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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.10.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 987/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 203
StPO § 210 II
StPO § 309 II
StGB § 78 Abs. 4
StGB § 78 b Abs. 4
StGB § 78 c Abs. 3 S. 2
StGB § 78 Abs. 3 Ziffer 4
Hat die weitere Zurückstellung der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens die Verjährung zur Folge und steht damit die weitere Untätigkeit einer Strafkammer einer endgültigen Ablehnung der Eröffnungsentscheidung gleich, steht der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Beschwerde zu. Die Kammer ist in diesem Fall auch bei geltend gemachter Überlastung anzuweisen, unverzüglich in die gebotene sachliche Prüfung des Hauptverfahrens einzutreten.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN. BESCHLUSS

3 Ws 987/01

Verkündet am 29.10.2001

In der Strafsache

gegen...

wegen Betruges hier: Unterlassen einer rechtlich gebotenen Entscheidung

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt gegen das Unterlassen der 13. Strafkammer -Wirtschaftsstrafkammer- bei dem Landgericht Darmstadt, eine Entscheidung über den Antrag der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen, am 29.10.2001 beschlossen:

Tenor:

Die 13. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer- beim Landgericht Darmstadt wird verpflichtet, unverzüglich in die sachliche Prüfung einzutreten, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist.

Gründe:

Am 4.4.2000 hatte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt - Wirtschaftskammer- Anklage erhoben, mit der den Angeschuldigten zur Last gelegt wird, sich in der Zeit vom 4.2.1992 bis zum 1.11.1996 in 703 Fällen des gemeinschaftlichen Betruges schuldig gemacht zu haben.

Nach Zustellung der Anklage im Mai 2000 erfolgte seitens der Angeschuldigten, die laut Anklage "in vollem Umfang (D.) bzw. "prinzipiell" geständig (H.) sind, keine Stellungnahme. Eine Förderung des Verfahrens ist seitens der Strafkammer seither nicht mehr erfolgt. Die Akten wurden auf Anforderung an die Staatsanwaltschaft Ravensburg bzw. an das Landgericht Mannheim versandt sowie mehreren Geschädigtenvertretern zur Verfügung gestellt. Im übrigen aber finden sich in der Akte immer wieder vom Vorsitzenden kommentarlos verfügte Wiedervorlagetermine bis zu drei Monaten. Ein Berichterstatter wurde ersichtlich nicht bestimmt. Mit einem offensichtlich standardisierten auf den 9.10.00 datierten Schreiben stellte der Vorsitzende unter Hinweis und unter Beifügung einer an den Präsidenten des Landgerichts Darmstadt gerichteten Überlastungsanzeige vom 24.7.00 fest, dass "die Sache in absehbarer Zeit nicht bearbeitet werden kann" und verfügte eine Wiedervorlage von 3 Monaten. Mit Schreiben vom 13.6.01 wies die Staatsanwaltschaft nochmals auf die unter dem 4.4.2000 erhobene Anklageschrift hin und beantragte - unter Hinweis auf § 78 b Abs. 4 StGB - das Hauptverfahren alsbald zu eröffnen.

Eine Reaktion erfolgte hierauf nicht.

Mit Schreiben vom 17.8.01 wiederholte die Staatsanwaltschaft ihren Antrag, bat für den Fall, dass nicht bis zum 15.9.01 entschieden würde, um Rückleitung der Akten und kündigte an, Untätigkeitsbeschwerde zu erheben. Mit Verfügung vom 30.8.01 wurden die Akten - offensichtlich von einem der Beisitzer der 13. Strafkammer - an die Staatsanwaltschaft mit dem Bemerken übersandt, wegen einer vorrangigen Haftsache sehe sich die Kammer nicht in der Lage, über die Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum 15.9.01 zu befinden.

Am 12.9.01, eingegangen bei Gericht am 14.9.01, erhob die Staatsanwaltschaft daraufhin Untätigkeitsbeschwerde.

Mit Verfügung vom 18.9.01 verfügte der "Stellvertreter im Vorsitz", Richter am LG Sch., die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft zur Vorlage an das Oberlandesgericht. Unter Ziffer 1 dieser Verfügung heißt es »Vermerk nach Beratung: Der Beschwerde wird nicht abgeholfen".

Zur Begründung heißt es weiter: "Die Beantwortung der Frage, ob der nach § 203 StPO erforderliche Tatverdacht besteht, setzt zwangsläufig voraus, dass der Tatrichter im Zwischenverfahren die Akte durcharbeitet, bevor über die Frage der Eröffnung des Verfahrens entschieden werden kann." Unter Hinweis auf die exemplarisch an einem anderen Fall aus Sicht der Kammer aufgezeigte Überlastung heißt es weiter, sei die Kammer hierzu nicht in der Lage. Die Beschwerde, der die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht beigetreten ist, ist zulässig.

Zwar ist der Strafprozeßordnung eine reine Untätigkeitsbeschwerde fremd, weil in der bloßen Untätigkeit keine sachliche Entscheidung liegt, nur eine solche aber Gegenstand der Überprüfung durch das Beschwerdegericht sein kann (vgl. RGSt 19, 333, 337; Plöd, KMR, Stand April 2001, Rdnr. 3 vor § 304 StPO; LG Stuttgart, Beschluss vom12.10.90,14Qs 122/90,NStZ1991,204).

