StPO, 5. Aufl., § 462a Rn 13). Diese Auffassung wird in der genannten Entscheidung zwar nicht begründet. Der Senat folgt ihr dennoch nach nochmaligen Überdenken seiner oben dargestellten Rechtsansicht, die er im Interesse der Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung aufgibt.
Im Verhältnis zwischen den Strafvollstreckungskammern untereinander ist anerkannt, dass nach einem Übergang der sachlich und örtlichen Zuständigkeit durch erneute Aufnahme des Verurteilten in eine JVA zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe die Zuständigkeit nicht mehr an die früher einmal zuständig gewesene Strafvollstreckungskammer zurückfällt (vgl. Fischer aaO). Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der früheren Zuständigkeit um eine Fortwirkungszuständigkeit gehandelt habe hingegen in der Strafsache, welche den Zuständigkeitswechsel herbeigeführt hat, die Strafe weder ausgesetzt, noch unterbrochen, sondern voll verbüßt worden sei, ohne dabei mindestens 2 Jahre (§ 463 VI StPO i.Vm. § 68 f I StGB) zu erreichen.
Dies wird primär damit begründet (vgl. BGHSt 28, 82, 83, NStZ-RR 2003, 102, 103), dass nach dem Konzentrationsprinzip (§ 462a IV 2 StPO) die nunmehr zuständige Strafvollstreckungskammer auch für die übergegangene Sache sachlich zuständig geworden sei, in dieser aber eine Fortwirkungszuständigkeit begründet gewesen sei, die auch nach vollständiger Erledigung der Vollstreckung in der Anlasssache für den Zuständigkeitsübergang die Wirkung des § 462a I 2 StPO entfalte. Aus dieser Argumentation lässt sich für den vorliegenden Fall nichts herleiten, weil eine Fortwirkungszuständigkeit vorliegend gerade nicht begründet wurde.
Der BGH führt indes weiter an, gegen einen Wiederanfall der Zuständigkeit an die ursprünglich zuständige Strafvollstreckungskammer spreche zudem, dass ein solcher Zuständigkeitsübergang ausschließlich von der Höhe der voll verbüßten Strafe abhängig wäre, da nur nach der vollständigen Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren kraft Gesetzes Führungsaufsicht (§ 68 f I StGB) eintrete, also nach der Regelung des § 463 VI StPO auch eine Fortwirkungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer begründet worden sei, an welche die Zuständigkeit übergegangen sei. Eine derartig unterschiedliche Folge je nach der Strafhöhe führe zu einer unnötigen Komplizierung. Ferner verzögere der erneute Zuständigkeitswechsel in der Regel die nachfolgende Sachbehandlung, was vor allem im Interesse des Verurteilten vermieden werden solle. Diese Gründe beanspruchen auch für die vorliegende Fallkonstellation Geltung, von ihnen hat sich der BGH augenscheinlich in seiner Entscheidung vom 19.1.2000 leiten lassen.
Auch das Argument des Wortlautes des § 462a I 2 StPO erscheint dem Senat nach nochmaligen Überdenken seiner bisherigen Ansicht nicht mehr unüberwindbar. Aus der Formulierung in BGHSt 28, 82, 83 : "Das Gesetz sieht (ergänze: in Fällen der vollständigen Verbüßung einer Freiheitsstrafe von weniger als 2 Jahren) keinen derartigen Zuständigkeitswechsel (ergänze: Rückfall an das ursprünglich zuständige Gericht) vor" ist die Auffassung des BGH zu entnehmen, § 462a I StPO bestimme nur den Übergang der sachlichen Zuständigkeit vom erkennenden Gericht auf die Strafvollstreckungskammer, womit sich auf Grund der Regelung des § 462 IV 2 StPO zugleich deren Dauer, nämlich bis zur vollständigen Vollstreckung aller Strafen, hinsichtlich derer die Zuständigkeit ihre Zuständigkeit auf Grund des Konzentrationsprinzips begründet worden ist (vgl. auch Fischer, § 462a Rn13, 25 mzN; s. OLG Hamburg, NStZ 1982, 48,) ergebe. § 462a I 2 StPO betreffe hingegen nicht die Frage eines Rückfalls dieser Zuständigkeit an das erkennende Gericht. Diese Auslegung, nämlich das Ende des Zuständigkeitsvorrangs der Strafvollstreckungskammer vor dem erkennenden Gerichts wesentlich anhand des Konzentrationsprinzips zu bestimmen, erscheint mit dem Wortlaut des § 462a I 2, IV StPO vereinbar.
Ende der Entscheidung
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