Die Unterlassung einer von Amtswegen oder auf Antrag zu treffenden Entscheidungist jedoch dann anfechtbar, wenn die unterlassene Entscheidung selbst bzw. deren Ablehnung anfechtbar ist, und der Unterlassung die Bedeutung einer Sachentscheidung i. S. einer endgültigen Ablehnung und nicht einer bloßen Verzögerung der zu treffenden Entscheidung zukommt ( vgl. BGH NJW 1993, 1279 ff; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Auflage, § 304 Rdnr. 3; Plöd in KMR, Stand April 2001, § 304 Rdnr. 2; Senatsbeschluss vom 17.9.01 - 3 Ws 905/01).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Gegen die Ablehnung bzw. gegen eine vor) der Anklage abweichende Eröffnung des Hauptverfahrens steht der Staatsanwaltschaft gem. § 210 II StPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu.

Das Hinausschieben einer Entscheidung über die Eröffnung durch die Kammer steht hier einer Ablehnung der Eröffnungsentscheidung gleich, weil es zwangsläufig einen endgültigen Verfahrensabschluss nach sich zieht ( BGH, a.a.0. ). Denn bei weiterer Untätigkeit der Kammer droht Verjährung einzutreten: Der Anklageschrift liegen Straftaten zugrunde, die in der Zeit vom 4.2.92 bis 1.11.96 begangen worden sein sollen. Die doppelte Verjährungsfrist der §§ 78 c Abs. 3 S. 2 i.V.m. 78 Abs. 3 Ziffer 4 StGB wird demnach ab dem 4.2.2002 sukzessive ablaufen.

Die weitere Zurückstellung der Entscheidung mit der Verjährungsfolge hat damit die Wirkung, dass das Hauptverfahren nicht mehr eröffnet werden kann. In dieser Folge zugleich eine der Ablehnung der Eröffnung gleichzustellende Sachentscheidung zu sehen, erscheint dem Senat auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Denn die weitere Untätigkeit würde zur endgültigen Vereitelung des staatlichen Strafanspruches führen. Dessen unbedingte Durchsetzung obliegt indes den Verfolgungsorganen und Gerichten als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips von Verfassungs wegen siehe auch BVerfGE 51, 324, 343; 80, 367, 375; 77, 65,76, Senatsbeschluss vom 24.4.92 - 3 VAs 11/92, StV 1993, 292,294). Die von der Strafkammer geltend gemachte Überlastung rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil § 78 b Abs. 4 StGB verhindern soll, dass große Strafverfahren, denen Taten von erheblichem Unrechtsgehalt zugrunde liegen, wegen Eintritts der absoluten Grenze nach § 78 c Abs. 3 S. 2 StGB und wegen der abstrakten Betrachtungsweise der §§ 78 Abs. 4 StGB nicht mit einer Sachentscheidung enden können.

Ob die Kammer wegen Überlastung des Spruchkörpers - auch unter Berücksichtigung des Gebots der besonders zügigen Bearbeitung in Haftsachen ( BGH, Urteil vom 4.9.2001, 5 StR 92/01 ) - nicht in der Lage ist, unverzüglich in die gebotene sachliche Prüfung des Hauptverfahrens einzutreten, hat bei der Entscheidungsfindung des Senates unberücksichtigt zu bleiben. Der Senat ist mit Blick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung des staatlichen Strafanspruches lediglich gehalten, diesem durch die getroffene Entscheidung Geltung zu verschaffen.

Die Kammer hat hingegen selbst über die Reihenfolge der Bearbeitung der ihr zugewiesenen Verfahren zu befinden. Die Frage des Zuständigkeitszuschnittes und der ausreichenden personellen Ausstattung des Spruchkörpers ist allein Sache des Präsidiums des Landgerichts (§ 21 e Abs. 3 GVG). Im übrigen obliegt es der Landesjustizverwaltung, die zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches erforderlichen sachlichen und personellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

An einer eigenen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist der Senat gehindert, er hat die Kammer lediglich anzuweisen, nunmehr in die Sachprüfung einzutreten. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass von einer Entscheidung nach § 309 II StPO abzusehen ist, wenn die erste Instanz in die Sachprüfung nicht eingetreten ist (wenn sie z.B. von einem unzulässigen Antrag ausgegangen ist) oder ein Verfahren gewählt hat, das mit einer ordnungsgemäßen Justizgewährung unvereinbar ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, Rdnr. 8 zu § 309; Karlsruher Kommentar, StPO 4. Auflage, Rdnr. 11 zu § 309).

Beide Fälle sind hier gegeben.

Die Kammer hat sich mit der Frage der Eröffnung bisher sachlich nicht befaßt. Bei einer Entscheidung durch den Senat würde dem hiervon beschwerten Beteiligten (Angeklagtem oder Staatsanwaltschaft) zudem der Verlust einer Instanz drohen. Da als Folge weiterer Untätigkeit die Vereitelung des staatlichen Strafanspruches droht, ist das eingeschlagene Verfahren ferner mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang zu bringen.

Ende der Entscheidung

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